# taz.de -- Zukunft des Nordatlantikpakts: Was mit der Nato noch geht | |
> Wie sähe der Nordatlantikpakt ohne Beteiligung der USA aus? Diese Frage | |
> beschäftigt nicht nur die Münchner Sicherheitskonferenz. Drei Szenarien. | |
Bild: Ohne die USA nur bedingt abwehrbereit: Bundeswehrsoldaten auf dem Gaiži�… | |
Wenn in diesen Tagen das Who-is-Who der Außen- und Verteidigungspolitik zum | |
großen Sicherheitsevent nach Bayern kommt – nämlich zur Münchner | |
Sicherheitskonferenz – dann dominiert einer das Parkett im edlen | |
Bayerischen Hof, der gar nicht anwesend ist: Donald Trump. | |
Der ehemalige republikanische US-Präsident, der sich selbst schon in der | |
nächsten Amtszeit sieht, hat an der Bereitschaft der USA, im Ernstfall | |
verbündete Nato-Staaten zu unterstützen, [1][in den vergangenen Tagen große | |
Zweifel gesät]. Nur wer auch entsprechend in das Bündnis einzahlt, dem | |
würde im Angriffsfall geholfen. Die Beistandsfrage ist alles andere als | |
ausgemacht und dies in einer Zeit, in der spätestens seit Beginn des | |
russischen Angriffskriegs auf die Ukraine am 24. Februar 2022 klar ist, | |
dass eine kriegerische Bedrohung in Europa real ist. | |
Obwohl Trump noch lange nicht neuer Präsident ist und der amtierende | |
Demokraten-Präsident Joe Biden sich um Schadensbegrenzung bemüht, ist das | |
Vertrauen in die sicherheitspolitische Säule USA erschüttert. Die Debatte | |
um Alternativen läuft. Einige Gedankenspiele dazu. | |
## Eine Nato ohne die USA | |
Dieses Szenario könnte so manche Kriegsgegner:innen, die an diesem | |
Wochenende in München auf die Straße gehen, um gegen die Nato, die USA in | |
der Nato und überhaupt die ganze Waffen- und Kriegsfixierung zu | |
demonstrieren, höchst erfreuen. Kommt der Exit der USA aus dem | |
Militärbündnis, das in diesem Jahr seinen 75. Geburtstag feiert? Und das in | |
einer Zeit, in der die beteiligten Staaten aus dem 2019 von Frankreichs | |
Präsident Macron attestierten „Hirntod“ erweckt wurden und im Ukraine-Krieg | |
Geschlossenheit beweisen wollen? | |
So einfach wäre es für die USA als größter und stärkster Partner nicht, das | |
Bündnis zu verlassen. Im National Defense Authorization Act wurde | |
festgehalten, dass ein Ausscheiden ohne die Zusage des Senats oder des | |
Kongresses nicht möglich ist. Störeffekte könnte Trump dennoch streuen. | |
Indem er etwa keinen Nato-Botschafter ernennt, oder diese Position nicht | |
mehr als eine starke Stimme im Auftrag des Präsidenten agiert. Sollte es | |
zum Ernstfall Trump kommen, könnte dieser sich verstärkt auf bilaterale | |
Abkommen konzentrieren. Etwa eine punktuelle Unterstützung einzelner | |
Staaten, je nachdem, ob diese im Interesse der USA liegt. | |
Die Bedrohungslage für Polen oder die baltischen Staaten ist damit nicht | |
gelöst, ein entsprechendes Schutzversprechen nicht gegeben. Ohnehin ist die | |
Unterstützung der Nato-Staaten, wenn der Bündnisfall ausgerufen wird, also | |
es zu einem Angriff auf eines der Bündnisländer kommt, nicht klar | |
definiert. Vom Telegramm, das den Angriff verurteilt, über logistische und | |
strategische Unterstützung bis zum Einsatz von Truppen ist alles möglich. | |
Fakt ist auch: Es ist nicht das erste Mal, dass aus den USA die scharfe | |
Aufforderung an die Bündnisstaaten kommt, deutlich mehr Geld für | |
