# taz.de -- Junglandwirtin über die Bauernproteste: „Das Fass war voll!“ | |
> Statt rechtsextremer Parolen seien konstruktive Lösungen gefragt, so Inka | |
> Baumgart von der Jungen Arbeitsgemeinschaft bäuerlicher Landwirtschaft. | |
Bild: Mit einem Traktor-Konvoi demonstrieren Bauern in Kassel gegen Subventions… | |
taz: Inka Baumgart, als Junge Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft | |
(Junge AbL) haben Sie vor einigen Tagen ein [1][Video veröffentlicht, das | |
viral ging]. Darin sagen junge Landwirt*innen, welche Forderungen der | |
bäuerlichen Proteste legitim sind und welche nicht. Wie kam es zu dem | |
Video? | |
Inka Baumgart: In der letzten Woche wurde die öffentliche [2][Diskussion | |
um die Streichung der Agrardieselsubventionen sehr von rechtsextremer | |
Hetze dominiert]. Wir hatten das Gefühl, dass wir konstruktive Inhalte | |
produzieren müssen, die Leute als Antwort auf rechtsextreme Positionen | |
in eine Chatgruppe stellen oder in den sozialen Medien teilen können. | |
Außerdem war es uns wichtig, klarzumachen, dass auch progressive | |
Landwirt*innen die Beschlüsse kritisieren. | |
Welche Forderungen der Protestbewegung sind problematisch? | |
Alle rechtsextremen Umsturzfantasien und Gewaltaufrufe sind abzulehnen. | |
Das sollte eigentlich selbstverständlich sein. Auch Forderungen gegen | |
Klimaschutz im Ganzen bringen uns nicht weiter. Wenn wir in der | |
Landwirtschaft arbeiten, sind wir eigentlich eh schon Klimaschützer*innen, | |
oder wir werden es, weil Klimaschutz, also der Erhalt unserer | |
Lebensgrundlagen, so existenziell notwendig ist, dass wir daran nicht | |
vorbeikommen werden. | |
Machen Ihnen die rechten Eskalationen Angst? | |
Wenn wir sehen, wie die extreme Rechte versucht, uns zu vereinnahmen, | |
bereitet uns das massiv Ängste und Sorgen. Ich bin aber sehr froh und | |
positiv überrascht, dass auch der Deutsche Bauernverband und die einzelnen | |
Landesverbände immer wieder versuchen, sich ganz klar davon abzugrenzen. | |
Das macht mir auch ein Stück weit Mut, dass mein Berufsstand zu den | |
Rechtsextremen sagt: „Ey, hört auf, das sind unsere Probleme, nicht eure. | |
Mit eurem Murks da haben wir nichts zu tun!“ | |
Insgesamt versuche ich mich aber darauf zu konzentrieren, in den | |
konstruktiven Dialog zu gehen, damit wir am Ende aus diesen Wochen | |
rausgehen können und etwas gewonnen haben – nämlich einen | |
gesellschaftlichen Diskurs über die Landwirtschaft, wie wir sie haben | |
wollen und was dazu notwendig ist. | |
Was ist an den Forderungen oder auch dem allgemeinen Unmut berechtigt? | |
Die ganze Wut, die wir gerade sehen, ist jahrelange Enttäuschung, die jetzt | |
umgeschlagen ist. Die Streichung der Agrarsubventionen war der Tropfen, der | |
das Fass zum Überlaufen gebracht hat. | |
Weshalb sind die Landwirt*innen enttäuscht? | |
Die Situation in der Landwirtschaft ist immer prekär. Die finanzielle | |
Situation ist quasi immer schwierig. Und dazu kommt die Arbeitsbelastung. | |
Ich habe in der Ausbildung über 60 Stunden die Woche gearbeitet. Das ist | |
ganz normal in der Landwirtschaft. Das gilt für die Angestellten genauso | |
wie für die Betriebsleiter*innen. Deshalb fühlt sich so eine Kürzung | |
scheiße an, auch wenn sie vielleicht vom Umfang nicht so groß erscheint. | |
Sie sagen es. [3][Wissenschaftler*innen haben errechnet], dass die | |
Kürzungen im Schnitt nur etwa 1.700 Euro pro Jahr pro Betrieb betragen. | |
Wir müssen die Probleme, die historisch gewachsen sind, angucken und können | |
