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# taz.de -- Neue Gentechnik: Deutschland sucht die Superpflanze
> Die Neue Gentechnik verspricht Getreide, das mit der Klimakrise
> klarkommt. Die EU-Kommission will die Regeln für den Umgang mit solchen
> Pflanzen entschärfen. Forschende freut's, UmweltschützerInnen warnen.
Bild: Wie verheißungsvoll sind gentechnisch veränderte Pflanzen?
Gatersleben/Berlin taz | Eine Lidl-Filiale in Berlin: Die Scannerkassen
piepen, die Ventilatoren der Öfen in der Backstation surren leise, Kunden
schieben ihre Einkaufswagen durch die Barriere am Eingang. Frage an eine
Verkäuferin, die gerade Eiscreme in eine Tiefkühltruhe räumt: „Haben Sie
eigentlich auch gentechnisch veränderte Lebensmittel?“ Die Frau guckt
verdutzt. Sie tippt ihr Headset an und erkundigt sich über Funk bei der
Chefin. „Nicht, dass wir wüssten“, antwortet sie schließlich. „Wenn, da…
müsste das draufstehen.“
Tatsächlich schreibt das Recht der Europäischen Union vor, dass
gentechnische Veränderung auf dem Etikett gekennzeichnet werden muss. Aber
nirgendwo hier im Lidl steht etwas von Gentechnik.
Nicht auf den Kartoffeln, nicht auf den Bio-Haferflocken, noch nicht einmal
auf den Cornflakes „aus La Plata Mais“, wie er auf der Packung heißt. Der
kommt wohl aus Argentinien, wo sehr viel gentechnisch veränderte Pflanzen
angebaut werden. Doch auch hier steht im Zutatenverzeichnis auf dem Karton
nur: „Mais“ – ohne „gentechnisch verändert“.
Das wird vermutlich auch so stimmen, denn auf die Kennzeichnung scheint
Verlass: 2021 etwa überprüften die deutschen Behörden bei 2.104
Nahrungsmitteln die Einhaltung der Gentechnikvorschriften, wie das
Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit der taz
mitteilte. Bei keinem einzigen gab es demnach Verstöße gegen die
Kennzeichnungspflicht zugelassener Gentechniksorten.
## Mit der Schere unterwegs in der Gerste
Hersteller und Händler wissen, dass die meisten VerbraucherInnen in
Umfragen sogenanntes „Genfood“ ablehnen. Deshalb werden in der Berliner
Lidl-Filiale und in fast allen anderen Supermärkten in Deutschland kaum
gentechnisch veränderte Lebensmittel angeboten.
Doch das könnte sich ändern. Denn die EU-Kommission will [1][am 5. Juli]
neue Regeln für den Umgang mit Gentech-Pflanzen vorschlagen. Ein [2][erster
Entwurf] ist bereits durchgesickert. Demnach will die Behörde, dass ein
Großteil der Pflanzen, bei denen Neue Gentechniken wie die Genschere
Crispr/Cas angewendet wurden, nicht mehr auf Risiken geprüft oder auf
Lebensmittelverpackungen gekennzeichnet werden müssen.
Möglicherweise werden dann in einigen Jahren Lebensmittel aus
Crispr-Pflanzen in der EU auf den Markt kommen, ohne dass sie als
„gentechnisch verändert“ deklariert sind.
Für Robert Hoffie würde damit ein Traum in Erfüllung gehen. Der 31-Jährige
ist Biotechnologe am Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und
Kulturpflanzenforschung in Gatersleben in Sachsen-Anhalt und Mitgründer der
vor allem im Internet aktiven Pro-Gentechnik-Initiative Progressive
Agrarwende.
Er lebt davon, zu Forschungszwecken zum Beispiel Gerstensorten mithilfe von
Crispr umzubauen. Die Neue Gentechnik könne dazu beitragen, trotz
Klimawandels die Welternährung sicherzustellen und die Umwelt zu schonen,
sagt der Wissenschaftler. Die Pflicht zur Kennzeichnung und genauen
Sicherheitsprüfung störe da nur.
