# taz.de -- Musikfestival des Humboldt Forums: „Ihre Magie führt zu Begegnun… | |
> Heute beginnt das Festival „Durchlüften“ im Humboldt Forum. Gerade im | |
> neu-alten Schlossbau könnte es viel bewirken, sagt Kuratorin Melissa | |
> Perales. | |
Bild: Im vergangenen Jahr gab es bei „Durchlüften“ fast jeden Abend einen … | |
Zwölf Sommerabende lang lädt das transkulturelle, genreübergreifende | |
Musikfestival „Durchlüften“ zu kostenlosen Openair-Konzerten in den | |
Schlüterhof des Humboldt Forums. Die mexikanisch-amerikanische Kuratorin | |
Melissa Perales hat bereits zum dritten Mal das Programm zusammengestellt. | |
Ihr Anliegen ist es, Künstler mit diversen Hintergründen zusammenzubringen | |
und ihnen eine Bühne zu geben. | |
taz: Melissa Perales, Sie kuratieren dieses Jahr zum dritten Mal das | |
internationale Kulturfestival „Durchlüften“ am Humboldt Forum, das am | |
Donnerstag startet. Was möchten Sie denn durchlüften? | |
Melissa Perales: Ich habe den Titel nicht selbst ausgesucht, aber | |
inzwischen bin ich damit zufrieden. Ich habe versucht, die Bedeutung zu | |
finden, die am besten passt. Das Festival gibt es seit der [1][Eröffnung | |
des Humboldt Forums im Jahr 2021]. Etwas Neues war da. Aber es gab auch | |
eine schwere Geschichte. Wir fanden, dass es eine Art spirituelle Ebene | |
hat, wie das Reinigen eines Raumes oder das Säubern der Luft, des Bodens | |
von schlechten Schwingungen, wenn man einen neuen Raum übernimmt. Es ist | |
auch eine sehr deutsche Redewendung, den Raum zu lüften. Natürlich aus | |
gesundheitlichen Gründen, dies war das erste Festival in der laufenden | |
Pandemie. Als sie mich baten, das Festival zu kuratieren, wusste ich | |
zunächst nicht, ob ich die richtige Person bin. | |
Warum? | |
Ich bin nicht so eine typische Person, die in einer Institution arbeitet | |
und sie als klassische Arbeitnehmerin vertritt. Ich bin hauptsächlich | |
Freiberuflerin, ich organisiere alternative Veranstaltungen. Aber dann habe | |
ich darüber nachgedacht, was meine Rolle als Kuratorin sein könnte. Ich | |
bringe selbst [2][eine Geschichte des Kolonialismus] mit: Mein Vater ist | |
Mexikaner, ich bin in den USA aufgewachsen und habe die Auswirkungen dieser | |
Geschichte auf die Köpfe und Seelen der Menschen miterlebt. Ich dachte, | |
wenn ich mit dieser Geschichte und der Zustimmung meiner Vorfahren antrete, | |
dann setze ich einen Fuß in die Tür und bringe Leute wie mich mit. Und ich | |
kann diesen Künstlern anbieten, ihre Geschichte so zu erzählen, wie sie | |
wollen. Nicht wie in einem Museum, wo einem etwas hinter einer Glasvitrine | |
erklärt wird, und zwar anhand einer Erklärung, die vor langer Zeit | |
zusammengestellt wurde. Wir sind lebendige Menschen und tragen diese | |
Geschichte in uns. Ich war auch dankbar, dass es keine Vorgaben vom | |
Humboldt Forum gab. Nur: ein Sommerfestival zu veranstalten, open air mit | |
überwiegend Berliner Künstlern. Ich wollte, dass es mehr als nur | |
Unterhaltung ist. | |
Wie suchen Sie die Künstler aus? | |
Vor allem sind die ausgewählten Künstler keine reinen Entertainer, alle | |
haben darum gekämpft, ihre Geschichte auf ihre Weise zu erzählen. Als ich | |
sie anfangs anschrieb, erzählte ich ihnen auch von mir, warum ich das mache | |
und dass ich nicht angestellt bin, sondern auch als freiberufliche | |
Kuratorin arbeite. Es war wichtig, dass es transparent ist und dass niemand | |
das Gefühl hat, benutzt zu werden. Mein Job ist es, Künstler | |
zusammenzubringen, eine Bühne zu schaffen, auf der Künstler gehört und | |
„gesehen“ werden können, und damit meine ich nicht nur die Titelseite eines | |
Magazins. Ein Festival wie dieses könnte viel bewirken, gerade weil es in | |
einem Raum stattfindet, der sich ständig in einem Prozess befinden muss. | |
Den Diskurs suchen, wie geht das mit Musik? | |
Die Musik verändert nicht das Gebäude, aber die Menschen können vor Ort | |
etwas bewirken. Durch Austausch. Ich wollte kein Festival, bei dem man nur | |
Musiker bucht, die auf die Bühne kommen, 45 Minuten spielen und wieder | |
gehen. Es geht um mehr als nur den Auftritt. So haben wir zum Beispiel fünf | |
