| # taz.de -- Ein Ultra als Hertha BSC-Präsident: Er ist der Verein | |
| > Kay Bernstein, ehemaliger Vorsänger der Ultras, ist neuer Präsident von | |
| > Hertha. Seine Wahl ist ein Sieg der Fan-Basis gegen das Establishment. | |
| Bild: Herthaner durch und durch: Kay Bernstein | |
| Berlin taz | Die [1][Ultras in Herthas Ostkurve] – angeführt von der Gruppe | |
| Harlekins Berlin 98 – singen es schon lange: „Wir sind keine Konsumenten, | |
| lassen uns von euch nicht blenden. Ihr wollt uns einfach nicht verstehen, | |
| wollt uns nicht im Stadion sehen. Doch ihr werdet uns nicht los, unsere | |
| Leidenschaft ist viel zu groß! Wir wollen Hertha und kein Event, ihr habt | |
| die Zeichen der Zeit verpennt!“ Es ist der Chant einer trotzigen, | |
| widerspenstigen Fanbasis gegen Kontrollfantasien und Größenwahn im | |
| Club-Establishment, das besungene Manifest einer unerschütterlichen | |
| Haltung: „Wir sind der Verein.“ | |
| Doch bei aller Ultra-Romantik und -Überzeugung, damit gerechnet, dass einer | |
| aus ihren Reihen zum Präsidenten des Clubs aufsteigen könnte, hat wohl kaum | |
| einer der Hardcore-Fans. Und dennoch ist es geschehen: [2][Kay Bernstein], | |
| ehemaliger Vorsänger der Harlekins – der sogenannte Capo, der mit dem | |
| Rücken zum Spielfeld die Gesänge der Kurve dirigiert –, ist auf der | |
| Mitgliederversammlung des Vereins am Sonntag mit großer Mehrheit zum neuen | |
| Vereinschef gewählt worden. Bei der Ergebnisverkündung schallte es wie ein | |
| Torjubel durch die Messehalle City Cube, gefolgt von enthusiastischen | |
| „Ha-Ho-He, Hertha BSC“-Rufen. | |
| Die Ultras, diese Jugendbewegung, die ab den 1990er Jahren die deutschen | |
| Stadien mit Dauergesängen, Choreografien und dem Anspruch, ihre Vereine | |
| mitzugestalten, eroberten – und nach der Hoch-Zeit der Hooligans wieder ein | |
| gutes Stück zivilisierter machten –, sind damit ganz oben in der | |
| Fußballhierarchie angekommen. Bernstein ist der erste, inzwischen muss man | |
| sagen Ex-Ultra, der das höchste Amt in einem deutschen Proficlub übernimmt, | |
| auch wenn es schon einige vor ihm in Präsidien und Aufsichtsräte geschafft | |
| haben. | |
| Der in Marzahn aufgewachsene Bernstein hatte Anfang Mai seine Kandidatur | |
| verkündet, eingerahmt durch die professionelle Kampagne [3][„Wir | |
| Herthaner“], die ausgehend von einer schonungslosen Analyse des desolaten | |
| Zustands des Vereins, sportlich, finanziell und in der Außendarstellung, | |
| eine Vision setzte: ein transparenter Club mit einer ehrlichen | |
| Kommunikation nach innen und außen, gelebten Werten, wie der Ablehnung von | |
| Sportwettenanbietern als Sponsoren, mit einem Fokus auf Jugendarbeit und | |
| Wertschätzung der Fans. | |
| Mit dem vorzeitigen Rücktritt des Langzeit-Präsidenten Werner Gegenbauer im | |
| Mai, der sich zuvor mit dem Hertha-Großinvestor Lars Windhorst, der | |
| erfolglos 374 Millionen Euro in den Club pumpte, überworfen hatte, wurde | |
| der Weg für eine Neuwahl frei. | |
| ## Gegenkandidat des Establishments | |
