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# taz.de -- Ägypten auf der Suche nach seiner Kultur: Lokführer dringend gesu…
> Vor zehn Jahren intervenierte das Militär. Ein Besuch der New Capital,
> der Grün Fete de la Musique in Kairo und bei Künstler Mohamed Abla in
> Fayyoum.
Bild: Der ägyptische Künstler Mohamed Abla im Gespräch mit der taz in Fayyoum
Kairo/Fayyoum taz | „Ich folge dem Zufall.“ Mohamed Abla sitzt im Garten
seines Karikaturenmuseums in Tunis in der Oase Fayyoum. Zwei Fahrstunden
südwestlich von Kairo brennt die Sonne vom Himmel. Am Rand der Wüste hat es
40 Grad im Schatten. Im Hintergrund eine Dattelpalme, behängt mit Trauben
praller, noch grüner Früchte. Zwei Arbeiter werkeln zwischen den
Betonstelen eines Erweiterungsneubaus.
Der wird neben dem Karikaturenmuseum künftig auch das künstlerische Werk
Ablas in Fayyoum zeigen. Zumindest jene Bilder, die der mittlerweile
70-Jährige nicht verkauft hat oder nicht verkaufen wollte.
Abla ist einer der renommiertesten Gegenwartskünstler Ägyptens. Sein Werk
ist erzählerisch und abstrakt zugleich. Der Künstler reagiert auf das
Zeitgeschehen und ist selbst von Cartoons beeinflusst. Er war immer schon
ein sozial sehr interessierter und engagierter Künstler. In seiner Malerei
porträtiert er Kairo, die Stadt, den Nil, den Tahrirplatz, die Menschen und
ihren Alltag. Sein flüchtiger Stil erinnert entfernt an den Pointillismus,
seine Collagen orientieren sich an den Techniken der klassischen
Avantgarde.
Auf einen einzigen Stil möchte sich Abla, der 2013 auch an der Ausarbeitung
einer neuen Verfassung beteiligt war, nicht festlegen lassen. Abla-Style
bedeutet, europäische und orientalische Positionen miteinander zu
kombinieren. Als er 2022 in Weimar mit der Goethe-Medaille ausgezeichnet
wurde, war eine Auswahl seiner Werke dort zu sehen.
## Abseits von Kairo
Neben seinem Atelier in Kairo, in der alten kolonialen Innenstadt, arbeitet
der Künstler gerne in dem kleinen Ort Tunis in Fayyoum. Landluft tut auch
in Ägypten gut, zumal bei der Entwicklung in Ägypten in den letzten Jahren.
Herr Abla führt durch den lichten Lehmbau seines Karikaturenmuseums,
welches ein gutes halbes Jahrhundert ägyptischer Polit- und
Gesellschaftssatire versammelt. Das Museum ist das einzige seiner Art im
Land. Eingerahmt hängen bissige Kommentare aus einer weit zurückliegend
scheinenden Zeit, Karikaturen aus Zeitungen und Zeitschriften, die es nicht
mehr gibt.Sie karikieren die Debatten nach der Unabhängigkeit des zuvor
lange unter osmanischer, später französischer und zuletzt britischer
Herrschaft stehenden Landes.
Die jüngste Gegenwart fehlt allerdings. Heute sei kein besonders guter
Zeitpunkt für politische Satire, sagt Abla, während er eine Besuchergruppe
– hip wirkende Studierende aus der Großstadt – begrüßt, die sich im Muse…
mit ihren Smartphone-Kameras porträtieren. Tatsächlich könnte man gerade
heute einiges in Ägypten satirisch betrachten.
Könnte. Doch Präsident Abdel Fatah al-Sisi und das Militär verordneten der
Öffentlichkeit seit der Machtübernahme 2013 eine strikte Friedhofsruhe.
Ökonomisch beglückten sie das Land seither mit großen Infrastruktur- und
prestigeträchtigen Stadtplanungsprojekten. Die vielen neuen Brücken und
Autobahnen sprechen davon. Autotrassen wurden durch Kairos Wohnviertel
geschlagen. Um den Ballungsraum wuchern neue, eingezäunte Betonsiedlungen
aus der Wüste. Betonskelette allüberall.
