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# taz.de -- Bilanz Münchner Sicherheitskonferenz: Weltschmerz und Aufrüstung
> Bei der bisher größten Sicherheitskonferenz bestimmten die Ukraine und
> Nahost die Agenda. Aber auch kollektive Ratlosigkeit war verbreitet.
Bild: „Wir müssen alle Lücken und Schlupflöcher bei den Sanktionen gegen R…
München taz | Am Samstagmittag haben sich am Münchner Odeonsplatz ein paar
hundert Menschen versammelt, um gegen den russischen Angriffskrieg auf die
Ukraine und für mehr Unterstützung für das geschundene Land [1][zu
demonstrieren.] Im vergangenen Jahr waren es an gleicher Stelle mehr
gewesen. „Wir wollen Frieden für die Ukraine“, hört man die
Demonstrant:innen rufen. Doch zwei Jahre nach Beginn des Kriegs ist
kein Ende absehbar.
Die diesjährige Münchner Sicherheitskonferenz (Siko) stand unter [2][keinem
guten Stern]. Erst überschattete der Tod des russischen Regimekritikers
Alexei Nawalny den ersten Kongresstag, dann kam die Meldung über den
Rückzug der ukrainischen Truppen aus der lange umkämpften Stadt Awdijiwka.
Das sei eine „professionelle Entscheidung, um so viele Leben wie möglich zu
retten“, sagte Wolodymyr Selenskyj bei seinem Auftritt am Samstag dazu nur
knapp auf Nachfrage.
Eigentlich wollte der ukrainische Präsident ein zuversichtlicheres Bild der
Lage vermitteln. Aber das fiel schwer. „Den russischen Mythos, dass die
Ukraine nicht gewinnen kann, widerlegen wir“, sagte Selenskyj zwar
vermeintlich selbstbewusst. „Wir sollten keine Angst davor haben, Putin zu
besiegen.“ Es sei „sein Schicksal, zu verlieren“. Die derzeitige
Kriegsrealität sieht allerdings anders aus. Die Ukraine braucht dringend
zusätzliche militärische Unterstützung, um den Krieg nicht zu verlieren.
„Waffenpakete, Flugabwehrpakete, das ist gerade das, was wir erwarten“,
sagte Selenskyj. „Wie lange erlaubt die Welt es Russland noch, so zu
handeln?“
Die aus seiner Sicht notwendige Antwort reduziert sich für Selenskyj nicht
auf die erhofften Waffenlieferungen, sondern umfasst auch einen Bereich,
der ansonsten auf der Siko nicht so gern diskutiert wurde: „Wir müssen alle
Lücken und Schlupflöcher bei den Sanktionen gegen Russland schließen“,
sagte er. Kein Sektor der russischen Wirtschaft solle davon ausgenommen
werden. „Das sollte auch den Nuklearsektor betreffen.“ Eine unverhohlene
Spitze: Frankreich zuliebe ist Uran aus Russland bis heute nicht Teil der
EU-Sanktionen. Andere EU-Länder wie Österreich oder Ungarn beziehen auch
immer noch in großem Maßstab ihr Gas aus Russland. Von den blühenden
Geschäften [3][des Nato-Mitglieds Türkei] mit der russischen Despotie ganz
zu schweigen.
Rund 800 Teilnehmer:innen
Über die Sanktionslücken verlor Olaf Scholz, der unmittelbar vor Selenskyj
auf der Bühne stand, kein Wort. Das hätte seinem auf den Westen bezogenen
Postulat widersprochen: „Wir stehen geschlossener zusammen denn je.“ Dabei
ist auch ihm bewusst, dass es um die Ukraine auf dem Schlachtfeld nicht gut
bestellt ist. Trotz enormer Verluste seien wesentliche Teile der russischen
Streitkräfte intakt, führte der Kanzler aus. Russland habe seine Armee
lange auf diesen Krieg vorbereitet. Was als Ziel der Ukrainehilfe bleibe:
„Einen Diktatfrieden auf Geheiß Moskaus wird es nicht geben.“
Scholz bleibt bei seiner Linie, eine direkte Kriegsbeteiligung
Deutschlands, der EU oder [4][der Nato] auszuschließen. Aber es gelte, sich
vor Russland zu schützen. Daher sei eine massive Aufrüstung erforderlich.
