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# taz.de -- Nicht erst seit Henstedt-Ulzburg: Das Auto als Waffe der Rechten
> Rechte Angriffe mit einem Fahrzeug gab es im Norden schon lange vor dem
> jetzt vor Gericht verhandelten Fall des AfDlers Melvin S. Gezählt werden
> sie nicht.
Bild: Das Auto als Waffe ist unter Rechtsradikalen beliebt
Seit Montag muss sich vor dem Kieler Landgericht Melvin S. [1][wegen
versuchten Totschlags verantworten], weil der heute 22-Jährige vor fast
drei Jahren mit seinem Pick-up am Rande einer AfD-Veranstaltung gezielt
Gegendemonstrant*innen angefahren haben soll. Die Attacke in
Henstedt-Ulzburg war jedoch nicht der erste Angriff rechter Täter mit einem
Auto – auch im Norden hatten solche Taten traumatische Folgen für die
Opfer.
Im Mai 1989 raste der damalige FAP-Funktionär und heutige
[2][NPD-Bundesvize Thorsten Heise] in Nörten-Hardenberg bei Göttingen mit
einem Kübelwagen auf einen libanesischen Asylbewerber zu. Der Mann rettete
sich nur durch einen Sprung ins Gebüsch. Die Kameraden von Heise beschossen
den Asylbewerber danach noch mit Tränengas.
Das Landgericht Göttingen erkannte im Juli 1991 zwar an, das für den
Betroffenen eine „zweifellos lebensgefährliche Situation“ bestanden habe,
doch die Richter*innen betrachteten den Vorfall letztlich als „Geschehen
aus einer Bierlaune heraus“ und bewerteten die Tat juristisch bloß als
gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr. Das Urteil fiel entsprechend
milde aus: Heise bekam nur zwei Jahre auf Bewährung.
Am 19. September 1998 fuhr ein Rechtsextremer in Rostock bei einer
Demonstration gegen die NPD einen 28-Jährigen an. Der Fahrer fuhr, so
Zeug*innen, „mit hohem Tempo, ohne zu bremsen gegen ihn und setzte danach
die Fahrt mit unverminderter Geschwindigkeit fort“.
## Körperliche und psychische Langzeitfolgen
Der 28-Jährige wurde bei der Attacke über das Auto geschleudert und
lebensgefährlich verletzt. Erst nach Wochen war er im Krankenhaus außer
Lebensgefahr. Er leidet bis heute an Folgen des Angriffs – wie auch mehrere
Betroffene aus Henstedt-Ulzburg, die noch immer mit körperlichen und
psychischen Problemen zu kämpfen haben.
In Rosche im Landkreis Uelzen gingen Anfang der 2000er-Jahre Rechtsextreme
verstärkt militant gegen Flüchtlingsunterkünfte vor. Linke
Aktivist*innen versuchten das über längere Zeit hinweg zu verhindern.
Am späten Abend des 30. Juni 2000 attackierten dann zwei Rechtsextreme mit
einem Auto mehrmals die Aktivist*innen. Einer von ihnen musste sich an
einer Bushaltestelle durch einen Sprung zur Seite retten, ein anderer
konnte sich auf einem Fußgängerweg gerade noch in Sicherheit bringen,
sodass die Rechtsextremen ihn nicht überfuhren.
Wie viele rechte Autoattacken es in der Vergangenheit insgesamt gab, ist
nur schwer zu ermitteln. Das liegt auch an der Politik, die den rechten
Terror lange Zeit nicht als ernsthafte Gefahr erkennen wollte. Der
geschilderte Fall aus Nörten-Hardenberg zeigt zudem, dass das auch die
Justiz betrifft.
Und legt man die Pressemitteilung der Polizei zum Vorfall in
Henstedt-Ulzburg zugrunde, gilt das auch für die Polizei: Diese hatte die
Attacke zunächst lediglich als „Verkehrsunfall“ bezeichnet. Erst nachdem
sich Betroffene [3][bei der taz meldeten und ihre Sicht schilderten], bekam
der Vorfall eine neue Wendung.
Auf eine Kleine Anfrage der Linken-Bundestagsabgeordneten Martina Renner im
Jahr 2021 antwortete die Bundesregierung, dass dem Bundeskriminalamt zwar
Zahlen von Auto-Attacken vorlägen, die Beamt*innen sie aber bislang
nicht nach politischer Ausrichtung sortiert hätten: „Die bisher fehlende
statistische Erfassung von Auto-Attacken durch Rassisten und extrem Rechte
beruht auf der folgenschweren Fehleinschätzung der Bundesregierung, dass
Auto-Attacken für rechte Täter untypisch sind“, sagt Renner. Die Attacke in
Henstedt-Ulzburg zeige, wie wichtig eine Erfassung sei, so Renner.
8 Jul 2023
## LINKS
[1] /Prozess-um-Attacke-auf-AfD-GegnerInnen/!5941761
[2] /Baseballschlaegerjahre-in-Wernigerode/!5941578
[3] /Vorfall-nach-einer-AfD-Veranstaltung/!5719987
## AUTOREN
Andreas Speit
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