# taz.de -- Gesundheitsrisiken bei Sanierungen: Asbestgefahr bleibt unterm Tepp… | |
> Über 70.000 asbestbelastete Wohnhäuser gibt es in Bremen. Auch wo die | |
> Belastung bekannt ist, kommen betroffene oft nicht an Infos: Es fehlt ein | |
> Register. | |
Bild: Gefährlich wird es, wenn Fasern freigesetzt werden: Arbeiter bei der San… | |
Bremen taz | Der Asbest ist weg aus der kleinen Wohnung, hurra. Eine | |
Erfolgsgeschichte: 14 Jahre lang hat Ursula Schielke um eine neue | |
Lüftungsanlage im Bad gekämpft; etliche Gerichtsprozesse und Gutachten | |
brauchte es, um ihre Vermieter zum Handeln zu bewegen. Mitte Februar dieses | |
Jahres kamen endlich die Handwerker, seit ein paar Tagen sind die Arbeiten | |
abgeschlossen. Eigentlich könnte Schielke sich nun mal ausruhen, mit ihren | |
81 Jahren. | |
Entdeckt hatte die Bremerin [1][das gefährliche Material] zufällig: Als sie | |
2011 wegen eines gammeligen Geruchs im Badezimmer die Lüftungsrohre | |
freilegte, fand sie unter der Tapete „graues Zeug“, das ihr Misstrauen | |
erregte. Die Baubehörde und später die Gutachten eines Architekten | |
bestätigen ihren Verdacht: Sowohl die Rohre als auch die Wand des | |
Lüftungsschachtes enthalten Asbest. Sie selbst hatte schon Löcher in die | |
betroffene Wand gebohrt, auch Vormieter hatten Haken installiert und dabei | |
das gefährliche Material beschädigt. „In der dünnen Wand war alles | |
durchlöchert“, sagt sie. Man hatte ja keine Ahnung. | |
Was Schielke nach Abschluss der Arbeiten noch wurmt: Die umliegenden | |
Häuser, der ganze Straßenzug der Bremer Kulenkampffallee, ist in derselben | |
Bauart gebaut. Es geht um mehr als 100 Gebäude, mit je mehreren Parteien. | |
„Da ziehen junge Familien ein. Und die haben keine Ahnung von der | |
Belastung, obwohl doch alles bekannt ist. Niemand warnt sie, wo sie nicht | |
bohren sollen, das ist ein Riesenproblem.“ | |
## Kein Wissen, keine Kontrolle | |
Seit 1992 darf Asbest wegen der Gesundheitsgefahren in Deutschland nicht | |
mehr verbaut werden. Zwischen 1950 und 1990 aber kam das Naturfasermaterial | |
fast überall zum Einsatz: in Fliesenklebern, Dämmstoffen, Fußböden, | |
Fassadenplatten und im Zement. Eine Studie des Pestel-Instituts von 2023 | |
schätzt, dass [2][9,4 Millionen Wohnhäuser in Deutschland asbestbelastet] | |
sind – im Land Bremen geht es um 76.000 Häuser, in Hamburg um 142.000, in | |
Niedersachsen um 1,2 Millionen. Erst mal darf der Asbest bleiben: Der Stoff | |
hat Bestandsschutz. | |
Denn richtig gefährlich wird er nur, wenn er zerstört wird – durch | |
Bohrmaschinen oder Schleifgeräte zum Beispiel – und dabei [3][feine Fasern | |
freisetzt, die sich in die Lunge bohren] und dort Jahrzehnte später | |
tödliche Asbestosen oder Krebs verursachen können. | |
In der Kulenkampffallee steht seit einem Gutachten von 2012 fest, wo Asbest | |
verbaut ist; doch bis zur Sanierung wussten nicht mal Schielkes | |
Nachbar*innen im selben Haus über die Gefahr Bescheid. Zwar haben | |
Eigentümer*innen die Pflicht, ihre Mieter*innen über bekannte | |
Asbestbestände zu informieren. Aber wer das nicht tut, hat wenig zu | |
befürchten, überprüft wird es nicht. Wie auch? Bekannte Belastungen werden | |
nirgends erfasst. | |
## Eine Faser reicht | |
Die schlechte Datenlage kritisiert auch die Gewerkschaft IG Bau. In ihrer | |
„Asbest-Charta“ hatte die Gewerkschaft 2023 gefordert, von den | |
Eigentümer*innen vor einer anstehenden Sanierung eine verbindliche | |
