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# taz.de -- Verschwörungsmythen bei Landwirtstreffen: Bauern flirten mit Recht…
> Demagogen wie Ex-Verfassungsschützer Maaßen wettern vor Bauern gegen die
> Agrarpolitik. Auch mit Parolen zu Gendern und Migration ernten sie
> Applaus.
Bild: Ein Trecker, der mit Vollgas im braunen Schlamm stecken geblieben ist
Dass viele Bauern landwirtschaftspolitisch eher rechts ticken, ist nichts
Neues: Sie sind zum Beispiel gegen Regeln, die Empfänger von
Agrarsubventionen zu mehr Umweltschutz verpflichten. Nun aber haben
bekannte Landwirte gezeigt, dass sie sich auch sonst rechtsradikalem
Gedankengut annähern: bei einer Veranstaltung mit dem Titel „Bauern tot –
alle in Not“ Mitte September an einem unbekannten Ort in der Nähe von
Berlin.
Man traf sich unter geradezu konspirativen Umständen in einer Halle mit
Strohballen und Mistgabeln auf der Bühne. Der genaue Ort und die
Veranstalternamen wurden nicht offiziell veröffentlicht, weder auf der
Einladung noch in dem Video, das Beteiligte bei Youtube hochgeladen haben.
Doch dort war zu sehen, dass radikale Rechte wie Hans-Georg Maaßen – von
2012 bis 2018 Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz – oder der
Buchautor Markus Krall offensiv um die Landwirte werben. Und wie
aufgeschlossen manche für solche Avancen sind.
Maaßen und Krall nutzten die Veranstaltung, um ihre strammrechte Ideologie
in traditionell konservativen Kreisen zu verstärken, die in vielen Dörfern
meinungsprägend sind.
Maaßen biederte sich bei den Bauern zunächst mit fachpolitischen
Plattitüden an: „Ich lehne die Landwirtschaftspolitik dieser
ökosozialistischen Bundesregierung ab“, sagte er. Dass in der
SPD-Grünen-FDP-Koalition niemand Sozialismus und schon gar nicht im Sinne
von Diktatur, Planwirtschaft und Massenmord will (letzteres ist Krall
zufolge das Ziel des Sozialismus) – geschenkt.
Doch Maaßen agitierte auch mit rechten Standardparolen, die nichts mit
Landwirtschaft zu tun haben: Er wolle, dass „wir selber entscheiden, wie
wir sprechen. Ob wir Deutsch sprechen, wie uns Eltern und Großeltern
gelehrt haben, oder Genderdeutsch. Ich will, dass wir selbst bestimmen, wie
wir die Kinder erziehen.“ Auch damit unterstellte er seinen Gegnern etwas,
das diese natürlich gar nicht wollen.
Maaßen dagegen hält offenbar nicht so viel von Freiheit: „Wenn man im
Bundeskanzleramt in der obersten Etage sitzen würde“, sagte er, könne man
sofort anordnen, „dass die Gendersprache innerhalb der Bundesverwaltung
abgeschafft und verboten ist“. Während Maaßen seinen Gegner
Übergriffigkeit vorwirft, will er ihnen also selbst verbieten zu sprechen,
wie sie wollen.
## Meinungsfreiheit – aber für wen?
Bei der Migrationspolitik „geht es darum, dass die politische Linke eine
andere Gesellschaft will“, so Maaßen. „Sie will eine transformierte
Gesellschaft und sich das Volk selber aussuchen.“ Das klingt wie der
Verschwörungsmythos vom „großen Austausch“ der Neuen Rechten, die vielfach
behaupten, „Eliten“ wollten durch Zuwanderung die weiße
Mehrheitsbevölkerung ersetzen.
Maaßen plädierte zudem für eine Zusammenarbeit mit der rechtsradikalen AfD:
„Demokratie heißt auch, dass es auch Parteien im Parlament gibt, die
unbequem sein können wie die AfD. Ich bin jemand, der sich grundsätzlich
gegen Mauern ausspricht. Man muss mit allen Menschen reden und mit allen
Menschen zusammenarbeiten.“
Der Demagoge beklagte bei den Bauern ebenfalls eine angebliche „Erosion der
Meinungsfreiheit“. Verantwortlich seien „unsere Medien“. Aber will Maaßen
wirklich mehr Meinungsfreiheit oder passt ihm einfach nicht, dass er und
seine Gesinnungsgenossen in vielen großen Medien seiner Meinung nach zu
negativ dargestellt werden?
