# taz.de -- Besuch bei der Bundeswehr in Litauen: Der größte Nato-Fanklub der… | |
> Im Baltikum soll im Rahmen der „Zeitenwende“ dauerhaft eine deutsche | |
> Kampfeinheit stationiert werden. 800 Soldat:innen sind schon vor Ort. | |
Bild: Gruppenbild mit deutschen Panzer: Ein Puma der Bundeswehr bei einer Milit… | |
RUKLA taz | Den Dienst als Oberfeldwebel der Bundeswehr übt Annika derzeit | |
mehr als tausend Kilometer von ihrer Heimat aus, doch an manchen Tagen | |
fällt ihr dies kaum auf. „Das Trainingsgelände hier ist ähnlich wie in | |
Deutschland auch, die Vegetation ist nur ein bisschen anders“, sagt die | |
Soldatin, „und meine Aufgabe ist hier auch die gleiche. Ich bin dafür | |
zuständig, dass die Kampftruppen während der Übungen ihr Material bekommen: | |
Munition, Kraftstoffe, Schmierstoffe, Sanitätsmaterial. Alles, was gerade | |
benötigt wird.“ | |
Annika ist 31 Jahre alt und stammt aus Bayern. Dass sie in Medien nur mit | |
Vornamen und Dienstgrad genannt werden soll, ist die Medienpolitik der | |
Bundeswehr. Weibliche Bezeichnungen für Dienstgrade gibt es bei der Truppe | |
bis heute nicht. | |
Am Mittwoch vor Weihnachten sitzt Oberfeldwebel Annika in einem Zelt in | |
einer Kaserne im litauischen Dorf Rukla, etwa 30 Kilometer nordöstlich von | |
Kaunas. Sie trägt ihre Flecktarnuniform, auf Höhe der Brust ist ihr | |
Namensband, sie hat langes blondes Haar, einen entschlossenen Blick. Für | |
sechs Monate ist Annika im Ausland in Litauen stationiert als Teil der | |
Enhanced Forward Presence Battlegroup Lithuania, eines Nato-Kampfverbands, | |
der von der Bundeswehr angeführt wird. Das Zelt, in dem sie das Interview | |
gibt, dient den Soldat:innen als Freizeittreff. Eine Leinwand und eine | |
Theke sind aufgebaut. Hier gibt es Kaffee, Tee, Speisen. Fahnen der | |
Nato-Staaten hängen unter der Decke. | |
## „Leuchtturmprojekt der Zeitenwende“ | |
Für Annika ist es der erste Auslandseinsatz. Sie sieht die temporäre | |
Stationierung an der Nato-Ostflanke als Beitrag zur Friedenssicherung, für | |
den sie sich bereitwillig in die litauische Provinz versetzen lässt: „Man | |
muss privat auch mal zurückstecken, das ist nun mal mit dem Beruf eines | |
Soldaten eng verknüpft. In anderen Jobs kann man sich auch nicht immer | |
aussuchen, an welchem Ort man arbeitet“, sagt sie. Die Soldat:innen in | |
Rukla leben überwiegend in Containerwohnungen, in der Regel teilen sie sich | |
zu zweit ein kleines Zimmer. „Man muss schon mal enger zusammenrücken. Das | |
ist aber überhaupt kein Problem“, sagt Annika. | |
Als Militärstandort ist das 2.000-Einwohner-Dorf Rukla im ganzen Land | |
bekannt. Fünf Einheiten der litauischen Armee sind hier stationiert, seit | |
2017 auch die EFP-Battlegroup. Die internationale Truppe besteht | |
derzeit aus 1.600 Soldat:innen auim Rahmen der „Zeitenwende„s | |
Deutschland, Norwegen, den Niederlanden und anderen Ländern. Deutschland | |
stellt rund 800 Soldat:innen, die jeweils für ein halbes Jahr in Litauen | |
stationiert sind. | |
Deutschlands militärisches Engagement in Litauen ist also nicht neu. Neu | |
und historisch ist aber die Brigade Litauen, die gerade im Aufbau ist. Zum | |
ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg soll eine deutsche Kampfeinheit | |
dauerhaft im Ausland stationiert sein, 4.800 Bundeswehrsoldat:innen | |