Prüfung samt Gutachten über die konkrete Belastung vorlegen zu lassen. | |
Doch in der neuen Gefahrstoffverordnung des Bundes, die im Dezember 2024 in | |
Kraft getreten ist, bleiben Eigentümer*innen relativ unbehelligt: | |
Zwar müssen sie bekannte Informationen über Asbestbelastungen bei einer | |
Sanierung an die Handwerksbetriebe weiterreichen – aber auch das kann nicht | |
kontrolliert werden, solange der Wissensstand gar nicht erfasst wird. Die | |
Verantwortung für die Handwerker*innen liegt damit weiter in erster | |
Linie bei den Handwerksbetrieben. | |
„Die Gesetzgeber hatten Angst, dass verpflichtende Gutachten die Eigentümer | |
vom Bauen abhalten würden“, sagt Gerhard Citrich von der IG Bau. „Aber es | |
geht hier um Menschenleben.“ Asbest werde „verniedlicht“, so der | |
Arbeitsschutzexperte. „Dabei ist das immer noch ein Killer. Eine falsche | |
Faser kann reichen, dass man erkrankt.“ Bei Berufserkrankungen ist Asbest | |
nach Zahlen der Bau-Berufsgenossenschaft die häufigste Todesursache, mit | |
gut 300 anerkannten Todesfällen im Jahr. Aktuell, so warnt die IG Bau, | |
rolle [4][eine neue Gefahrenwelle] auf die Handwerker*innen zu: Viele | |
Gebäude aus dem kritischen Zeitraum müssen in den nächsten Jahrzehnten | |
saniert werden. | |
## Register für Rohstoffe in der Stadt | |
Neben der Sorge um die Beschäftigten sieht Citrich durch die mangelhaften | |
Daten auch Heimwerker*innen in Gefahr. „Es gibt diese Plakatkampagne | |
einer Baumarktkette, zum Selbermachen. Auf den Bildern sitzen die Leute | |
inmitten von Schutt und Staubwolken – dass das ihr Leben kosten kann, | |
wissen die Menschen gar nicht.“ | |
Auch wenn die Chance, auf Bundesebene ein Asbestregister einzuführen mit | |
Verabschiedung der Gefahrstoffverordnung erst einmal verstrichen ist, | |
könnten die Länder eigene Asbestregister anlegen – doch das tun sie nicht. | |
„Die Erhebung, Pflege und Veröffentlichung entsprechender Daten wäre ein | |
erheblicher Eingriff in das private Eigentum“, schreibt die Bremer | |
Baubehörde auf Anfrage. Denn eine „verpflichtende, regelmäßige Überprüfu… | |
würde „erhebliche Kosten“ für die Eigentümer*innen verursachen. | |
Nun müsste für ein Asbestkataster nicht gleich eine flächendeckende oder | |
gar regelmäßige Überprüfung stattfinden – aufgenommen werden könnten | |
zunächst bekannte Daten; die Prüfpflicht könnte sich auf spezifische | |
Anlässe konzentrieren – etwa beim Verkauf des Hauses, vor größeren | |
Sanierungsmaßnahmen oder bei konkretem Verdacht. | |
Kataster, die mehr Informationen liefern als reine | |
Grundstücksverzeichnisse, sind in Land und Kommune nicht ungewöhnlich. Für | |
die Schadstoffbelastung im Boden gibt es in Bremen bereits das | |
Altlastenkataster. Und mit Interesse verfolgt wird – auch in Bremen – ein | |
Heidelberger Pilotprojekt, das ein „Urban Mining“-Kataster erstellt und | |
dabei alle Rohstoffe von Bestandsgebäuden in den Blick nimmt. | |
In der Bremer Kulenkampffallee bleibt es erst einmal dabei: Ein ganzer | |
Straßenzug ist von Asbest betroffen; wo und wie, das ist angesichts der | |
gleichen Bauweise vermutlich en détail bekannt. Aber die Information | |
darüber, an welchen Stellen im Haus besser nicht gebohrt wird, hält keine | |
Stelle zentral fest. | |
9 Apr 2025 | |
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## AUTOREN | |
Lotta Drügemöller | |
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