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# taz.de -- Neuer Roman von Emma Cline: Die Rückseite der Hamptons
> In „Die Einladung“ lässt US-Schriftstellerin Emma Cline eine Frau durch
> die Welt der Reichen stolpern. Sie versucht dabei, ein sorgloses Leben
> abzugreifen.
Bild: Wenigstens für die Schritte im Sand dürfte es am Strand der Hamptons ke…
Die Sache mit dem Sex ist noch das Unkomplizierteste. Die erwarteten
Gesten, die richtigen Blicke, die Mechanik des Begehrens. Alex hat keine
Probleme mit Berührungen und kann Männer gut handhaben. „Wie einfach diese
Dinge doch liefen“, heißt es noch ziemlich zu Beginn in Emma Clines neuem
Roman „Die Einladung“. Und irgendwann später heißt es: „Das war es doch,
was sie alle wollten, oder? Im Gesicht eines anderen Menschen pure
Akzeptanz zu sehen.“ Das kann Alex wie auf Knopfdruck herstellen.
Das sind aber auch die einzigen Dinge, die einfach laufen, alle anderen
sind für sie kompliziert. Alex ist eine 22-jährige Frau, die Männer
begleitet, mal für einen Abend, mal auch für länger. Der Roman folgt ihr an
einen Kipppunkt. „Ihr monatlicher Cashflow ging den Bach runter. Alex erwog
eine Brustvergrößerung.“ Ihre WG in New York hat sie rausgeschmissen, weil
sie ihre Miete nicht mehr bezahlt hat. Schon das beschreibt Emma Cline sehr
gut. So ein Drama aus Freundesverrat, Scham und Selbstentschuldigung tuscht
sie mit wenigen Strichen hin.
Außerdem ist da Dom, der Mann, den Alex erst begleitet und dann bestohlen
hat und der jetzt hinter ihr her ist und ihr wütende Textnachrichten
schickt, vielleicht aber auch einfach die toxische Beziehung weiterführen
will. Noch so ein Drama. Das ganze Leben von Alex besteht aus Dramen.
Der Roman setzt dann damit ein, dass sich für diese Alex die Gelegenheit
ergibt, ein – solche treffenden Formulierungen beherrscht Emma Cline
grandios, und Monika Baark hat sie gut ins Deutsche übertragen – „normales
Leben abzugreifen“, mehr noch, ein gutes, sorgloses Leben.
Alex lernt Simon kennen, der Ende 50, reich und geschieden ist. Simon lädt
sie für den Sommer in sein Haus in den Hamptons ein. Die Hamptons –
Sehnsuchtsort der Amerikaner. Hausangestellte, Tage am Strand,
Dinner-Partys. Die Rettung. Alex geht schwimmen und beginnt sich sogar
vorsichtig zu fragen, ob die Beziehung mit Simon mehr sein könnte als ein
Deal. „Diese Sache war echt, sie und Simon. Oder könnte es sein.“ So
beginnt das alles.
## Auf die richtige Weise lächeln
Kompliziert sind die Dinge für Alex vor allem, weil sie auch in oder
vielleicht sogar gerade in Simons Welt, dieser Welt der Reichen, ständig
auf der Hut sein muss. Sie muss in den richtigen Situationen auf die
richtige Weise lächeln. Sie muss wissen, wann ein Bikini passend ist und
wann doch eher eins der leichten teuren Kleider, die Simon ihr kauft. Auf
den Partys muss sie auf eine Weise neben Simon stehen, die zeigt, dass sie
da ist, aber sich auch nicht in den Vordergrund drängt.
Auf gar keinen Fall darf sie bedürftig, abhängig oder gar verzweifelt
wirken. Dankbarkeit muss sie auf eine Weise zeigen, die nicht so wirkt, als
ob sie es nötig hätte, dankbar zu sein. Unentwegt muss sie Situationen
verstehen, Menschen lesen, Informationen scannen und verarbeiten,
Situationen manipulieren, damit ihre Anwesenheit selbstverständlich wirkt,
so, als ob sie dazugehören würde.