und 200 zivile Mitarbeiter:innen sollen ihr angehören. Nicht nur für | |
sie, auch für ihre Familien sollen eigene Wohnquartiere und Infrastruktur – | |
Kindergärten, Schulen – entstehen. Ein Standort wird bei Kaunas sein, ein | |
weiterer nahe der Hauptstadt Vilnius. [1][Verteidigungsminister Boris | |
Pistorius (SPD) nennt die Brigade gerne und oft das „sichtbarste | |
Leuchtturmprojekt der Zeitenwende“]. Kurz vor Weihnachten unterzeichnete er | |
in Vilnius eine Roadmap zum Aufbau der Kampfeinheit. Ab 2027 soll sie | |
einsatzbereit sein. Die EFP-Battlegroup wird dann in der Brigade aufgehen. | |
In Litauen ist diese Entscheidung erleichtert bis euphorisch aufgenommen | |
worden, mehr als 80 Prozent der Bevölkerung befürworten einer Umfrage | |
zufolge die Stationierung der Brigade. Das Land sieht sich selbst im | |
Epizentrum russischer Bedrohung, das deutsche Wort Zeitenwende kennt hier | |
fast jeder. Von Vilnius bis zur belarussischen Grenze sind es nur 30 | |
Kilometer, im Westen grenzt das Land an die russische Enklave Kaliningrad. | |
Im Straßenbild von Vilnius ist die Verachtung für Putin präsent. Ein | |
Wandbild zeigt Kim Jong Un mit Putin-Maske, auf einem Hochhaus im Stadtteil | |
Šnipiškės prangt der Schriftzug „Putin, The Hague is waiting for you“. An | |
vielen Häusern hängen Ukraineflaggen. Auch die Nato-Fahne wird allerorten | |
stolz gezeigt, an manchen Tagen wirkt das kleine Land wie der größte | |
Nato-Fanklub der Welt. | |
Und doch musste das litauische Verteidigungsministerium jüngst wegen der | |
deutschen Brigade die Wogen glätten. Der Spiegel berichtete, dass Litauen | |
[2][für die Infrastruktur nicht alleine aufkommen könne und wolle]. | |
Ursprünglich war geplant, dass die deutsche Seite die Truppen und deren | |
Equipment zur Verfügung stellen sollte und die litauische Seite für die | |
Finanzierung der militärischen und sozialen Infrastruktur zuständig wäre. | |
Diese Vereinbarung stellen die Litauer jedoch infrage. | |
Vonseiten des litauischen Verteidigungsministeriums hieß es gegenüber der | |
taz, man verhandle mit dem deutschen Verteidigungsministerium noch darüber, | |
wer für welche Kosten für die Infrastruktur aufkomme – mit bis zu einer | |
Milliarde Euro während des Aufbaus müsse man rechnen. Auf Nachfrage | |
verweist das Ministerium auf die „erfolgreiche und reibungslose | |
Zusammenarbeit“ mit den deutschen Kolleg:innen bei der Erstellung der | |
Roadmap, die man 2024 fortsetzen wolle. | |
Auch in der Führung der Bundeswehr gab es in letzter Zeit herbe Kritik an | |
dem Vorhaben. [3][Heeresinspekteur Alfons Mais sagte], ohne weitere | |
milliardenschwere Investitionen in die Bundeswehr sei der Aufbau der | |
Brigade Litauen gleichbedeutend mit einer Schwächung der heimischen | |
Verbände. | |
## Deutschlands Churchill-Moment | |
Einer, der auch wegen der deutschen Truppen nur in den höchsten Tönen von | |
Deutschland spricht, ist Žygimantas Pavilionis. Er gehört den litauischen | |
Christdemokraten (TS-LKD) an, die Teil der regierenden Koalition sind. | |
Pavilionis war einst US-Botschafter seines Landes, heute leitet er im | |
Parlament den Ausschuss für Auswärtiges. „Ich habe den Eindruck, | |
Deutschland macht endlich ernst mit der Zeitenwende“, sagt er beim Gespräch | |
in seinem Büro, „die Brigade Litauen ist das beste Beispiel dafür.“ | |