Künstler – Emeka Okérèké, Candace Lee Camacho alias duendita, Dhanesh | |
Jayaselan sowie Gotopo und Batila da Costa – eingeladen, einen | |
Mini-Gastaufenthalt im Humboldt Forum zu absolvieren, sich ein paar Wochen | |
lang umzusehen, mit Kuratoren zu sprechen und, wenn sie wollen, in die | |
Archive zu gehen. Die Idee war, dass sie mit Musik oder bildender Kunst | |
etwas für die Abschlussveranstaltung des Festivals am 5. August | |
produzieren. | |
Werden die Verantwortlichen vom Humboldt Forum für den Austausch anwesend | |
sein? | |
Nicht jeden Abend, aber ich weiß, dass fast alle Kuratoren, mit denen ich | |
in Kontakt gekommen bin, sich mehr Austausch mit Künstlern wünschen und ihn | |
für wichtig halten. Ohne diese anderen Perspektiven bleiben die Dinge | |
einfach so, wie sie sind. Wenn sie den Ort wirklich entkolonialisieren | |
wollen, müssen Veränderungen stattfinden. Sie müssen ihre Arbeitsweise | |
ändern und sich mehr für Menschen öffnen, die nicht nur Forscher oder | |
Akademiker sind, sondern auch Künstler und Menschen, deren eigene | |
Geschichte mit dem verbunden ist, was in diesem Gebäude existiert. Im | |
Endeffekt geht es um die Menschen, nicht um das Gebäude. [3][Zugleich | |
wissen viele Menschen in Deutschland nichts über ihre Kolonialgeschichte], | |
deshalb interessiere ich mich für dieses Gebäude, weil es diese Geschichte | |
aufbricht. Wir müssen die darunter liegenden Schichten und ihre | |
Verbindungen aufdecken, damit die Menschen verstehen, dass es eine | |
Beziehung zwischen einem gestohlenen Gegenstand und beispielsweise Kaffee, | |
Palmöl oder den Avocados auf meinem Toast gibt. | |
Was für Musik erwartet uns auf dem Festival? | |
Da gibt es wirklich alles. In der ersten Nacht gibt es [4][eine Hommage an | |
Stella Chiweshe]. Sie ist dieses Jahr gestorben und wurde traditionell in | |
Simbabwe beerdigt, aber sie war seit 1989 in Berlin, und es war mir | |
wichtig, sie zu ehren. Sie ist beim ersten „Durchlüften“-Festival und auch | |
schon 1988 mit ihrer Tochter Virginia Mukwesha und Band im Palast der | |
Republik aufgetreten. Nun schließt sich der Kreis der Erinnerung. Dann zum | |
Beispiel [5][die Afrobeat-Krautjazz-Band Onom Agemo und The Disco Jumpers], | |
die sich mit dem Tuareg-Gitarristen Ahmed Ag Kaedy anfreundeten und mit ihm | |
musizierten. Afrobeat und Wüstenblues, ja das können sie! Und am dritten | |
Abend tritt Brushy One String aus Jamaika auf; er spielt wirklich nur auf | |
einer Saite Gitarre! | |
Und alles kostenlos? | |
Ja, das ist sehr wichtig, wenn man bedenkt, dass alles so teuer geworden | |
ist. Wenn es einen Bereich gibt, in dem die Regierung Geld ausgeben sollte, | |
dann ist es die Kunst, damit die Menschen, egal woher sie kommen, ob sie | |
Künstler, Klempner oder Akademiker sind, ob sie Geld haben oder nicht, die | |
Möglichkeit haben, Kultur gleichermaßen zu genießen. So werden wir die | |
Köpfe und Herzen verändern und einen besseren Weg finden, um als | |
Gesellschaft zu leben und einander zu verstehen. In New York gibt es im | |
Sommer kostenlose Konzerte im Central Park. Patti Smith kann dann etwa ein | |
Konzert geben und die Stadt zahlt. Ich hoffe, dass sich diese Haltung auch | |
in Berlin fortsetzt. | |
Wird getanzt? | |
Letztes Jahr hatten wir fast jeden Abend einen Open-Air-Rave. Das hätte ich | |
mir nicht vorstellen können, aber es ist eine tolle Energie. Heilend! Für | |
mich als Kuratorin ist der beste Moment, wenn die Künstler auf die Bühne | |
gehen und man merkt, dass man das richtige Gefühl hatte. Nach der Pandemie | |
konnte man wirklich sehen, wie sehr die Menschen die Musik, die | |
Gemeinschaft und den Tanz brauchten! Sie legten ihre Telefone weg, redeten | |
miteinander und tanzten. Das ist es, was Musik bewirken kann, ihre Magie | |
führt zu menschlichen Begegnungen. Wenn die Künstler ihre Geschichten | |
geteilt haben und der Großteil des Publikums nicht nur zugehört, sondern | |
sie auch verstanden hat, dann habe ich das Gefühl, dass ich die richtige | |
Arbeit mache. | |
13 Jul 2023 | |
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## AUTOREN | |
Ruth Lang Fuentes | |
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