# taz.de -- Journalist:innen im Nahost-Krieg: Nachrichtenblockade in Gaza | |
> Der Krieg zwischen Israel und der Hamas ist bisher einer der tödlichsten | |
> für Journalist:innen gewesen. Ankläger in Den Haag untersuchen | |
> Vorwürfe von Reporter ohne Grenzen (RSF). | |
Bild: Palästinensische Journalisten auf der Flucht vor Schüssen und dem Lärm… | |
Weltweit bleiben acht von zehn Verbrechen an Medienschaffenden vollkommen | |
straffrei. Deshalb war Karim Khans Nachricht ein erster Erfolg auf dem Weg | |
zu mehr Gerechtigkeit. Die gute Nachricht kam am 5. Januar: Khan, der | |
Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag (IStGH), | |
erklärte gegenüber Reporter ohne Grenzen (RSF), sein Team ermittle auch zu | |
Verbrechen an Journalist:innen in Gaza und Israel. Nötig dafür war die | |
unablässige Dokumentation der Gräueltaten der Hamas gegen israelische | |
Journalist:innen, aber in weitaus größerem Umfang auch mutmaßlich gezielte | |
Angriffe der israelischen Armee auf Medienschaffende in Gaza. | |
Am 31. Oktober und am 22. Dezember 2023 [1][hatte RSF Strafanzeigen vor dem | |
IStGH eingereicht], damit dieser mögliche Kriegsverbrechen gegen | |
Medienschaffende im Gazastreifen und in Israel untersucht. Nach dem | |
Völkerrecht gelten Journalist:innen als Zivilist:innen. Sie sind aber | |
wegen der Nähe zum Geschehen – und weil manchmal ganz gezielt ihre Arbeit | |
verhindert werden soll – besonders gefährdet. | |
Die Nachricht von Chefankläger Khan bedeutet deshalb einen ersten Schritt | |
hin zu einem auch rechtlich besseren Schutz von Medienschaffenden in | |
bewaffneten Konflikten – in Gaza und weltweit. | |
Seit Beginn des Gazakriegs am 7. Oktober ist der Gazastreifen nahezu | |
vollständig abgeriegelt. Seither berichten vor allem palästinensische | |
Reporter:innen über das Geschehen. | |
Israelische Luftangriffe, blockierte Telefon- und Internetverbindungen, | |
fehlender Treibstoff, die Angst um sich selbst und Angehörige sowie | |
gezielte Kampagnen, die sie und ihre Arbeit diskreditieren sollen, machen | |
die Berichterstattung jedoch extrem herausfordernd. | |
Zudem erschweren die Terrororganisationen Hamas und Islamischer Dschihad | |
[2][immer wieder die Arbeit unabhängiger und kritischer Medien]. | |
Internationale Reporter:innen kommen nur „eingebettet“ mit der | |
israelischen Armee in den Gazastreifen und müssen den Streitkräften ihr | |
Material vorlegen, bevor sie es veröffentlichen dürfen. | |
Der Grenzübergang Rafah nach Ägypten ist derzeit die einzige Verbindung | |
Gazas mit der Außenwelt. Die israelischen Streitkräfte überwachen dort alle | |
Aktivitäten. | |
Reporter ohne Grenzen fordert ägyptische und israelische Behörden auf, | |
[3][den Grenzübergang in Rafah zu öffnen], um den palästinensischen | |
Medienschaffenden und auch anderen Zivilist:innen bessere Möglichkeiten | |
zu geben, sich zu schützen und Gaza zu verlassen. | |
Seit dem 7. Oktober sind mindestens 107 Journalist:innen gestorben. | |
Reporter ohne Grenzen (RSF) zählt den Tod eines Journalisten oder einer | |
Journalistin als verifiziert, wenn er oder sie im Zusammenhang mit der | |
Arbeit als Journalist:in getötet wurde (roter Streifen in der Grafik). | |
Zugleich erhebt RSF aber auch die Zahl der insgesamt getöteten | |
Journalist:innen (blauer Kreis) und versucht, die Todesumstände | |
möglichst zweifelsfrei zu belegen. Diese Dokumentation dient auch dazu, | |
Material für spätere Gerichtsprozesse zu sammeln. | |
## Alltag von Journalist:innen im Gazakrieg | |
Gemeinsam mit Reporter ohne Grenzen (Reporters sans frontières, RSF) hat | |