Der 52-Jährige sitzt an einem kleinen Konferenztisch in Hemd und Jackett. | |
Hinter ihm sind in einem Regal neben Büchern Fotos und Andenken an Treffen | |
mit internationalen Politikern aufbewahrt. Im Gespräch stellt sich | |
Pavilionis immer wieder selbst Fragen, um sie dann länglich zu beantworten. | |
So sei die Entscheidung Deutschlands, eine Truppe in Litauen zu | |
stationieren, in einer direkten Linie mit dem Besuch George W. Bushs in | |
Vilnius im Jahr 2002 zu sehen. Für das kleine Land waren die Stippvisite | |
und die Solidaritätsadresse des damaligen US-Präsidenten ein historischer | |
Moment. Noch heute sind Bushs Worte auf einer Steintafel vor dem Rathaus in | |
Vilnius zu lesen: „Wer sich Litauen zum Feind macht, hat sich auch die | |
Vereinigten Staaten von Amerika zum Feind gemacht“, sagte er damals. Zwei | |
Jahre später wurde Litauen, das 1990 seine Unabhängigkeit von der | |
Sowjetunion erklärt hatte, Mitglied der Nato und der EU. | |
„Mit der Brigade setzen die Deutschen nun Bushs Worte in die Praxis um“, | |
sagt Pavilionis. Er lobt Deutschland über den grünen Klee: Minutenlang | |
referiert er über die Heil bringenden Wirtschaftsbeziehungen zum | |
wichtigsten Importland Litauens. Und sieht sie als Grund dafür an, dass das | |
Land ökonomisch in der Krise im Vergleich zum baltischen Nachbarn Estland | |
gut dasteht. | |
Doch Deutschland müsse militärisch noch mehr Verantwortung übernehmen. | |
Pavilionis sorgt sich, dass die Unterstützung für die Ukraine nach und nach | |
bröckeln könnte – eine erneute Wahl Trumps im Jahr 2024 könne ein | |
Gamechanger sein: „Darauf müssen wir Europäer vorbereitet sein.“ Am Umgang | |
mit Russland entscheide sich, ob man auf der richtigen Seite der Geschichte | |
stehe: Deutschland stehe vor einer ähnlich richtungsweisenden Entscheidung | |
wie das British Empire, als es Nazideutschland bekämpfte. „Heute hat man | |
wieder die Wahl: Entweder begnügt man sich mit einer Appeasementpolitik vom | |
Typ Chamberlain, oder man macht es wie Churchill und hält den Hitler von | |
heute auf, anstatt das Monster weiterhin zu füttern“, sagt Pavilionis. | |
Glaubt er zum gegenwärtigen Zeitpunkt wirklich daran, dass Putin einen | |
Nato-Staat angreifen könne? „Der Krieg mit der Nato steht unmittelbar | |
bevor. Das fühlen wir hier in Litauen.“ | |
Das Gefühl der Bedrohung dominiert die litauische Politik. Die Ausgaben für | |
die Verteidigung sind von 0,88 Prozent des BIP im Jahr 2014 auf 2,52 | |
Prozent heute gestiegen. Allein im vergangenen Jahr wurden sie um mehr als | |
einen halben Prozentpunkt erhöht und sollen noch weiter steigen. Es gibt | |
kaum einen Politiker im Seimas, dem litauischen Parlament, der diese Zahlen | |
nicht im Schlaf herunterbeten könnte. | |
Fast alle Parteien unterzeichneten Mitte 2022 ein Abkommen zur nationalen | |
Sicherheit. Die Armee des 2,8-Millionen-Einwohner-Landes soll demnach bis | |
2030 auf 50.000 Soldat:innen aufgestockt werden (2022 waren es nur rund | |
17.000 aktives Personal), genauso viele Mitglieder sollen es im | |
Freiwilligenverband Rifleman’s Union werden (vergangenes Jahr gut 14.000). | |
Ein Solidaritätsbeitrag der litauischen Banken wird für Verteidigungszwecke | |
genutzt, das Land diskutiert zudem eine allgemeine „Verteidigungssteuer“ | |
