# taz.de -- Thriller „Die Kairo-Verschwörung“ im Kino: Campus der Intrigen | |
> Ein Student gerät zwischen Muslimbrüder und Geheimdienst: Der Film „Die | |
> Kairo-Verschwörung“ führt in das Innere einer islamischen Universität. | |
Bild: Adam (Tawfeek Barhom) und die Muslimbrüder an der Al-Azhar-Universität | |
Adam lebt mit seinen zwei Brüdern und seinem Vater im Nordosten Ägyptens, | |
in der Nähe des Nildeltas auf dem Land. Jeden Morgen rudert er seinen Vater | |
in einem Boot zum Fischen auf den lagunenartigen Manzalasee hinaus, danach | |
fährt er in die Moschee, um zu lesen, um zu lernen. Ein Stipendium für die | |
angesehene [1][Al-Azhar-Universität] verschlägt ihn nach Kairo. Statt des | |
Fischens ist sein neues Leben gefüllt mit gemeinsamen Gebeten, Vorträgen | |
der Lehrenden, Kalligrafie. | |
Doch die Azhar, mehr als 1.000 Jahre alt, ist mehr als nur eine Universität | |
des sunnitischen Islams. Die Institution, die zur Zeit der Dynastie der | |
Fatimiden um eine Moschee herum entstand, ist zentral für das fragile | |
Verhältnis von Staat und Religion in Ägypten, und Adam findet sich in „Die | |
Kairo-Verschwörung“, dem neuesten Film des schwedischen Regisseurs Tarik | |
Saleh, mitten im Spannungsfeld dieses Verhältnisses. | |
Während eines Vortrags bricht der Großimam, der als Scheich der Azhar | |
zugleich Oberhaupt der Institution ist, hustend zusammen. Besorgt verfolgen | |
die Studenten die Nachrichten zum Gesundheitszustand des Oberhaupts der | |
Institution auf dem Fernseher in der Küche der Universität. Wenig später | |
ist der Geistliche tot. Unter Leitung des machthungrigen ägyptischen | |
Militärs versucht die ägyptische Politik, die Situation zu nutzen und ihren | |
politischen Einfluss auf die Azhar durch die Wahl eines ihr wohlgesinnten | |
Kandidaten auszubauen. | |
Das Leben an der Universität kommt in der Zwischenzeit zum Erliegen, die | |
riesigen Räume und Höfe liegen verlassen. Zu groß ist die Gefahr, sich | |
durch unliebsame Äußerungen zu diskreditieren. Gerade ist der Assistent | |
eines der Geistlichen als Zuträger der Regierung enttarnt worden. | |
Als Neuling ohne schon bestehende Bindung an eine der Fraktionen gerät Adam | |
als idealer Nachfolger in den Blick der Politik. Er bemerkt die plötzliche | |
Aufmerksamkeit voller Unbehagen, weiß aber nicht, wie er sich ihr entziehen | |
soll. Dann wird der Mann, der ihn anwerben soll, im Hof der Azhar ermordet. | |
Adam ist gezwungen, die Welt der Azhar jeden Abend zu verlassen für | |
klandestine Treffen mit dem Colonel des „Staatssicherheit“ genannten | |
Inlandsgeheimdienstes, der in der Sache des Mordes ermittelt. | |
## Gewirr der Interessen | |
Trotz der dauernden Präsenz des langen Arms der Politik in Person von | |
Colonel Ibrahim (Fares Fares) verlagert Regisseur Tarik Saleh den Fokus der | |
Handlung zunächst zurück in die Azhar und zeigt das interne Ringen um die | |
Leitung als Auseinandersetzung über die Ausrichtung des Islams und über | |
seine Rolle in den Gesellschaften der arabischen Welt. Muslimbrüder, | |
kritische und staatsnahe Theologen wetteifern um das einflussreiche Amt. | |
Adam versucht in erster Linie, am Leben zu bleiben und in dem Gewirr der | |
Interessen nicht unterzugehen. | |
Schon bald setzt ihn Colonel Ibrahim auf die Fährte einer Gruppe | |
Muslimbrüder, die sich nachts in der verwaisten Moschee zum gemeinsamen | |
Gebet treffen. Nach einigen Nächten wird Adam eingeladen, sich der Gruppe | |
anzuschließen, die sich tagsüber unter dem Vorwand trifft, die Rezitation | |
des Korans zu verbessern. Als Adam das erste Mal vorträgt, ist die Gruppe | |
entsetzt, er singe verbotenerweise den Koran, statt ihn nüchterner | |
vorzutragen. | |
In diesen Szenen und dem Wettstreit der Dozenten mit ihren Gruppen von | |
Anhängern im Hof der Universität erinnert der Film an [2][Youssef Chahines] | |
„Das Schicksal“ von 1997. Chahine verarbeitete die Bedrohung durch die | |
Muslimbrüder in den 1990er Jahren als Historienmusical über das Wirken des | |
