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# taz.de -- Experte zum UN-Hungerbericht: „Es ist genug zu essen da“
> Nach neuesten Zahlen leiden eine dreiviertel Milliarde Menschen an
> Unterernährung. Afrika müsse unterstützt werden, Nahrungsmittel
> einzulagern, sagt ein Experte.
Bild: Lebensmittellager des Welternährungsprogramms in Äthiopien 2022
taz: Herr Marí, die Zahl der Hungernden ist im Jahr 2022 trotz des Kriegs
in der Ukraine und der deshalb höheren Getreidepreise nicht gestiegen. Das
ist doch eine gute Nachricht, oder?
Francisco Marí: Das zeigt nur, dass die Effekte des Kriegs nicht weltweit,
sondern auf bestimmten Kontinenten waren. Nicht alle Länder sind so
abhängig von Weizen aus der Ukraine. In den asiatischen Ländern wird mehr
Reis verwendet. Sie sind im Kampf gegen den Hunger vorangekommen, sodass
die Gesamtzahlen sich ausbalancieren. Afrika hat es aber besonders stark
getroffen. Das Auseinanderdriften der Ernährungssituation innerhalb der
Welt hat sich wohl verschärft, man ist nicht wieder auf dem Niveau vor der
Pandemie. 735 Millionen Hungernde sind immer noch viel zu viel.
Was ist die wichtigste Maßnahme, um die Zahlen zu senken?
Von Hunger bedrohte Länder etwa in Afrika könnten Preise und Mengen
regional regulieren, wenn sie Lebensmittel für Krisenzeiten einlagern. Wenn
in einer Region Hunger entsteht aufgrund beispielsweise von Dürren, könnten
Nahrungsmittel aus Silos dort oder in der Nachbarregion geliefert werden.
Die Industrieländer müssen afrikanische Staaten stärker dabei unterstützen,
so einen Krisenreaktionsmechanismus aufzubauen.
Ist gentechnisch verändertes Saatgut nötig, um mehr Nahrungsmittel zu
produzieren?
Es ist genug zu essen da weltweit. Wir produzieren ja fast 5.000 Kalorien
pro Person und Tag, und wir brauchen vielleicht 2.500 Kalorien. Ein echtes
Problem ist, dass die bäuerlichen Produzenten gar nicht in viele
afrikanische Städte hineinkommen, weil sehr billige Konkurrenzprodukte da
sind aus unseren Exporten: Dosen, Hähnchen oder Weizen zum Beispiel. Wir
müssen nicht noch mehr Ideen haben, noch mehr zu produzieren. Die
Produktion muss erreichbar sein für die Menschen.
Aber können sich nicht mehr arme Menschen genug Lebensmittel leisten, wenn
das Angebot steigt und deshalb die Preise fallen?
Ja, deswegen müssen kleinbäuerliche Produzenten mehr Zugang zu den Städten
bekommen. Sie müssen auch unterstützt werden, damit sie mehr Angebot
liefern können. Das geht auch mit Subventionen, Indien macht das vor. Die
kaufen zu einem Festpreis den Weizen ihrer Produzenten auf. Deswegen
braucht Indien auch schon lange keine Importe mehr. Den aufgekauften Weizen
nutzen sie für Programme, um Arme mit verbilligten Preisen zu unterstützen.
Braucht Afrika mehr Pestizide und Mineraldünger?
Nein, das führt wieder in eine Abhängigkeit. Ein Grund, warum Afrika immer
noch so hohe Hungerzahlen hat, ist gerade in diesem Jahr, dass viele
Bäuerinnen und Bauern sich Kunstdünger und Pestizide gar nicht leisten
können, weil sie so teuer geworden sind. Und das führt wieder zu
Ernährungsschwierigkeiten.
Dürfen wir in Europa mehr Umweltschutz in der Landwirtschaft durchsetzen,
wenn gleichzeitig Menschen in Afrika hungern?
Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Wir brauchen mehr Umweltschutz
vor allem, weil wir wegmüssen vom hohen Treibhausgasausstoß der
Landwirtschaft. Das würde Afrika am meisten helfen, die Klimafolgen dort
wären geringer. Und: Wenn wir mehr produzieren, suchen wir Märkte
beispielsweise für Milch, Fleisch, Weizen und zerstören damit Produktion in
Afrika.
Wie beurteilen Sie die Rolle der Bundesregierung im Kampf gegen den Hunger?
Wir begrüßen, dass die Ministerien für Landwirtschaft und wirtschaftliche
Zusammenarbeit die agrarökologische Wende in Afrika vorantreiben wollen.
Aber besonders nach dem Welthungerbericht kritisieren wir, dass die Mittel
für die Entwicklungszusammenarbeit reduziert werden.
Was sagen Sie zu der Kritik, dass deutsche Entwicklungsprojekte teilweise
dazu beitragen würden, dass die Abhängigkeit in Afrika von Pestiziden oder
Mineraldünger steigt?
Wir kritisieren zum Beispiel die Idee, in Kenia grünen Wasserstoff
ausschließlich zur Kunstdüngerproduktion zu produzieren. Das können wir
nicht nachvollziehen, wenn man gleichzeitig eine agrarökologische
Produktion fördern will. Wir stellen aber durchaus fest, dass es mehr
Sensibilität gerade auch im Entwicklungshilfeministerium gibt, aus
Projekten auszusteigen, die vor allem auf Mengenproduktion etwa von
Kartoffeln oder Weizen setzen.
12 Jul 2023
## AUTOREN
Jost Maurin
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