| # taz.de -- Nach der Pandemie: Was von Corona übrigbleibt | |
| > Die Infektionszahlen sinken, in Deutschland sind die letzten | |
| > Schutzmaßnahmen ausgelaufen, offiziell sind sie nicht mehr nötig. Aber | |
| > stimmt das? | |
| Bild: Initiative „Nicht Genesen“ protestiert vor dem Bundesministerium für… | |
| Berlin taz | „Wenn Corona vorbei ist“: So klang sehnsüchtiges Plänemachen | |
| ab 2020 lange. Oder so: „Wenn die Pandemie vorbei ist“. Die Begriffe | |
| bedeuteten dasselbe – die Bedrohung durch das Virus sollte verschwinden, | |
| damit man wieder in Ruhe leben konnte. Deshalb ist es kein Wunder, dass das | |
| ausgerufene Ende der Pandemie weiträumig als „Corona ist vorbei“ verstanden | |
| wird. Dabei ist mit Blick auf Betroffene und Forschung klar, dass die | |
| beiden nun getrennte Wege gehen: [1][Die Pandemie, gemessen an weltweiter | |
| Zirkulation mit großen akuten Fallzahlen, hat sich zurückgezogen.] Corona | |
| hat sie hiergelassen. | |
| Mit dem 7. April lief der letzte Rest von Paragraph 28b des | |
| Infektionsschutzgesetzes aus. Darin waren seit Oktober bundesweite | |
| Maßnahmen geregelt. Maskenpflicht in Bahn und Gesundheitseinrichtungen | |
| waren ja längst ausgenommen, und ab jetzt muss niemand mehr eine Maske | |
| tragen, nicht mal verschniefte Personen in einer Arztpraxis (es sei denn, | |
| die Praxis bleibt per Hausrecht dabei – aber das ist eine individuelle | |
| Entscheidung). Seit dem Ende der Isolationspflicht für Infizierte und dem | |
| Verschwinden von Testroutinen lässt sich nun unmöglich wissen, ob man | |
| gerade neben einer infektiösen Person atmet. | |
| Natürlich ist die [2][Situation nicht dieselbe wie 2020.] Das RKI stufte | |
| die Gefährdung für „die Gesundheit der Bevölkerung“ bekanntermaßen vor … | |
| Monaten von „hoch“ auf „moderat“ herunter und begründete das mit einem | |
| Rückgang bei Übertragung, Krankheitsschwere und Belastung des | |
| Gesundheitssystems. Dies wiederum sei Folge der durch Impfungen und | |
| Infektionen erreichten „breiten Bevölkerungsimmunität“. Mit | |
| Krankheitsschwere ist hier die akute Infektion gemeint, das, womit Corona | |
| sozusagen „berühmt“ wurde: Intensivstation, Beatmung, Bauchlage, Tod. Diese | |
| Gefahr ist für die Gesamtbevölkerung deutlich gesunken. | |
| Aber wieso heißt es eigentlich Bevölkerungsimmunität, wenn sich so viele | |
| Menschen entgegen der Empfehlungen immer wieder neu mit Corona anstecken? | |
| [3][„Das kann auf individueller Ebene stark variieren“, sagt eine | |
| RKI-Sprecherin der taz.] Das ist logisch, aber vielleicht nicht jedem | |
| bewusst. | |
| ## Hashtags wie #Covidisnotover kursieren | |
| Abgesehen von individuellem Ansteckungs- und Verlaufsrisiko: Was nach der | |
| Infektion kommt, ist längst die große Frage – die aber nun nicht mehr die | |
| gesamte Gesellschaft umtreibt. Ein Teil blickt dennoch [4][weiterhin | |
| besorgt auf immer neue Erkenntnisse der Forschung]. Bei Twitter gibt es | |
| Posts, nicht nur aus Deutschland, mit Hashtags wie #Covidisnotover | |
| #dieMaskebleibtauf oder #TeamVorsicht. Sie beklagen, dass weiterhin | |
| vorhandene Gefahren politisch und gesellschaftlich verharmlost werden. | |
| Long Covid dürfte auch unbesorgten Menschen ein Begriff sein, grob | |
| assoziiert mit „nicht wieder richtig fit werden“. Vom Post Covid Syndrom | |
| (PCS) spricht die WHO bei Symptomen, die drei Monate nach der Infektion | |
| noch bestehen oder wiederkehren. Wie gravierend das sein kann, wie viele | |
| Symptome und Krankheiten darunter fallen können: Der Gedanke daran lässt | |
| sich leicht wegschieben, solange man nicht betroffen ist – und warum auch | |
| nicht, das ist ja menschlich. | |
| Dass das Virus [5][an vielen Stellen im Körper Schaden anrichten] kann, ist | |
| längst bekannt. Beispiel Gehirn: [6][Ein Forschungsteam der University of | |
| Waterloo in Kanada untersuchte die Verbindung zwischen einer | |
| Corona-Infektion und kognitiven Problemen.] In einem Laborversuch lösten | |
| 120 geimpfte Menschen spezifische Aufgaben, während ihre Gehirnfunktion mit | |
| einem Bildgebungsverfahren beobachtet wurde. Ergebnis der im März | |
| veröffentlichten Studie: Probanden, die in den Monaten zuvor Covid-19 | |
| gehabt hatten, zeigten geringere Aufmerksamkeitskontrolle und höhere | |
| Impulsivität als die bis dahin nicht Infizierten. Dies wiederum kann mit | |
| psychiatrischen Problemen wie Ängsten und Depression verknüpft sein. | |
| Zentral war für die Forschenden diese Beobachtung: Die zuständigen Areale | |
| im Gehirn der Betroffenen wurden während der Bearbeitung der Aufgaben nicht | |
| ausreichend mit Sauerstoff versorgt. Bis dahin eine vermutete Ursache für | |
