# taz.de -- Energiewende in Deutschland: Ein Wintermantel fürs Haus | |
> Damit Deutschland seine Klimaziele einhält, muss ein Großteil der Häuser | |
> schnell saniert werden. Serielles Sanieren könnte die Lösung sein. | |
Bild: Sechsmal schneller wird das Münchner Wohnhaus durch die vorgefertigten F… | |
Eigentlich wollte Klaus Berghofer alles so machen wie immer. Anfang | |
November parkt dann aber ein Lastwagen mit überdimensioniertem Playmobil | |
vor seiner Baustelle. Die meterlangen Fassadenstücke sehen aus wie | |
Ponyhofwände, die Kinder mit drei Griffen zu einem Gehöft zusammenstecken. | |
Sie haben Fenster, manche davon französische Balkongeländer, und sind mit | |
Holz verkleidet. | |
Im Münchner Norden sollen zwei Wohnblöcke energetisch saniert werden. | |
Bauherr Berghofer dachte zuerst an die üblichen vier Buchstaben: WDVS, | |
Wärmedämmverbundsysteme. Der Standard, um Fassaden zu dämmen. Jede | |
Dämmplatte wird dabei einzeln an die Wand geschraubt. Aber dann hörte er | |
vom seriellen Sanieren. | |
Dämmen nach dem Playmobilprinzip könnte man die Technik auch nennen. Jedes | |
Stück der neuen Fassade wird in einem Werk passgenau angefertigt und muss | |
auf der Baustelle nur noch an der richtigen Wand montiert werden. Den | |
beiden Häusern von Berghofers Baugenossenschaft wird ein maßgeschneiderter | |
Mantel übergestülpt. Noch lagert ein Teil davon auf der Ladefläche des | |
[1][Lkws]. | |
Damit Deutschland seine [2][Klimaziele] einhält, müssten drei Viertel der | |
rund 19 Millionen Wohnhäuser in der Bundesrepublik energetisch saniert | |
werden. Der Aufwand ist je nach Gebäude mal größer und mal kleiner. Bisher | |
verursachen Gebäude, also etwa warmes Duschen und Heizen, rund ein Drittel | |
aller CO2-Emissionen in Deutschland. | |
Gleichzeitig lähmt der [3][Fachkräftemangel] die Baubranche. Viele | |
Hausbesitzer:innen wollen zwar sanieren, finden aber keine | |
Bauarbeiter:innen, die Zeit für ihre Projekte haben. Die vorgefertigten | |
Fassaden könnten bei der Lösung dieses Problems helfen, denn auf der | |
Baustelle geht die Sanierung damit deutlich schneller. Die jährliche | |
Sanierungsrate könnte so gesteigert werden. | |
## Zunächst wird ein digitaler Zwilling des Gebäudes erstellt | |
Frank Melzer, der das Bauprojekt leitet, rechnet das vor: „150 Quadratmeter | |
Fassade schaffen wir am Tag, also brauchen wir einen bis eineinhalb Tage | |
pro Geschoss.“ Bringt man jede Dämmplatte einzeln an, der klassische Weg, | |
braucht man sechsmal länger. Melzer führt mit Berghofer über die Baustelle. | |
Beide tragen weiße Schutzhelme und grinsen zufrieden. Die unteren Geschosse | |
sind bereits ummantelt. Der matschgelbe 60er-Jahre-Bau verschwindet hinter | |
angegrauter Fichte. Es sieht eher danach aus, als würde hier ein | |
Wellnesshotel entstehen, das sich ins Voralpenland schmiegt, als dass ein | |
Wohnblock am Stadtrand gedämmt wird. | |
Beim seriellen Sanieren gilt, je rechteckiger das Haus ist, je weniger | |
Ecken und Winkel es hat, desto besser eignet es sich. Bevor die Wandteile | |
hier vorgefahren werden konnten, wurde mit einem Laser jedes Fenster, jede | |
Wandöffnung abgetastet, erzählt Melzer. So wurde ein digitaler Zwilling der | |
beiden Gebäude erstellt. Anhand dieser Maße werden die Wände dann | |
millimetergenau angefertigt, samt Fenstern und Türen. | |
Jeder Vorsprung bedeutet dabei, dass die vorgefertigte Wand nicht | |
durchgezogen werden kann, sondern aufwändig eine Ecke eingesetzt werden | |
muss. Je länger die Wandteile sind, desto weniger Arbeitsschritte sind | |
nötig und desto günstiger ist der Quadratmeter. Mehrfamilienhäuser, die in | |
den 1960er, 70er oder 80er Jahren gebaut wurden, entsprechen diesen | |
Kriterien oft. Sie sehen aus wie Schuhkartons mit Fenstern und sind ähnlich | |
schlecht isoliert. Die warme Luft entweicht durch die undichten | |
Fensterrahmen und die dünnen Wände. | |
## Die Sanierung ist durchaus belastend für die Mieter:innen | |
Ein weiteres Kriterium, das die zwei Häuser erfüllen: Sie haben keine | |
