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# taz.de -- Ausstellung über Künstleraktivisten-Trio: Liebe als Aufklärung
> Die Künstler von General Idea ließen Bilder viral gehen, vor allem, wenn
> es um Aids ging. Das zeigt eindrücklich eine Schau im Berliner Gropius
> Bau.
Bild: Collage aus veröffentlichten Magazinfotos: „Portrait of General Idea�…
Wie Bilder zirkulieren können, ja viral gehen, das haben die drei Kanadier
von General Idea früh zu einer Kunstform gemacht. Mit einem verwegenen
Humor wandelten sie von den 1970ern bis 1990ern Logos und Embleme der
Medienwelt ab, setzten schwule Pudel auf Adelswappen, zeichneten auf
Gemälden mit Ringelnudeln das Marlboro-Logo nach.
Sie bedienten sich frei im Bilderkanon der Kunstgeschichte; Raffaels „Drei
Grazien“, Piet Mondriaans Kompositionen, Frank Stellas analytische Malerei
– sie alle wurden mit der queeren Ikonografie der Gruppe überblendet,
medial weiterverwertet. Felix Partz, Jorge Zontal und AA Bronson
publizierten zunächst von Toronto aus, später in New York oder Amsterdam
eigene Magazine und vermeintliche Fernsehsendungen.
General Idea nahm das Phänomen des Viralen vorweg, lang bevor es zum
Begriff für eine weite Verbreitung in den heutigen Social Media wurde. Ihre
androgyne Kunstfigur eines blonden jungen Mannes namens Billy mit adrettem
Scheitel, Milchglas in der Hand und einem Milchbart über der Oberlippe, der
empfindlich an den Hitler-Bart erinnert, lächelte 1979 süß von der vierten
Ausgabe ihres FILE-Magazins.
Das Bild von „Nazi Milk“ wäre heute ein Meme in der Netzkultur. Und es
zeigt, wie satirisch Partz, Zontal und Bronson im damals konservativen
Kanada öffentlich mit Tabus brachen. Partz kam aus einer jüdischen Familie,
sein Vater hatte Auschwitz überlebt.
## Aids und Stigma
Bilder viral zu machen, sie wie einen Virus zu verbreiten, diese Strategie
ist auch die künstlerische Aneignung einer eigentlichen Katastrophe. Denn
General Idea erlebte in den 1980er Jahren in New York, wie AIDS zu einer
verheerenden Epidemie wurde. Der HI-Virus war noch unerforscht, die
Infizierten wurden von der lang tatenlosen Reagan-Regierung geradezu
stigmatisiert und ausgeschlossen.
Künstler wie [1][David Wojnarowicz], Félix González-Torres, [2][Nan
Goldin], sie machten eine Verelendung HIV-Infizierter öffentlich sichtbar,
die man in den konservativen USA bei einer Krankheit, die mit Sexualität zu
tun hat, so gerne übersehen wollte. Diese Szene in New York betrieb einen
„kulturellen Aktivismus“, wie der Kunstkritiker Douglas Crimp 1987 in einem
wichtigen Essay zur AIDS-Krise schrieb.
Auf dem Höhepunkt der Krise schaltete sich General Idea in diesen
Aktivismus ein, mit einem Werk, das zu einer Ikone werden sollte: Sie
nahmen das berühmte LOVE-Logo des Pop Art-Künstlers Robert Indiana von 1966
und ersetzten in gleicher Typografie und Farbgebung das Wort LOVE mit den
Akronymen AIDS. Ihr AIDS-Logo reproduzierten sie von 1987 bis 1994 auf
Gemälden, Postern, Videos und Skulpturen.
Sie brachten es an U-Bahnen oder Plakatwänden in Städten weltweit an. Im
Berliner Gropius Bau ist gerade eine ganze Halle mit dem Logo gesäumt. Dort
eröffnete jetzt, 40 Jahre nachdem Aktivisten in der Berliner Schwulenbar
„Knolle“ die Deutsche AIDS-Hilfe gründeten, eine beeindruckende
Retrospektive der kanadischen Künstlergruppe.
## Love als Message
Und die ist auch mit der [3][Geschichte von AIDS in Deutschland] verbunden.
Denn General Idea übertrug Rechte für das Logo an die damalige
Arbeitsgemeinschaft Deutscher Aidsstiftungen in einer Variante mit den
westdeutschen Farben Schwarz, Rot, Gold. Im Gropius Bau ist ein originaler
Lotterie-Schein der Aidsstiftungen von 1989 zu finden.
Schirmherrin der Lottoaktion war Rita Süssmuth. Die hatte sich als
Bundesgesundheitsministerin, auch gegen den bürgerlichen Kurs der CDU, früh
für Aufklärung in der HIV-Krise eingesetzt. Die aktivistische Kunst von
General Idea, sie gab ebenfalls Süssmuths Gesundheitspolitik ein Emblem.
Politischer Aktivismus in der Kunst wird heute zu Recht seit der
documenta-Debatte infrage gestellt, vor allem, wenn er Feindbilder
produziert. Doch General Idea förderte durch ihre Kunst auf eine offene,
gar fröhliche Art Aufklärung und Solidarität in einer mit viel moralischer
Verklemmung behafteten Gesundheitskrise. Nicht zuletzt schimmert auch immer
noch das originale LOVE als Message aus ihrem Logo hervor.
Dass General Idea über ihren Aktivismus hinaus auch die jüngere
Kunstgeschichte mitgeschrieben hat, wird in der großen Berliner Schau
deutlich: Fluxus, Konzeptkunst, Appropriation Art der Postmoderne, daran
nahm die Gruppe über 30 Jahre aus ihrem queeren Underground heraus teil.
AIDS bleibt aber das schwere Leitmotiv ihrer Kunst. Felix Partz und Jorge
Zontal starben beide 1994 an den Folgen einer HIV-Infektion.
24 Sep 2023
## LINKS
[1] /Todestag-von-New-York-Ikone-Wojnarowicz/!5865776
[2] /Fotografin-ueber-US-Opioidkrise/!5605942
[3] /Aids-in-der-Bundesrepublik/!5505290
## AUTOREN
Sophie Jung
## TAGS
Schwerpunkt HIV und Aids
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