Verteidigung bereitzustellen. Auch Ex-Präsident Barack Obama tat dies, | |
ebenso wie der amtierende Präsident Joe Biden. So konnte | |
Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg diese Woche stolz verkünden, dass | |
zwei Drittel der Nato-Staaten das gemeinsame Ziel erreicht haben, zwei | |
Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für den Verteidigungsetat | |
bereitzustellen. | |
Der Druck wird also bestehen bleiben, unabhängig davon, wer die kommende | |
Präsidentschaftswahl in den USA gewinnt. Hinzu kommt, dass sich auch die | |
USA neben dem schwelenden Konflikt im Indo-Pazifik und mit China keine | |
offene Ostflanke in Europa leisten können. Die Karten mischen sich also nur | |
bedingt, Europa wird stärkerer Akteur in der Nato werden – und muss die | |
trumpschen Ungewissheiten und Zündeleien aushalten. | |
## Die EU rüstet gemeinsam auf | |
Der bereits etwas abgenutzte Begriff der Zeitenwende ist weitreichender als | |
jede Diskussion über Lieferungen schweren Kriegsgeräts der Verbündeten an | |
die Ukraine. „Wir Europäer müssen in der Lage sein, uns selbst besser zu | |
verteidigen“, fasste Bundesaußenministerin Annalena Baerbock dies zusammen. | |
Die Grünen-Politikerin entwickelt dafür bereits Ideen. | |
Ihr schwebt eine Sicherheits- und Verteidigungsunion vor, die den | |
Europa-Pfeiler in der Nato stärkt, also eine Art europäisches Bündnis im | |
Bündnis. Ziel davon ist, sich aus der Abhängigkeit der USA zu befreien. Es | |
geht um die gemeinsame Beschaffung von Kriegsgerät, um | |
Industriekooperationen, um Investitionen in das „Generationenprojekt | |
Verteidigung“. | |
Und es wird bereits konkret, an welcher Stelle sich Deutschland einbringen | |
könnte: Bei der Luftverteidigung oder bei den Heereskräften. Wie schon | |
andere Sicherheitspolitiker:innen in dieser Woche bringt auch die | |
deutsche Außenministerin die Geldfrage ins Spiel. Das | |
100-Milliarden-Euro-Sondervermögen für die Bundeswehr wird vermutlich nicht | |
das letzte gewesen sein; für den Aufbau einer Verteidigungs-Union dürfte | |
die Zwei-Prozent-Abgabe deutlich steigen, möglicherweise auf bis zu fünf | |
Prozent. | |
## Neuer Anstrich fürs „Weimarer Dreieck“ | |
Entscheidende Akteure bei diesem Zusammenschluss sind Frankreich und Polen. | |
Gemeinsam mit Deutschland bilden sie das sogenannte „Weimarer Dreieck“, | |
gegründet 1991, als neue politische Achse in Europa. Damals – wie es der | |
dann amtierende Außenminister Hans-Dietrich Genscher nannte – standen | |
„kulturelle und geistesgeschichtliche Gedanken der europäischen Einheit“ im | |
Mittelpunkt. | |
2024 bekommt das Dreieck den Anstrich eines Verteidigungs- und | |
Sicherheitsbündnisses. Es herrscht wieder Krieg in Europa. Polen und die | |
baltischen Staaten Estland, Litauen und Lettland sehen sich einer | |
verschärften Bedrohung durch den russischen Aggressor Putin ausgesetzt. | |
Wirtschaftlich sind diese Staaten gut aufgestellt, und fordern Absprachen | |
auf der viel gerühmten „Augenhöhe“ ein. Die europäische Sicherheits- und | |
Verteidigungspolitik befindet sich auf dem Sprung zur nächsten Stufe. | |
Wie glaubwürdig ein solches Szenario dann tatsächlich ist, wird sich an der | |
Geschlossenheit für die Ukraine in den kommenden Monaten ablesen lassen. | |
Fallen die USA als größter Geldgeber, Waffenlieferant und Unterstützer doch | |