Mietergärten. Liebevoll gepflegte Beete gelten als K.-o.-Kriterium für | |
serielle Sanierungen. Wenn der Garten weichen muss, um die Fassaden | |
anzubringen, droht Stress mit den Mieter:innen. | |
Nach einem minimalinvasiven Umbau sieht die Baustelle tatsächlich nicht | |
aus. Wo vorher Rasen war, stehen Sprinter auf einer Schotterpiste. Zwischen | |
den zwei Häusern ragt ein Kran in die Höhe, die Wege sind mit Bauzäunen | |
abgesteckt. Aus einem Baustellenradio singt [4][Dua Lipa] gegen das Dröhnen | |
und Hämmern an. | |
„Wenn man sagt, die Sanierung ist keine Belastung für die Mieter, wäre das | |
gelogen.“ Bauherr Berghofer steht auf dem zweiten Haus, das eingerüstet | |
ist. Nur auf der östlichen Seite hat der fünfte Stock bisher eine Wand. | |
Denn parallel zur Fassadendämmung werden die zwei Häuser um jeweils drei | |
Etagen aufgestockt, ebenfalls mit vorgefertigten Wänden. So entstehen | |
zusätzlich 24 neue [5][Mietwohnungen]. | |
Ein Stück Wand fliegt heran, es ist etwa einen Meter breit. Der Kranführer | |
steuert es mit einem Joystick über das Gerüst, seine Kollegen bringen es in | |
die richtige Position, dann stellen sie es ab und lösen die Schlaufe. Der | |
Kran fliegt wieder weg. Mit sechs unterarmlangen Schrauben bohrt ein | |
Arbeiter das Eckstück fest. | |
„Wir müssen hier nicht die Fenster zuhängen“, sagt Frank Melzer etwas zu | |
begeistert dafür, dass er nur von einer Folie spricht, auf die verzichtet | |
wird. Für die Bewohner:innen sei das aber ein großer Unterschied. Bei | |
einer klassischen Sanierung wird das ganze Gerüst abgehängt, die Fenster | |
werden zum Schutz verklebt. „Das ist sehr anstrengend für die Mieter, sie | |
bekommen kein Licht, es ist stickig.“ | |
Hier werden die neuen Fenster vor den alten Fenstern montiert. Kurz darauf | |
wird das alte Fenster von innen herausgelöst. „Wir sind also | |
witterungsunabhängig“, sagt Melzer. Im Winter klafft kein Loch in der | |
Fassade. | |
## Kaltmiete steigt, Nebenkosten sinken | |
Für die Mieter:innen ein Nachteil: Wegen der Sanierung wird die | |
Kaltmiete pro Quadratmeter um 2 Euro erhöht. Gleichzeitig dürften aber die | |
Kosten für Heizung und Warmwasser stark sinken. Klaus Berghofer geht | |
deshalb davon aus, dass die Warmmiete nur gering steigt. Bisher ist die | |
Miete in der Baugenossenschaft mit durchschnittlich etwa 7 Euro pro | |
Quadratmeter sehr gering. | |
Nach der Sanierung können bei den zwei Häusern 90 Prozent der bisher | |
verbrauchten Energie eingespart werden. Sie springen damit von | |
Energieklasse G auf A. Also von grauenvoll auf ausgezeichnet. | |
Das Konzept wurde 2013 in den Niederlanden entwickelt und Energiesprong | |
getauft – Energiesprung auf Deutsch. Dazu zählen der digitalisierte | |
Bauprozess, die vorgefertigten Fassadenelemente und eine subventionierte | |
Finanzierung. So werden alte Emissionsschleudern in wenigen Wochen und in | |
Kombination mit einer [6][Wärmepumpe] im Keller und Photovoltaik auf dem | |
Dach zu Vorzeigegebäuden. Im besten Fall entstehen sogar Häuser, die im | |
Jahresmittel so viel erneuerbare Energie erzeugen, wie sie verbrauchen. In | |
den Niederlanden wurden nach diesem Prinzip bereits Tausende Gebäude | |
saniert. | |
Diesen Sprung nach vorn braucht Deutschland auch. Bis 2045 soll laut den | |
Klimazielen die Treibhausgasneutralität erreicht werden, das heißt nur so | |
viele Emissionen auszustoßen wie abgebaut werden. Beim Klimaschutz denken | |
viele zuerst an Autos, die grüner werden müssen, an Solarpanele und | |
Windräder, von denen mehr gebraucht werden. An gut isolierte Häuser, aus | |
denen die Wärme nicht entweicht, denkt kaum jemand. Dabei ist die sauberste | |
Energie die, die gar nicht erst verbraucht wird. Im Gebäudesektor besteht | |
daher ein enormes Einsparungspotenzial. | |
Bislang ist Deutschland aber höchstens gehopst und nicht gesprungen. Seit | |
2019 wurden 49 Häuser seriell saniert, 170 weitere Projekte werden geplant | |