und eine Wehrpflichtsreform. Verteidigungspolitik scheint über allem zu | |
stehen. Über eigene Leopard-Panzer verfügen die baltischen Staaten nicht. | |
Militärisches Material wie Panzer ließ man sich in den vergangenen Jahren | |
etwa aus den USA und Deutschland liefern. | |
Dieses präsentiert das Land stolz an einem Novemberwochenende in Vilnius. | |
Der sechsspurige Konstitucijos prospektas ist mittags abgesperrt, er liegt | |
auf der Nordseite des Flusses Neris, wo die litauische Hauptstadt mit | |
hohen Spiegelglas-Bürogebäuden metropolitan wirkt. Die litauische Armee | |
hält an diesem bitterkalten Tag eine Militärparade ab, feiert den 105. | |
Geburtstag der Streitkräfte. Nach der Unabhängigkeitserklärung 1918 hatte | |
das baltische Land begonnen, eine Armee aufzubauen. Zu Militärmusik | |
marschieren Bataillone die große Hauptverkehrsstraße entlang. Dutzende | |
Panzer, Krankenwagen und Militärjeeps folgen. Auch Bundeswehrsoldaten | |
winken aus Panzern. Viele Familien stehen hinter den Absperrgittern, einige | |
Kinder wedeln mit Nato-Fähnchen. Tausende schauen trotz Minusgraden zu. | |
Einer von ihnen ist Mantas, ein 38-jähriger IT-Fachmann aus Vilnius. Auf | |
der Rückseite seiner Jacke ist der Schriftzug „Invaders must die“ zu lesen, | |
am Revers trägt Mantas einen Ukrainebutton. Die Militärparade ist für ihn | |
ein starkes Symbol: „Die Armee will der Bevölkerung sicher auch zeigen: | |
Schaut her, ihr könnt euch auf uns verlassen, wir werden euch beschützen“, | |
sagt er. „Vielleicht fühlt man sich ja auch ein bisschen sicherer, wenn man | |
sieht, welches Equipment wir haben und womit uns die Nato unterstützt.“ | |
## Überbieten beim Verteidigungshaushalt | |
Zurück nach Rukla. Für die internationale Kampfeinheit ist auf dem | |
Kasernengelände ein kleines Zeltdorf aufgebaut worden – ein | |
Miniweihnachtsmarkt mit mehreren Büdchen, ein Zelt für den Fitnessraum, | |
eins für die Militärkirche, eins für eine große Kantine. Im Freizeitraum | |
auf der Couch hat nun auch die Truppenärztin Diana Platz genommen. Diana, | |
34, war bereits in Mali und Afghanistan im Einsatz. Die veränderte | |
geopolitische Lage sei für sie eine wichtige Motivation für ihren Einsatz, | |
sagt sie. „Wer sich mit der globalen politischen Situation | |
auseinandersetzt, der wird an der Notwendigkeit unseres Einsatzes hier | |
keinen Zweifel haben. Manchmal muss die Freiheit auch mit militärischen | |
Mitteln verteidigt werden“, sagt sie. | |
Oberfeldwebel Annika nickt. Sie kann sich vorstellen, für eine fest | |
stationierte Brigade ins Ausland zu gehen. „Wir wissen, warum wir das hier | |
tun. Wichtig ist, dass vonseiten der Bundeswehr auch den | |
Familienangehörigen klargemacht wird, weshalb wir das machen und warum die | |
litauische Armee unsere Unterstützung braucht.“ Nur dann könne man sie | |
überzeugen, in einem fremden Land Fuß zu fassen. | |
Doch nicht alle in der Truppe, das gestehen die beiden ein, könnten sich | |
ein dauerhaftes Engagement in Litauen vorstellen, „da gehen die Meinungen | |
auseinander“. Die Bundeswehr führt der Presse natürlich eher | |
Bilderbuch-Expats wie Annika und Diana vor als Kamerad:innen, die einem | |
Einsatz in Litauen skeptisch gegenüberstehen. Was Truppenärztin Diana in | |
Rukla sehr positiv bewertet: Die Bevölkerung bringe ihnen hier Dankbarkeit | |