Daniela Wannemacher hält laxere Regeln für die Neue Gentechnik für einen
Irrweg. Die 44-Jährige ist Agrarwissenschaftlerin. Sie arbeitet beim Bund
für Umwelt und Naturschutz Deutschland. Auch sie kämpft für eine
umweltfreundliche Landwirtschaft – doch Gentechnik schadet da ihrer Meinung
nach bloß. Hoffies Glaube an die Technik hält sie für „naiv“.
Der Gentechniker und die Umweltschützerin haben ähnliche Ziele. Warum
wollen sie trotzdem so unterschiedliche Wege einschlagen?
Hoffie – glatt rasiertes Gesicht, schwarzgerahmte Brille, Seitenscheitel –
zieht einen weißen Kittel über sein Polohemd in einem Labor in
Gatersleben. Der Bildschirm vor ihm zeigt lange Buchstabenketten aus A, T,
G und C. Jeder Buchstabe symbolisiert einen Baustein im Gen des Erbguts der
Gerste, das er verändern will.
Er sucht mit ein paar Klicks nach geeigneten Positionen in diesem Gen.
Später mischt er Flüssigkeiten in kleinen durchsichtigen Plastikröhrchen.
In einem Teil der Flüssigkeit ist die Genschere Crispr/Cas, sie trennt
die DNA da, wo es Hoffie am Computer festgelegt hat. Durch den Schnitt
lassen sich dann Gene abschalten oder einzelne Bausteine verändern. Die
Genschere wird in einzelne Zellen der Gerste übertragen. Aus diesen Zellen
wachsen zunächst Zellhaufen, später Sprossen, ganze Pflanzen. So erschafft
Hoffie neue Gerstenlinien.
Das gehe schnell, erklärt Hoffie. Wenn er Pflanzen mit unterschiedlichen
Eigenschaften kreuzen würde, dauerte das sehr viel länger. Statt in 10 bis
15 Jahren mit Kreuzungen kommt er bereits innerhalb von 2 Jahren zum
gewünschten Ergebnis. Das ist der größte Vorteil der Genomeditierung
gegenüber der klassischen Züchtung.
Die neuen Gentechniken sind noch viel einfacher anzuwenden und sie sind
genauer als die alten – bei denen beispielsweise mit der Gen-Kanone ganze
Gene aus anderen Organismen ins Erbgut der Pflanzen geschossen werden.
Hoffie und seine KollegInnen haben mit der Schere in der Gerste schon ein
Gen abgeschaltet, das die Pflanze für zwei Virenarten anfällig macht. Im
Gewächshaus setzten die WissenschaftlerInnen die modifizierten Pflanzen dem
Gerstenmosaikvirus aus – das Getreide habe sich nicht infiziert, sagt
Hoffie. Das soll hohe Ernteerträge sichern.
Gentechniker versprechen auch, Pflanzen mithilfe der neuen Methoden so zu
verändern, dass weniger Pestizide nötig sind, um sie gegen Schädlinge zu
schützen. Ackergifte haben den Nachteil, dass sie teils auch andere Tiere
und Pflanzen schädigen oder giftig für Menschen sind. GenforscherInnen
arbeiten zudem an Sorten, die besser mit Trockenheit klarkommen. Hilfreich,
da Dürren wegen des Klimawandels zunehmen.
Chancen über Chancen – doch die EU-Gesetzgebung bremse die Forscher aus,
kritisiert Hoffie. Denn die vorgeschriebenen Sicherheitsprüfungen würden zu
lange dauern und zu teuer sein.
Tierversuche mit Gentech-Pflanzen hält auch Hoffie für ethisch fragwürdig.