die taz Panter Stiftung nach Stimmen von Journalist:innen aus der | |
Region gesucht, die ihren Alltag beschreiben. Einige sind im Gazastreifen | |
geblieben, andere sind geflohen. | |
Mohammed Abu Saif, Journalist, ARD-Mitarbeiter: | |
Ich habe immer gesagt: Ich verlasse Gaza erst, wenn die Waffen schweigen. | |
Sonst würde ich mir zu viele Sorgen um meine Familie und meine Freunde | |
machen. Aber mit der Zeit ist es immer gefährlicher und anstrengender | |
geworden, als Journalist zu arbeiten. Ich konnte nicht anders: Ich musste | |
gehen. | |
Wenn du zu einem Einsatz fährst, etwa zu einem Bombeneinschlag, weißt du | |
nicht, ob vielleicht noch eine Rakete einschlägt. Du weißt nicht, ob es | |
vielleicht das Auto vor dir trifft. Ich habe diese Gedanken nicht mehr aus | |
meinem Kopf bekommen, und auch meine Familie hatte ständig Angst um mich. | |
Schon der Alltag ist eine enorme Herausforderung: Du musst für dich selbst | |
sorgen, aber du stehst stundenlang für Duschen oder Toiletten an. Ich habe | |
tagelang in denselben Klamotten gearbeitet und geschlafen, wochenlang im | |
Auto. Zugleich musst du dich um deine Familie kümmern, aber es fehlt an | |
allen Ecken und Enden die Zeit. Meine Frau und den Rest meiner Familie | |
konnte ich nicht in dem Haus treffen, in dem sie untergekommen waren, weil | |
der Besitzer Angst hatte, man könnte uns angreifen – schließlich sei ich | |
Journalist. | |
Das habe ich oft gehört, zum Beispiel auf dem Markt: „Bitte geh, wir wollen | |
nicht, dass wir bombardiert werden!“ Journalisten als Ziel? Dabei sollten | |
gerade wir Journalist:innen geschützt sein, wie alle Zivilisten. | |
Natürlich kenne ich auch Kolleginnen und Kollegen, die getötet wurden. | |
Einer war ein Freund aus Kindheitstagen. | |
Ich bin Journalist, aber mir fehlen die Worte. Ich weiß nicht, wie ich | |
meine Gefühle ausdrücken soll. Tagsüber siehst du so viel Chaos und Leid, | |
und am Ende des Tages sehnst du dich nach einer positiven Nachricht. | |
Irgendetwas. Und dann wird dir gesagt, dass dein Freund getötet wurde. | |
Das Haus meiner Familie ist zerstört worden. Sie hat in Beit Lahija | |
gewohnt, im Norden des Gazastreifens. Ob es meine eigene Wohnung noch gibt, | |
weiß ich nicht, und ich will es auch nicht wissen. | |
Nach fünf Monaten habe ich Gaza verlassen. Ich bin nun sicher, aber | |
gleichzeitig bereue ich es, nicht mehr dort zu sein. Über das zu berichten, | |
was passiert, ist eigentlich meine Aufgabe, meine Verantwortung. Wenn wir | |
alle Gaza den Rücken kehren, wer erzählt dann die Geschichten? Aber ich war | |
fünf Monate lang im Krieg. Niemand kann mir sagen, ich hätte keine Opfer | |
gebracht. | |
Aus dem Arabischen: Christopher Resch | |
Ola al-Zaanoun, Journalistin und RSF-Korrespondentin: | |
Um vier Uhr morgens am 13. Oktober, eine Woche nach dem Beginn des | |
Gazakriegs, forderte die israelische Armee die Bürger:innen auf, alle | |
Gebiete im nördlichen Gazatal in Richtung Süden zu verlassen. | |
Wir lebten in der Region um Tel al-Hawa, von nun an eine militärische | |
Sperrzone. Ich nahm Dokumente, Pässe und ein paar persönliche Sachen mit, | |
weil ich anfangs dachte, es ginge nur um einen kurzen Zeitraum. Ich war | |
ziemlich verwirrt, sah aber außer der Flucht keine anderen Optionen für | |
uns. Ich beschloss, mich mit meinen vier Kindern – Moussa, Ahmad und den | |
Zwillingen Alma und Adam – auf den Weg zu machen. | |
Mein Mann arbeitet für die Nachrichtenagentur AFP. Deren Teams waren im | |
24-Stunden-Notfallbetrieb unterwegs. Ihre gesamte Berichterstattung bestand | |
aus Tod, Bombardements, Zerstörung, Vertreibung, Verwirrung und Chaos. | |