## New Capital auf Wüstensand
Rund fünfzig Kilometer östlich der Nilmetropole entsteht in der Wüste seit
2015 die „New Capital“. Sie soll sechs Millionen Einwohnern Platz bieten –
der Militär-, Verwaltungs- und Wirtschaftselite. Geschätzte Baukosten: 60
Milliarden Euro. Von Saudis und Emiraten vorfinanziert, manches auch von
chinesischen Direkt-Investoren gebaut. Einige der aus Beton gegossenen
Monumentalbauten mit Pharaonendekor scheinen bezugsfertig.
Neben monumentalen Ministerien sind halbfertige Wohnkomplexe, Gated
Communities, zu sehen. Auch das Projekt einer von Siemens auf Betonstelzen
geplanten Hochgeschwindigkeitsbahn (Kostenpunkt: 8,1 Milliarden Euro, über
2.000 Kilometer Schienennetz) scheint im Wüstensand Fortschritte zu machen.
Die zentrale Haltestelle für die New Capital ist bereits in Beton gegossen.
Doch Ungemach kündigt sich an. Unter der rigiden Planwirtschaft der
Militärs schlittert das Land in eine schwere Wirtschaftskrise. Das
Ägyptische Pfund verlor binnen eines Jahres die Hälfte seines Wertes. Der
Staat ist hoch verschuldet, die Devisenreserven aufgebraucht.
Von Sicherheitsarchitektur und Überwachungstechnik profitiert die Mehrheit
der Ägypter eher nicht. Über die Hälfte der 105 Millionen Einwohner lebt
unterhalb der Armutsgrenze. 2013 bewahrten die Militärs unter Abdel Fatah
al-Sisi das bevölkerungsreichste arabische Land vor der Übernahme durch
Moslembrüder und Salafisten. Doch wohin steuern sie seither? Die
Planwirtschaft der Militärs führt die Wirtschaft des Landes an den Rand des
Ruins. Und fehlende demokratische Ventile sowie geringe soziale
Aufstiegschancen stärken unter der Oberfläche den religiösen Extremismus
vieler.
## Maraghanat im Al-Azhar-Park
[1][Harte Zeiten für den aufgeklärten Teil der städtischen Jugend.] Nur
selten kann sie sich so unbeschwert treffen wie bei der Grün Fete de la
Musique im Al-Azhar-Park in Kairo. Hier treten an drei aufeinanderfolgenden
Abenden vor dem nahenden Opferfest Maraghanat- und
Electro-Chaabi-Formationen aus Kairo auf. Mit Ena Lind auch eine
Elektro-Musikerin aus Berlin.
Die Grün Fete de La Musique wird gemeinsam von Goethe Institut, Institut
français und ägyptischen Partnerorganisationen Orientproduction, Greenish
und Makan Aam ausgetragen. Hunderte, wenn nicht Tausende kommen in den
Al-Azahr Park, um open air die Singer/Songwriterin Samar Tarik, den Drill
Rap von Ziad Zaza oder den ebenfalls von Maraghanat und Electro-Chaabi
beeinflussten Rap El Wailis zu erleben.
Und das vor einer kolossalen Kulisse. Der Al-Azahr-Park liegt auf einem
Hügel oberhalb der Azhar-Moschee mit Blick auf die Kairoer Zitadelle.
Früher befand sich hier eine Müllkippe. Der Aga-Khan-Trust, eine
gemeinnützige Stiftung, benannt nach dem schwerreichen Führer der
ismailitischen Nizariten, ließ die Mülldeponie rekultivieren.
Revitalisierung statt Flucht aus der Stadt. So entstand der größte Park
Kairos. Seit 2005 ist das weitläufige 30 Hektar große Areal mit seiner
orientalischen Gartenarchitektur geöffnet.
Auf dem saftigen Grün lagern Gruppen, picknicken und genießen die Umgebung,
den künstlichen See, die Wasserspiele, den Ausblick auf Palmen und
Lake-Side-Cafe. Singvögel fliegen umher in dieser einzigartigen grünen Oase
Kairos.