Es gebe schließlich überhaupt keine Anhaltspunkte dafür, dass die Pflanzen
gesundheitsschädlich seien. „Es ist nicht gefährlicher, es ist nicht
allergener“, urteilt der Wissenschaftler. „Das verbietet sich schon fast
ethisch, dafür Versuchstiere zu ‚verbrauchen‘, um solche Tests zu machen.�…
Denn am Ende der Experimente werden beispielsweise die Ratten meist
getötet. Da er die Pflanzen für harmlos hält, sagt Hoffie auch: „Eine
Gentechnikkennzeichnung hat keine gesundheitliche Relevanz.“
Um das zu belegen, vergleicht Hoffie die neuen Sorten mit herkömmlichen
Pflanzen, die gezüchtet worden sind, indem sie Chemikalien oder
radioaktiver Strahlung ausgesetzt wurden. Dadurch werden mehr Mutationen
ausgelöst als natürlicherweise. Aus den mutierten Pflanzen wählen die
Züchter dann die gewünschten aus.
Dieses Verfahren wird seit Jahrzehnten und häufig angewandt. Entsprechende
Erbgutveränderungen finden sich zum Beispiel in Brokkoli- und
Blumenkohlsorten. Weil sich diese Zufallsmutagenese genannte Methode als
sicher erwiesen habe, falle sie nicht unter das Gentechnikrecht,
[3][urteilte der Europäische Gerichtshof 2018].
„Sowohl was die Anzahl der Mutationen angeht als auch das Ausmaß der
Veränderung, ist das eigentlich größer als das, was wir mit einem Schnitt
mit der Genschere machen“, sagt Hoffie.
Bei der Zufallsmutagenese könne auch nicht gesteuert werden, wo und wie
sich das Erbgut verändert. Bei Crispr hingegen schon.
Deshalb will er, dass die gleichen Regeln für alle Pflanzen gelten – egal,
ob sie durch Gentechnik oder durch konventionelle Züchtung geschaffen
worden sind. Sprich: keine Tierversuche mehr, keine Kennzeichnung auf der
Packung.
Umweltschützerin Wannemacher trägt keinen weißen Kittel, sondern eine
schwarze Jacke mit roten Blumenmotiven über ihrer Bluse. Sie sitzt in einem
Konferenzraum in der Bundesgeschäftsstelle des BUND in Berlin, an der Wand
weiße Raufasertapete und Fotos von Seehunden, Luchsen und Vögeln. Auf dem
Bürotisch vor ihr liegt ein Spiralblock aus Recyclingpapier, in dem
Wannemacher fein säuberlich notiert hat, warum sie gegen die Neue
Gentechnik ist.
In den meisten Medien haben die Gentechnikbefürworter derzeit Oberwasser.
Kaum jemand außer den hauptamtlichen MitarbeiterInnen von Umweltverbänden
engagiert sich noch in der Anti-Gentechnik-Bewegung, vor allem, weil
[4][seit 2013] in Deutschland keine gentechnisch veränderten Pflanzen mehr
angebaut werden. Besonders das Argument, die Technik könnte die Nahrung vor
der Klimakrise retten, scheint bei vielen JournalistInnen zu verfangen. Da
muss sich Wannemacher schon mal ein paar Notizen machen, um
dagegenzuhalten.
Im Gespräch mit der taz sagt die Umweltschützerin einen besonders
bemerkenswerten Satz: „Ich würde jetzt nicht davon ausgehen, dass eine
durch neue Gentechnik veränderte Pflanzen-DNA, aus der dann wieder eine
Pflanze gezüchtet wird, unbedingt direkt tödlich, giftig oder keine Ahnung
was für Menschen ist.“ Die Genschere habe auch „unerwartete Effekte“ im
Genom der Pflanze. Sie verändere auch Bereiche des Erbguts, die andere
Methoden nicht modifizieren könnten. „Es gibt da sehr wenig Forschung zu“,
sagt Wannemacher.
Wenn man dann von ihr wissen will, welche Anzeichen es für tatsächliche
Gefahren gibt, nachdem Genpflanzen nun etwa in den USA seit Jahrzehnten
gegessen werden, antwortet sie schließlich: „Ich bin mir nicht sicher, ob
das die Hauptfrage sein sollte bei der Beurteilung Neuer Gentechnik“.
