# taz.de -- Kolonialismus in Berlin: Verfolgung und Zusammenhalt | |
> Die Sonderausstellung „Auf den Spuren der Familie Diek“ im Museum | |
> Schöneberg folgt den Lebensläufen einer afrodeutschen Familie über fünf | |
> Generationen. | |
Bild: Mandenga und Emilie Diek mit ihren Töchtern Erika und Dorothea, 1920er | |
BERLIN taz | „Wir kannten nur zwei oder drei Personen, die so waren wie | |
wir, und dachten, die Geschichte der Afrodeutschen habe erst 1945 | |
begonnen“, sagt die 1996 verstorbene Berliner Dichterin und Aktivistin May | |
Ayim. Das Video mit ihren Aussagen ist Mitte der 1980er Jahre entstanden | |
und gleich am Anfang zu sehen. Es ist bezeichnend, dass die Geschichte der | |
Familie Diek erst jetzt thematisiert wird, in einer kleinen, aber sehr | |
durchdachten Ausstellung mit dem Namen „Auf den Spuren der Familie Diek“ im | |
[1][Museum Schöneberg]. | |
Denn eigentlich waren es May Ayim und ihre Mitstreiterin Katharina | |
Oguntoye, die schon damals die Geschichte der Dieks recherchiert und | |
aufgeschrieben haben. Bereits für ihr 1986 erschienenes Buch „Farbe | |
bekennen“, eine Art Initialzündung für das [2][zivilgesellschaftliche | |
Engagement afrodeutscher und afrikanischer Menschen in Deutschland], ist | |
unter Pseudonym ein narratives Interview mit Dorothea Reiprich und Erika | |
Ngambi ul Kuo nachzulesen, den Töchtern von Mandenga Diek, um die es in der | |
Ausstellung maßgeblich geht. | |
Diek kam mit seinem Bruder 1891 aus Kamerun ins Deutsche Kaiserreich, um | |
Medizin zu studieren. Als erster Afrikaner überhaupt erstritt er sich 5 | |
Jahre nach seiner Ankunft die deutsche Staatsangehörigkeit, engagierte sich | |
politisch für die Rechte Schwarzer Menschen in Deutschland, wurde als | |
Kaufmann erfolgreich und gründete mit der Danzigerin Emilie Diek eine | |
Familie. | |
Es ist sensationell, was seine Töchter Dorothea und Erika über das Leben in | |
der Weimarer Republik und natürlich vor allem in der Nazizeit zu berichten | |
wussten. Und ebenso erstaunlich ist es, dass ihre Geschichte durch diese | |
kleine Ausstellung nun endlich in den Fokus der sogenannten | |
Mainstreamgesellschaft gerät. Allein, weil sie die erste dieser Art ist, | |
die auf Initiative weißer Kurator*innen organisiert wurde, aber auch, | |
weil sie sicher demnächst wegen des [3][Jugendmuseums im selben Haus] von | |
zahlreichen Berliner Schulklassen besucht werden wird. Das breite | |
Nachdenken über die Wurzeln des Rassismus im Deutschen Kolonialismus hat | |
endlich begonnen. | |
## Alles richtig gemacht | |
[4][„Auf den Spuren der Familie Diek“] ist eine Ausstellung, die alles | |
richtig macht. Bei einer Presseführung berichtet Kuratorin Marie Becker, | |
wie sie hier von Mitarbeiter*innen der [5][Initiative Dekoloniale] | |
beraten wurden, von den Bezirksmuseen Treptow-Köpenick und | |
Friedrichshain-Kreuzberg, in denen gerade vergleichbare Ausstellungen über | |
koloniale Spuren in der Stadt zu sehen sind – und vor allem von den | |
Enkel*innen von Erika Ngambi ul Kuo. | |
Der dritte der drei Räume, in dem es um die Familie in der Nachkriegszeit | |
geht, stellt die Geschwister Abenaa Agyeiwaa und Roy Adomako vor: Sie ist | |
Gründungsmitglied der [6][Initiative Schwarze Menschen in Deutschland], er | |