## Niqab und Electrobeats
Als es dämmert, hallen aus den Boxen von der Grün Fete de la Musique
kräftige Electrobeats herüber. Vereinzelt sitzen Frauen vollverschleiert
auf Parkbänken, der wahhabitische Niqab gehört auch zum Stadtbild von
Kairo. Doch anscheinend wird hier dennoch an der Idee einer offenen Stadt
festgehalten. Dabei gilt das gemeinsame gemischtgeschlechtliche Musikhören
und Tanzen eher als unschicklich.
Doch unter den wachsamen Augen der staatlichen Autoritäten herrscht im
Azhar-Park eine ausnehmend friedliche, tolerante Stimmung. Im
Festivalbereich werben vor den Konzerten ägyptische Umweltaktivistinnen auf
Podien für einen sensibleren Umgang des Menschen mit der Natur. Initiativen
aus verschiedenen Regionen des Landes bieten ihre aus Abfall recycelten,
biologisch und fair produzierten Waren an.
„Alles was derzeit an Musik interessant ist in Ägypten, kommt aus der
elektronischen Szene,“ sagt May Mostafa. Sie ist eine Kennerin der Musik-
und Klubkultur Kairos. Mostafa hebt auf die Bedeutung lokaler Stile wie
Maraghanat ab. Diese verbinden volkstümliche ägyptische Musiktraditionen
mit internationalen elektronischen Stilen und seien gerade in den
Vorstädten besonders populär.
Doch andere kritisieren am Rande, dass es für die elektronische Musikszene
kaum Möglichkeiten gibt, in einem größeren Klub kommerziell aufzutreten.
Genehmigungen erteilt die staatliche Musikergewerkschaft.
## Die Codes für Frauen
So euphorisch die Stimmung in den drei Sommernächten, gegen 22 Uhr ändert
sich das Bild im Al-Azahr-Park jeweils deutlich. Dann sollten Mädchen und
Frauen, mit oder ohne Kopftuch, wieder zu Hause sein.
Und selbst in den eigenen vier Wänden gilt es als unschicklich,
nichtfamiliären Besuch des anderen Geschlechts zu erhalten. In ihrem 2021
erschienenen, sehr spannenden Roman „Die Experten“ beschreibt Merle Kröger
die Situation für Kairo in den 1960er Jahren.
Darin lässt sie die junge, gut ausgebildete Ägypterin aus wohlhabender
Familie erklären, warum sie als Rezeptionistin des Luxus-Hilton tätig ist:
„Für uns moderne Frauen in Ägypten ist es nicht leicht, eine Arbeit zu
finden, die sicher und angemessen ist. Uns steht nur die Welt der Clubs
offen, dort können wir tun und lassen was wir wollen.“
Die ägyptsche Gesellschaft ist heute weniger homogen als in den 1960ern.
Traditioneller Paternalismus und aufgeklärter Feminismus existieren oft
Kopf an Kopf. Doch die Anerkennung individueller Menschenrechte, die
Gleichstellung von Mann und Frau markieren zumeist keine gelebte
Wirklichkeit, die Akzeptanz alternativer Lebensentwürfe ist gering.
## Konzeptkunst in Downtown
Die junge ägyptische Konzeptkünstlerin Nadia Mounier nennt ihre Ausstellung
„Was That Really You? Maybe“. Sie bespielt aktuell den Schauraum Takhshīna
des Goethe Instituts Bustan in Kairo Downtown. Mounier thematisiert in
Videoarbeiten oder klassischen Fotocollagen die Konstruktion von
Weiblichkeit und geschlechtlichen Rollenbildern. Wie sich Codes über den
medialen Raum verbreiten.
So dokumentiert sie eine Fotoserie aus einer libanesischen Modezeitschrift
der 1980er Jahre. Diese zeigt die moderne arabische Frau, wie sie in
Trockenübungen schwimmen lernen soll. Bei tadelloser Figur und
Pagenschnitt.
Auch in der großformatigen Videoinstallation „How to Eat Shrimps like Salma
Hayek“ hebt sie spielerisch auf Weiblichkeitsposen und deren Verbreitung im
zumeist Digitalen ab.