Ich habe kein Gleichgewicht gefunden zwischen meiner Tätigkeit als | |
Journalistin, die über die zunehmenden Angriffe auf Medienschaffende | |
berichtet, und meiner Verantwortung als Mutter. Ich war hilflos und | |
außerstande, mich selbst und die Kinder zu schützen. | |
Wir verließen Gaza-Stadt in Richtung Süden, wohin genau, wussten wir nicht. | |
Was zählte, war, dem Tod zu entkommen. Aber wir mussten feststellen, dass | |
sich der Tod sehr schnell überall ausbreitete. Israelische Drohungen und | |
Bombardierungen wechselten sich ab, nirgendwo schien es sicher zu sein. Aus | |
professioneller Sicht wie auch als Familie wurde die Lage immer | |
komplizierter. | |
Viele Journalist:innen, darunter auch mein Mann, nutzten Zelte rund um das | |
Nasser-Krankenhaus in Chan Yunis, der zweitgrößten Stadt im Gazastreifen, | |
als Unterschlupf für ihre Arbeit. Internet- und Telefonverbindungen fielen | |
häufig aus, journalistische Arbeit wurde nahezu unmöglich. Ich konnte dort | |
nicht lange bleiben, weil uns die israelische Armee erneut aufforderte, den | |
Ort zu verlassen, diesmal sollten wir nach Rafah. | |
Wie viele andere lebten wir dort drei Monate lang in Zelten. Es war | |
schrecklich, weil ich zum einen Angst hatte, wegen meiner Arbeit als | |
Berichterstatterin ins Visier genommen zu werden. Zum anderen musste ich | |
irgendwie meine Familie versorgen. Als Journalistin zu arbeiten, wurde zu | |
einem Ding der Unmöglichkeit. | |
Jedes Mal, wenn ich einen weiteren getöteten Kollegen melden musste, | |
zitterte ich vor Angst, es könnte einer meiner Verwandten sein. | |
Ich stamme aus einer Journalistenfamilie, mein Mann, meine Brüder und mein | |
Sohn sind Journalisten. Es ist sehr bedrückend und schmerzhaft, jeden Tag | |
den Tod eines Kollegen zu dokumentieren, mit dem man früher gemeinsam | |
berichtet hat. Sich dem rund um die Uhr auszusetzen, hat großen Schmerz in | |
mir hinterlassen. Die Angst davor, selbst zur Nachricht zu werden, war | |
grauenvoll. In keinem Krieg gab es so viele getötete Journalist:innen. | |
Hunderte Verletzte und die Zerstörung aller Medieneinrichtungen kommen | |
hinzu. | |
Diese Realität verfolgte mich, sie ließ mich nicht los, und ich bin auch | |
nicht von psychologischen Schäden verschont geblieben. Es grenzt für mich | |
an ein Wunder, dass ich jeden israelischen Angriff überlebt habe – bislang. | |
Ich arbeite seit 15 Jahren als Journalistin und habe mich darauf | |
spezialisiert, Angriffe auf Medienschaffende und Verstöße gegen die | |
Pressefreiheit zu dokumentieren. Dieser Krieg ist der bislang brutalste | |
gegenüber Journalist:innen – sie genießen keinerlei Schutz, weder durch | |
Immunität noch durch andere internationale Konventionen. | |
Aus dem Arabischen: Christopher Resch | |
Freie Journalistin aus Gaza-Stadt, die anonym bleiben will: | |
Zu Beginn des Gazakriegs lebte ich mit meiner Familie in meinem Haus in | |
Gaza-Stadt. Ich wurde Zeugin von schweren israelischen Luftangriffen auf | |
Gebäude im Flüchtlingslager in der Nähe. Ich erinnere mich noch sehr gut | |
daran, wie meine Familie und ich die ganze Nacht nicht schlafen konnten, | |
weil die israelischen Bomben so schrecklich klangen. Es war sehr unheimlich | |
in der Dunkelheit inmitten des Bombenlärms, ohne Verbindung nach außen und | |
ohne Strom. | |
In der zweiten Nacht wurden wir plötzlich durch Schreie unserer Nachbarn | |
geweckt: Sie hatten einen Anruf der israelischen Armee erhalten, der ihnen | |
befahl, das Stadtviertel zu verlassen. Wir waren schockiert, da wir nicht | |
wussten, wohin wir spät nachts gehen sollten. Wir entschieden uns für die | |
