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# taz.de -- Innovationen in der Schifffahrt: Klar zur Wende!
> Schiffe sind schlecht für die Umwelt, doch an ihnen hängt unser
> Wirtschaftssystem. Wie kann sich die Branche verbessern?
Schiffe sind groß, schwer und stinken nach Öl. Ein typisches großes
Containerschiff wiegt vollbeladen ungefähr so viel wie die Brooklyn Bridge,
die Freiheitsstatue und das Empire State Building zusammen: Unfassbare
400.000 Tonnen bewegen sich schwimmend um den Globus.
Hinter sich her zieht fast jedes Schiff eine flirrende Wolke aus Methan,
Rußpartikeln und Stickoxiden. Weltweit verursachen Schiffe 15 Prozent der
Luftverschmutzung und etwa eine Milliarde Tonnen Kohlendioxidemissionen.
Sie sind damit für stolze 2,9 Prozent der gesamten vom Menschen
verursachten Treibhausgasemissionen verantwortlich, also ungefähr so viel
wie ganz Deutschland.
Schifffahrt ist vor allem deshalb eine Herausforderung für den Klimaschutz,
weil der Sektor für unser aktuelles Wirtschaftssystem unverzichtbar ist.
Schiffe bewegen mehr als 80 Prozent aller weltweiten Waren und sichern
allein in Europa Millionen Arbeitsplätze. Dabei laufen sie fast nur mit
Verbrennung, und zwar von extradreckigem, emissionsintensivem Schweröl.
Das Positivste, was man über Containerschiffe sagen kann, ist, dass sie
immer noch besser sind als Fliegen. Tatsächlich gilt der Seeverkehr als die
effizienteste Transportform. Da hören die guten Nachrichten aber schon auf.
Denn während viele Züge jetzt bereits mit erneuerbaren Energien fahren und
Pepsi gerade die ersten E-Laster testet, steht bei der Schifffahrt noch
nicht einmal fest, welcher Antrieb in Zukunft das Schweröl ersetzen kann.
Am einfachsten könnte man natürlich Emissionen sparen, indem man weniger
Schiffe braucht. Die Menschheit müsste nur ihre Wachstums- und Konsumgier
überwinden, dann gäbe es weniger weltweites Hin und Her von Handys,
Wegwerfklamotten und Alaska Seelachs. Allerdings hält sich unsere Hoffnung
darauf eher in Grenzen und der Klimawandel drängt zu schnell greifenden
Lösungen. Davon gibt es schon einige.
Klimaschutz muss über Konsumkritik hinausgehen. In der Schifffahrt wird das
besonders deutlich, weil sich die öffentliche Debatte häufig um
Kreuzfahrten dreht, also um individuellen Spaß und Konsum. Aber auch wenn
es viele gute Gründe gibt, seine Ferien nicht auf einem schwimmenden
Freizeitpark mit miserabler Umweltbilanz zu verbringen – die
Kreuzfahrtschiffe machen nur etwa drei Prozent der Schifffahrtsemissionen
aus. Sie einzusparen ist gut und wichtig, aber für den Rest braucht es
ebenfalls Lösungen.
Auch auf politischer Ebene ist die Transformation der Schifffahrt eine
Herausforderung: Sie ist ein globales Problem, bei dessen Lösung sich
unzählige Akteure einig werden müssen. Die Kosten für die Transformation
schätzen [1][Studien] auf weit über 30 Milliarden US-Dollar jährlich. Damit
Unternehmen ihren Anteil übernehmen, bräuchte es internationale Regeln. Die
dafür zuständige Organisation der Vereinten Nationen, die IMO, gilt
allerdings als schwergängig und anfällig für Lobbyismus.
Erst vor dem IMO-Gipfeltreffen 2018 wuchs die Aufmerksamkeit fürs Thema
Klimaschutz genug, um Bewegung in die Debatte zu bringen. Unter dem Druck
einer Initiative von 45 Ländern einigte man sich endlich auf Emissionsziele
für die internationale Schifffahrt.