aus, ist die Verteidigungsunion gefragt – finanziell, wie mit konkreter | |
Ausrüstung. Beim letzten Treffen des Dreiecks ging es zunächst um eine | |
gemeinsame Cyberabwehr und den Kampf gegen Desinformation. | |
## Der Kriegsverein wird Friedensclub | |
Stellen Sie sich vor, das angekratzte Vertrauen in ein Bündnis, das in | |
anderen Zeiten und zu anderen Gegebenheiten gegründet wurde, führt in eine | |
Zeitenwende hin zu mehr Gerechtigkeit, einem Ausgleich zwischen armen und | |
reichen Staaten, zu einem gemeinsamen Kampf gegen Klimakrise, Armut und | |
Hunger auf der Welt. | |
Ein konkretes Beispiel dafür wäre das Einhalten der sogenannten ODA-Quote, | |
die 0,7 Prozent der Wirtschaftsleistung entspricht, die in eben diesen | |
Kampf gegen Ungleichheit und Entwicklungszusammenarbeit weltweit fließen. | |
Was utopisch klingt, fordern Polit-Promis in diesen Tagen. | |
„Entwicklungspolitik ist Sicherheitspolitik“, heißt es in einem Appell, den | |
unter anderem der ehemalige Bundespräsident Horst Köhler (CDU), | |
Ex-Außenminister Sigmar Gabriel (SPD), die ehemalige | |
Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) oder die beiden | |
Ex-Bundesentwicklungsminister Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) und Gerd | |
Müller (CSU) unterzeichnet haben. Selbst der Chef der Münchner | |
Sicherheitskonferenz Christoph Heusgen hat die Forderung unterzeichnet. | |
Allerdings hat sich kein amtierender Staats- und Regierungschef | |
angeschlossen. | |
Dabei wäre der Appell ein Auftrag, auch an SPD-Bundeskanzler Olaf Scholz. | |
Der könnte durchaus etwas anstoßen. Als es mit dem effektiven Einsatz gegen | |
die Klimakrise 2023 kein internationales Einsehen geben wollte, rief der | |
Kanzler den Klimaclub aus. Leicht verlacht, scharte Scholz in einer | |
Koalition der Willigen unter den G7-Staaten Klimakämpfer um sich, die sich | |
auf eine Umsetzung des Pariser Klimaabkommens von 2015 einigten und die | |
Erderwärmung auf 1,5 Grad begrenzen wollten. | |
## Geld ist kein Tabu | |
Ehrlicherweise ist die Initiative leicht verpufft und die Kriegslagen haben | |
die Klimakrise aus den Schlagzeilen verdrängt. Aber es war ein Vorstoß, | |
Alternativen zu nicht mehr funktionierenden oder trägen Bündnissen | |
anzubieten. | |
So könnte es auch in Sachen Frieden sein. Clubgründer Scholz könnte sich so | |
an die Spitze einer neuen Bewegung stellen, die Sicherheit nicht nur in | |
Panzern, Munition und Kampfjets misst, sondern einen vernetzten | |
Sicherheitsbegriff ernst nimmt. | |
Derzeit fällt Weltgemeinschaft, EU und demokratischen Staaten allerdings | |
kaum mehr ein, als auf Aggressoren wie den russischen Präsidenten mit | |
militärischer Stärke zu reagieren. Über mehr Kriegsgerät zur Abschreckung, | |
sogar über eine erweiterte nukleare Aufrüstung, also mehr Atombomben in | |
Europa, wurde und wird diskutiert. Geld ist dabei kein Tabu. | |
Gleichermaßen wurden feste Zusagen und Versprechen, in Diplomatie und | |
Entwicklungszusammenarbeit zur Friedenssicherung gleichermaßen zu | |
investieren, in den Hintergrund gedrängt. | |
17 Feb 2024 | |
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[1] /Nato-Treffen-in-Bruessel/!5989103 | |
## AUTOREN | |
Tanja Tricarico | |
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