Sprich: Die angeblichen Gesundheitsrisiken will Wannemacher nicht so hoch
hängen.
Stattdessen redet sie lieber über ganz andere, ihrer Meinung nach
problematische Folgen der Gentechnik. Bisher werde die Methode zum Beispiel
dafür genutzt, um Pflanzen zu erzeugen, die gegen Unkrautvernichtungsmittel
– auch Herbizide genannt – resistent sind.
Solche Pflanzen kritisiert Wannemacher, weil sie den Einfluss weniger
Agrarchemiekonzerne stärkten und weil sie schlecht für die Umwelt seien.
„Da geht es darum, ein Koppelprodukt aus Pestizid und Saatgut zu verkaufen,
das im Zweifelsfall dazu führen wird, dass mehr Pestizide eingesetzt
werden“, sagt die Umweltschützerin. Denn wenn beispielsweise Raps Duschen
mit Ackergift übersteht, könnten Landwirte beliebig oft spritzen, um das
Unkraut zu töten – denn der Raps überlebt ja. Das könnte Bauern wiederum
dazu verleiten, auf ökologischere Vorkehrungen gegen Unkraut zu verzichten.
Unkraut lässt sich zum Beispiel auch dadurch verringern, dass auf einem
Acker nicht jedes Jahr die gleiche Pflanzenart angebaut wird, sondern sich
viele Früchte abwechseln. Also vielfältige Fruchtfolgen statt Monokulturen.
Das würde auch die Artenvielfalt erhöhen, aber könnte für Landwirte im Fall
des pestizidtoleranten Rapses weniger attraktiv werden.
Herbizidtoleranzen – das hat die Neue Gentechnik bereits geschafft. Ein
bestimmter Raps, der in den USA auf den Markt gekommen ist, gehört zu den
wenigen Pflanzen mit dieser Eigenschaft. Die Herstellerfirma Cibus und das
mit ihr fusionierende Unternehmen Calyxt schweigen sich darüber aus, ob der
Raps überhaupt noch angebaut wird oder gefloppt ist. Eine taz-Anfrage
bleibt unbeantwortet.
Auch mit den „Superpflanzen“, die die Landwirtschaft umweltfreundlicher
machen und an den Klimawandel anpassen sollen, ist es nicht so einfach –
„da ist bisher nichts auf dem Markt“, sagt Wannemacher. Und daran sei nicht
die EU mit ihren strengen Regeln schuld. In den USA hätten die Gentechniker
ihre Versprechen bislang ebenfalls nicht erfüllt. Und das, obwohl dort die
meisten Gentech-Pflanzen nach behördlicher Anmeldung verkauft werden dürfen
wie jede andere Pflanze.
Trotz der niedrigen Hürden sind weltweit neben dem Herbizidraps nur wenige
weitere Pflanzen der Neuen Gentechnik zu kommerziellen Zwecken angebaut
worden. Recherchiert hat das beispielsweise Agrarwissenschaftlerin Eva
Gelinsky im Auftrag des schweizerischen Bundeamts für Umwelt.
Ab 2019 bot die Firma Calyxt das Speiseöl „Calyno“ aus einer Sojabohne mit
weniger gesättigten Fettsäuren an, die als ungesund gelten. Und das
Unternehmen Sanatech Seed, ansässig in Japan, hat dort 2021 eine
Crispr-Cas-Tomate mit mehr Gamma-Amino-Buttersäure als bei herkömmlichen
Sorten auf den Markt gebracht.
„Die Tomate kann den Blutdruck von Menschen mit hohem Blutdruck senken“,
„vorübergehenden Stress durch Arbeit/Studium abbauen“, „die Schlafqualit…
verbessern“ und „die Hautgesundheit schützen“, wirbt Sanatech auf seiner
[5][Internetseite].
