| # taz.de -- Hertha-BSC-Präsident über Kommerz: „Das sind Investoren ohne Zu… | |
| > Kay Bernstein erklärt, wie er die Kommerzialisierung im Fußball | |
| > zurückdrehen will. Und wie sich das mit dem Mehrheitseigner des Klubs | |
| > verträgt. | |
| Bild: Dauerpatient Hertha: Bernstein nimmt an der Mitgliederversammlung vom Kra… | |
| taz: Herr Bernstein, [1][bei Ihrem Investor,] der knapp 80 Prozent der | |
| Kapitalanteile von Hertha besitzt, freut man sich auf die Phase der | |
| „Hyperkommerzialisierung“ des Fußballs, die uns bevorsteht. Diese | |
| Ansicht vertritt zumindest Josh Wander, der Geschäftsführer von 777 | |
| Partners. Freuen Sie sich auch darauf? | |
| Kay Bernstein: Ich würde die Lage anders einschätzen. Gerade im deutschen | |
| Fußball befinden wir uns auf einem Konsolidierungs- und Selbstfindungskurs. | |
| Wir fragen uns, wofür dieser Fußball stehen soll, was er bewirken soll und | |
| wie wir ans Ziel kommen. Nach der Pandemie und dem Krieg in der Ukraine ist | |
| die Investitionsfreude geringer. Wir stehen vor einer schwierigen | |
| Situation. Ich sehe noch keine Goldgräberstimmung. | |
| Wie würden Sie sich den Fußball in 20 Jahren wünschen? | |
| Hyperkommerzialisiert vermutlich nicht … | |
| Verantwortungsvoll, ehrlich, weltoffen. Ich würde mir wünschen, dass wir | |
| wieder mehr miteinander reden, unterschiedliche Meinungen aushalten, aber | |
| ein gemeinsames Ziel verfolgen. | |
| Das hört sich recht allgemein an. Sie haben bereits konkretere Wünsche | |
| formuliert. Etwa dass alle Bundesligaspiele wieder zeitgleich um 15.30 Uhr | |
| angepfiffen werden. | |
| Der Vorschlag [2][war auf die Nachhaltigkeit bezogen]. Wenn wir es damit | |
| ernst meinen, dann ist die Frage, welche Rahmenbedingungen wir dafür | |
| schaffen müssen. Dies radikal umzusetzen, wird schwer im Fußball. Aber eine | |
| Anstoßzeit um 15.30 Uhr wäre eine Möglichkeit, dann können auch die | |
| Freiburger nach einem Spiel in Berlin noch mit dem Zug nach Hause fahren. | |
| Wir stellen fest, dass der Fußball inflationär überreizt wird. Wir sollten | |
| dieses Rad ein bisschen zurückdrehen, hin zur Verantwortung und nicht hin | |
| zur nächsten Million. | |
| Wenn Sie von „wir“ sprechen, ist dann Hertha gemeint, oder gibt es ein | |
| Bündnis von Vereinen, die darüber im Gespräch sind? | |
| Beides. Es gibt ein Bündnis von Vereinen, die sich nach einem ähnlichen Weg | |
| sehnen. Ob das der Hamburger SV, Hannover 96, der 1. FC Magdeburg oder der | |
| VfB Stuttgart ist. In den letzten Jahren ist an vielen Standorten eine | |
| Veränderung zu beobachten. Und dennoch sind gewisse Strukturen gerade bei | |
| der DFL und dem DFB nicht auf Innovation und Fortschritt angelegt, sondern | |
| sehr oft auf Selbsterhalt. | |
| Geht es weniger mächtigen Vereinen wie Hertha um den besseren Fußball für | |
| alle oder letztlich doch auch um die eigenen Interessen und die Nähe zu den | |
| großen Geldtöpfen? | |
| Ich kann nicht für die anderen sprechen. Bei Hertha BSC ist es so, dass wir | |
| eine toxische Situation vorgefunden haben. Das Umfeld war zerstritten, die | |
| Gremien hatten unterschiedliche Auffassungen von dem, was gemacht werden | |
| muss. Wir mussten die Gremien befrieden, Vertrauen in die Organisation | |
| herstellen, für die Mitglieder, die einzelnen Stakeholder, Partner, | |
| Politik, Sponsoren, Mitarbeitende. Wir haben einen wirtschaftlichen Irrsinn | |
