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# taz.de -- Krebserregender Baustoff in Wohnhäusern: Es droht die Asbest-Welle
> Die IG Bau warnt: Knapp 10 Millionen sanierungsbedürftige Bauten in
> Deutschland bergen Asbest. Eigentlich ungefährlich – bis die Sanierung
> ansteht.
Bild: Asbestsanierung in Berlin: Allein in der Hauptstadt sind wohl etwa 122.00…
Berlin taz | Deutschland hat ein Asbestproblem. Jetzt, da viele Altbauten
saniert würden, drohe gar eine „Asbest-Welle“, so die Industriegewerkschaft
Bauen-Agrar-Umwelt, IG BAU. Sie sei „eine Gefahr – für Bauarbeiter genauso
wie für Heimwerker“. Das krebserregende Zeug war als Baustoff lange beliebt
– ein billiger Brandhemmer, auch wärmedämmend, säurebeständig zudem. Vor
seinem Verbot 1993 ist er in Millionen von Häusern verarbeitet worden.
Er kann überall stecken. In den Dichtungen der Heizung im Keller oder in
der Verkleidung der Rohre, auch im Kleber von Parkett, Teppichboden oder
Badezimmerfliesen, genauso im Kitt der Fenster, in den Schächten für den
Aufzug oder für die Lüftung, in Fassaden- und Dachplatten auf dem
Gartenhaus, im Putz.
Betroffen vom Risiko: fast die Hälfte aller Wohngebäude in Deutschland.
Anders gesagt: Alle gut 9,4 Millionen Wohnhäuser, die zwischen 1950 bis
1990 gebaut wurden. Denn in dieser Zeit haben Ost und West rund 4,35
Millionen Tonnen [1][Asbest] importiert, eine eigene Asbestmine gab es hier
nie. „Es ist davon auszugehen, dass es in jedem Gebäude, das in diesen vier
Jahrzehnten gebaut, modernisiert oder umgebaut wurde, Asbest gibt. Mal
mehr, mal weniger“, sagt Carsten Burckhardt, im Bundesvorstand der IG BAU
für die Bauwirtschaft und den Arbeitsschutz zuständig.
Mittlerweile sind die Häuser in die Jahre gekommen. Ihre Modernisierung
steht an, damit Energie nicht weiter zum Fenster rausgejagt wird, damit sie
kein Hindernisparcours für die älter gewordenen Bewohner werden, damit sie
auch mehr Platz bieten in Zeiten von Wohnungsmangel. So müssen neue Etagen
aufs Dach gesetzt, Türen und Fenster ausgetauscht, Aufzüge nachgerüstet,
Treppenlifte eingebaut, Badewannen durch ebenerdige Duschen ersetzt werden.
Da lauert die laut Burckhardt „unsichtbare Gefahr“.
## Amalgam im Mund, Asbest im Haus
Denn beim Abschleifen, Abreißen und Abbrechen werden die zuvor fest
verbundenen Asbestfasern freigesetzt. Michael Kirsch von der
Bau-Berufsgenossenschaft meint, es sei ähnlich wie bei Amalgam in der
Zahnfüllung: „So lange nicht daran gebohrt, gefräst, geschliffen wird, geht
da auch keine Gefahr aus.“ Das ist auch als weitgehende Entwarnung für die
Bewohner der Gebäude zu sehen – solange sie nicht renovieren oder sanieren.
Die Asbestfasern – winzige Mineralfasern – sind tausend Mal kleiner als ein
menschliches Haar und nicht zu sehen. Darum [2][wissen Handwerkerinnen und
Handwerker oft auch nichts davon]. Die Wirkung, die sie auf Menschen haben,
treten Jahrzehnte später auf: Asbestose, Lungen-, Bauchfell-, Kehlkopf-,
Eierstockkrebs. Allein im Jahr 2017 starben so zum Beispiel 1.630 Personen;
die asbestbedingten Erkrankungen machten damit 63 Prozent aller Todesfälle
infolge einer Berufskrankheit aus. Das rechnete die Bundesanstalt für
Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin 2020 schon vor im Bericht „Nationales
Asbest Profil Deutschland“.
## Erste Warnungen gab es bereits 1898
Asbest ist ein gutes Beispiel dafür, wie aus frühen Warnungen erst spät
Konsequenzen gezogen wurden. Es galt lange als Mineral der tausend
Möglichkeiten, als „geiles Zeug“, sagt Burckhardt. Dabei habe es die „er…
eindeutige und glaubhafte Warnung“, erklärte die Europäische Umweltagentur
einmal, schon 1898 gegeben.
Da habe die britische Gewerbeaufsichtsbeamtin Lucy Deane geschrieben, dass
infolge der „schlimmen Wirkung von Asbeststaub“ der königliche Leibarzt den
Mineralstaub mikroskopisch untersucht habe. Die „scharfe,
glassplitterähnliche Form der Partikel“ sei klar erkennbar gewesen. „Wo
immer sie aufsteigen und sich selbst in geringen Mengen in der Raumluft
verteilen konnten, traten die erwarteten schädigenden Auswirkungen ein.“
Es sollte 100 Jahre dauern, bis sich die britische Regierung zu einem
Verbot von Asbest entschloss. Im darauffolgenden Jahr, 1999, schloss sich
die Europäische Union einem Verbot an, Deutschland hatte früher gehandelt,
aber nicht früh genug.
So stehen nun in [3][Berlin] 122.000 Wohnhäuser unter Asbestverdacht, in
Hamburg 142.000, in Bremen 76.000. Das zeigt eine Analyse, die das
Pestel-Institut Hannover im Auftrag der IG BAU gemacht hat. Am meisten sind
es in Nordrhein-Westfalen: 2,2 Millionen. In Bayern sind es 1,7 Millionen,
in Baden-Württemberg 1,3 Millionen, in Niedersachsen 1,2 Millionen. Weniger
sind es in Hessen: 793.000, Rheinland-Pfalz: 611.000, Schleswig-Holstein:
432.000, Sachsen: 182.000, Saarland: 171.000, Brandenburg: 153.000,
Thüringen: 144.000, Sachsen-Anhalt: 141.000, Mecklenburg-Vorpommern
110.000.
Gewerkschafter Carsten Burckhardt fordert unter anderem einen
Schadstoff-Gebäudepass mit unterschiedlichen Gefahrenstufen für die
jeweilige Asbestbelastung eines Gebäudes: „Jeder Bauarbeiter und jeder
Heimwerker muss wissen, auf was er sich einlässt, wenn er Fliesen
abschlägt, Wände einreißt oder Fassaden saniert.“ In Frankreich gibt es den
bereits. Burckhardt plädiert für einen Asbestgipfel von Bund, Ländern und
Kommunen und eine staatliche Sanierungs-, ja: Abwrackprämie. Sie soll
helfen, Kosten abzufedern, die etwa bei einer energetischen oder
altersgerechten Sanierung in asbestbelasteten Wohnhäusern zusätzlich
entstehen.
10 Aug 2023
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## AUTOREN
Hanna Gersmann
## TAGS
Asbest
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Wohnungspolitik
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Klara Geywitz
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