Al-Schifa-Klinik, weil wir davon ausgingen, dass die israelische Armee das | |
Krankenhaus nicht angreifen würde. Ohne darüber nachzudenken, welche Dinge | |
wir mitnehmen mussten, verließen wir das Haus, um einer Evakuierung | |
zuvorzukommen. | |
Im Al-Schifa-Krankenhaus war die Lage katastrophal. Tausende von Familien | |
hatten Zuflucht im Hof und im Innern des Krankenhauses gesucht. Inmitten | |
dieser fatalen Situation berichteten mir Kollegen, dass Israel alle | |
Bewohner:innen von Gaza-Stadt aufgefordert hatte, in den Süden des | |
Gazastreifens zu ziehen. Diese Nachricht versetzte mich in Panik, weil ich | |
nicht wusste, wohin ich im Süden gehen sollte. Einer unserer Verwandten | |
erklärte sich dann bereit, uns in seiner Wohnung in Chan Yunis aufzunehmen. | |
Im neuen Unterschlupf lebten wir in ärmlichen Verhältnissen – ohne Strom | |
und mit begrenzten Mengen an Wasser und Lebensmitteln. Es gab kein | |
Internet, weshalb ich journalistische Recherchen aufgeben musste. Ich war | |
vollauf damit beschäftigt, Lebensmittel für meine Familie zu organisieren | |
und in den Krankenhäusern eine Möglichkeit zu finden, mein Handy | |
aufzuladen, um für internationale Medien zumindest über die humanitäre | |
Krise im Süden des Gazastreifens zu berichten. Das setzte mich wiederum | |
psychisch unter Druck, weil meine Familie um meine Sicherheit fürchtete, | |
als sie feststellte, dass ich mit internationalen Medien über das Leid der | |
Zivilbevölkerung sprach. Mehrfach bat mich meine Familie, nicht mehr zu | |
berichten, da einige Journalisten vom israelischen Militär angegriffen | |
worden waren. | |
Ich beschloss, nach Gaza-Stadt zurückzukehren. Der Weg dahin war sehr | |
gefährlich, aber ich sah keine andere Möglichkeit. Als ich in meinem Haus | |
in Gaza-Stadt ankam, entspannte ich mich kurzzeitig. Doch dann | |
verschlechterte sich die Situation dramatisch, denn Israel hatte | |
beschlossen, das benachbarte Al-Schifa-Krankenhaus anzugreifen. Es kamen | |
israelische Panzer in mein Viertel, und in der Nähe gab es Feuergefechte | |
zwischen bewaffneten palästinensischen Gruppen und der israelischen Armee. | |
Ein Geschoss traf mein Haus. | |
Darum entschieden wir uns, zum zweiten Mal in den Süden umzusiedeln. | |
Diesmal war das noch gefährlicher, denn wir waren gezwungen, stundenlang zu | |
Fuß zu gehen, weil die israelische Armee den Verkehr auf der Hauptstraße | |
Salah al-Din behinderte. Als wir die Mitte des Gazastreifens erreichten, | |
fanden wir ein Taxi, das uns nach Chan Yunis brachte. | |
Der zweite Aufenthalt in Chan Yunis war schrecklich: Jeden Tag waren die | |
israelischen Bomben zu hören, und ich konnte mich nicht mehr auf meine | |
Arbeit konzentrieren. Es war kalt. Ich schlief auf dem Boden auf einer | |
dreckigen Matratze und einem schmutzigen Kissen. Es gab nicht genug Wasser, | |
um sie zu waschen. Dann bekam ich eine Grippe, versuchte Medikamente zu | |
finden, fand aber keine. | |
Schließlich baten wir meine im Ausland lebende Schwester um Hilfe. Sie | |
unterstützte uns bei der Evakuierung aus Chan Yunis über den Grenzübergang | |
Rafah. Vorübergehend leben wir jetzt in einem europäischen Land bei ihr. | |
Mein Laptop wurde unterwegs beschädigt, ich kann deshalb nicht arbeiten. | |
Wir fühlen uns nun zwar physisch sicher, aber in Gedanken sind wir immer | |
noch im Gazastreifen. | |
Aus dem Englischen: Ole Schulz | |
Sami O. Zyara, Produzent für ABC News in Gaza: | |
Ich bin ein 50-jähriger Palästinenser und Vater von neun wunderbaren | |
Kindern. Seit 1993 arbeite ich als Produzent für ABC News. Im Laufe meiner | |
Karriere habe ich professionell über eine Vielzahl historischer Ereignisse | |