Nun ja. Wannemacher nennt solche Pflanzen „Lifestyle-Produkte“. Gegen die
Klimakrise würde so was nicht weiterhelfen. Durch konventionelle Züchtung
dagegen seien schon Pflanzen entstanden, die besser mit Trockenheit
klarkommen oder gegen bestimmte Krankheitserreger resistent sind. „Es macht
mich sprachlos, wie ohne jegliche Belege behauptet wird, die Neue
Gentechnik trage zur Nachhaltigkeit bei“, sagt die Umweltschützerin.
Robert Hoffie verweist dann gern auf eine [6][Datenbank] mit mehr als „770
bereits publizierten, potenziellen Anwendungen in über 60 Kulturpflanzen“.
Viele dieser wissenschaftlichen Veröffentlichungen beziehen sich auf
Experimente, um Pflanzen widerstandsfähiger gegenüber Trockenheit zu
machen.
Die Betreiber der Internetseite schreiben jedoch ausdrücklich: „Die
Datenbank gibt weder Auskunft über den Entwicklungsstand der Kulturpflanze
noch über das Bestehen der Absicht, die beschriebenen Kulturpflanzen zur
Vermarktung zu entwickeln.“ Die Mehrheit der Pflanzen wird es wohl nie aus
dem Labor schaffen.
„Die Technik ist jetzt zehn Jahre alt“, sagt Hoffie über Crispr. Auch ohne
Risikoprüfung dauere es acht Jahre, um eine mit der Genschere erzeugte
Pflanzeneigenschaft in stabile Sorten zu übertragen und auf den Markt zu
bringen.
Wannemacher bestreitet das nicht. Aber sie beobachtet, dass
Gentechnikbefürworter schon mehrmals Listen mit gut klingenden Projekten
veröffentlicht hätten. Viele Vorhaben hätten sich erst verzögert, dann
seien sie von den Listen verschwunden. Für solche vagen Aussichten möchte
die Umweltschützerin nicht die Transparenz und Sicherheit aufgeben, die die
aktuellen Gentechnikregeln der EU bieten. Zumindest nicht, solange keine
Pflanzen mit echten, nachgewiesenen Vorteilen auf dem Markt sind. Deshalb
kommt die Diskussion über den Regulierungsabbau ihrer Meinung nach einfach
zu früh.
„Warum muss dann die Regulierung jetzt ausgesetzt werden?“, fragt
Wannemacher. Gentechnikpflanzen seien ja nicht verboten. Die Forschung
werde nicht behindert dadurch, dass die Pflanzen getestet und
gekennzeichnet werden müssen, um sie auf den Markt zu bringen. „Forschung
ist weiterhin möglich, es fließt europaweit auch sehr viel Geld in die
Gentechnikforschung.“ Und es gebe große Absatzmärkte wie die USA und Japan,
auf denen Gentechnikpflanzen etabliert sind.
## Wunsch nach einem veränderten Patentrecht
Zu diesem Einwand sagt Hoffie, viele mittelständische Züchter in Europa
hätten Projekte mit Neuer Gentechnik aufgegeben, nachdem der
EU-Gerichtshof entschieden hatte, dass auch diese Pflanzen streng reguliert
bleiben müssten. Die hohen Kosten führten dazu, dass hierzulande nur noch
große Agrarchemiekonzerne wie Bayer/Monsanto solche Sorten entwickeln. Das
sind genau die Unternehmen, die das Paket aus Saatgut und Pestizid
verkaufen wollen. „Mich als Biotechnologen ärgert das natürlich am
meisten“, sagt Hoffie. Pestizidtoleranzen seien nicht das, was er sich von
der Neuen Gentechnik erhoffe.
Um die kleinen Züchter zu stärken, wünscht sich Hoffie ein verändertes
Patentrecht. Bisher stehen kommerziell angebaute Gentechnikpflanzen nämlich
unter Patentschutz. Deshalb dürfen Züchter dieses Saatgut nur noch mit
Genehmigung der Schutzrechteinhaber weiterentwickeln. Das hemmt den
Züchtungsfortschritt, und die großen Konzerne können ihre Macht über die
Ernährung ausbauen. Auf konventionelle Pflanzen können in Europa
grundsätzlich keine Patente erteilt werden, auch wenn dieses Verbot
zuweilen umgangen wird.