und Respekt entgegen. „Mehr als in Deutschland“, sagt sie. | |
In Litauen ist allerdings auch der Diskurs ein anderer. Dovilė Šakalienė | |
kommt an einem Dezembertag im Wollpullover und in Jeans zwischen zwei | |
Abstimmungen aus dem Parlament geeilt. Zum Interview nimmt sie auf einem | |
Sofa im Seimas Platz. Šakalienė könnte mit ihrer Partei nach der Wahl im | |
Oktober 2024 die nächste Regierung Litauens stellen. Die 45-Jährige ist | |
Vizepräsidentin der Sozialdemokraten (LSDP), Expertin für Sicherheits- und | |
Außenpolitik. Seit mehr als einem Jahr liegen die Sozialdemokraten in | |
Umfragen weit vorn. An der Politik der Aufrüstung würde auch eine | |
sozialdemokratisch geführte Regierung nichts ändern. „Wir haben eine sehr | |
starke parteiübergreifende Vereinbarung über unsere Verteidigungs- und | |
Sicherheitsfragen“, sagt Šakalienė. Vor 2014 sei die litauische Armee | |
kaputtgespart worden, auch deshalb habe die Brigade Litauen für alle | |
politischen Parteien höchste Priorität. | |
Ihre Partei will zukünftig noch mehr in Verteidigung investieren. „Die | |
Ironie ist, dass wir Sozialdemokraten uns inzwischen für eine größere | |
Aufstockung des Verteidigungshaushalts starkmachen als die Konservativen“, | |
sagt Šakalienė. Die LSDP fordert inzwischen, 3,5 Prozent des BIP in | |
Verteidigung zu investieren. Schon für das kommende Jahr wird erwartet, | |
dass Litauen mehr als 2,7 Prozent des BIP und somit mehr als zwei | |
Milliarden Euro ins Militär investiert. Ein knappes Jahr vor der Wahl | |
versuchen sich alle Parteien in Prozentpunkten zu überbieten. | |
Aber nicht alle in Litauen befürworten so viel Geld für die Verteidigung. | |
Ein scharfer Kritiker dieses Kurses ist Kęstutis Girnius. Der 77-Jährige | |
lehrte an der Universität Vilnius Politikwissenschaft und Internationale | |
Beziehungen und schreibt noch heute für litauische Medien. Er spricht via | |
Zoom aus Cincinnati mit der taz. „Die Angst vor einer russischen Invasion | |
ist grundlos“, sagt er. „Russland hat das Nato-Gebiet bislang zu 100 | |
Prozent respektiert. Ich verstehe die Panik nicht.“ | |
## „Neuland für die Bundeswehr“ | |
Angesichts der Verluste in der Ukraine brauche Russland Jahre, um für eine | |
Auseinandersetzung mit der Nato gewappnet zu sein. Jede Truppenverschiebung | |
Russlands sei überdies heute leicht zu überblicken, die Nato könnte | |
jederzeit reagieren. „Eine fest in Litauen stationierte Brigade ist völlig | |
überflüssig“, sagt Girnius. Mit dem finnischen und möglichen schwedischen | |
Nato-Beitritt stünde dem Verteidigungsbündnis fast die ganze Ostseeregion | |
zur Verfügung, um Kampffliegerstaffeln zu entsenden. | |
Girnius hält die Ukraine für einen Sonderfall. Die baltischen Staaten | |
spielten in Putins Phantasma eines Großrusslands und des dreieinigen | |
russischen Volks keine Rolle. „Immer wieder heißt es: Nach der Ukraine ist | |
jemand anderes an der Reihe. Das ist Blödsinn. Es wird keinen anderen | |
geben!“ Ihn erinnere es an die Dominotheorie in den 1950er und 1960er | |
Jahren, als man glaubte, wenn ein Staat unter kommunistische Herrschaft | |
fiele, würden seine Nachbarn ein ähnliches Schicksal erleiden. | |
Den Aufbau der Brigade Litauen hält er auch ökonomisch für einen Fehler. | |
„Litauen ist kein reiches Land. Es sollte in höhere Renten, bessere | |