Das Schwimmen und Sichtreibenlassen im Wasser ist eins der Leitmotive des
Romans, zwischendurch fragt man sich aber auch beim Lesen, ob man in dieser
Alex nicht eine Meerjungfrau sehen könnte, die auf dem Land nur unter
Schmerzen, wie auf Scherben gehen kann, inmitten von „aus den Rippen
geleierten Pseudoemotionen“. Anlässlich reicher Kinder fragt sich Alex
einmal: „Wie konnten diese Mädchen so viel älter wirken, so selbstsicher?
Dies war eine andere Schicht […], einige Stufen näher an kultureller
Macht.“ Alex selbst aber steht permanent unter Strom.
## Kleine Missgeschicke
Die Handlung des Romans wird dadurch vorangetrieben, dass ihr kleine
Missgeschicke unterlaufen, nichts Weltbewegendes, aber doch Störungen in
dieser geordneten Welt. Bei Simons geliebtem Cabrio fährt sie ein Rücklicht
kaputt, ohne es ihm zu sagen. Später wird sie in einer anderen Villa mit
dem Fingernagel einen kleinen Riss in einem Ölgemälde hinterlassen. Auf
einer Party trinkt sie ein Glas zu viel, verliert für einen Moment ihre
Selbstkontrolle und findet sich in einer undeutlichen Situation mit einem
von Simons Bekannten in einem Pool wieder.
Was man unbedingt versteht, wenn man diesen Roman liest: worin in dieser
Gesellschaft wahrer Luxus besteht. Nämlich noch nicht einmal nur in der
Größe der Villen, ihrer Lage zum Strand, den Pools, den Autos, den
Kunstwerken an der Wand. Sondern vor allem darin, dass man sich um die
äußeren Umstände dieses Lebens keine Sorgen machen muss, weil es Menschen
gibt, die man bezahlt und die das für einen erledigen.
Auch als Simon Alex nach der Poolaffäre wieder aus seinem Haus schmeißt,
hat er jemanden, der das für ihn so diskret wie möglich abwickelt: Lori,
eine Angestellte, die sein Leben managt. „Er ist ein komplizierter Typ“,
sagt diese Lori, während sie Alex zum Bahnhof fährt, „es liegt nicht an
dir.“
## Alle Figuren stehen neben sich
Die Kosten dieses US-amerikanischen Luxuslebens zeichnet Emma Cline auch
nach. Sie schafft es tatsächlich, dass man auf solche Typen wie diesen
Simon gar nicht mal so sehr wütend ist, sondern vielmehr Mitleid mit ihm
hat. Eigentlich stehen alle Figuren in diesem Roman prinzipiell neben sich.
Dass die Bewusstseinsstrukturen der Upper Class berechenbar sind – in ihren
unweigerlichen Melancholien, ihrer inneren Leere, ihrer Achtlosigkeit – und
dass die wirklich interessanten Lebensdramen sich auf der Ebene darunter
abspielen, darin liegt eine schöne literarische Rache. Vielleicht liegt
hier aber auch ein konservativer Hintergrund versteckt. Heile Familien oder
auch nur geglückte Beziehungen sind in der Gesellschaft, wie Emma Cline sie
beschreibt, in einer Weise nicht möglich, dass man denkt, alle hätten sie
doch gern.
Der Plot des Romans geht dann so, dass Alex nicht wieder in die City
zurückfährt und sich ein paar Tage auf eigene Faust in der Welt der Reichen
durchschlägt, in der Hoffnung, Simon auf dessen Gartenparty zum Labor Day
noch einmal neu für sich zu gewinnen. Dabei hangelt sie sich improvisierend
von Situation zu Situation, trifft Menschen, nutzt sie aus, verliert sie
wieder. Eine Odyssee beginnt.