uns nicht damit begnügen zu sagen: „Das kann ja gar nicht so schlimm sein, | |
wenn das nur 1.700 Euro pro Jahr und Betrieb sind.“ Das geht an unserer | |
Realität vorbei und es bringt die gesellschaftliche Diskussion nicht | |
weiter. Im Gegenteil treiben solche Aussagen die Spaltung zwischen Umwelt- | |
und Klimaschutz und der Landwirtschaft voran. Und genau das müssen wir | |
vermeiden. | |
Aber halten Sie die Streichung der Agrardieselsubventionen aus ökologischer | |
Sicht nicht für sinnvoll? | |
Ich bezweifle, dass die Streichung dieser Beihilfen dazu führt, dass | |
Emissionen in der Landwirtschaft eingespart werden. Uns fehlen im Moment | |
die Alternativen. Wie sollen wir ohne Trecker unsere Felder bewirtschaften? | |
Wieder mit Hacke und Spaten? Die Streichung der Beihilfen wird nur dazu | |
führen, dass die Regierung weniger Geld ausgibt. Es gibt viel größere Töpfe | |
wie Dienstwagenprivilegien oder Kerosinsteuern, bei denen wir | |
klimaschädliche Subventionen streichen können. Wenn wir unsere | |
Landwirtschaft zukunftsfähig und klimafreundlicher machen wollen, müssen | |
wir in ihren Umbau investieren. | |
Was fordern Sie von der Bundesregierung? | |
In der [4][Zukunftskommission Landwirtschaft] und der | |
[5][Borchert-Kommission] haben sich Umwelt- und Bauernverbände auf | |
Beschlüsse und Empfehlungen geeinigt. Die Vorschläge liegen seit Jahren auf | |
dem Tisch. Sie müssen umgesetzt und finanziert werden. Wenn dafür gerade | |
vermeintlich kein Geld da ist, können mindestens die Vorschläge aus dem | |
[6][6-Punkte-Plan der AbL] umgesetzt werden, die kosten nichts. Ein anderer | |
wichtiger Punkt ist, die Verhandlungsposition von Landwirt*innen | |
gegenüber dem Lebensmitteleinzelhandel zu stärken, sodass die | |
Produzent*innen faire Preise für ihre Produkte kriegen. | |
Was steht der Umsetzung Ihrer Forderungen im Weg? | |
Seit Jahren und aktuell ganz besonders ist die Politik nicht bereit, in den | |
Umbau der Landwirtschaft zu investieren. Aber wie jede Landwirtin und jeder | |
Unternehmer weiß, brauchen wir Investitionen, um unsere Arbeit gut zu | |
machen. Wir müssen also über die Schuldenbremse oder eine einmalige | |
Vermögensabgabe reden. | |
Die Ökobauern protestieren ja seit Jahren mit der „Wir haben es satt“-Demo | |
– warum, glauben Sie, ist es nicht gelungen, damit ähnliche Wucht auf die | |
Straßen zu bringen? | |
Bei der „[7][Wir haben es satt“-Demonstration] demonstrieren nicht nur | |
Bio-Bauern. Das ist ein großes Missverständnis, das wir jedes Jahr zu | |
begradigen versuchen. Auch dort treten wir für eine bäuerliche | |
Landwirtschaft ein. „Bäuerlich“ ist für uns ein Wertbegriff, der regional | |
unterschiedlich auslegbar ist. Vor allem geht es dabei um den Umgang | |
miteinander und mit dem Land, was einem anvertraut ist. Und zu Ihrer Frage: | |
Manchmal braucht es für eine große Mobilisierung einen Kipppunkt. Den haben | |
wir jetzt gerade erreicht, das wird sich auch bei der diesjährigen „Wir | |
haben es satt“-Demo zeigen. | |
12 Jan 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://www.instagram.com/p/C1wzchRM5BF/ | |
[2] /Start-der-Bauernproteste/!5982195 | |
[3] /Proteste-der-Landwirte/!5982192 | |
[4] /Bericht-der-Agrarkommission/!5780642 | |
[5] /BUND-Chef-zur-Tierwohl-Kommission/!5951091 | |
[6] https://www.abl-ev.de/apendix/news/details/jeder-hof-zaehlt-agrarpolitische… | |
[7] https://www.wir-haben-es-satt.de/ | |
## AUTOREN | |
Tobias Bachmann | |
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