| # taz.de -- Kritik an Kommunikation von WHO-Behörde: Was die Süßstoff-Warnun… | |
| > Die WHO steht nach der Krebswarnung vor einem Süßstoff in der Kritik. | |
| > Anders als bei Zucker sei nicht belegt, dass Aspartam zum Krebsrisiko | |
| > beitrage. | |
| Bild: Aspartam ist in Diät-Cola, krebserregend ist der Konsum aber erst ab 4,5… | |
| Der kalorienfreie Süßstoff Aspartam soll Abnehmwilligen und | |
| Freizeitsportlern bereits seit über 40 Jahren das Leben leichter machen. | |
| Der Zusatzstoff E 951 steckt in allen möglichen Lebensmitteln: in | |
| Diät-Softdrinks, Süßwaren, Kaugummis, Milchprodukten, Marmeladen, Desserts, | |
| Backwaren oder Fertiggerichten. | |
| Nun soll Aspartam laut der WHO-Behörde IARC (Internationale Agentur für | |
| Krebsforschung) „möglicherweise krebserregend“ sein. [1][Zahlreiche Medien | |
| griffen die News auf]. Krebs ist die Krankheit, die Menschen [2][am meisten | |
| fürchten]. Verständlich also, dass sich Verbraucherinnen und Verbraucher | |
| nun fragen: Also doch lieber wieder Zucker anstatt Aspartam essen? | |
| Zeitgleich zum IARC-Bericht erschien eine weitere Einschätzung zum | |
| möglichen Gefahrenpotenzial des Süßstoffs. Das Gremium JECFA, das ebenfalls | |
| zur Weltgesundheitsorganisation (WHO) gehört, schlussfolgerte, dass | |
| Aspartam in den zugelassenen Mengen von 40 Milligramm pro Kilogramm | |
| Körpergewicht und Tag sicher sei, auch im Hinblick auf andere Krankheiten | |
| wie Diabetes Typ 2 oder Herzleiden. Um diese Mengen zu erreichen, müsste | |
| eine 70 Kilogramm schwere Person satte 4,5 bis 7 Liter Diät-Limonade | |
| täglich trinken. IARC und JECFA brachten ihre Ergebnisse in einer | |
| gemeinsamen Pressemitteilung heraus. | |
| Trotz dieser Einordnung hagelte es Kritik. „Die Risikokommunikation von | |
| IARC finde ich unverantwortlich“, sagt Michael Siegrist, Konsum-Forscher an | |
| der ETH Zürich. Schließlich könnte auch Wasser gefährlich sein, wenn es in | |
| zu hohen Dosen konsumiert werde. Andere Forscherinnen und Forscher sprachen | |
| von unnötigem Alarmismus und unsäglich einseitigen Aussagen außerhalb der | |
| Fachpresse. | |
| ## IARC bewertet nicht das echte Krebsrisiko | |
| Tatsächlich bewertet die IARC nur, ob eine Umweltchemikalie wie Aspartam | |
| das generelle Potenzial hat, Krebs zu erregen, unabhängig von der Dosis. | |
| Der Risikoforscher Ortwin Renn vergleicht dies mit einem Messer: „Natürlich | |
| kann ein Messer andere Menschen verletzen, es ist also potenziell | |
| gefährlich, bei ordnungsgemäßem Gebrauch aber harmlos.“ So finden sich in | |
| der gleichen IARC-Kategorie wie Aspartam auch Aloe Vera oder | |
| Diesel-Emissionen. Die Einstufung als „möglicherweise krebserregend“ | |
| basiert auf Studien ohne ausreichende Beweiskraft. | |
| Wurstwaren werden vom IARC sogar als „eindeutig krebserregend“ in die | |
| gleiche Kategorie wie Asbest und Rauchen eingeteilt. Das heißt zwar, dass | |
| die Studienlage ein klares Bild ergibt. „Aber natürlich ist etwa Rauchen | |
| viel gefährlicher als der Konsum von Schinken und Wurst“, sagt Renn. „Und | |
| Aspartam ist, was die aufgenommene Dosis anbetrifft, bei weitem nicht so | |
| gefährlich wie Diesel-Emissionen, weil vor allem die im Abgas enthaltenen | |