„Vollkommen klar: Wir Europäer müssen uns sehr viel stärker um unsere
eigene Sicherheit kümmern, jetzt und in Zukunft.“ Das Geld dafür „fehlt u…
an anderer Stelle“, bereitete Scholz die deutsche Bevölkerung auf harte
Zeiten vor. So werde Deutschland nicht nur in diesem Jahr 2 Prozent seines
Bruttoinlandsprodukts in die Verteidigung stecken, sondern auch „in den
20er, den 30er Jahren und darüber hinaus“.
Mit rund 800 Teilnehmer:innen aus mehr als 90 Staaten war die Siko
dieses Jahr so groß wie nie. Doch Quantität ist nicht alles. Im Vergleich
zu den vergangenen Jahren hat sie an Relevanz verloren. So traf sich der
neue polnische Ministerpräsident Donald Tusk lieber schon in der Vorwoche
mit dem französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron und Scholz statt am
Wochenende im Hotel Bayerischer Hof. Ohnehin kam außer dem Kanzler kein
Staats- oder Regierungschef eines größeren EU-Lands nach München. Auch
Großbritannien war nur mit Außenminister David Cameron vertreten. Wenn es
um die schwierige Suche nach europäischen Initiativen zur Lösung des
Ukrainekriegs geht, reicht das nicht.
Aber nicht nur Europa fehlt es an einer Idee, wie Putin dazu gebracht
werden kann, das Morden zu stoppen. Der Verlust an Menschenleben sei
entsetzlich, sagte UN-Generalsekretär António Guterres in seiner Ansprache
am Freitag. „Wir brauchen unbedingt einen nachhaltigen und gerechten
Frieden für die Ukraine“, forderte er. Grundlage müsse der Respekt vor der
territorialen Integrität souveräner Staaten sein. Doch wie lässt sich das
erreichen?
Auch US-Vizepräsidentin Kamala Harris fiel dazu nicht mehr ein als
Durchhalteparolen. Und während China im vergangenen Jahr wenigstens noch
einen Friedensplan ankündigte, der mittlerweile auch schon als gescheitert
gilt, sagte Außenminister Wang Yi diesmal nur, China wolle weiter den Weg
bereiten für Friedensgespräche, fände momentan aber nicht die „geeigneten
Bedingungen vor“.
Während drinnen im Saal Ratlosigkeit herrscht, sammeln sich draußen am
Karlsplatz am Samstagmittag die altlinken Kämpen verschiedenster
Schattierung zu einer zweiten Demo – wie jedes Jahr seit 2002. Das Motto
diesmal: „Kriegstreiber unerwünscht!“ Die Polizei zählt insgesamt etwa
3.000 Teilnehmer, das könnte hinkommen. Der maoistische Arbeiterbund für
den Wiederaufbau der KPD ist da, ein paar Gewerkschafter, ebenso klassische
Friedensorganisationen wie die DfG/VK oder Pax Christi. Anwesend sind auch
etliche junge Menschen, die irgendwo zwischen Punks und Autonomen
einzuordnen sind.
Dieses Jahr sind auch etliche Pro-Palästina-Demonstrant:innen dabei.
Ansonsten haben sich hier vor allem jene Links-außen-Kleingruppen
versammelt, die mehr Parolen als Mitglieder haben. Und davon gibt es immer
noch erstaunlich viele. Ihr Weltbild scheint nicht einmal durch einen
imperialistischen Angriffskrieg Russlands zu erschüttern zu sein: Schuld
sind am Ende immer die USA und die Nato. „Schluss mit der Nato-Expansion“,
prangt auf einer Papptafel. „KEIN Geld, KEINE Waffen für die US-Marionetten
in Kiew!“, steht auf einer anderen Tafel. „Frieden mit Russland“ ist auch
zu lesen.