Also am besten zunächst die Regeln für die Gentechnik lockern, dann die
Patente abschaffen – so stellt Robert Hoffie sich das vor.
„Das finde ich komplett naiv“, sagt Wannemacher und schüttelt den Kopf. Die
Konzerne, die patentierte und herbizidresistente Pflanzen inklusive
Pestiziden verkaufen, würden doch gerade für die Deregulierung lobbyieren.
Und gleichzeitig würden sie auch dafür kämpfen, den Patentschutz zu
erhalten. Auch Hoffie räumt ein, dass die EU-Kommission bisher keine Reform
vorgeschlagen hat, um Patente für Neue-Gentechnik-Pflanzen zu verhindern.
In der öffentlichen Diskussion hat Wannemacher vor allem ein Problem:
Anders als in der Klimadebatte etwa scheinen die Umweltschützer bei der
Agro-Gentechnik mit der Mehrheitsmeinung in der Wissenschaft über Kreuz zu
liegen. Die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina zum Beispiel
forderte 2019, die Gentechnikregulierung aufzuweichen. Wannemacher aber
sagt: „Es gab noch keine Stellungnahme der Gesellschaft für Ökologie und
von EthikerInnen, wenig von AgrarwissenschaftlerInnen außerhalb dieser
molekularbiologischen ForscherInnen, die an Gentechnikpflanzen arbeiten.“
Und sie ergänzt: „Jemand wie Hoffie profitiert natürlich davon, dass
Forschung finanziert wird. Und dass das einfach als Forschungstopthema
läuft.“ Letztlich sichere das die Jobs dieser ForscherInnen.
Es sieht so aus, als ob Hoffie und die anderen GentechnikforscherInnen sich
bei der EU-Kommission durchgesetzt hätten. Der geleakte Verordnungsentwurf
sieht jedenfalls vor, dass die Risikoprüfung und Kennzeichnung für Pflanzen
der Neuen Gentechnik wegfällt, die höchstens 20 Veränderungen im Erbgut
aufweisen. Immerhin soll das nicht für herbizidtolerante Pflanzen gelten.
Alle anderen Sorten mit mehr als 20 Veränderungen im Erbgut sollen weiter
gekennzeichnet und getestet werden. Doch Letzteres nur dann so gründlich
wie bisher, wenn es vorab „plausible Hinweise“ auf Risiken gibt. Im
Biolandbau sollen Gentechnikpflanzen tabu bleiben. Damit die Bauern das
Saatgut trennen können, soll es weiterhin gekennzeichnet werden.
Damit der Entwurf der Kommission in Kraft treten kann, müssen ihm sowohl
das EU-Parlament als auch der Rat der Mitgliedstaaten zustimmen.
Österreichische Minister haben sich schon gegen laxere Regeln
ausgesprochen. Wenn die deutsche Ampelkoalition in der Frage so gespalten
bleibt wie derzeit, muss sich die Bundesregierung enthalten. Das könnte den
Gentechnikbefürwortern nützen.
Sollte sich die Kommission mit ihrem Entwurf durchsetzen, bekämen KundInnen
im Supermarkt auf die Frage nach Gentechnik künftig gar keine Antwort mehr.
Man könnte es nicht wissen.
2 Jul 2023
## LINKS
[1] https://ec.europa.eu/transparency/documents-register/search?query=eyJjYXRlZ…
[2] https://www.arc2020.eu/leak-draft-ngt-regulation-and-impact-assessment-reve…
[3] https://curia.europa.eu/juris/documents.jsf?num=C-528%2F16
[4] https://zag.bvl.bund.de/standortregister/index.jsf;jsessionid=bQsCVaquvwpyb…
[5] https://sanatech-seed.com/en/221226-2/
[6] https://www.eu-sage.eu/index.php/genome-search?f%5B0%5D=traits%3ATraits%20r…
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Jost Maurin
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