# taz.de -- Tahir Della über Erinnerungskultur: „Opferkonkurrenz gibt es nic… | |
> In Berlin werden Stolpersteine für Schwarze Menschen verlegt. Tahir Della | |
> von der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland über den Hintergrund. | |
Bild: Benedikt Gambé und Charlotte Rettig | |
taz: Herr Della, die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD) hat | |
im Rahmen [1][der Ausstellung „Auf den Spuren der Familie Diek“] dazu | |
angeregt, in Berlin Stolpersteine für sechs Afrodeutsche, die Opfer der | |
NS-Zeit waren, zu verlegen. Was ist der Kontext für diese Legung? | |
Tahir Della: Es geht um eine Familie, die seit dem Kaiserreich in Berlin | |
gelebt hat. Die Nachfahren dieser Familie, Roy und Abeena Adomako, | |
engagieren sich bis heute als Aktivisten. Das ist ein Beispiel dafür, dass | |
Schwarze Menschen sehr viel länger in Deutschland sind, als es in der | |
Allgemeinheit wahrgenommen wird. | |
Für viele beginnt die Geschichte Schwarzer Menschen in Deutschland erst | |
nach 1945 mit beispielsweise Schwarzen alliierten Soldaten. So eine | |
Familienbiografie steht sinnbildlich dafür, in welchen unterschiedlichen | |
Zeiten Schwarze Menschen hier gelebt und überlebt haben, und ist gut | |
geeignet, einen Gegenentwurf zur allgemeinen Wahrnehmung Schwarzer Menschen | |
zu machen, denn das Leben war nicht immer frei von Verfolgung und | |
Unterdrückung. | |
Ich persönlich hatte, als ich zum ersten Mal erfahren habe, dass Schwarze | |
Menschen während der NS-Zeit in Deutschland gelebt haben, eine unklare | |
Vorstellung, was das für sie bedeutet hat. Allein dass man sich darüber | |
wundert, zeigt eben, dass wir noch viel Wissen freilegen und zugänglich | |
machen müssen. | |
Und was hat es für Schwarze Menschen bedeutet, in der NS-Zeit zu leben? | |
Inzwischen kann man sich das leicht vorstellen. Die Gefahr, angegriffen zu | |
werden, ermordet zu werden, ins Lager zu kommen, war allgegenwärtig. Um zu | |
überleben, mussten sich Schwarze Menschen in „Nischen“ zurückziehen, wie | |
zum Beispiel in die Filmindustrie als Komparsen für rassistische | |
Propagandafilme, oder sie bekamen Hilfe von weißen Deutschen, die sich | |
gegen die Verfolgung des NS-Regimes gestellt haben. | |
Es wurden also ganz unterschiedliche Strategien entwickelt, um zu überleben | |
in dieser Zeit. Und die Wahrheit ist, dass auch zahlreiche Schwarze | |
Menschen in den Konzentrationslagern inhaftiert und ermordet wurden. | |
Das ist auch die Geschichte von zwei Personen, die einen Stolperstein | |
bekommen, nämlich Benedikt Gambé und Charlotte Rettig. Sie waren Künstler | |
während der Weimarer Zeit, und sie wurden während der NS-Zeit gezwungen, | |
bei sogenannten „Afrika Shows“ teilzunehmen. Wieso ist es so wichtig, daran | |
zu erinnern? | |
Auch das ist eine der unmittelbaren Folgen dieser entmenschlichten Politik | |
der Nazis gewesen. Die „Afrika Shows“ förderten die rassistischen | |
Vorstellungen und Fantasien, die man von Schwarzen Menschen zu dem | |
Zeitpunkt hatte. Dabei ist es Kontinuität. Die Nazis haben diese | |
rassistischen Fantasien nicht erfunden, sondern haben sie von den | |
vorherigen rassistischen Bildern der Kolonialzeit übernommen. Gambé | |
verstarb noch während der NS-Zeit. Charlotte Rettig konnte nach Kopenhagen | |
fliehen und überleben. | |
Viele Überlebende litten unter den Folgen dieser rassistischen Erfahrungen, | |
dieser Entrechtung und Entmenschlichung, wie auch andere verfolgte Gruppen, | |
Sinti & Roma und Juden. Auch diese Geschichte muss erzählt werden, ohne | |
dass es zu einer Art [2][Opferkonkurrenz] kommt, was ja überhaupt nicht in | |
unserem Interesse ist. | |
Wir solidarisieren uns mit allen Verfolgten in dieser Zeit, müssen aber | |
auch deutlich machen, dass auch Schwarze in dieser Zeit unter Verfolgung, | |
Unterdrückung und Ermordung gelitten haben. Wir brauchen einen breiteren | |
Blick auf die Verfolgung von Menschen während des deutschen Faschismus. | |
Stolpersteine verbinden die meisten mit der Shoah. Wenn Stolpersteine auch | |
für Schwarze Menschen kommen, führt das zu einem Konkurrenzdenken unter | |
Opfern? | |
Eine Opferkonkurrenz gibt es glücklicherweise nicht. Ich erwähne das, um | |
deutlich zu machen, dass es uns nicht darum geht, die Verfolgungsgeschichte | |
von anderen zu verdrängen, sondern im Gegenteil deutlich zu machen, dass | |
das Spektrum von Menschen, die während der NS-Zeit verfolgt worden sind, | |
sehr viel größer ist, als es uns oft vermittelt wird. | |
Gleichzeitig können wir daraus lernen, wie wir dieser Menschen gedenken. | |
Zwar sind Stolpersteine nicht frei von Kritik, aber es gibt ganz viele | |
Menschen, die diese Form der Erinnerung begrüßen und unterstützen. Wie | |
wollen wir gedenken? Warum wollen wir gedenken? Und was soll das Ziel des | |
Gedankens sein? Diese Fragen müssen wir uns stellen. | |
Was erhoffen Sie sich von der Legung der Stolpersteine? | |
Der öffentliche Raum ist hervorragend geeignet, Menschen daran zu erinnern, | |
wo Schwarze Familien ursprünglich gewohnt haben und wo sie ihre letzten | |
freiwilligen Wohnungen besaßen. Die Stolpersteine machen klar, dass die | |
Stadtgesellschaft insgesamt von der Verfolgung von Menschen betroffen war. | |
Ich persönlich trete dafür ein, dass der öffentliche Raum noch stärker in | |
den Blick genommen wird, um ebendiese Geschichten, die in Vergessenheit | |
geraten sind, sichtbar zu machen. Da finde ich, können die Stolpersteine | |
einen Beitrag leisten. | |
23 Aug 2023 | |
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## AUTOREN | |
Oğulcan Korkmaz | |
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