## Präsident al-Sisi liebt deutsche Schulen
Präsident al-Sisi halte viel von deutschen Schulen, sagt Susanne Höhn,
Leiterin des Goethe Instituts Kairo. Am liebsten hätte er tausend
zusätzliche deutsche Schulen sowie Lehrer-Fachkräfte im Lande, sagt sie.
Doch Deutsch ohne Freiheitsrechte?
In der jetzigen Situation sei es schwer, diese ausgerechnet nach Ägypten zu
locken. In die andere Richtung hingegen boomt die Nachfrage. Die
Deutschkurse des Sprachzentrums im Goethe Institut im Stadtteil Dokki sind
stark frequentiert.
Stolz führt Höhn durch die lichten und gut besuchten öffentlichen Räume des
Instituts. Unter anderem werden am Institut gerade 25 ägyptische Lokführer
unterrichtet. Fachkräfte, damit die Deutsche Bahn sie dann für das neue
Siemens-Hochgeschwindigkeitsnetz schulen kann.
## Auf einen Mokka mit Herrn Abla
Zurück in Fayyoum im Garten des Künstlers Mohamed Abla. Fernab der Kairoer
Hektik reicht er Khak, einen mit Puderzucker bestäubten mürben Keks, zu mit
Kardamom gewürztem türkischen Mokka.
Ablas Tunis hat etwas von einem Aussteigerdorf. In den Gassen
Töpferwerkstätten, die Kunsthandwerk anbieten. Hinter manch gelber
Lehmmauer und Schilfabdeckung verbirgt sich ein alternativ angehauchtes
Freizeitresort. Auch Abla und seine Frau Christina bieten regelmäßig
mehrtägige Kurse in ihrem Kulturzentrum an.
Er gibt aber auch weiterhin Workshops für sozial Benachteiligte und und
Kinder. „Manchmal demonstrieren wir auch noch ein wenig“, sagt er. Etwa,
wenn Menschen gegen ihren Willen umgesiedelt würden. Aber ohne dabei zu
konfrontativ zu agieren.
[2][Zehn Jahre nach dem Machtantritt der jetzigen Regierung ist die
Situation im Land komplex.] Und dennoch: auch Persönlichkeiten wie Abla
sind Teil des heutigen und widersprüchlichen Ägyptens. Die Regierung kann
versuchen, die Zeit aufzuhalten, einfach zurückdrehen lässt sie sich nicht.
## Von Alexandria nach Düsseldorf
Abla, 1953 geboren und an der Kunsthochschule in Alexandria Jahren
ausgebildet, bereiste halb (West-)Europa, verdingte sich als Porträtmaler,
strandete in der Bundesrepublik, bis er ab Mitte der 1980er Jahre samt
Familie nach Ägypten zurückkehrte.
Er erzählt, wie er Anfang der 80er den großen Joseph Beuys an der
Düsseldorfer Kunstakademie besuchte. Doch der sei samt seiner Klasse im
„Raum 3“ ausschließlich mit Wahlkampf für die Grüne Partei beschäftigt
gewesen. Nichts für Abla. „Ich weiß, was Aktivismus ist, aber ich wollte
Kunst studieren“, sagt er. Und zog weiter. Und weiter.
2011 tupfte er farbenfrohe Szenen vom Tahrirplatz, heute sieht man in
seinem Atelier eher Landschaftsmalerei oder Porträtstudien. Aktuell
schreibt er seine Memoiren. Und betont dabei die Bedeutung der 1970er Jahre
unter Präsident Anwar as-Sadat.
Damals erlebte Ägypten die erste große Re-Islamisierungswelle. „Die
Moslembrüder hatten Carte blanche unter Sadat,“ so Abla. „Sie haben uns an
der Universität angegriffen, Meetings, Musik- oder Theateraufführungen
gestört.“
Militär und Frömmlertum, anscheinend passen sie gut zusammen.
Transparenzhinweis: Die Recherche wurde vom Goethe Institut unterstützt.
8 Jul 2023
## LINKS
[1] /Clubkultur-in-Kairo/!5066613
[2] /Wirtschaftskrise-in-Aegypten/!5909775
## AUTOREN
Andreas Fanizadeh
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