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# taz.de -- Wohnungsmarkt in Deutschland: Möbelstücke hebeln Mieterschutz aus
> Eine Untersuchung des Justizministeriums zeigt, dass Schlupflöcher bei
> der Mietpreisbremse ausgenutzt werden – etwa durch möbilierte Wohnungen.
Bild: Teure Miete? Der Aufpreis für Möblierung muss bislang gesetzlich nicht …
Berlin taz | Wer auf der [1][Suche nach einer neuen Bleibe] ist, wird dem
Phänomen schnell begegnen: Auf den gängigen Immobilienportalen gibt es
immer mehr Wohnungen, die möbliert vermietet werden – und das sind nicht
unbedingt die Schnäppchen auf dem Wohnungsmarkt.
Einzimmerwohnung in Berlin, 55 Quadratmeter für 2.100 Euro Pauschalmiete
pro Monat lautet zum Beispiel ein Angebot im August. Das wären fast 39 Euro
pro Quadratmeter. Jutta Hartmann vom Deutschen Mieterbund beobachtet diese
Entwicklung schon seit Jahren: „Meist sind solche Angebote reine Abzocke.“
Denn auch für möblierten Wohnraum gilt [2][grundsätzlich die
Mietpreisbremse]. „Das wissen aber viele nicht“, berichtet Hartmann.
In der Praxis gibt es zwei Probleme. Erstens: Da der Aufschlag für die
Möblierung gesetzlich nicht ausgewiesen werden muss, ist es für
Mieter*innen meist schwer zu überprüfen, wie sich die Miete
zusammensetzt. Wie hoch der Zuschlag sein darf, ist auch nicht geregelt.
Sprich: Mieter*innen können nicht einfach einsehen, ob die
Mietpreisbremse eingehalten wurde oder nicht. „Bei den Mondpreisen, die
teils aufgerufen werden, müssten die Möbel schon aus Gold sein“, kritisiert
Hartmann. Der Mieterbund fordere deshalb schon seit Langem, gesetzlich mehr
Transparenz zu schaffen, indem Vermieter*innen dazu verpflichtet
werden, den Möblierungsaufschlag auszuweisen.
## Eigentlich nur in Ausnahmefällen zulässig
Das zweite Problem ist komplizierter. Es betrifft die Vermietung möblierter
Wohnungen auf kurze Zeit. Eigentlich ist eine zeitliche Befristung von
Mietverträgen nur in Ausnahmefällen zulässig – zum Beispiel, wenn ein
Eigentümer nach einer gewissen Zeit selbst einziehen möchte oder eine
größere Modernisierung plant.
Werden Wohnungen aber „zum vorübergehenden Gebrauch“ vermietet, dann gelten
ganz offiziell keine Mieterschutzregeln – so steht es im Paragraf 549 des
Bürgerlichen Gesetzbuches. „Gedacht ist das eigentlich für Menschen, die
eine Wohnung wirklich nur für kurze Zeit benötigen, etwa für eine Kur, eine
Fortbildung oder einen befristeten Arbeitseinsatz“, erklärt Hartmann.
Wichtig sei, dass die Mieter*innen ihren Lebensmittelpunkt woanders
haben und der Zweck für die Anmietung ein klares Ende vorsieht.
## Was bedeutet „vorübergehend“?
Doch ein Problem ist: Es ist gesetzlich nicht klar definiert, welcher
Zeitraum als „vorübergehend“ gilt. Schon seit Längerem wird diskutiert, ob
die Vermietung von möblierten Wohnungen, oftmals auf Zeit, derart zunimmt,
weil sich damit die [3][Mietpreisbremse leichter umgehen] lässt.
Dieser Frage widmete sich zuletzt eine Untersuchung von Oxford Economics,
beauftragt vom Bundesjustizministerium. „Empirische und
rechtswissenschaftliche Untersuchung des möblierten Mietwohnungsmarktes“
lautet der Titel des [4][135-seitigen Papiers]. Für die Untersuchung wurden
öffentlich zugängliche Inseratsdaten analysiert und unter anderem
Vermieter*innen, Expert*innen und Mieter*innen befragt.
Eine zentrale Erkenntnis: Das möblierte Wohnen ist längst kein Nischenmarkt
mehr. Laut Untersuchung werden möblierte Wohnungen häufig in Groß- und
Studentenstädten sowie in wachsenden Regionen angeboten. Waren 2013
bundesweit etwa 19 Prozent aller öffentlichen Inserate möblierte Wohnungen,
waren es 2022 bereits 27 Prozent. Doch offenbar ist der Bedarf danach nicht
gleichermaßen gestiegen.