Letzten Monat, im Juli 2023, wurden sie weiter angehoben: Bis zirka 2050
soll es keine Emissionen mehr geben, und auf dem Weg dahin sollen sowohl
neue als auch bereits fahrende Schiffe verbindliche Vorgaben erfüllen. Die
Regelungen haben noch viel Luft nach oben: Die Zielvorgaben sind oft vage,
und für das 1,5 Grad Ziel wäre eigentlich ein Ausstieg bis 2040 nötig, also
10 Jahre früher. Trotzdem gelten die IMO-Beschlüsse als historisch, denn
zum ersten Mal hat eine Organisation Ausstiegsziele für eine ganze Branche
beschlossen. Aus dem Nachteil internationaler Verantwortung wurde ein
Vorteil.
Und dass Vorgaben der IMO Gewicht haben, hat sich bereits gezeigt. Seitdem
sie den Schwefelanteil im Schiffsbenzin begrenzt, sind die entsprechenden
Emissionen so weit gesunken, dass man die Veränderung vom Weltall aus in
den Wolkenformationen sehen kann.
## Was ersetzt das Schweröl?
Rückenwind bekommt die IMO von der EU. Die hat nämlich festgelegt, dass nun
[2][auch die Schifffahrt Emissionszertifikate] kaufen muss.
Handelsunternehmen müssen also für die Emissionen, die sie durch den
Schiffstransport verursachen, Geld an die EU zahlen. Gut ein Fünftel der
weltweiten Schifffahrtsemissionen sind davon betroffen. Solche regionalen
Initiativen können internationale Beschlüsse wie den von der IMO
begünstigen. Die Branche fürchtet sich vor regulatorischen Flickenteppichen
und passt dann notgedrungen lieber alles an [3][die strengeren Maßstäbe]
an.
Containerschiffe können bis zu 50 Jahre alt werden. Das heißt einerseits,
dass die umweltschädlichen Modelle, die aktuell genutzt werden, noch eine
ganze Weile über die Meere schippern könnten. Andererseits spornt diese
Langfristigkeit Investor:innen an, den angekündigten
Regelverschärfungen voraus zu sein. Schließlich will man kein Geld für ein
Schiff ausgeben, das in wenigen Jahren technisch herhinkt. Gerade ist kaum
absehbar, welche Technologien sich durchsetzen werden. Nur eines ist
sicher: Möglichkeiten gibt es viele.
Eine, die aktuell sämtliche Verkehrsmittel betrifft, sind Elektromotoren.
Für Containerschiffe müssten die Akkus allerdings so groß sein, dass das
nicht im Bereich des Machbaren liegt. Doch längst nicht alle 60.000 Schiffe
der Welthandelsflotte kreuzen tatsächlich über die Weltmeere. Kleinere
Schiffe, [4][zum Beispiel Fähren oder Passagierschiffe], legen häufiger an
und könnten aufgeladen werden.
Für größere Schiffe kommen eher alternative Treibstoffe in Frage.
Vereinzelte Reedereien nutzen diese bereits: Die zweitgrößte
Containerschiffreederei der Welt, die dänische Maersk-Gruppe, hat
[5][mittlerweile 25 Methanolschiffe] bestellt. Als einzige Reederei gesellt
sie sich zu den Gründungsmitgliedern der First Movers Coalition. Die
Mitglieder verpflichten sich unter anderem, ab 2030 ausschließlich
emissionsfreie Treibstoffe für neue Schiffe zu verwenden und alte Schiffe
bis 2030 so anzupassen, dass sie ebenfalls keine Emissionen verursachen.
Auch die viertgrößte Reederei Cosco Shipping hat 12 Methanolschiffe in
Auftrag gegeben. Mehrere japanische Reedereien haben Ammoniakschiffe
bestellt. Auch bei den Logistikunternehmen tut sich etwas – gerade haben
sich zum Beispiel Hapag Lloyd und die Deutsche Bahn zusammengeschlossen, um
gegen einen Aufpreis Transporte mit weniger Emissionen anzubieten. Indem
sie gebrauchtes Speiseöl unter das Schweröl mischen, wollen sie die
Emissionen der Schiffe um 26 Prozent senken.
Um die Transformation zu nachhaltigen Kraftstoffen zu beschleunigen, könnte
man regional und international grüne Korridore einrichten, also
Schiffsrouten, auf denen nur mit emissionsfreien Kraftstoffen gefahren
werden darf.
