Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Schwarze gegen Antisemitismus: Es mangelt so an Empathie
> In Sachen jüdisches Leid mangelt es nicht nur bei Weißen, sondern auch in
> der Black Community an Solidarität. Dabei hat man vieles gemeinsam.
Bild: Graffiti des Künstlers Eme Freethinker, das an den Black History Month e…
Das von Correctiv enthüllte Treffen Rechtsextremer am Potsdamer Lehnitzsee
schlägt immer noch hohe Wellen. Insbesondere der „Masterplan zur
Remigration“ löst Bestürzung aus. Demnach sollten etliche Millionen
Menschen, die als Personen nichtdeutscher Abstammung eingestuft werden,
gewaltsam aus der Bundesrepublik vertrieben werden, ungeachtet ihrer
Staatsbürgerschaft.
Für viele, die im Alltag Rassismus erfahren, ist die Konspiration keine
Überraschung. Aber wer soll was dagegen unternehmen? Und sind alle
Ansprüche, die an die deutsche Leitkultur gestellt werden, förderlich oder
überhaupt gerechtfertigt? Anlässlich des Black History Month 2024 möchte
ich dafür plädieren, über das übliche Schwarz-Weiß-Denken hinauszukommen.
In Bezug auf das rechte Treffen veröffentlichte [1][die Schwarze
Antirassistin Tupoka Ogette] einen offenen Brief mit dem Titel „Dear White
People“. Darin ruft sie weiße Menschen dazu auf, die Demokratie zu retten:
„Stärkt Allianzen. Führt schwierige Gespräche.“ Im Grunde bedeutet das
allerdings eine Auslagerung der Mitverantwortung.
Es ist zwar wichtig, dass wir die Weißen ansprechen und Tacheles mit ihnen
reden. Der Aufruf suggeriert jedoch, es sei ausschließlich die Aufgabe der
Weißen, Hass zu bekämpfen. Als bräuchte diese Welt noch mehr White Saviors!
Doch hat sich eine so gedachte Aufgabenteilung in der Black Community
inzwischen zum Geschäftsmodell gemausert. Sie beinhaltet ein
Sündenerlass-Abo. Und so schreiben wir am laufenden Band rassismuskritische
Bücher, während reumütige Weiße sich unsere ISBN, unsere IBAN und unsere
Inhalte merken.
## Aufruf zur Auslagerung
Doch damit nicht genug: Aufrufe wie „Liebe Weiße“ blenden aus, dass es auch
innerhalb der Schwarzen Gemeinschaft Ansichten gibt, die den Kampf gegen
den Rechtsextremismus unterminieren. Dazu zählt der Antisemitismus.
[2][Weltbekannte Black Entertainers wie Kayne West], Dave Chapelle und Ice
Cube warten turnusmäßig mit judenfeindlichen Äußerungen auf, die an die
kruden Karikaturen und die verwerflichen Verschwörungstheorien des Stürmer
erinnern. Auch tobt Louis Farrakhan, der inzwischen 90-jährige Anführer der
Nation of Islam, über jüdische Menschen als Termiten und preist Adolf
Hitler. Das sind natürlich „extreme“ Fälle. Aber diese Beispiele befeuern
den Hass nur weiter.
Seit dem 7. Oktober, dem blutigsten Massenmordanschlag gegen das Judentum
nach dem Holocaust, erleben jüdische Menschen statt Anteilnahme lauter
Antipathien. Man schenkte ihnen weder Zeit zum Trauern noch den Raum dafür,
sich die Wut aus dem Bauch zu schreien. Sogleich mussten sie Rede und
Antwort stehen, und zwar bezüglich jedweder Handlung, die der Staat Israel
seit 1948 ausgeführt hat. Wer eine Kippa oder den Davidstern auf offener
Straße trägt, lebt gefährlich. Hakenkreuze und Schriftzüge wie „Juden
raus!“ prangen vermehrt wieder auf Häuserwänden.
Frau Ogettes Post zu den Deportationsplänen der Rechten rät Weißen dazu:
„Check in bei den BIPoC um dich herum.“ Wunderbar. Doch es obliegt auch uns
Schwarzen, unseren jüdischen Mitbürger:innen eine seelische
Zufluchtsstätte zu bieten, und zwar proaktiv. [3][Nach der Ermordung von
George Floyd] gingen Abermillionen Weiße im Schulterschluss mit uns
weltweit auf die Straße, und Jüdinnen waren ganz engagiert mit dabei. Warum
bringen wir es kollektiv nicht, uns auf Solidaritätsmärsche für die
israelischen Geiseln blicken zu lassen? Die fehlende Empathie ist
beschämend.