| produziert. Wir brauchten erst mal eine ganz klare Transformation im Verein | |
| und dazu den sportlichen Umbruch im Sommer. Wir müssen die Fehler der | |
| Vergangenheit korrigieren, um überhaupt wieder handlungsfähig zu werden. | |
| Sportwettenanbieter als Werbepartner haben Sie vor der Wahl zum | |
| Hertha-Präsidenten verteufelt. Jetzt ist ein solcher zum Ärger vieler Fans | |
| Trikotsponsor. Wie passt das zu Ihren Visionen? | |
| Die Kritik daran kann ich gut verstehen, gerade von denen, die meinen | |
| Wahlkampf und das dafür aufgesetzte Visionspapier wahrgenommen haben. | |
| Natürlich gäbe es in einer perfekten Welt, wie ich sie mir für den Fußball | |
| vorstelle, keine Investoren und Wettanbieter auf der Brust. Ich hätte es | |
| mir einfach machen und als ehemaliger Ultra sagen können: „Um Gottes | |
| willen, ich riskiere den Verlust meiner Glaubwürdigkeit.“ Aber dann wäre | |
| die Schlagzeile gewesen: „Bernstein verhindert 2-Millionen-Euro-Deal.“ | |
| Dabei hätte ich die Entscheidung als Präsident letztlich gar nicht | |
| verhindern können. | |
| Ist das nicht der Kern des Problems, warum der Fußball nicht besser werden | |
| kann? Vereine entscheiden, was ihnen kurzfristig die Not diktiert. | |
| Wir versuchen schon, langfristig zu denken. Aber der Markt hat sich | |
| verändert, Budgets haben sich verschoben. Und Hertha hat in den letzten | |
| Jahren nicht unbedingt Werbung dafür betrieben, dass große industrielle | |
| Marken sich mit dem Image des Vereins verknüpfen wollen. Du kannst auf das | |
| Geld von dem Wettanbieter verzichten, aber du kannst es auch nehmen und | |
| damit die Weichen für die Zukunft stellen. | |
| Wegen Ihrer Vergangenheit werden Sie vornehmlich [3][als Ultra-Präsident | |
| wahrgenommen.] Ihre Vergangenheit als Unternehmer wird dagegen | |
| ausgeblendet. Nervt das, oder ist das auch nützlich? | |
| Solange man mich dadurch unterschätzt, kann ich damit gut leben. Dass | |
| zwischen aktiver Zeit in der Kurve und dem Präsidentenamt 16 Jahre liegen, | |
| vergessen die meisten Leute. Das war eine lange Zeit der Sozialisierung | |
| jenseits der Kurve hin zur Selbstständigkeit, zum Kapitalismus, zum | |
| Unternehmertum. Ich sehe es als großen Vorteil, beide Seiten zu verbinden. | |
| Wohin sollen die nächsten Schritte konkret führen? Gibt es beispielsweise | |
| Pläne, in fünf oder zehn Jahren die Anteile vom Investor zurückzukaufen? | |
| [4][Hertha BSC ist in der Vergangenheit sehr oft auf die Schnauze geflogen] | |
| mit seinen Zukunftsvisionen. Aber wir haben natürlich den Antrieb, uns in | |
| eine Ausgangssituation zu bringen, die uns irgendwann wieder handlungsfähig | |
| macht. Dafür ist ein gesunder Verein, eine gesunde Organisation und eine | |
| gute Jugendakademie notwendig. Wir wollen im Nachwuchsleistungszentrum den | |
| Nachweis erbringen, dass wir wirklich bereit sind, im Profikader Plätze für | |
| die Akademie vorzuhalten. | |
| In Ihre Amtszeit fällt auch der Verkauf der Anteile von Lars Windhorst an | |
| 777 Partners. Wie nehmen Sie den neuen Investor wahr? | |
| Dass es unterschiedliche Meinungen und Konflikte gibt, liegt in der Natur | |
| der Sache. Die Frage ist, wie man damit umgeht und wie viel davon in der | |
| Öffentlichkeit landet. Hier ist die Partnerschaft von anderer Qualität als | |
| die mit Lars Windhorst. | |
| Inwieweit profitiert Hertha davon, das 777 Partners bei vielen anderen | |
| Fußballvereinen mit drin ist? | |