und Kriege berichtet, bei denen ich unzählige Risiken in Kauf genommen | |
habe, um die neuesten Entwicklungen in der palästinensischen Welt | |
darzustellen. | |
Seit dem israelischen Rückzug aus dem Gazastreifen im Jahr 2005 habe ich | |
mehrere Kriege im Gazastreifen und Dutzende von Eskalationsstufen verfolgt. | |
Für mich persönlich ist der aktuelle Krieg außergewöhnlich und lässt sich | |
in Bezug auf das Ausmaß der Zerstörung, die Dauer und die Zahl der Opfer | |
nicht mit den früheren Kriegen vergleichen. | |
Am 7. Oktober sprang ich morgens aus meinem Bett, um zu duschen und mich | |
anzuziehen. In der Nacht hatte ich mich um meinen kranken Vater gekümmert. | |
Ich bügelte meine Kleidung, trank einen Kaffee – und sah, wie Raketen auf | |
Israel den Himmel über Gaza bedeckten. Seitdem befinde ich mich persönlich | |
in einer Art Wachkoma, aus dem ich mich nicht befreien kann. Ich ahnte, | |
dass wir auf einen heftigen, lang anhaltenden und beispiellosen Krieg | |
zusteuerten, und so ist es auch eingetreten. | |
Ich wohne in einem Haus im nördlichen Gazastreifen, der an Israel grenzt, | |
was mich jedes Mal, wenn wir Zeuge von Kämpfen mit Israel werden, zutiefst | |
beunruhigt. In jedem der früheren Kriege habe ich bei meinen Kindern | |
geschlafen, aber in diesem Krieg habe ich es nicht geschafft, die langen, | |
schrecklichen Nächte mit ihnen zu verbringen, damit sie sich angesichts der | |
unglaublichen Menge an Bomben, die auf unsere Nachbarschaft niederfielen, | |
sicher fühlen konnten. | |
Im Laufe des Krieges erhielten wir von den Israelischen | |
Verteidigungsstreitkräften (IDF) mehrfach den Befehl, in Gebiete zu | |
fliehen, die als sichere Zonen ausgewiesen wurden. Wir waren gezwungen, 16 | |
verschiedene Orte aufzusuchen, um in Sicherheit zu sein. Ich habe | |
erschütternde Situationen erlebt und sah, wie Neugeborene, Kinder, Frauen | |
und ältere Menschen schwer verletzt oder getötet wurden. | |
Jedes Mal, wenn ich miterlebe, wie Kinder getötet werden, bin ich völlig | |
niedergeschlagen und unfähig, so zu funktionieren, wie ich sollte. Der | |
Schmerz raubt mir jede Energie, während ich an meine Kinder denke und mich | |
frage, was wäre, wenn ich an ihrer Stelle wäre. Dieser Krieg hat mich | |
hilflos gemacht, weil ich die Hoffnung auf ein Überleben oft genug verloren | |
habe. | |
Ich habe zusammen mit meinem Team über die neuesten Entwicklungen in Gaza | |
berichtet. Wir zogen von einem Ort zum anderen, um ein wahrheitsgetreues | |
Bild der Lage zu zeichnen. Dabei brachten wir uns häufig selbst in Gefahr. | |
Jeder Tag war eine echte Herausforderung, denn ich musste meiner Familie | |
das Nötigste zum Überleben besorgen, einschließlich Wasser, Lebensmittel, | |
Medikamente und Hygieneartikel, und das in einer Zeit, in der es an | |
humanitären Hilfsgütern aller Art mangelte. Wir mussten stundenlang in der | |
Schlange stehen, um Brot, Dosenbohnen und ein paar Flaschen Wasser zu | |
ergattern. | |
Meine Arbeitskolleg:innen haben ihre Häuser verloren, nachdem sie | |
während der israelischen Landnahme zerstört worden waren. Für mich ist das | |
Ausmaß der Zerstörung nicht mit früheren Kriegen zu vergleichen. Auch ich | |
habe mein Haus, mein Büro und eine Fahrschule verloren, die mir gehört – | |
und mein Ackerland wurde komplett zerstört. | |
Palästinensische Journalist:innen müssen allein arbeiten, nachdem | |
Israel ausländischen Journalist:innen im Rahmen der laufenden | |
Militäraktion den Zugang zum belagerten Gazastreifen verwehrt hat. Seit | |
über fünf Monaten können ausländische Journalist:innen keine | |