| Das Establishment im Verein um den Aufsichtsratsvorsitzenden Klaus | |
| Brüggemann war nicht etwa glücklich über einen wie Bernstein, der mit | |
| seinen 41 Jahren seit 30 Jahren Hertha-Fan ist, und lange Zeit jedes zweite | |
| Wochenende in Regionalbahnen auf dem Weg zu Auswärtsspielen verbrachte. | |
| Stattdessen wurde vor zwei Wochen [4][ein Gegenkandidat präsentiert]: Frank | |
| [5][Steffel], gescheiterter CDU-Politiker und bisheriger Präsident des | |
| Handballclubs Füchse Berlin, der Ultras einst als eine Gefährdung | |
| friedliebender Fans und Familien bezeichnete, stand für viele für den | |
| Versuch, das von der Fanbasis entfremdete Geklüngel an der Vereinsspitze | |
| weiterführen. | |
| Die Mitglieder entschieden dementsprechend. Steffel: 1.280 Stimmen. | |
| Bernstein: 1.670 Stimmen. Bernsteins Verbündeten Fabian Drescher wählten | |
| sie hernach zu seinem Vize. | |
| Für die althergebrachten Sportfunktionäre und ihnen verbundenen | |
| Wirtschaftsfiguren ist die Wahl Bernsteins, die auch ihre Niederlage in | |
| einem Kulturkampf bedeutet, nicht einfach zu verkraften. Zwei Jahre | |
| Stadionverbot hatte Bernstein – wenn auch nur für eine Plakataktion, bei | |
| der die Polizei einschritt und ihn, so heißt es in seiner Biografie, | |
| „zusammengelegt“ habe. Beteiligt war er, als die Ultras 2004 die von einem | |
| „sponsor of the day“ verteilten Rasseln massenweise auf die Tartanbahn | |
| warfen. | |
| Auch beim Thema Pyrotechnik, dem ewigen Streitthema zwischen Ultras und | |
| Vereinen wie Verbänden, hat Bernstein eine pragmatische Haltung: Es gehe | |
| darum, damit verantwortlich umzugehen, sagte er auf der Versammlung. | |
| ## Ultra solidarisch | |
| Doch Bernstein steht – wie die meisten Ultras – eben bei Weitem nicht nur | |
| für Provokationen und Regelübertritte, also für eine rebellische Jugend, | |
| sondern auch für soziales Engagement und Aufopferung für den Verein. Er war | |
| es, der für seinen an Leukämie erkrankten Freund und Hertha-Ultra Benny | |
| Bienert großangelegte Typisierungsaktionen organisierte, die bundesweit | |
| von Fanszenen getragen wurde. Der Versuch, einen genetischen | |
| Knochenmark-Zwilling zu finden, blieb erfolglos, doch Bernstein hatte sein | |
| Organisations- und Kommunikationstalent entdeckt. | |
| Inzwischen sitzt Bernstein seit zehn Jahren auf der Haupttribüne des | |
| Olympiastadions und führt eine Marketingagentur. Klar, dass so einer nicht | |
| auf seine Ultra-Vergangenheit reduziert werden möchte, sondern auch als | |
| erfolgreicher Geschäftsmann, Event-Manager und Kommunikationsexperte | |
| angehen werden will. Sicher ist aber auch, dass er ohne seinen | |
| Kurvengeruch, seine Bekanntheit bei den Fans, auch wenn seit seiner Zeit | |
| Mitte der nuller Jahre schon zwei, drei Ultra-Generationen nachgewachsen | |
| sind, niemals gewonnen hätte. | |
| Ob verbilligte Dauerkarten oder Trikots, deren Erlöse zur Hälfte an | |
| Amateurvereine gehen, Bernsteins erste Mission ist es, die Stadt wieder für | |
| Hertha zu begeistern, vom Gehabe des [6][„Big City Club“ verschreckte | |