Einen knappen Kilometer entfernt hat sich unter dem Motto „Macht Frieden!“
auf dem Königsplatz ein aus der Querdenkerszene stammendes Bündnis
zusammengefunden. Im vergangenen Jahr war es das erste Mal da. Damals kamen
noch rund 10.000 Menschen, diesmal sind es laut Polizei nur noch 2.000.
Blaue Friedenstaubenfahnen wehen neben Deutschlandfahnen. Hauptredner ist
Jürgen Todenhöfer, Ex-CDU-Bundestagsabgeordneter und Aktivist vor allem in
eigener Sache. „Um Russland zu besiegen, muss man früher aufstehen als
diese debile Vogelscheuche Joe Biden“, spottet der 83-Jährige. Der „Krieg
Amerikas“ läge nicht im Interesse Deutschlands, sondern die „Partnerschaft
mit Russland“.
Tod von Nawalny
Über ein besseres Russland wollte auf der Siko selbst eigentlich Julija
Nawalnaja sprechen. [5][Nach der Meldung über den Tod] ihres Manns kam ihr
das verständlicherweise nicht mehr in den Sinn. Aber sie hatte trotzdem
etwas zu sagen. Abweichend von der Tagesordnung wurde ihr die Gelegenheit
gegeben, am Freitagnachmittag das Wort zu ergreifen. Wladimir Putin und
seine Helfershelfer sollten wissen, „dass sie nicht straflos ausgehen“,
sagte Nawalnaja mit traurig-wütender Stimme. Der Tag werde bald kommen, an
dem sie für all ihre Taten zur Verantwortung gezogen würden. Die
internationale Gemeinschaft rief die 47-jährige
Wirtschaftswissenschaftlerin dazu auf, „dieses furchtbare Regime zu
bekämpfen“.
Während es an Ideen mangelt, wie der Krieg in der Ukraine beendet werden
könnte, wurde in München für den Nahostkonflikt immerhin ein – wenn auch
altbekanntes – Modell diskutiert: die Zweistaatenlösung. Auf dem Podium war
sie Mal um Mal Thema. Zwei Narrative konkurrierten dabei: Die Vertreter der
arabischen Staaten – Ägypten, Katar, Saudi-Arabien sowie die
palästinensische Autonomiebehörde selbst – bestehen darauf, dass das
Ausrufen eines palästinensischen Staats weiteren Schritten vorausgehen
muss. Israels Präsident Herzog betonte dagegen, [6][eine Zweistaatenlösung]
ohne die Lösung israelischer Sicherheitsbedenken sei unmöglich.
Und während US-Außenminister Anthony Blinken in München die
„unerschütterliche Unterstützung“ Israels betont, wählen die Vertreter
europäischer Staaten bedächtigere Worte. Jonas Gahr Støre,
Ministerpräsident Norwegens, erklärt: Während man selbstverständlich Israel
unterstützte, sei die Vision eines palästinensischen Staats heute stärker
als vor dem Angriff der Hamas am 7. Oktober. Die belgische Außenministerin
Hadja Lahbib betont, im Gespräch mit den arabischen Staaten müsse ein Plan
dafür entwickelt werden.
Wie hoch die Bereitschaft Israels wäre, einem solchen zuzustimmen, konnte
auf der Siko kaum debattiert werden, denn Ministerpräsident und
Hauptentscheidungsträger Benjamin Netanjahu war nicht anwesend. Anders als
eine seiner größten Widersacherinnen: Tzipi Livni, Ex-Außenministerin,
Ex-Oppositionsführerin und erklärte Gegnerin des Regierungschefs. Im
Gegensatz zu ihm hält sie eine Zweistaatenlösung für vorteilhaft für
Israel. Es gehe ihr nicht um ein „blame game“, sondern um einer Lösung,
sagte sie. Sie verteidigte aber auch das Vorgehen Israels in Gaza: Das
Militär müsste die nötigen Schritte gehen, um die Infrastruktur der Hamas
zu zerstören.
18 Feb 2024
## LINKS
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[6] /Zweistaatenloesung-in-Nahost/!5984335
## AUTOREN
Pascal Beucker
Patrick Guyton
Lisa Schneider
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