| kognitive Probleme nach einer Infektion, jetzt konnten sie es zeigen. | |
| Fragen schließen sich an – warum ist das so, wie genau hängt dies mit | |
| berichteten psychiatrischen Symptomen zusammen, wie lange hält es an? Die | |
| Forschung geht weiter. | |
| Das RKI bewertet die [7][Postcovid-Studienlage] aktuell so: Sie zeige eine | |
| statistische Häufung bestimmter gesundheitlicher Probleme bei Menschen nach | |
| einer Infektion – auch nach einer ohne den sogenannten schweren Verlauf. | |
| Dazu gehörten neben neurologischen Auffälligkeiten beispielsweise | |
| Verschlechterungen der Lungenfunktion, Einschränkungen der Nierenfunktion, | |
| Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Autoimmunerkrankungen wie Diabetes mellitus. | |
| Allein in welchem Umfang Organkomplikationen und neue, chronische | |
| nichtübertragbare Krankheiten auftreten, lasse sich aktuell nicht sicher | |
| abschätzen. Es gebe noch keine systematische quantitative Erfassung | |
| gesundheitlicher Langzeitfolgen insgesamt. Und noch müsse man auch davon | |
| ausgehen, dass die Ergebnisse aus bestimmten Gründen verzerrt sein könnten | |
| – etwa wegen einer möglicherweise erhöhten Aufmerksamkeit für Beschwerden | |
| bei den Betroffenen oder behandelnden Ärzt*innen. | |
| ## Zahlen der GKV zeigen Häufung verschiedener Diagnosen | |
| Die Tendenz der Beobachtungsstudien finde sich aber in Zahlen der | |
| gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) wieder: Anhand von umfassenden | |
| Analysen zeige sich, „dass verschiedene körperliche und psychische | |
| Diagnose- und Symptomkomplexe bei Personen mit einer vorangegangenen | |
| COVID-19-Erkrankung deutlich häufiger dokumentiert wurden als bei Personen | |
| ohne eine nachgewiesene SARS-CoV-2-Infektion“, fasst das RKI zusammen. | |
| Im RKI-Bericht zum herabgestuften Gesundheitsrisiko vom Februar steht auch | |
| nicht: Corona ist vorbei. Sondern: [8][Das Virus zirkuliert weiterhin] in | |
| der Bevölkerung – was im Grunde jedem klar sein müsste, der mit anderen | |
| Menschen zu tun hat, sei es im Freundeskreis, in Schulen, beim Job, auf dem | |
| Amt. Auch jüngere, gesunde Menschen können weiterhin Landzeitfolgen | |
| entwickeln, auch wenn sie selten einen schweren Verlauf oder gar den Tod | |
| bei einer Ansteckung riskieren. Fazit der RKI-Risikobewertung: „Die | |
| Vermeidung einer Infektion ist damit grundsätzlich sinnvoll.“ Eine klare | |
| Aussage. | |
| ## Bis zu 15 Prozent der Infizierten von Long Covid betroffen | |
| Im letzten Wochenbericht wurde die aktuelle Zahl von Covid-Infizierten mit | |
| akuten Atemwegssymptomen auf 300.000 bis 600.000 geschätzt. Für die | |
| Beobachtung der Lage ist die Zahl schwer verlaufender Erkrankungen, | |
| gemessen an Krankenhauseinweisungen, jetzt aussagekräftiger als die | |
| Meldungen von Infektionen – getestet wird ja kaum noch. Tendenz jedenfalls | |
| laut RKI derzeit: sinkend. | |
| Aber gehen wir also von 500.000 Infizierten in der letzten März-Woche aus. | |
| Etwa 15 Prozent von ihnen dürften verschiedenen Studien zufolge von einer | |
| Form von Long Covid betroffen sein. In absoluten Zahlen: 75.000 Menschen. | |
| Das RKI betont, dass nicht bei allen Betroffenen [9][die Symptome den | |
| Alltag einschränken] und viele sich wieder ganz erholen. In einer neuen | |
| Bewertung der Studienlage geht [10][ein Expert*innenteam im Ärzteblatt | |
| davon aus, das die Hälfte der erwachsenen Postcovid-Betroffenen mehr als | |
| ein Jahr lang Symptome hat.] Im Rechenbeispiel wären das dann 37.500. Von | |
| diesen erlebten 20 Prozent schwere Einschränkungen im Alltag. Das wären | |
| dann 7.500 Menschen, deren Leben nicht mehr dasselbe ist, die zuvor | |
| Alltägliches nicht mehr bewältigen können. 1,5 Prozent der ursprünglich | |
| Infizierten – das klingt nicht viel. Aber bei millionenfacher Ansteckung | |
| über die letzten und mutmaßlich die kommenden Jahre sind die absoluten | |
| Zahlen die, auf die es ankommt. | |
| Corona ist noch da. Wie sehr die Menschen das damit einhergehende Risiko | |
| interessiert, kann ebenfalls auf individueller Ebene stark variieren. | |
| 7 Apr 2023 | |
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| [4] /Kranksein-in-postpandemischen-Zeiten/!5918601 | |
| [5] /Uebersterblichkeit-in-den-Corona-Jahren/!5920764 | |
| [6] https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S2666354623000091 | |
| [7] /Ampelkoalition-zoegert-bei-Long-Covid/!5916073 | |
| [8] /Corona-Ausbruch-im-Pflegeheim/!5914137 | |
| [9] /Corona-und-Isolation/!5914066 | |
| [10] https://www.aerzteblatt.de/archiv/230502/Post-COVID-und-Post-Vakzin-Syndro… | |
| ## AUTOREN | |
| Anne Diekhoff | |
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