| Anhänger:innen] zurückzuholen und die Stärken eines Vereins mit 40.000 | |
| Mitgliedern zu nutzen. Die Außendarstellung des Vereins will er bestimmen, | |
| daran lässt das Manifest „Wir Herthaner“ keinen Zweifel: Demnach sei der | |
| Präsident der „oberste Kommunikator“. Man könnte hinzufügen: und nicht L… | |
| Windhorst, der sendungsbewusste Investor. | |
| Bernstein hat dennoch angekündigt, mit dem bei den Ultras verhassten | |
| Windhorst, der eine Mehrheit an der vom Verein ausgegliederten | |
| Lizenzspielerabteilung hält, zusammenzuarbeiten. Auch auf Sportdirektor | |
| Fredi Bobic setzt er. Ob Hertha damit wieder bessere Zeiten erwarten, | |
| weniger Gespött und [7][Abstiegsangst], muss sich zeigen. Bernsteins Motto | |
| dafür lautet „Fresse halten und arbeiten!“ | |
| 27 Jun 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Streit-beim-Berliner-Bundesliga-Klub/!5549435 | |
| [2] /Unternehmer-neuer-Hertha-Praesident/!5863490 | |
| [3] https://wirherthaner.de/ | |
| [4] /Machtkampf-bei-Hertha-BSC/!5863320 | |
| [5] /Spitzenkandidat-Steffel-fuer-Hertha-BSC/!5858294 | |
| [6] /Hertha-BSC-und-seine-Fans/!5502521 | |
| [7] /Hertha-BSC-nach-dem-Relegationsspiel/!5857407 | |
| ## AUTOREN | |
| Erik Peter | |
| ## TAGS | |
| Hertha BSC Berlin | |
| Ultras | |
| Fußball | |
| Hertha BSC Berlin | |
| Hertha BSC Berlin | |
| Fußball-Bundesliga | |
| Fußball-Bundesliga | |
| Fußball-Bundesliga | |
| Fußball-Bundesliga | |
| Fußball-Bundesliga | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Hertha-BSC-Präsident über Kommerz: „Das sind Investoren ohne Zukunft“ | |
| Kay Bernstein erklärt, wie er die Kommerzialisierung im Fußball | |
| zurückdrehen will. Und wie sich das mit dem Mehrheitseigner des Klubs | |
| verträgt. | |
| Die Wochenvorschau von Uwe Rada: Das Jahr endet mit einem Konzert | |
| Nach fünfzig Jahren verabschiedet sich City von der Bühne. Überhaupt ist | |
| die Woche zwischen den Jahren eine Woche der Abschiede. | |
| Neuer Präsident von Hertha BSC: Bundesliga lernt Demokratie | |
| Auch mit seiner Ultra-Vergangenheit ist Kay Bernstein noch kein linker | |
| Systemkritiker. Die Fußballkultur könnte der Hertha-Präsident aber schon | |
| ändern. | |
| Unternehmer neuer Hertha-Präsident: Hertha wagt eine kleine Revolution | |
| Hertha hat sich einen neuen Präsidenten gewählt. Den Kommunikationsmanager | |
| Kay Bernstein. Der steht für eine neue inhaltliche Grundausrichtung. | |
| Machtkampf bei Hertha BSC: Die Alte Dame braucht Ruhe | |
| An Problemen mangelt es dem Fußballbundesligisten nicht. Ein neuer | |
| Präsident soll sie nun lösen. Am Sonntag wird gewählt. | |
| Spitzenkandidat Steffel für Hertha BSC: Berlins Bester | |
| Frank Steffel will Präsident von Hertha BSC werden. Zehn Gründe, warum der | |
| Politiker und Handballfunktionär die beste Wahl ist. | |
| Hertha BSC nach dem Relegationsspiel: Total verkracht | |
| Hertha hat sich gerade noch einmal vor dem Abstieg gerettet – vielleicht | |
| wäre es ein heilsamer Sturz gewesen. Ein Wochenkommentar. |