Augenzeugen der Verbrechen werden, die in Gaza begangen werden. | |
Im fünften Monat des Krieges ist es mir gelungen, einen Teil meiner Familie | |
mithilfe von ABC News aus Gaza zu evakuieren. | |
Ich bin immer noch hier und kümmere mich um meine Eltern, bin aber kaum in | |
der Lage, die täglichen Herausforderungen zu meistern, um zu überleben. Ich | |
keuche schwer und altere schnell. Unter diesen Umständen bleiben viele | |
journalistische Geschichten unerzählt. Der Krieg ist für mich ein Albtraum, | |
doch ich versuche, die Nerven zu bewahren. | |
Jedes Mal, wenn ich von einem Waffenstillstand fantasiere, überkommt mich | |
ein unheimliches Gefühl der Skepsis. Soll ich mich als Überlebenden feiern | |
oder mich schuldig fühlen? Soll ich am Friedhof derer stehen, die mir ihre | |
Träume anvertraut haben, und für sie ein Klagelied singen? | |
Das Leben ist zu einer tristen Angelegenheit geworden – in unserer langen | |
Geschichte voller Trauer und Melancholie. | |
Aus dem Englischen: Ole Schulz | |
Anmerkung der taz Panter Stiftung: [4][Unterstützen Sie | |
Journalist:innen in Not]. Auch im Krieg müssen kritischer Journalismus | |
und freie Berichterstattung möglich sein. | |
16 Mar 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Reporter-ohne-Grenzen-ueber-Gaza-Krieg/!5982676 | |
[2] /Al-Jazeera-im-Nahostkonflikt/!5977556 | |
[3] /Lage-in-Gaza/!5966015 | |
[4] /spenden | |
## AUTOREN | |
Christopher Resch | |
Mohammed Abu Saif | |
Sami O. Zyara | |
Ola al-Zaanoun | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Nahost-Konflikt | |
Gaza | |
Gaza-Krieg | |
Journalismus | |
taz Panter Stiftung | |
Reporter ohne Grenzen | |
Israel | |
Palästina | |
GNS | |
Schwerpunkt Pressefreiheit | |
Reporter ohne Grenzen | |
Schwerpunkt Pressefreiheit | |
Medien | |
Schwerpunkt Pressefreiheit | |
Schwerpunkt Nahost-Konflikt | |
Schwerpunkt Nahost-Konflikt | |
Schwerpunkt Nahost-Konflikt | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Pressefreiheit in Nahost: Informationskrieg um Gaza | |
„Embedded“, also vom Militär begleitet, zu berichten, ist im Krieg üblich. | |
Doch die Grenzen dieser Praxis müssen offengelegt werden. | |
Tag der Pressefreiheit 2024: Wahrheit, Macht und Wahnsinn | |
Das erste Opfer im Krieg ist bekanntlich die Wahrheit. Zu den weiteren | |
Opfern zählen immer wieder Journalisten, die teilweise gezielt getötet | |
werden. | |
Zum Tag der Pressefreiheit 2024: Krieg gegen Medienfreiheit | |
Kriegführenden Staaten geht es nicht um freien Journalismus, sondern um | |
Propaganda. In Kriegszeiten blüht auch in Demokratien die Doppelmoral. | |
Online-Medium für den Nahen Osten: Eine Brücke vor dem Einsturz | |
Das Online-Magazin qantara.de soll Deutschlands Ruf in der arabischen Welt | |
verbessern. Nun droht die Redaktion mit Rücktritt. Was ist da los? | |
Presse in China: Live-Schalte zur Zensur | |
Nach einer Explosion treffen die Repressionen Chinas sogar eine Reporterin | |
der staatseigenen Medien. Es folgt eine Welle der Solidarität. | |
Krieg im Gazastreifen: Ein Grab für Journalist*innen | |
Palästinensische Reporter*innen berichten aus dem Gazastreifen von | |
Blutvergießen und Zerstörung. Dutzende wurden dabei selbst getötet. | |
Palästinensische Reporter in Gaza: Journalisten auf Todeslisten | |
Für Journalist*innen ist der Nahost-Krieg der gefährlichste seit 30 | |
Jahren. Die, die Nachrichten überbringen, werden selbst zu Nachrichten. | |
Pressefreiheit im Israel-Gaza-Krieg: Journalist*innen als Zielscheibe | |
In dem Krieg zwischen Israel und der Hamas wurden bisher mindestens neun | |
palästinensische, ein israelischer und ein libanesischer Journalist | |
getötet. |