Applaus bekam Maaßen auch für den Satz: „Ich bin ein Ketzer und ich glaube
nicht an den menschengemachten Klimawandel.“ Die Begründung dafür sollte
Klaus Ermecke liefern, ein Diplomkaufmann, der mit seinem Vortrag Tausende
Physiker, Klimawissenschaftler und andere Forscher des Betrugs überführen
wollte. „Wenn Sie mit der Hand kalte Luft spüren, ist das das Ergebnis
davon, dass die Treibhausgase gerade die Luft gekühlt haben. So ist das“,
sagte Ermecke. Also könnten sie nicht die Erde erwärmen. Er ignorierte,
dass die Treibhausgase wie Kohlendioxid Wärmestrahlung zurückhalten. Und je
mehr Treibhausgase in der Atmosphäre sind, desto wärmer wird sie.
## Die Mär vom Fleischverbot
Ermeckes Ausführungen waren so abstrus, dass selbst der Moderator der
Veranstaltung, Peter Guhl, ihnen nicht folgen konnte. „Ich hab’s noch nicht
100-prozentig verstanden, aber ich versuche dahinterzukommen, weil es so
ganz wichtig ist“, sagte Guhl, eine führende Figur der Lobbyfirma Freie
Bauern Deutschland GmbH. Guhl räumte ein, er habe bisher zwar geglaubt,
dass sich das Klima erhitze, aber dass wir nichts dagegen tun könnten.
Jetzt wolle er Ermecke verstehen, denn „wenn wir daran glauben, was die
anderen uns erzählen“, dann habe das Folgen „für unser Portemonnaie“.
Noch krassere Desinformation verbreitete die ehemalige DDR-Bürgerrechtlerin
Angelika Barbe. „Wir leben in einer faschistischen Diktatur“, sagte sie und
erntete Applaus. „100 Städte wollen bis 2030 Fleisch, Milchprodukte und
private Autos verbieten.“ Berlin habe „das 2019 heimlich unterschrieben“.
Aber: Tatsächlich hat eine Stadt gar keine rechtliche Handhabe, um zum
Beispiel den Verzehr von Fleisch zu verbieten. Richtig ist lediglich, dass
das Städtenetzwerk C40, zu dem Berlin gehört, in einer Studie unter anderem
eine Reduktion des Fleischkonsums durchgerechnet hat.
Dann wetterte Barbe mit haltlosen Behauptungen gegen die Corona-Impfung.
„Man hat diesen Covid-Impfstoff so prädestiniert, dass er die Möglichkeit
hat, die Blut-Hirn-Schranke zu überwinden und unsere Denkfähigkeit
anzugreifen … Den Menschen vergeht dann die Möglichkeit, wieder neu zu
denken.“
Moderator Guhl verneigte sich zwei Mal auf der Bühne vor Angelika Barbe
nach ihrer Rede. Nach Kralls Vortrag sagte er: „Mir fehlt am Ende so ein
bisschen der Glaube, dass wir es einfach mit einer Wahl lösen können. Das
glaube ich einfach nicht, denn das würde voraussetzen, dass das tatsächlich
zu 100 Prozent demokratisch abläuft und vorher alle Wahlberechtigten die
Möglichkeit haben, sich auch wirklich unabhängig über die Dinge zu
informieren, die tatsächlich in diesem Land, in Europa passieren.“
## Kein Wahlrecht für Agrarsubventionsempfänger?
Ob es für die Bauern nützlich ist, solchen Rattenfängern hinterherzulaufen?
Krall hat öffentlich gefordert, Empfänger von staatlichen
Transferleistungen wie Sozialhilfe, aber auch von Subventionen das
Wahlrecht zu entziehen. Das verschwieg er jedoch vor den Bauern, denn deren
Betriebe beziehen laut Bundesagrarministerium rund die [1][Hälfte ihres
Einkommens aus staatlichen Hilfen] wie den EU-Agrarsubventionen.
Mehrmals schimpften die Doktortitelinhaber Maaßen und Krall mit einiger
Arroganz über angeblich ungebildete Berufspolitiker. Nur: [2][Ein Drittel
der Leiter von Agrarbetrieben konnte 2020 laut Statistischem Bundesamt
keinerlei landwirtschaftlichen Berufsabschluss vorweisen]. Nur knapp 14
Prozent hatten einen passenden Hochschulabschluss.
Auch Jann-Harro Petersen, ein weiterer Hauptreferent der Veranstaltung und
Mitglied der „Bundesvertretung“ der „Freien Bauern“, ist kein Akademike…
sondern Realschulabsolvent und Agrarbetriebswirt, wie er auf der
Veranstaltung berichtete. „Ein ganz wichtiger Stoff für uns ist das CO2 für
die Photosynthese“, sagte Petersen. Eine Selbstverständlichkeit, aber
nachdem auf der Bühne knallharte Leugner des menschengemachten Klimawandels
gesprochen hatten, konnte das als Plädoyer gegen Klimaschutz verstanden
werden.
