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# taz.de -- Hungerbericht der Vereinten Nationen: Steigende Preise, leere Teller
> Trotz Fortschritten leiden noch immer 735 Millionen Menschen Hunger. Auch
> Russlands Krieg in der Ukraine schlägt sich im UN-Welthungerbericht
> nieder.
Bild: Gurkenernte in Indien: Zur Hungerbekämpfung fordern die UN bessere Infra…
Berlin taz | „Die Leute sterben hier im Norden jeden Tag an Hunger“,
schreibt im Februar eine Freundin aus Kenia. Sie ist Aktivistin,
Menschenrechtlerin – und verzweifelt. In einer Messengergruppe sammelt sie
Geld in ihrer Community. Ein paar Tage später schickt sie Fotos von einem
Pick-up, der säckeweise mit Reis und Maismehl beladen ist. Sie wird das
Essen selbst von der Hauptstadt Nairobi in den Norden Kenias bringen, an
die Grenze zu Äthiopien. Das Horn von Afrika ist eine Region, die besonders
stark von Hunger betroffen ist. Es ist das dritte Dürrejahr in Folge.
Menschen fliehen vor Kriegen in Äthiopien, Somalia, Sudan. Ein Paket
Maismehl kostet in Nairobi doppelt so viel wie vor [1][Russlands
Angriffskrieg gegen die Ukraine.] Auf steigende Preise und sinkende
Einkommen folgen häufig leere Teller.
Das deckt sich mit dem, was fünf Organisationen der Vereinten Nationen (UN)
am Mittwoch in ihrem [2][Jahresbericht zur weltweiten Lage von Hunger und
Ernährungssicherheit] vorgestellt haben. Danach waren im Jahr 2022 rund 735
Millionen Menschen weltweit von Hunger betroffen. Das sind zwar etwa 3,8
Millionen Hungernde weniger als im Vorjahr 2021. Dieser bescheidene
Fortschritt werde aber von steigenden Lebensmittel- und Energiepreisen
wieder untergraben, mahnt die UNO. So hatten knapp 30 Prozent der
Weltbevölkerung, nämlich 2,4 Milliarden Menschen, dem Bericht zufolge 2022
keinen gesicherten Zugang zu Nahrungsmitteln.
Dass die Zahlen trotz anhaltendem Krieg nicht gestiegen sind, liegt laut UN
an der globalen wirtschaftlichen Erholung nach dem Ausklingen der
Covid-Pandemie. In Afrika, Westasien und in der Karibik hat sich die
Situation aber verschlechtert. Die Organisationen mahnen erneut, dass viel
mehr Einsatz nötig sei, um überall Ernährungssicherheit zu erreichen.
„Der Bericht bestätigt, dass die Welt nicht auf dem Weg ist, den Hunger bis
2030 zu beenden“, sagt Tisorn Songsermsawas, Wirtschaftsanalyst beim
Internationalen Fonds für landwirtschaftliche Entwicklung (IFAD), einer
UN-Finanzinstitution zur Beseitigung von Armut und Hunger. Über die Folgen
der Covid-19-Pandemie und des Ukrainekriegs gibt der Bericht auch Auskunft:
So prognostiziert die UNO die Auswirkungen der Pandemie auf 96 Millionen
Hungernde mehr im Jahr 2030, Russlands Krieg in der Ukraine weitere 23
Millionen.
Es wird erwartet, dass dann „immer noch fast 600 Millionen Menschen unter
chronischem Hunger leiden werden“, so Songsermsawas. Er ist einer der
Autor*innen des Berichts, an dem auch die Ernährungs- und
Landwirtschaftsorganisation der UNO (FAO), das Kinderhilfswerk Unicef, das
Welternährungsprogramm sowie die Weltgesundheitsorganisation beteiligt
sind. Die Ursachen von Hunger seien dabei bekannt: eine Verschärfung von
Konflikten, Wetterextreme durch die sich verschärfende Klimakrise und
wirtschaftliche Abschwünge, kombiniert mit zu teuren gesünderen
Lebensmitteln und wachsenden wirtschaftlichen Ungleichheiten.
## Fokus auf Urbanisierung
Der Welthungerbericht legt in diesem Jahr den Fokus auf einen anderen
„Megatrend“: die Urbanisierung. Schon heute lebt über die Hälfte der
Bevölkerung in Städten, im Jahr 2050 werden es sogar 70 Prozent sein. Es
brauche also politische Maßnahmen und Gesetze, die eine bessere
Konnektivität zwischen ländlichen und städtischen Gebieten fördere. Und:
Maßnahmen, die Kleinerzeuger*innen und andere kleine Agrarunternehmen
mit fairen und lohnenden Märkten verbinden, fasst Songsermsawas zusammen.
„Wir brauchen bessere ländliche Infrastrukturen, Straßen, Lagerhäuser,
Kühlhäuser, Elektrifizierung, Zugang zu digitalen Werkzeugen und – ganz
wichtig – Wasserversorgung.“ Ebenso müsse gesunde Nahrung gefördert werde…
Denn zu den Herausforderungen der Urbanisierung gehöre die größere
Verfügbarkeit von Fertiggerichten mit viel Fett, Zucker und Salz, die zur
Fehlernährung beitragen können.
Zugleich üben die Folgen des Klimawandels großen Druck auf die
Ernährungssicherheit aus. „Wir könnten viel mehr tun, um zu verstehen,
welche Art von klimatischen Herausforderungen auf die Erzeuger*innen
zukommen“, sagt der UN-Analyst. Die Klimaanpassung müsse vorangetrieben
werden, Technologie und Finanzierung sichergestellt werden: „Es fließt viel
Geld in die Klimafinanzierung, aber Kleinproduzenten, mit denen IFAD
zusammenarbeitet, erhalten nur weniger als zwei Prozent der weltweiten
Klimafinanzierung.“
Es finden sich auch positive Beispiele im Bericht. Das
Landwirtschaftsprogramm der Andhra-Pradesh-Gemeinschaft in Indien etwa, das
bereits mehr als 630.000 Landwirte vom agroökologischen Ansatz überzeugen
konnte. Mit lokal angepasster und ökologischer Landwirtschaft konnten
bessere Erträge und höhere Einkünfte erzielt werden. Denn: Noch immer wird
etwa 70 Prozent der Nahrung weltweit von Kleinbäuer*innen erzeugt, die
dafür etwa 30 Prozent der landwirtschaftlichen Flächen nutzen. Sie sind
zugleich am häufigsten von Armut und Ernährungsunsicherheit betroffen.
12 Jul 2023
## LINKS
[1] /Schwerpunkt-Krieg-in-der-Ukraine/!t5008150
[2] https://www.fao.org/publications/home/fao-flagship-publications/the-state-o…
## AUTOREN
Leila van Rinsum
## TAGS
Hunger
Vereinte Nationen
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Afrika
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