## Einkommensverhältnisse variieren stark
Zwei Drittel der befragten Mieter*innen gab an, nicht gezielt nach
möbliertem Wohnraum gesucht zu haben. Von dieser Gruppe entschieden sich
dann 40 Prozent im Laufe der Suche dann doch bewusst für eine möblierte
Wohnung, zum Beispiel, weil ihnen die Lage gefiel. 31 Prozent aber mussten
auf den möblierten Markt ausweichen, weil sie auf dem unmöblierten Markt
nichts gefunden haben – das sind laut Untersuchung tendenziell
„einkommensschwächere Nachfrager“.
Insgesamt scheinen die Einkommensverhältnisse stark zu variieren. 17
Prozent der befragten Mieter*innen hatten ein Haushaltsnettoeinkommen
von mehr als 3.500 Euro pro Monat. Mehr als ein Drittel der Befragten
verfügt über weniger als 1.500 Euro netto pro Monat.
Neben der zunehmenden Verbreitung ist in den ausgewerteten Inseraten auch
ein deutlicher Preisanstieg zu verzeichnen. So stiegen die Angebotsmieten
für unmöblierte Wohnungen im Zeitraum 2013 bis 2022 um 38 Prozent von etwa
7 Euro auf 9,70 Euro pro Quadratmeter. Die Angebotsmieten für möblierte
Wohnungen stiegen hingegen von etwa 14,10 Euro auf ca. 21,20 Euro pro
Quadratmeter – dieser Anstieg um 50 Prozent kann nicht nur auf gestiegene
Nebenkosten zurückgeführt werden.
## Weniger unbefristete Mietverträge
Zwar sehen die Autor*innen der Studie „keine Indizien für eine
umfassende strategische Umwandlung“ von nichtmöbliertem zu möbliertem
Wohnraum. Doch Vermieter*innen möblierter Wohnungen scheinen die
Mietpreisbremse, die 2015 eingeführt wurde, „zum Anlass genommen zu haben,
ihre Möblierungszuschläge zu erhöhen“.
Insbesondere bei möblierten Wohnungen mit Pauschalmieten, die eher dem
vorübergehenden Gebrauch zuzuordnen sind, habe „die Mietpreisbremse zu
einem signifikanten Anstieg der Möblierungszuschläge“ beigetragen. Der
Zuschlag werde auch laut interviewter Vermieter*innen eher „Pi mal
Daumen“ berechnet.
Was im Zusammenhang mit der Mietpreisbremse aber noch interessanter ist:
Zwischen 2013 und 2022 ist die Anzahl möblierter Wohnungen, die unbefristet
angeboten werden und der Mietpreisbremse unterliegen, von etwa 58 Prozent
auf 41 Prozent gesunken. Gleichzeitig stieg der Anteil der möblierten
Wohnungen zum „vorübergehenden Gebrauch“ von 42 auf 59 Prozent. Diese
Verschiebung hat insbesondere Ende 2015, Anfang 2016 stattgefunden –
korreliert also mit der Einführung der Mietpreisbremse.
## Erkenntnisse und Empfehlungen passen nicht zusammen
Die Autor*innen der Studie vermuten, „dass die Vermieter möblierten
Wohnraums auf die Einführung der Mietpreisbremse reagiert haben, indem sie
versuchen, nur noch zum vorübergehenden Gebrauch zu vermieten, weil diese
Vermietungsform nicht unter die Mietpreisbremse fällt“. Sprich: Eine
bewusste Umgehung der Mietpreisbremse vonseiten der Vermieter*innen
erscheint sehr wahrscheinlich – dass Mieter*innen dagegen vorgehen, eher
nicht.
Denn nur etwa 36 Prozent der befragten Mieter*innen wussten, dass die
Mietpreisbremse auch für möblierte Wohnungen gilt. Vermieter*innen
kannten zwar den Geltungsbereich der Mietpreisbremse, doch häufig wurde der
Ausnahmebestand des vorübergehenden Gebrauchs nicht korrekt angewendet.
So heißt es im Bericht, ein Großteil der Vermieter*innen beachte „die
zulässige Befristungsdauer für eine Vermietung zum vorübergehenden
Gebrauch“ nicht. In der vorherrschenden Rechtsprechung würden „sechs Monate
als maximale Dauer für einen nur vorübergehenden Gebrauch“ gewertet. Doch
laut Untersuchung ging die überwiegende Mehrheit der Mietverträge über die
sechs Monate hinaus. Viele Privatvermieter*innen sowie auch die
Vermarktungsplattform Wonderflats orientierte sich „an einer magischen
Obergrenze von einem Jahr“, heißt es im Bericht. Des Weiteren seien
Kettenverträge offenbar üblich.