Viele Bauern sind gegen Klimaschutz, weil er sie Geld kosten könnte. Zum
Beispiel dann, wenn sie nicht mehr so viele Tiere halten dürften. Aber wie
Maaßen, Barbe und Krall propagierte Petersen auch rechtsradikale,
agrarferne Narrative. So sorgte er für Gelächter im Publikum auf Kosten von
Menschen, die sich nicht mit dem bei Geburt zugeschriebenem Geschlecht
identifizieren: „Ich bin verheiratet und habe vier Kinder, die alle ihr
Geschlecht kennen.“
## Schlagwörter von Verschwörungsmystikern
Petersen benutzte gleich mehrere Schlagwörter einschlägiger
Verschwörungsmythen. In erster Linie feuerte er gegen die Stiftung
Weltwirtschaftsforum (WEF), um die 17 Ziele für Nachhaltige Entwicklung zu
kritisieren. Dabei sind die Ziele „Kein Hunger“ oder „Keine Armut“ von …
Vereinten Nationen beschlossen worden. An der UNO hatte Petersen nur
auszusetzen, dass ihr Generalsekretär António Guterres ist, weil der lange
Jahre Vorsitzender der Sozialistischen Internationale gewesen sei. „Was
macht so ein Mann dann dort?“, kritisierte der Landwirt. Dabei waren sogar
so gemäßigte Parteien wie die SPD Gründungsmitglieder der Sozialistischen
Internationale, und Guterres’ Partido Socialista ist eine der beiden
Volksparteien Portugals.
Petersen kritisierte im Zusammenhang mit den Nachhaltigkeitszielen auch die
Philosophie des „Transhumanismus“. „Also: der Mensch hat keinen freien
Willen. Das ist alles abgelaufen. Wir können einen Menschen kreieren“, so
der Bauer. Am Transhumanismus arbeitet sich auch die Verschwörungs- und
Coronaleugnerszene gern ab. Aber er hat nichts mit den
UN-Nachhaltigskeitszielen wie sauberes Wasser oder Klimaschutz zu tun.
## Umweltbewusste „fressen“ nur „Pampe“ und „Ungeziefer“
Wer nicht seine Produkte, Milch und Fleisch, konsumiert, wurde von Petersen
herabgewürdigt. Man betreibe „Selbstkasteiung“, wenn man Hafermilch trinkt,
denn sie „schmeckt widerlich“, sagte er mit aggressivem Tonfall. Nach dem
Willen des WEF sollten die Menschen eine „minderwertige Pampe fressen“ und
natürlich „Ungeziefer“. Solche Tiraden wissen AfD-Anhänger für sich zu
nutzen. Im Chat wurde mehrmals für die Rechtsradikalen geworben, ohne dass
die Moderatoren einschritten – obwohl Guhl anfangs die Regel ausgegeben
hatte, für Parteien dürfe bei der Veranstaltung „keine Werbung gemacht“
werden.
In Bayern zumindest punktet die AfD bei Bauern bislang kaum. Die Freien
Wähler hingegen bekamen bei der Landtagswahl am 8. Oktober [3][37 Prozent
der Landwirtsstimmen]. Die Bundesvereinigung der Freien Wähler ist nicht so
fremdenfeindlich wie die AfD und leugnet auch nicht den menschengemachten
Klimawandel. Aber: Ihr Bundesvorsitzender Hubert Aiwanger ist bekanntlich
der Meinung, dass „die schweigende große Mehrheit dieses Landes sich die
Demokratie wieder zurückholen muss“. In seiner Jugend wurde er mit einem
[4][antisemitischen Flugblatt] ertappt und fiel nach Aussage eines
ehemaligen Mitschülers durch [5][Hitlergrüße und „Judenwitze“] auf.
17 Oct 2023
## LINKS
[1] https://www.bmel-statistik.de/fileadmin/daten/0111001-2022.pdf
[2] https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2021/09/PD21_N053_13.h…
[3] https://www.agrarheute.com/politik/so-haben-bayerns-bauern-landtagswahl-abg…
[4] https://www.sueddeutsche.de/projekte/artikel/politik/aiwanger-auschwitz-fre…
[5] https://www.br.de/nachrichten/bayern/ex-mitschueler-spricht-ueber-aiwanger-…
## AUTOREN
Jost Maurin
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