Krankenhäuser, bessere Bildung, in den Wohlfahrtsstaat insgesamt | |
investieren“, sagt er. Auch die Infrastruktur sei vielerorts marode. Aus | |
deutscher Sicht hält er das Geld für die Brigade ebenfalls für eine | |
schlechte Investition. „Die Soldaten wären sicher lieber in der Nähe von | |
München, Frankfurt oder Hamburg als auf dem Trainingsgelände in der | |
litauischen Peripherie.“ Manche Experten in Litauen kritisieren zudem, dass | |
das Land einmal mehr auf eine größere Schutzmacht setze, statt sein | |
Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. | |
Ein Zurück aber gibt es nicht mehr. Am Montag vor Weihnachten herrscht | |
Gewühl im litauischen Verteidigungsministerium, unter weißen Gewölbebögen | |
laufen in dem Gebäude Generäle, litauische und deutsche Soldaten, | |
Journalist:innen und Politiker:innen umher. Kurz vor elf betreten | |
der deutsche Verteidigungsminister Pistorius und sein litauischer | |
Amtskollege Arvydas Anušauskas (TS-LKD) den Raum, sie setzen sich an einen | |
Schreibtisch mit Flaggen beider Länder und unterschreiben die Roadmap für | |
den Aufbau der Brigade Litauen. Darin ist ein Zeitplan enthalten: Ein | |
Vorauskommando soll 2024 Aufbauarbeit leisten, 2026 wird die EFP in die | |
Brigade eingegliedert, 2027 soll das Bataillon einsatzfähig sein. | |
Pistorius spricht von „Neuland für die Bundeswehr“, schwärmt einmal mehr | |
von Litauen und widerspricht der Einschätzung, Litauen sei für deutsche | |
Soldat:innen nicht attraktiv. Im ersten Schritt seien für das | |
Vorkommando etwa 20 Dienstposten vorgesehen, „dafür haben wir vier- bis | |
fünfmal mehr Bewerbungen, als es Posten gibt“. | |
## Bereit zur festen Stationierung | |
Sein Kollege Anušauskas spricht von einer staatlichen Gesamtaufgabe für | |
Litauen, die es zu stemmen gelte. „Kein einziger Zentimeter des | |
Nato-Territoriums soll abgegeben werden“, betont er. Der Schritt zeigt, | |
dass sich die Nato endgültig vom Stolperdrahtkonzept verabschiedet. So | |
nannte man die Strategie, nach der multinationale Truppen nur temporär an | |
der Ostflanke stationiert werden sollten – um Putin zu signalisieren: | |
Greift er ein Nato-Land an, greift er alle an. Nun setzt man auf dauerhafte | |
Stationierungen. | |
In Rukla ist ein Gelände, auf dem normalerweise Gefechte simuliert werden, | |
am späten Nachmittag wie leer gefegt. Im Moment finden fast keine Übungen | |
statt. Ein Rotationswechsel steht bevor. Kompanien des alten Kontingents | |
reisen nach sechs Monaten ab, neue kommen. Die Vorbereitungen dafür laufen. | |
Oberfeldwebel Annika sagt, sie wäre schon gerne bei ihren Freunden, der | |
Familie und ihrem Hund, gerade während der Feiertage. Über eine feste | |
Stationierung hat sie sich noch keine Gedanken gemacht. „Sollte aber der | |
Befehl kommen, wäre ich bereit.“ | |
Ein paar Minuten hat sie noch, dann muss sie wieder an die Arbeit: | |
Excel-Listen von Munition, Panzertape und Verbandsmaterial erstellen. | |
10 Jan 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Bundeswehr-schlecht-ausgestattet/!5979328 | |
[2] https://www.spiegel.de/politik/deutschland/bundeswehr-geplante-stationierun… | |
[3] /Bundeswehr-schlecht-ausgestattet/!5979328 | |
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Jens Uthoff | |
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