Eigentlich obdachlos, muss Alex so tun, als ob ihr nichts fehlen würde. Sie
schleicht sich in einen Beach Club ein, übernachtet in den unter der Woche
von ihren Besitzern verlassenen Villen, zieht sich in Restauranttoiletten
um.
## Im Maschinenraum des nach außen hin sorglosen Reichtums
Ganz nebenbei wird der Roman zum erweiterten Gesellschaftsporträt. Die
Logistik hinter dem Idyll wird beschrieben, der von Angestellten in Gang
gehaltene Maschinenraum des nach außen hin sorglosen Reichtums. Einmal
beobachtet Alex Laubbläser im Garten eines Anwesens. „So viel Mühe und Lärm
waren erforderlich, um diese Landschaft zu kultivieren, eine Landschaft,
die Ruhe und Frieden heraufbeschwören sollte.“
Wahnsinnig gut ist die Episode, in der Alex auf Nicholas trifft, einen
gescheiterten Schauspieler, der als Haushälter eines Anwesens arbeitet und
dabei so tun muss, als ob er seine Dienstleistungen wie
Freundschaftsdienste anbietet, stets freudig, stets lächelnd, stets mit der
allergrößten Selbstverständlichkeit. Alex bringt ihn bis an den Punkt, an
dem er kurz davor ist, seine Maske zu verlieren, an dem er aber auch
einsehen muss (so denkt man sich das beim Lesen), dass Selbsterkenntnis ihm
nichts bringen würde, höchstens Verzweiflung, und er die Maske also lieber
aufbehält.
In einer anderen Episode lernt Alex Jack kennen, den spätpubertierenden
Sohn eines Hollywoodproduzenten. Zu dritt essen sie in einem Restaurant.
Jack benimmt sich unmöglich, der Vater versucht den Schein einigermaßen
aufrechtzuerhalten, und Alex hat wenigstens eine Mahlzeit.
Solche in ihren Ambivalenzen schillernden Situationen kann man aus den
vorherigen Büchern der 1989 geborenen Schriftstellerin kennen. In [1][ihrem
Debüt „The Girls“] hat sie eine kalifornische Hippie-Sekte beschrieben, bei
der man an Charles Manson samt seiner Mordfälle denkt. In dem
[2][Kurzgeschichtenband „Daddy“] hat sie ausprobiert, wie weit man mit
durchweg gebrochenen Figuren literarisch kommen kann.
## Durch und durch toxische Gesellschaft
Der aktuelle Roman „Die Einladung“ hat an seinen besten Stellen etwas von
wie aus dem Handgelenk geschüttelter Meisterschaft (ein paar fragwürdige
Dinge wie die recht aufdringlichen Siddhartha-Zitate – tatsächlich Hesse! –
und die etwas überdeutlich an den Plotpunkten auftauchenden Rehe
registriert man, aber nimmt man nicht krumm).
Um sich zu erklären, warum man dieses Buch so gern liest, legt man sich
Punkte zurecht. Rückseite des amerikanisches Traums. Porträt einer
Gesellschaft, die durch und durch toxisch ist. Stand der sozialen
Beziehungen, in der die Reichen und die Angestellten so tun, als ob sie
miteinander befreundet sind, und nicht eingeladene Gäste in aller
Höflichkeit vom Strand vertrieben werden. Solche Sachen.
Viel der Wirkung dieses Romans liegt aber auch schlicht darin, wie gut Emma
Cline schreiben kann. „Der Junge, der zu ihnen rüberkam, war groß,
germanisch aussehend, mit Gesichtszügen, die wie eine Annäherung wirkten,
als wären sie aus dem Gedächtnis gezeichnet worden.“ Man freut sich über
die Lässigkeit des Stils, die in diesem Roman literarisch triumphiert. Sie
lässt sich mit keinem Geld der Welt kaufen. So wenig wie funktionierende
Beziehungen.
22 Jul 2023
## LINKS
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## AUTOREN
Dirk Knipphals
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