oder bereits gebaut. Dabei wird geschätzt, dass 30 Prozent der Gebäude | |
seriell saniert werden könnten. Auch Schulen eigenen sich gut, während der | |
Sommerferien könnten die neuen Fassaden montiert werden. | |
Um die Sanierungen voranzutreiben, unterstützt die Bundesförderung für | |
effiziente Gebäude seit Januar 2023 energetische Sanierungen mit 15 | |
Prozent. Dieses Geld hat Klaus Berghofer umgestimmt. Bis April hatte er | |
noch vor, konventionell, also mit seinen vier Lieblingsbuchstaben WDVS zu | |
sanieren. Durch die Förderung könnten sie kostenneutral sanieren, sagt er. | |
Er war überzeugt. Die serielle Sanierung und die konventionelle Sanierung | |
haben für Berghofers Firma den gleichen Preis. „Worst performer“, also die | |
größten Dreckschleudern unter den Gebäuden, „bekommen sogar 20 Prozent | |
Unterstützung. Aber das waren wir leider knapp nicht.“ | |
Es wirkt so, als wären die beiden Männer im Besitz einer großen Klatsche, | |
mit der sie sämtliche Probleme minimieren können. Fachkräftemangel? | |
Klatsch. Wohnungsmangel? Klatsch. CO2-Emissionen? Klatsch. | |
Bereitet ihnen denn gar nichts Probleme? Berghofer überlegt. | |
„Bauchschmerzen haben mir die tiefen Fensterbretter gemacht.“ Er habe | |
gedacht, dass sich die Mieter:innen beschweren. Die dämmenden Fassaden | |
sind 33 Zentimeter dick, so entsteht ein tieferer Fenstersims. „Jetzt | |
können sie ihre Blumen auf der Fensterbank abstellen und freuen sich.“ | |
Das noch fehlende Mittelstück schwebt heran: 7,60 Meter lang, 3,5 Tonnen | |
schwer, zwei bodentiefe Fenster. Es dreht sich mehrfach um die eigene | |
Achse, bis zwei Arbeiter auf dem Gerüst das Stück entgegennehmen und es von | |
oben in die Lücke zwischen zwei schon stehende Wände gleiten lassen. Wie | |
wenn man zu zweit ein Regalbrett versucht einzusetzen und nicht sieht, was | |
der andere tut: „Passt es bei dir? Ja?“ – „Halt, jetzt bei mir wieder | |
nicht.“ Vor, zurück, es ist schief, dann passt es, es hält, High five. Wie | |
im Zeitraffer entsteht eine neue Etage. | |
## Serielle Fassaden lassen sich gut recyceln | |
Projektleiter Frank Melzer schaut durch die neuen Fenster auf ein | |
verputztes Haus in der [7][Nachbarschaft]. Die Sonne scheint auf die weiße | |
Fassade und leuchtet jede Unebenheit schonungslos aus. Es sieht aus, als | |
hätte das Haus Cellulite. „Fassaden spachteln, das ist Handarbeit, das geht | |
gar nicht anders“, sagt Melzer. „Aber bei so einem Licht werden die | |
qualitativen Mängel sichtbar.“ Die maschinell gefertigten Fassaden mit | |
ihrer Holzverkleidung haben keine Bindegewebsprobleme. | |
Ein weiterer Vorteil der seriellen Fassade: Sie lässt sich besser recyceln. | |
„Die verschiedenen Materialien sind nicht verklebt. Die Dämmwolle ist nicht | |
mit Mörtel verbunden“, erklärt Frank Melzer. Brandschutzplatte, Holzrahmen, | |
die Latten aus Fichte und die dämmende Mineralfaser könnten problemlos | |
wieder voneinander getrennt werden. Die Baukosten seien in den vergangenen | |
Jahren auch durch die Recyclingkosten in die Höhe geschnellt, sagt | |
Berghofer. Dem wird hier vorgebeugt. Klatsch. | |
Aber hält die Holzfassade so lange wie eine verputze Wand? „Mei, schauen | |
Sie sich die Berghütten an, die wurden vor 100 Jahren gebaut und stehen | |
immer noch“, sagt Melzer. | |
Während es außen nach saunaschick aussieht, riecht es drinnen nach | |
Bundesrepublik. Frau Zink kocht Sauerkraut, sie wohnt mit ihrem Mann seit | |
45 Jahren hier. In die Regale ist ein ganzes Leben sortiert. Wie findet sie | |
die Sanierung? „Laut, dreckig, ich bin nur am Wischen.“ Aber sie merke | |
schon, dass es wärmer ist. Früher hätte sie vor alle Türen diese | |
Luftstopper in Dackelform gelegt und „trotzdem war das Haus eiskalt im | |
Winter“. Jetzt kann man im T-Shirt auf dem Sofa sitzen. | |
10 Dec 2023 | |
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## AUTOREN | |
Sophie Fichtner | |
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