Auffällig ist nur: Die Erkenntnisse und die Handlungsempfehlungen passen
nicht so recht zusammen. Die Studienautor*innen empfehlen zwar,
politisch „ein objektiv messbares Kriterium für den Ausnahmetatbestand
festzulegen“ – etwa „die Vorgabe einer bestimmten Mietdauer“. Doch obwo…
die Studie klar darlegt, dass der Möblierungszuschlag nicht transparent
geregelt ist, halten die Autor*innen eine gesetzliche Pflicht zur
Offenlegung des Zuschlags“ für „entbehrlich“. Des Weiteren wird empfohle…
besser über die Mietpreisbremse zu informieren und den Neubau
voranzutreiben.
## FDP begrüßt Neubauempfehlung
Das FDP-geführte Justizministerium, das die Studie in Auftrag gegeben hat,
begrüßte in einer schriftlichen Einschätzung die Neubauempfehlung und
betonte, dass die Mietpreisbremse „nicht zu einer systematischen Umwandlung
von Leerwohnungen in möblierte Mietwohnungen geführt hat“. Es gebe in der
Rechtspraxis aber eine „gewisse Unsicherheit“, wann Wohnungen zum
vorübergehenden Gebrauch vermietet werden dürfen. Ob sich daraus
„gesetzgeberische Maßnahmen“ empfehlen, werde noch geprüft. Einen
Zeitrahmen konnte das Justizministerium auf Nachfrage nicht nennen.
Anders reagierte das SPD-geführte Bauministerium. „Dieses Schlupfloch der
Mietpreisbremse muss dringend geschlossen werden“, erklärte ein Sprecher
gegenüber der taz. Die aktuelle Studie von Oxford Economics zeige neben der
Intransparenz für Mieter*innen, „dass nur eine Minderheit gezielt nach
einer möblierten Wohnung gesucht hat“. In vielen Fällen sei es eine
Entscheidung mangels Alternativen.
Verwunderlich sind die unterschiedlichen Reaktionen nicht. Die
Sozialdemokraten befürworten die Mietpreisbremse, die FDP ist traditionell
dagegen, auch wenn sie im Koalitionsvertrag einer Verlängerung bis 2029
zugestimmt hat. Ein ähnliches Stimmungsbild zeigte sich deshalb in den
Fraktionen. „Grundsätzlich hilft es nicht, Probleme immer nur wegregulieren
zu wollen“, sagte der wohnungspolitische Sprecher Daniel Föst der taz.
SPD-Politikerin Zanda Martens kritisierte hingegen, dass insbesondere
„Menschen mit geringem Einkommen auf vergleichsweise teure möblierte
Wohnungen ausweichen müssen“. Das sei ein „gravierenden Missstand“.
Canan Bayram (Grüne) wunderte sich zudem über die Handlungsempfehlungen,
diese passten nicht zu den Ergebnissen. „Die Realität von
Kettenvermietungen“ werde etwa überhaupt nicht berücksichtigt, so Bayram.
Caren Lay, Wohnungspolitikerin der Linkspartei, forderte, dass der
Möblierungszuschlag „gesetzlich klar definiert und gedeckelt werden“ müss…
Auch solle die Mietpreisbremse bei Kurzzeitvermietungen gelten und
Vermietende sollten „zur Transparenz gegenüber den Behörden verpflichtet
werden“. Kommunen bräuchten zudem genügend Personal, um die Einhaltung
kontrollieren zu können.
Ob die Bundesregierung jetzt handelt, ist unklar. In den Ampelparteien
scheint kein Konsens zu herrschen, ob Handlungsbedarf besteht. Immerhin war
im Juni [5][eine Bundesratsinitiative aus Hamburg und Bremen]
erfolgreich, der Bundestag wird sich also damit befassen müssen.
15 Aug 2023
## LINKS
[1] /Wohnungsnot-vor-allem-in-den-Staedten/!5943203
[2] /Umgehung-der-Mietpreisbremse/!5941210
[3] /Reiner-Wild-ueber-Wohnungsmarkt/!5878305
[4] https://www.bmj.de/SharedDocs/Publikationen/DE/Fachpublikationen/2023_Schlu…
[5] /Umgehung-der-Mietpreisbremse/!5941210
## AUTOREN
Jasmin Kalarickal
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