| Feinstäube auch schon bei geringer Konzentration Krebs auslösen können.“ | |
| Die IARC macht also gar keine echte Risikobewertung. Dafür sind andere | |
| Institute wie die JECFA, die europäische Lebensmittelbehörde (EFSA) und das | |
| Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) zuständig. An deren Einschätzungen | |
| orientieren sich auch die medizinischen Fachgesellschaften. Laut der | |
| Deutschen Krebsgesellschaft etwa ist ein ausgewogener und vollwertiger | |
| Speiseplan, ein normales Körpergewicht und wenig bis kein Alkohol | |
| entscheidend, um Tumoren vorzubeugen. Von Süßstoffen wird nicht explizit | |
| abgeraten. | |
| ## Zucker ist nachweislich schädlicher | |
| Möglich ist etwa, dass die Funde in den von der IARC ausgewerteten | |
| epidemiologischen Studien nicht eindeutig dem Aspartam, sondern anderen | |
| Einflussfaktoren zugeschrieben werden könnten. Denn wer viel mit Aspartam | |
| Gesüßtes isst, hat sehr wahrscheinlich viele hoch verarbeitete Lebensmittel | |
| auf seinem Speiseplan, und in denen stecken noch viele andere ungesunde | |
| Stoffe wie Transfettsäuren, Acrylamid oder Salz. | |
| „Es bleibt zu hoffen, dass die neue Einstufung Konsumenten nicht dazu | |
| bringt, von Süßstoffen auf Zucker umzusteigen“, sagt Stefan Kabisch, | |
| Stoffwechselexperte an der Charité. „Der Nutzen von Aspartam ist gering, | |
| der Schaden nicht nachweisbar.“ Dagegen sei für Zucker deutlich klarer | |
| belegt, dass er zum Krebsrisiko beitrage, da zugesetzter Zucker die | |
| Entstehung von Übergewicht und Diabetes Typ 2 fördere. | |
| Überschüssige Pfunde und Zuckerentgleisungen können über entzündliche | |
| Prozesse Zellgewebe entarten lassen. Aspartam wird hingegen im Körper zu | |
| Stoffen abgebaut, die auch durch andere Nahrung aufgenommen werden, wie | |
| Eiweißbausteine oder Methanol. Methanol ist zwar tatsächlich nicht | |
| ungefährlich, entsteht aber laut BfR in so geringen Dosen aus | |
| aspartamhaltigen Lebensmitteln, dass diese kaum zu Krebs führen könnten. | |
| Wenn beim IARC also gar keine richtige Risikobewertung stattfindet und die | |
| WHO-Behörde für die medizinischen Fachgesellschaften keine entscheidende | |
| Rolle spielt, wie sinnvoll ist dann ihre Bewertung von Umweltgiften? | |
| Ortwin Renn sieht die IARC-Einstufung als sinnvolles Puzzleteil, um | |
| mögliche Gesundheitsgefahren überhaupt erst zu identifizieren. „Die | |
| Einstufungen des IARC liefern einen ersten Hinweis auf ein | |
| Gefährdungspotenzial, daran kann sich dann die viel aussagekräftigere | |
| Risikoanalyse anschließen“, sagt Renn. Auch andere Forschende loben die | |
| IARC als zuverlässige Organisation, was die Einstufung von Chemikalien | |
| anbelangt. | |
| ## Die IARC hat teils aus seinen Fehlern gelernt | |
| Ist also möglicherweise die Öffentlichkeitsarbeit der IARC das Problem? In | |
| der Vergangenheit gab es bereits mehrere Beispiele, wo IARC-Publikationen | |
| für die Öffentlichkeit durchaus missverständlich waren. | |
| So etwa beim Thema „rotes und verarbeitetes Fleisch“. 50 Gramm mehr | |
| verarbeitetes Fleisch pro Tag erhöhe das Risiko für Darmkrebs um 18 | |
| Prozent, teilte die WHO-Behörde damals der Öffentlichkeit mit, | |
| kommunizierte also lediglich das relative Risiko. Das Risiko, an Darmkrebs | |