[7][des Vereins Each One Teach One] – beide haben sich, so geht aus der | |
Ausstellung hervor, künstlerisch mit der Arbeit ihres Großvaters | |
auseinandergesetzt, dem Schauspieler und Aktivisten Ludwig M’bepe Mpessa, | |
besser bekannt als UFA-Star Louis Brody, für den das Filmset auch zur | |
Nazizeit ein sicherer Ort geblieben ist. | |
Überhaupt ist natürlich die Nazizeit eines der interessantesten Kapitel, | |
von denen die Ausstellung berichtet. Unvorstellbar, wie unterschiedlich die | |
beiden Schwestern lebten: Erika vor allem an glamourösen Filmsets in | |
Berlin, in einer vergleichsweise komfortablen, aber unwirklichen Blase, in | |
der sie zwar selten mit Anfeindungen konfrontiert war, aber trotzdem | |
natürlich [8][von den KZs und den Zwangsterilisationen wusste]. | |
Dorothea in Danzig, wo sie Zwangsarbeit in der Werft leisten musste und | |
wegen der schlimmen Arbeitsbedingungen eine Tuberkuloseerkrankung erlitt, | |
von der sie sich nie mehr ganz erholte. Und trotzdem lebten beide irgendwie | |
auch ihr Leben weiter. Die Sehnsucht nach Glück, der Überlebenswille in | |
noch so finsteren Zeiten, der Alltag zwischen Verfolgung und Zusammenhalt: | |
Das fasziniert. | |
## Interventionen und Vorsicht | |
Warum es sich außerdem lohnt, diese Ausstellung anzusehen: Da sind | |
einerseits spannende künstlerische Interventionen, so hat etwa die | |
französisch-kanadische Künstlerin Kapwani Kiwanga bei Berliner | |
Florist*innen ein zartes Bouquet in Auftrag geben lassen, das nun im | |
Museum acht Monate verwelken und vertrocknen darf. Vorlage war ein | |
historisches Foto der Feierlichkeiten anlässlich von Kameruns | |
Unabhängigkeit: Viele Probleme, mit denen Kamerun bis heute zu kämpfen hat, | |
gelten als Spätfolgen der Kolonisierung des Landes. | |
Und schließlich noch dies: Die Ausstellung geht besonders behutsam mit | |
ihrer Sprache um, sowohl in der Auswahl von Archivtexten als auch bei neuen | |
Texten. Dazu haben sich die Kurator*innen sogar die Expertise des | |
[9][Kollektivs kaboom] ins Boot geholt, das sich viel mit Literatur in der | |
Kunst befasst. | |
Nun werden Begriffe, die in Zitaten auftauchen und heute als rassistisch | |
gelten, durchgestrichen. Über einer Tafel mit einer frappierend | |
rassistischen Rede der CDU-Bundestagsabgeordneten Luise Rehling aus dem | |
Jahr 1952 liegt nun eine Folie mit Gedichten von May Ayim, die kritische | |
Wendungen überdecken, die man als Besucher*in aber auch anheben kann. | |
Besonders, was diese Vorsicht angeht, setzt die Ausstellung neue Maßstäbe. | |
Museum Schöneberg, Hauptstraße 40/42, täglich 14 bis 18 Uhr, freitags 9 bis | |
14 Uhr. Der Eintritt ist frei. | |
27 Jan 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://www.museen-tempelhof-schoeneberg.de/start.html | |
[2] /Literaturwissenschaftler-ueber-Kolonialismus/!5876119 | |
[3] https://www.museen-tempelhof-schoeneberg.de/jugendmuseum.html | |
[4] https://www.museen-tempelhof-schoeneberg.de/aktuell_schoeneberg.html | |
[5] https://dekoloniale.de/de/about | |
[6] https://isdonline.de/ | |
[7] /Dekolonisierung-von-Strassennamen/!5899594 | |
[8] /Stolpersteine-fuer-Schwarze-Deutsche/!5791607 | |
[9] https://www.freethetext.de/ | |
## AUTOREN | |
Susanne Messmer | |
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