# taz.de -- 100. Geburtstag der Roten Hilfe: Streitbare Solidarität | |
> Die Rote Hilfe feiert 100 Jahre mit einer Gala in Hamburg. Zu besichtigen | |
> war auch, wie eine Linke aussehen könnte, die zusammenhält. | |
Bild: Mitglieder der Roten Hilfe protestierten 1974, nachdem RAF-Mitglied Holge… | |
HAMBURG taz | Nein, natürlich hängt nirgendwo in den Weiten des | |
Millerntor-Stadions ein Schild: „Rote Hilfe-Gala hier entlang“. So weit ist | |
es dann doch nicht her mit der Offenheit. Die [1][Rote Hilfe] ist | |
schließlich „die größte und eine der wichtigsten Gruppierungen im deutschen | |
Linksextremismus“, so steht es im [2][letzten Verfassungsschutzbericht], | |
zuständig für „die Unterstützung linksextremistischer Straftäter sowohl im | |
Strafverfahren als auch während der Haftzeit“. | |
Hinter einer halboffenen Gittertür steht der Anmeldetisch, dann geht es mit | |
anderen, unter ihnen der Filmer des offiziellen Rote Hilfe-Dokumentarfilms, | |
in einem Aufzug hoch in den Presseraum, wo etwa ein Dutzend Leute auf | |
quietschbunten Drehstühlen sitzen. Prüfende Blicke. „Hallo“, sagt ein | |
junger Mann im lila Hemd, er ist von der Ortsgruppe Hamburg, die die Sause | |
heute ausrichtet. Die Pressekonferenz sei eigentlich schon vorbei, aber | |
„frag ruhig“. | |
Außer mir hat keiner Fragen. Später wird klar, warum: Die Leute hier kennen | |
die Antworten bereits, sie gehören mehr oder weniger zur Familie. | |
Also: Wer kommt zur Roten Hilfe? „Menschen mit einem linken | |
Selbstverständnis“, es muss gar nicht immer ganz krass sein, „Wir | |
unterstützen viele verschiedene Aktionsformen“, inzwischen würden ja | |
bereits Sitzblockaden gegen Naziaufmärsche kriminalisiert. Und wer | |
entscheidet, was als linkes Selbstverständnis zählt? „Das entscheiden bei | |
uns die Ortsgruppen“, 50 davon gebe es in der BRD. Die Zentrale rede da | |
nicht rein. | |
Die Zeiten sind politisch schwierig, das ist klar, die Rechte auf dem | |
Vormarsch, die Repression nimmt zu. „Das Gute ist“, sagt Henning von | |
Stoltzenberg, der vom Bundesvorstand in NRW angereist ist: „Je stärker der | |
Druck, desto mehr geht es bei uns nach oben.“ | |
## Im Kampf der K-Gruppen | |
15.000 Mitglieder hat die Rote Hilfe derzeit. Das ist vielleicht nicht viel | |
gegen ihre Anfänge in der Weimarer Republik, als die Zahlen in die | |
Hundertausende gingen, aber doch viel angesichts ihrer jüngeren Geschichte: | |
In den 1970ern rieb sie sich im Kampf der K-Gruppen auf, als | |
„Sympathisantin der RAF“ war sie zudem unter staatlichen Druck geraten. | |
Erst als sie sich mit der Neugründung 1986 neuen linken Bewegungen | |
(Hausbesetzungen, Anti-Akw) öffnete, ging es wieder aufwärts. Heute | |
versucht die Rote Hilfe, strömungsübergreifend zu arbeiten, allen | |
[3][Konflikten innerhalb der Linken] zum Trotz. „Wenn es zu Repression | |
kommt, fordern wir die Leute auf, zusammenzuarbeiten“, sagt Henning von | |
Stoltzenberg. | |
Derzeit steht die Rote Hilfe gut da, neben den Mitgliederbeiträgen gehen | |
Spenden und sogar Erbschaften an sie. Die 100-Jahre-Feier steigt im | |
geräumigen Ballsaal des FC St. Pauli, hinter der Haupttribüne. Durch die | |
gläserne Hintertür ist das Spielfeld zu sehen, das ruhig und ausgestorben | |
daliegt, mit riesigen spinnenartigen Maschinen darauf, die den Rasen | |
bewachen. | |
Später bei der Gala wird dort draußen die Menschentraube der Rauchenden | |
stehen, jetzt aber ist noch nicht einmal das Büfett eröffnet. Die ersten | |
Gäste treffen ein, nehmen ein Glas Sekt vom Tablett und stellen sich vor | |
den Stelltafeln, auf denen 100 Jahre Rote Hilfe dokumentiert sind. Wer sie | |
sind? „Also wir kommen von der UZ“, sagt ein Mann, der vorhin auch oben mit | |
seiner Kollegin in der Pressekonferenz saß. | |
Die UZ, Unsere Zeit, ist die Wochenzeitung der DKP. „Wir sind bei der Roten | |
Hilfe schon ewig dabei“, und dann erklären sie, wofür die DKP steht (noch | |
immer Marx-Engels-Lenin) und wie sie sich zur Linkspartei verhält, eine | |
Doppelmitgliedschaft sei nicht ausgeschlossen. Die Spaltungen in der Linken | |
bedauert er sehr, gerade deswegen findet er die Rote Hilfe so gut. „Sie | |
zeigt, dass wir zusammengehören.“ | |
## Verschärfung der Polizeigesetze | |
Das Büfett ist eröffnet, ein Mann mit langem Bart setzt seinen Teller mit | |
veganer Currywurst ab. „Darf ich?“ Er ist von Robin Wood, die auch schon | |
lange dabei sind und jetzt auch wieder allen Grund dazu haben, denn auch | |
sie sind von der Verschärfung der Polizeigesetze betroffen. Die „präventive | |