| Wir profitieren, weil wir Zugang zu vielen Informationen bekommen, die wir | |
| sonst nicht hätten. Was machen sie in Lüttich, was machen sie in Paris oder | |
| Genua? Wie sehen ihre Probleme im Alltag aus? Wie funktioniert das auf dem | |
| Hybridrasen? Wie funktioniert das mit den Jugendspielern? Das betrifft | |
| aber auch Bereiche wie Marketing, Finanzen oder Nachhaltigkeit. Über dem | |
| Olympiapark schwebt eine imaginäre große Glocke, wer hier täglich arbeitet, | |
| kommt selten raus. Da hilft der Austausch. | |
| Helen Breit, eine Sprecherin der aktiven Fanszene, hat kürzlich gesagt, | |
| [5][Mehrfachbeteiligungen schadeten der Integrität des Wettbewerbs.] Und | |
| beim SC Freiburg bekannte Sportdirektor Jochen Saier auf der | |
| Jahreshauptversammlung im Oktober, der ein oder andere geplante Transfer | |
| sei an dieser neuen Besitzerkonstruktion gescheitert. Es verändert | |
| offensichtlich den Markt. | |
| Ich würde das Red-Bull-Konstrukt als wesentlich aggressiver beschreiben, | |
| das den Markt stärker verändert. Dieses Modell ist auf Synergieeffekte | |
| ausgelegt. Bei uns würde es nicht funktionieren, weil wir mit 777 | |
| Partners andere Anteilsverhältnisse haben als die Klubs in Paris, Genua | |
| oder Lüttich. Wenn 777 Partners auch noch eine Spielerberateragentur | |
| aufmachen würde, dann würde ich Ihnen recht geben, weil es dann ein | |
| geschlossener Markt wäre. | |
| Sie glauben, es würde dem Wettbewerb nicht schaden, wenn 777 Partners | |
| beispielsweise bei Elversberg einsteigen würde? | |
| Das ist sehr konstruiert, aber auch in dem Fall hätte man immer noch die | |
| 50+1-Regel. Die Hoheit im täglichen Tun liegt in der Entscheidungsgewalt | |
| der Vereine. Und letztlich geht es immer noch um Leistungssport, um das | |
| Gewinnen. Die Frage ist, wo sich der Fußball hin entwickelt. [6][Ist | |
| Private Equity ein Zukunftsmodell?] | |
| Was glauben Sie? | |
| Ich persönlich glaube, dass das nicht funktionieren wird. | |
| Sie stellen die Sinnhaftigkeit des Projekts von 777 Partners infrage? | |
| Nein, die würde ich ihnen nicht absprechen. Sie haben einen anderen | |
| Blickwinkel. | |
| Was macht Hertha, wenn 777 Partners sich Geld aus Saudi-Arabien besorgt? | |
| Dann können wir traurig sein und das doof finden. Letztendlich haben wir | |
| darauf aber keinen Einfluss. Wir haben nur ein Mitspracherecht, wenn 777 | |
| Partners seine Anteile wieder verkaufen will. | |
| Das hört sich angesichts Ihrer Visionen frustrierend an. | |
| Man ist gefangen in der Realpolitik. | |
| Aber muss man dann nicht schleunigst raus aus diesem Geschäft? | |
| Man muss schleunigst alles dafür tun, um in die Situation zu kommen, das | |
| beheben zu können. Aber das ist schwierig. Wir haben natürlich auch die | |
| Stimmen gehört, die im Sommer gesagt haben, der ehrlichere Weg wäre der | |
| Gang über die Regionalliga und die Insolvenz, noch einmal ganz von vorn | |
| anzufangen. Und dann haben wir gesagt, das ist keine verantwortbare Option | |
| gegenüber den Vereinsmitgliedern, den Fans und den Angestellten. Zudem ist | |
| Hertha ein Wirtschaftsmotor auch für Dienstleister. Wir sind gefangen in | |
| der Realität. Idealerweise beheben wir irgendwann die Fehler der | |
| Vergangenheit. Dahin zu kommen, muss man sich aber erst einmal erarbeiten. | |
| Ansonsten wäre es Träumerei. | |
| 27 Nov 2023 | |
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