In Frage kämen zum Beispiel der Eurasische Schiffsverkehr durch den
Suezkanal und die Eisenerzroute zwischen Australien und Japan. Viele
japanische Eisenerzabbauer haben sich längst Nettonullziele gesetzt, und
Australien hat gute Bedingungen für die Herstellung von Wasserstoff und
Ammoniak. Bis 2030 könnten auf dieser Route 1,2 Millionen Container
CO2-neutral transportiert werden.
## Langsam fahren und Strom vom Festland nutzen
Für alle Schiffsrouten könnte man darüber hinaus das einführen, was im
Sinne der Nachhaltigkeit auch für deutsche Autobahnen gelten sollte: Macht
mal langsam! Tatsächlich könnte schon eine Drosselung um 1,85
Stundenkilometer – oder, wie es unter Seefahrer:innen heißt: 1 Knoten –
ein Viertel des Kraftstoffverbrauchs sparen! Außerdem sorgt Verlangsamung
für ein bedeutend kleineres Zusammenstoßrisiko mit Walen. Das sind gleich
zwei gute Gründe, auch als Privatperson bei Bestellungen weniger Wert auf
eine schnelle Lieferzeit zu legen.
Sollte sich die IMO auf eine CO2-Steuer einigen, würde das Anreize
schaffen, das Tempo zu senken. Dieses Jahr ist sie damit erneut
gescheitert. Auf regionaler Ebene bremsen Niedrigemissionszonen wie die vor
der Küste des US-amerikanischen Bundesstaats Kalifornien Schiffe bereits
aus. Doch die Vorteile des Langsamfahrens haben physikalische und
logistische Grenzen.
Darüber hinaus könnte auch der absolute Stillstand aus umweltpolitischer
Sicht besser laufen: Während des Aufenthalts in Häfen wird die elektrische
Energie, die etwa für die Crew und die Beleuchtung gebraucht wird, meist
mit den Motoren an Bord erzeugt. Dabei könnte die Energie auch übers Land
bereitgestellt werden. Nur sind bislang die Energiekosten und Steuern noch
zu teuer, als dass es sich für die Logistikunternehmen lohnen würde.
Wenn die Motoren für alle Aufenthalte abgestellt werden könnten, würde das
die Luftqualität in Hafenstädten massiv verbessern – und damit auch der
Gesundheit ihrer Bewohner:innen zugute kommen. Die schlechte Luft ist
ein Risikofaktor für Herz- und Lungenerkrankungen, Allergien, Entzündungen
und Asthma.
Eine [6][Studie] hat die Kosten für den Umbau und die der gesundheitlichen
Schäden durch schlechte Luft gegeneinander aufgerechnet. Sie zeigt, dass
die Infrastrukturkosten schon innerhalb von 12 bis 13 Jahren wieder
reingeholt würden. Dafür würde es schon reichen, wenn nur eine Mehrheit der
Kreuzfahrtschiffe umstellt.
## Frischer Lack macht flink
Eine der effektivsten Methoden, Emissionen zu sparen, braucht statt
technischer Durchbrüche eher eine Handvoll Bürsten. Denn Biofouling – Algen
und sämtlicher anderer Meeresbewuchs – behindern den Motor und verstärken
im Wasser den Widerstand. Regelmäßige Reinigungen können die
Energieeffizienz um 40 Prozent steigern und sind damit auch im
unternehmerischen Interesse.
Forscher:innen arbeiten zudem an Lackierungen, die Miesmuscheln und
Meerespocken abhalten sollen, und das möglichst ohne ihnen zu schaden. Das
Fraunhofer Institut entwickelt gerade einen Lack, der bei Bedarf leicht
unter Strom steht. Was folgt, ist eine chemische Reaktion, die das Wasser
in der Umgebung saurer macht und damit für die Meeresbewohner ungemütlich.
Auf dem Markt ist der Lack bisher nicht, an seiner Anwendbarkeit wird noch
getüftelt.
Für extra Gleitgeschwindigkeit ist die sogenannte Air Lubrication bereits
in der Anwendung, also Luftgleitmittel. Während der Fahrt strömen dabei
Luftbläschen aus dem Rumpf des Schiffes und vermindern den
Wasserwiderstand.