| zu erkranken, liegt aber nur bei fünf Prozent. Folglich liegt das absolute | |
| Risiko bei 50 zusätzlichen Gramm verarbeitetem Fleisch pro Tag bei knapp | |
| einem Prozent mehr. | |
| Allerdings hat die IARC teilweise aus diesen Fehlern gelernt. So wird die | |
| Aspartam-Pressemitteilung von Infografiken und Erklärfilmen flankiert, die | |
| das Vorgehen und wichtige Begriffe erklären. Der Statistiker David | |
| Spiegelhalter bewertet die aktuelle Berichterstattung der IARC gemeinsam | |
| mit dem JECFA darum als „sehr gut“, doch was in der Presse daraus gemacht | |
| wurde, sei absurd. Das Schweizer Online-Nachrichtenportal watson | |
| [3][titelte etwa]: „Krebs-Alarm bei Süßstoff – beliebtes Produkt | |
| betroffen.“ Der Wissenschaftler Michael Siegrist hält dagegen: „Die | |
| Risikokommunikation von IARC ist nicht State of the Art!“ Sie werde von | |
| Laien offenbar nicht verstanden. | |
| Das Problem: Grundlegendes statistisches Wissen ist in der | |
| Allgemeinbevölkerung oftmals nicht vorhanden. So sind Verbraucher schon | |
| durch das bloße Vorhandensein einer chemischen Substanz in Lebensmitteln | |
| beunruhigt. | |
| ## Warnungen vor Krebsgefahr haben wirtschaftliche Folgen | |
| Bestes Beispiel ist Glyphosat: Das Unkrautvernichtungsmittel wurde im Jahr | |
| 2015 von der IARC als „wahrscheinliches Kanzerogen“ eingestuft. Als das | |
| Pestizid danach in zahlreichen Lebensmitteln gefunden wurde, hat das eine | |
| riesige Empörungswelle ausgelöst, die bis heute anhält. Dass die | |
| analysierten Mengen gesundheitlich unbedenklich sind, wie das BfR immer | |
| wiederholt, ist nicht in die Öffentlichkeit gedrungen. „Zudem werden | |
| Gefahren vor allem dann als bedrohlich wahrgenommen, wenn man sie nicht | |
| selber beeinflussen kann“, sagt Renn. | |
| Die Lage ist verzwickt, da Warnungen vor Krebsgefahren durch bestimmte | |
| Pestizide, Mobilfunk oder Lebensmittel nicht nur Verbraucher betreffen. Sie | |
| können auch weitreichende wirtschaftliche und politische Dimensionen | |
| erlangen. Als Tabakrauch als „eindeutig krebserregend“ definiert wurde, kam | |
| es zu öffentlichen Rauchverboten. Und die IARC-Einstufung von rotem und | |
| verarbeitetem Fleisch führte in der Folge zu Absatzproblemen in der | |
| Fleischwarenindustrie. | |
| Seit das Pflanzenschutzmittel Glyphosat als „wahrscheinliches Kanzerogen“ | |
| gilt, sind Schadensersatzklagen gegen den Hersteller Monsanto in den USA | |
| anhängig. Und auch das Thema Aspartam könnte Klagen gegenüber der | |
| Lebensmittelindustrie ermöglichen. Unglücklicherweise wurden die Ergebnisse | |
| des IARC zu Aspartam bereits Ende Juni geleakt und der Nachrichtenagentur | |
| Reuters zugespielt, bevor die Einordnung der JECFA veröffentlicht wurde. | |
| „Es kam in der Folge zu irreführenden Medienberichten“, sagt Spiegelhalter. | |
| 17 Aug 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] /WHO-Agentur-bewertet-Suessstoff-Aspartam/!5947323 | |
| [2] https://www.versicherungsbote.de/id/4900773/Diese-11-Krankheiten-furchten-d… | |
| [3] https://www.watson.de/leben/supermarkt/485503506-supermarkt-krebs-alarm-bei… | |
| ## AUTOREN | |
| Kathrin Burger | |
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