Philosophen Averroes/Ibn Rushd in Andalusien unter arabischer Herrschaft im | |
12. Jahrhundert. Chahine stellt den lustfeindlich-mörderischen | |
Fundamentalisten eine Gruppe lebensbejahender Anhänger Averroes’ gegenüber. | |
In Salehs Film erscheinen die Muslimbrüder pappkameradenhafter. | |
## Thriller vor politischem Hintergrund | |
Im Kontrast zu Chahines Film wird deutlich, wie dezent Saleh politische | |
Elemente aufgreift. „Die Kairo-Verschwörung“ ist denn auch kein dezidiert | |
politischer Film, der einem europäischen Publikum das komplexe Verhältnis | |
von Staat und Religion in Ägypten aufdröseln möchte, sondern ein Thriller | |
vor politischem Hintergrund. Getragen wird der Film vom Kontrast zwischen | |
Fares Fares’ bärbeißig-schratigem Colonel Ibrahim und dem in Ränkespielen | |
unerfahrenen, aber klugen Adam, gespielt vom israelisch-palästinensischen | |
Schauspieler Tawfeek Barhom. | |
Ibrahim hat auf nahezu unerklärliche Weise alle Umbrüche der ägyptischen | |
Politik in der Staatssicherheit überlebt. Saleh unterstreicht diese | |
Überzeitlichkeit Ibrahims, indem er ihn auf Autofahrten klassische | |
ägyptische Popmusik hören lässt. Adam lässt sich nur widerwillig auf seine | |
Rolle als Informant ein. Immer wieder setzt Ibrahim ihn unter Druck, um ihn | |
bei der Stange zu halten, droht ihm, lockt ihn mit Geld für eine Operation | |
des Vaters. Gemeinsam haben die beiden ungleichen Figuren, dass sie von | |
ihrem Umfeld nicht selten unterschätzt werden. | |
Das filmische Werk von Regisseur Saleh ist schwer zu bündeln. Saleh begann | |
mit Dokumentarfilmen über Che Guevara und das US-Gefangenenlager in | |
Guantánamo. 2009 realisierte er den animierten Science-Fiction-Film | |
„Metropia“ über eine Welt, der das Öl ausgeht, mit Vincent Gallo, Udo Kier | |
und Stellan Skarsgård in Sprecherrollen. Es folgten zwei Musikvideos für | |
die [3][schwedische Sängerin Lykke Li]. 2014 besetzte Saleh Li in seinem | |
ersten nicht animierten Spielfilm, dem halbgaren Thriller „Tommy“. | |
Aufwind bekam seine Regiekarriere, als sich Saleh auf seine ägyptische | |
Herkunft besann. „Die Nile Hilton Affäre“ von 2017 entrollt vor dem | |
Hintergrund des beginnenden Arabischen Frühlings einen Kriminalfall. Kurz | |
vor Beginn der Dreharbeiten wurde das Team des Landes verwiesen und Saleh | |
gilt in Ägypten bis heute als unerwünschte Person. | |
## Preis für das beste Drehbuch | |
Fares Fares, der in Deutschland vor allem für seine Rolle als | |
Kriminalassistent Hafez el-Assad in der Verfilmung der Bestseller von Jussi | |
Adler-Olsen bekannt ist, spielt auch in „Die Nile Hilton Affäre“ einen | |
Kriminalpolizisten. Fares’ Rolle im Vorgänger ähnelt in vielem der Figur | |
des Colonel Ibrahim in seinem neuesten Film. | |
„Die Nile Hilton Affäre“ feierte auf dem Sundance-Festival Premiere, „Die | |
Kairo-Verschwörung“ 2022 in Cannes, wo der Film mit dem Preis für das beste | |
Drehbuch ausgezeichnet wurde. Noch vor der „Kairo-Verschwörung“ entstand | |
der Action-Thriller „The Contractor“, der wegen der Pandemie jedoch erst | |
einen Monat vor seinem Nachfolger in den USA in die Kinos kam. | |
„Die Kairo-Verschwörung“ ist ein visuell konventioneller Film, der seine | |
Handlung linear aufrollt. Die Kunst des Films liegt in seinen Dialogen, | |
die, dem Geist einer theologischen Universität gemäß, Dinge oft | |
unterschwellig thematisieren. Wenn die Figuren auf Ereignisse anspielen, | |
weiß man nie recht, ob es sich um ein Gleichnis handelt oder um eine | |
bewusste Verzerrung. | |
Saleh entspinnt all das, ohne komplexer zu werden als nötig, und durchwebt | |
die Interaktion seiner Charaktere mit der Unsicherheit über deren Motive. | |
Selten ist im Moment des Handelns klar, mit welcher Absicht ein Ereignis | |
herbeigeführt wird. „Die Kairo-Verschwörung“ ist ein ebenso kluger wie | |
unterhaltsamer Film. Keine häufige Kombination und darum umso sehenswerter. | |
5 Apr 2023 | |
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## AUTOREN | |
Fabian Tietke | |
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