## Antipathien statt Anteilnahme
Kurz nach dem Terrorangriff postete [4][Black Lives Matter (BLM) Chicago]
das Bild eines Gleitschirms mitsamt palästinensischer Flagge, in
schadenfroher Anspielung an die Hamas-Paraglider, die das Musikfest
Supernova Rave überfallen hatten. Mehr als 24 weitere BLM-Ortsverbände
verharmlosten den Terror als einen „verzweifelten Akt der
Selbstverteidigung“.
Claudine Gay, die erste Schwarze Präsidentin der Elite-Universität Harvard,
verhielt sich auch nicht gerade vorbildlich. Auf die Frage, ob Studierende,
die auf dem Campus antisemitische Hetzparolen verbreiten, damit gegen die
Verhaltensregeln Harvards verstoßen, erwiderte die inzwischen wegen
Plagiatsvorwürfen zurückgetretene Akademikerin: „Es hängt vom Kontext ab.�…
Eine afrodeutsche [5][Gastprofessorin an der UdK Berlin] spricht vom
„Widerstand“ gegen Israel. Viele „israelkritische“ Stimmen betreiben ein
Racial Framing, wonach Israelis als White Supremacists dargestellt werden.
Allerdings sind 30 Prozent der israelischen Jüdinnen und Juden Nicht-Weiße,
seit Generationen dienen Schwarze Israelis äthiopischer, beduinischer und
afroamerikanischer Herkunft stolz bei den IDF. Doch diese Tatsachen werden
ausgeblendet, weil sie nicht ins Narrativ passen.
Darüber hinaus blieb nicht nur die Organisation UN Women erstaunlich ruhig,
als Angaben über die wiederholte Vergewaltigung jüdischer Frauen und
Mädchen bestätigt wurden. Auch jene Schwarzen Feministinnen, die sonst mit
Hang zur Bissigkeit über Intersektionalität und Schwesternschaft reden,
kriegten die Zähne nicht auseinander.
## Wannsee 2.0
Doch wenn ich genau dieses eklatante Versäumnis thematisiere, werde ich von
einigen Schwarzen als „Sarah’s House Negra“ und „Zionisten-Schlampe“
beschimpft. Dass ich seit 2018 queere Geflohene aus Palästina im Ehrenamt
mitbetreue, wird als „islamophobes Pinkwashing“ abgestempelt.
Dabei verbindet uns viel mehr, als uns trennt. Wenn die Schwarze Community
nicht einmal in der Heimat des Holocausts dazu imstande ist, den
Antisemitismus zu verurteilen und sich mit jüdischen Menschen zu
solidarisieren, dann ist es ein Hohn, Weiße dazu aufzufordern, mehr gegen
den Hass zu unternehmen. Der Wahnsinn vom Wannsee 2.0 ist kein
Hirngespinst, sondern werdende Realität.
12 Feb 2024
## LINKS
[1] /30-Jahre-Friedliche-Revolution/!5639332
[2] /Kanye-West-und-Antisemitismus/!5888775
[3] /Urteil-im-Mordfall-George-Floyd/!5783164
[4] https://abc3340.com/news/nation-world/blm-chicago-backs-palestine-after-ham…
[5] https://www.udk-berlin.de/startseite/
## AUTOREN
Michaela Dudley
## TAGS
Antisemitismus
Antirassismus
Black Community
Afrodeutsche
Black History
Antisemitismus
Gaza-Krieg
Lesestück Interview
Kolumne Diskurspogo
Stolpersteine
## ARTIKEL ZUM THEMA
Kayne West auf den Index?: „Das ist schlicht Antisemitismus“
Der Berliner Bezirk Steglitz-Zehlendorf diskutiert, 2 Songs von Kayne West
verbieten zu lassen. Grünen-Politiker Daniel Eliasson erklärt, warum.
Gaza-Krieg und Weltkindertag: Auch Israelis unter den Opfern
Kinder sind die unschuldigen Opfer jedes bewaffneten Konflikts. Doch das
schützt sie nicht davor, instrumentalisiert zu werden – wie derzeit in
Gaza.
Autorin Alice Hasters über Rassismus: „Man könnte effizienter streiten“
In ihrem neuen Buch beschäftigt sich Alice Hasters mit Identitätskrisen.
Ein Gespräch über komplexe Menschlichkeit und Festhalten an der eigenen
Erzählung.
Kampfbegriffe der Rechten: „Wokeness“ gibt es nicht
Es ist eine leere Worthülse und ein rechter Kampfbegriff, um Minderheiten
kleinzuhalten: „Woke“. Aber es ist kein ernstzunehmender Beitrag zum
Diskurs.
Tahir Della über Erinnerungskultur: „Opferkonkurrenz gibt es nicht“
In Berlin werden Stolpersteine für Schwarze Menschen verlegt. Tahir Della
von der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland über den Hintergrund.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.