Ingewahrsamnahme“, offiziell eingeführt, um Straftaten zu verhindern, | |
betrifft auch ihre Aktivist*innen, denn Besetzungen gelten schon als | |
Straftat. | |
„Und wenn sie dann unser Klettermaterial beschlagnahmen, rücken sie es | |
nicht mehr heraus, weil damit ja neue Straftaten begangen werden könnten.“ | |
Eine junge Frau tritt an den Tisch, sie ist eine der Aktivistinnen. „Und, | |
willst du nicht vielleicht die Seiten wechseln?“, fragt sie. „Vom | |
Journalisten zum Aktivisten? Wir suchen noch Leute.“ | |
Ganz hinten, vor dem Regal mit dem sehr leckeren Dessert aus roten Beeren, | |
haben sich zwei ältere Herren an einen Tisch gestellt. „Wir sind der | |
bürgerliche Rand“, sagen sie, sie kommen von der Humanistischen Union in | |
Bremen und sind eher an der Uni zu Hause. Die schärferen Polizeigesetze, | |
die Überwachung, das Hantieren mit den Paragrafen 129 (kriminelle | |
Vereinigung) und 129a (terroristische Vereinigung), wonach auch die | |
Mitgliedschaft bei der Antifa oder in der PKK schon eine Straftat ist, | |
finden sie äußerst problematisch. | |
Und so kommen an diesem Abend politische Lager zusammen, die sich sonst | |
eher bekriegen. Die Bühne für die Gala ist mit roten Fahnen dekoriert, zwei | |
Screens zeigen die verschränkten Arme, das Zeichen der Solidarität, und | |
Grüße werden auch an Institutionen übermittelt, die der Verfassungsschutz | |
schon gecancelt hat. | |
## Diskretion Ehrensache | |
Diskretion ist schon allein deswegen Ehrensache. „Wir kennen uns aus mit | |
dem Wunsch, nicht fotografiert zu werden“, sagt eine Frau vom | |
Bundesvorstand bei der Begrüßung. Die Fotografen, die da seien, seien in | |
ihrem Auftrag da und würden darauf achten, nur von hinten zu fotografieren. | |
Eine Landtagsabgeordnete der Linken ist aus Thüringen zugeschaltet, sie | |
erzählt, wie wichtig die Rote Hilfe im Kampf gegen die „Faschistinnen und | |
Faschisten“ ist, und genau diesen Kampf führt ja auch die Frau, die gegen | |
Ende der Gala kommt: [4][Lina E. von der „Antifa Ost“ aus Leipzig]. | |
Sie ist so etwas wie der Star des Abends: Ihre Verhaftung nach einem | |
Überfall auf Neonazis in Eisenach, die Ermittlungen einer Polizeieinheit, | |
die „Soko LinX“ heißt, die Anklage wegen „Bildung einer terroristischen | |
Vereinigung“, schließlich der Abtransport mit dem Hubschrauber nach | |
Karlsruhe zur Bundesanwaltschaft: Schon diese Umstände, oder soll man | |
sagen; diese Inszenierung?, weckten eine riesige Aufmerksamkeit. | |
Der Fall Lina E. wurde zum Beweis dafür hochgejazzt, dass es wieder so | |
etwas wie „Linksterrorismus“ gebe, wogegen die Brutalität, mit der die | |
überfallenen Neonazis eine Stadt wie Eisenach zu einer „[5][national | |
befreiten Zone]“ transformieren, in der Andersdenkende sich nicht mehr auf | |
die Straße trauen, hintenüberfiel. | |
Und dann steht da im Ballsaal eine junge Frau mit Ponyfrisur und erzählt, | |
dass sie die Zeit in der Haft ohne die Rote Hilfe nicht durchgestanden | |
hätte. Schon in der ersten Woche war Geld auf ihrem Haftkonto, sie konnte | |
sich eigenes Essen kaufen, eine Lampe, so dass das Neonlicht ausbleiben | |
konnte, auch ihre Wohnung wurde weiter finanziert. In ihrer Zelle habe sie | |
die Arme hinter dem Kopf verschränkt und gedacht: „Puh, ich muss mich ja um | |
gar nichts mehr kümmern“, sagt Lina E. Sie habe das als „großes Privileg�… | |
empfunden. | |
## Bernadette La Hengst im Glitzerkleid | |
Während vorne auf der Bühne die Gäste auftreten, die Musikerin Bernadette | |
La Hengst ist im Glitzerkleid da und die Kabarettistin Lisa Politt haut auf | |
die Kriegspartei der Grünen drauf, wird hinten an der Theke eine riesige | |
Torte mit der Aufschrift „Solidarität“ angeschnitten. | |
Es bildet sich eine Schlange, Gedränge. „Ich weiß nicht, die ist doch nur | |
gekauft“, sagt die Frau vom Team der Vokü Hafenstraße, die hinter der | |
Kuchentheke steht und die Torte austeilt. Der selbstgebackene | |
Schokokuchen daneben sei viel besser. | |
Aber die Solidaritätstorte muss es nun mal sein. Sie schmeckt süß, | |
vielleicht ist Erdbeere drin? Süß und ein bisschen klebrig. | |
19 Feb 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Verein-Rote-Hilfe/!5987618 | |
[2] https://www.verfassungsschutz.de/SharedDocs/publikationen/DE/verfassungssch… | |
[3] /Linker-Antisemitismus/!5966630 | |
[4] /Prozess-gegen-Lina-E/!5934474 | |
[5] https://www.mdr.de/nachrichten/podcast/lina-e/index.html | |
## AUTOREN | |
Daniel Wiese | |
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