Großes Potenzial sehen Expert:innen zudem in Techniken, die die
Wasserströmung bündeln, damit die Schiffsschraube effizienter arbeiten
kann. Helfen könnten dabei zum Beispiel ein zweiter Rotor oder eine
[7][große Röhre vor der Schraube]. Letztere ist laut Angaben des
Herstellers Becker Marine Systems vor allem für große Schiffe geeignet und
kann bis zu acht Prozent des Energieverbrauchs einsparen. 2022 gewannen die
Erfinder dafür den Deutschen Umweltpreis.
Eine weitere Möglichkeit, Energie zu sparen, wäre, einen Teil der Energie
wieder einzufangen, die beim Verbrennen und Kühlen verloren geht. Sie
verpufft ungenutzt, als Reibung und Wärme. Dabei könnte sie Dampfturbinen
antreiben und Strom produzieren oder das Duschwasser für die Besatzung
erhitzen. Mit der Wärmerückgewinnung könnte man zweistellige
Energieprozente einsparen.
Gut für das Klima wäre es auch, wenn man die Schadstoffe, die beim
Verbrennen entstehen, wirksam abfangen könnte. Doch das liegt noch in
weiter Ferne.
## Den Wind nutzen
Die wohl meist-gehypte Technologie der Schiffsbranche ist dafür
bemerkenswert naheliegend: Wind. Der hat den Vorteil, dass er schon da ist,
vor allem auf See. Man muss ihn nicht speichern oder transportieren,
sondern nur unterwegs einfangen. Die Idee vom Segeln ist nun nicht gerade
neu, sondern schon etwa 7.000 Jahre alt.
Doch Containerschiff-Segel sind besonders. Sie sind auf die Bedürfnisse der
modernen Frachter ausgerichtet: Sie beschränken zum Beispiel die Ladefläche
kaum und lassen sich vor Brücken einfahren. Manche sehen nicht einmal aus
wie Segel. Getestet werden aktuell besonders Softwings, Kitedrachen und
Rotorsegel. Bei gutem Wind können Segelantriebe 60 Prozent der Schubkraft
einsparen, die sonst von Kraftstoffen geleistet werden muss.
All diese Lösungen zusammengenommen können uns überraschend weit bringen.
Dass die IMO von großen neuen Containerschiffen jetzt schon verlangt, den
durchschnittlichen Energieverbrauch von vor 2008 fast zu halbieren, zeigt,
wie viel Potenzial für Verbesserung in der Flotte steckt.
Manche Innovationen zielen auf Stromlinienförmigkeit oder das Gewicht des
Rumpfes. Andere bräuchten bloß eine Nachrüstung des Motors und Rotors, und
wieder andere nur ein Softwareupdate. Und allein mit Wind, langsameren
Tempo und den alternativen Treibstoffen wäre die halbe Strecke zur
vollständigen Dekarbonisierung schon geschafft, [8][berechnet die
Umweltberatungsfirma CE Delft].
Dass das, was jahrzehntelang unmachbar wirkte, plötzlich weitgehend lösbar
scheint, ist ein gemeinschaftlicher Erfolg. Das wachsende Klimabewusstsein
hat die Forschung der letzten zehn Jahre angetrieben. Auf das neue Wissen
können Unternehmen nun unter dem Druck der Regulierungen zugreifen. Die
Wende zur Nachhaltigkeit in der Schiffsbranche gelingt so schwergängig wie
[9][die eines Containerschiffes]. Aber jetzt, da alle Beteiligten wissen,
an wie vielen Schrauben sie drehen können, gibt es keine Entschuldigung
mehr, sie zu bremsen.
2 Sep 2023
## LINKS
[1] https://www.4i-traction.eu/sites/default/files/2023-05/4iT_Discussion%20Pap…
[2] /Klimaschutz-im-Schiffsverkehr/!5900004
[3] /Zukunft-der-maritimen-Wirtschaft/!5942095
[4] /Umweltfreundlicher-Verkehr/!5923362
[5] /Schifffahrt-ohne-Diesel/!5890079
[6] https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S2210539515000589
[7] /Optimierung-von-Schiffsantrieben/!5876593
[8] https://www.transportenvironment.org/discover/can-slashing-shipping-emissio…
[9] /Kulturgeschichte-brennender-Schiffe/!5944155
## AUTOREN
Franca Parianen
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aus.
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