# taz.de -- Kampfbegriffe der Rechten: „Wokeness“ gibt es nicht | |
> Es ist eine leere Worthülse und ein rechter Kampfbegriff, um Minderheiten | |
> kleinzuhalten: „Woke“. Aber es ist kein ernstzunehmender Beitrag zum | |
> Diskurs. | |
Bild: Protest, sich für Marginalisierte einsetzen wird diffamiert mit Begriffe… | |
Immer wieder schaffen es rechte Kampfbegriffe in die Alltagssprache, in den | |
politischen Diskurs und schließlich auch in linke Medien und in soziale | |
Bewegungen, wo sie dann viel zu lange ungehindert ihren Schaden anrichten, | |
demotivieren und Spaltungen verstärken können. | |
Dass das so einfach möglich ist, wurmt mich, seit meine Deutschlehrerin auf | |
dem Pausenhof verkündete, sie habe ein neues Wort gelernt: „Gutmensch“. Das | |
würde Menschen mit einem erhobenen Zeigefinger beschreiben und da fühle sie | |
sich als 68erin ja schon ein bisschen ertappt. | |
Wir Schüler*innen kannten das Wort. Allerdings bis zu diesem Zeitpunkt | |
nur aus Neonazi-Flugblättern und Hassschriften, mit denen wir konfrontiert | |
waren. Ich erinnere mich an diesen Schock: Wie kam dieses Wort in das | |
Lehrerzimmer einer progressiven Schule? | |
Seitdem habe ich den Siegeszug des Wortes besorgt beobachtet – das Wort | |
quasi begleitet, bis es 2015 Unwort des Jahres wurde. „Gutmensch“ | |
diffamiere „Toleranz und Hilfsbereitschaft pauschal als naiv, dumm und | |
weltfremd, als Helfersyndrom oder moralischen Imperialismus“, hieß es in | |
der Jury-Begründung. Stimmt. Andere Wörter machten ähnliche Karrieren. Aus | |
der politischen Rechten kommt der Begriff der „political correctness“ nach | |
Deutschland – und einige Jahre lang wird alles als PC diskreditiert, das | |
irgendwie mit Antidiskriminierung und Minderheitenschutz zu tun hat. Es hat | |
viel zu lange gedauert, bis sich soziale Bewegungen von dieser Bezeichnung | |
frei strampeln und drüber stehen konnten. | |
## Den Schaden haben am Ende Marginalisierte | |
Die Beschimpfung war gut gewählt: Gerade diejenigen, die sich als | |
widerständig begreifen und Nonkonformität feiern, wollen nicht mit | |
irgendeiner übermäßigen Korrektheit in Verbindung gebracht werden. Das wäre | |
ja spießig. Und so konnte man peinlich berührt dabei zusehen, wie sich | |
Linke gegenseitig als politisch korrekt verhöhnten, wenn sie in | |
Streitlaune waren. Den Schaden hatten Marginalisierte und ihre Forderungen. | |
„Woke“ kommt aus dem afroamerikanischen Englisch der 30er Jahre. Die | |
US-amerikanische Begriffsgeschichte lässt sich leicht nachlesen. Für | |
hiesige Diskurse gilt: Keine Bewegung hat sich selbst jemals als woke | |
bezeichnet. Noch nie haben sich Afrodeutsche mit den Worten „stay woke“ von | |
Demos verabschiedet. Rechte Trolle bringen „woke“ in deutsche | |
Social-Media-Kommentare und alle springen wieder über das gleiche | |
Stöckchen. | |
Wokeness gibt es nicht. Und das macht ein Wort gut einsetzbar als | |
Kampfbegriff – zu einer leeren Worthülse, die sich je nach Bedarf befüllen | |
lässt um diejenigen klein zu halten, die für die Interessen von | |
Minderheiten einstehen, und um linke Politik abzuwerten. Wem gerade eine | |
Forderung zu weit geht, wer sich gerade in einem Privileg beschnitten | |
fühlt, benennt diese Forderung einfach als „zu woke“ und fertig. Das ist | |
keine ernstzunehmende Diskursgrundlage. Steht also einfach weiter für das | |
ein, was euch wichtig ist. Auch wenn der nächste Kampfbegriff daher kommt. | |
8 Sep 2023 | |
## AUTOREN | |
Simone Dede Ayivi | |
## TAGS | |
Kolumne Diskurspogo | |
Diskurs | |
Linke Szene | |
Political Correctness | |
Rechtsruck | |
Gendern | |
Antisemitismus | |
Schwerpunkt #metoo | |
Deutsche | |
Kolumne Diskurspogo | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Kulturkampf um Political Correctness: Woker woke sein | |
Der Kampf für eine emanzipatorische Sprache ist nicht erfolgreich. Die | |
Debatte ist zu akademisch und geht an den Menschen vorbei, um die es geht. | |
Schwarze gegen Antisemitismus: Es mangelt so an Empathie | |
In Sachen jüdisches Leid mangelt es nicht nur bei Weißen, sondern auch in | |
der Black Community an Solidarität. Dabei hat man vieles gemeinsam. | |
Woke Männlichkeiten: Rumgegockel in pinker Verpackung | |
Manche Männer sinnieren über ihre Männlichkeit und versuchen, damit bei | |
Feministinnen zu landen. Konsequenzen für ihr eigenes Handeln hat das | |
selten. | |
Deutsche Fehlersuche: Differenz aushalten und nachfragen | |
Rassismus, Queerfeindlichkeit, Colorism, Klassismus und Ableismus wurde | |
unserer Kolumnistin schon vorgeworfen. Zu Recht, findet sie. | |
Diskussion um Care Arbeit: Auch Kinderlose kümmern sich | |
Sorgearbeit ist ein weites Feld – der sehr deutsche Kleinfamilien-Fokus | |
wird dem nicht gerecht. Von einer familienfreundlichen Arbeitskultur müssen | |
alle profitieren können. |