Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Folgen der Corona-Impfung: Piks mit schwerwiegender Wirkung
> Wie viele Menschen leiden unter Corona-Impfschäden? Unklar. Der
> Gesundheitsminister verspricht Betroffenen Hilfe. An der mangelt es
> bislang.
Bild: Beim Großteil der Menschen waren die Nebenwirkungen der Corona-Impfung g…
Berlin taz | Drei Jahre ist es in diesen Tagen her, dass die Coronapandemie
mit voller Wucht in Deutschland ankam – und das ganze Land in den ersten
Lockdown ging. Damals begann nicht nur für einen Großteil der Bevölkerung
eine herausfordernde Zeit von leeren Supermarktregalen, Homeschooling und
Angst vor einer Erkrankung. Auch die politisch Verantwortlichen waren
[1][in dieser Zeit] mächtig unter Druck: Rasch musste gehandelt werden,
auch wenn sich die Auswirkungen erst später vollständig zeigen würden.
Sinnbildlich dafür steht der Satz des damaligen Bundesgesundheitsministers
Jens Spahn (CDU): „Wir werden einander viel verzeihen müssen.“ Beim Thema
Impfschäden kann einem dieser Satz wieder in den Sinn kommen.
Die Diskussion darüber brachte kürzlich Spahn-Nachfolger Karl Lauterbach
(SPD) auf. Im Interview mit dem ZDF nahm der Minister erstmals ausführlich
Stellung zu den Folgen der Corona-Impfung und versprach den Betroffenen
Hilfe. So will er in den Haushaltsberatungen für ein Forschungsprogramm
eintreten, von dem auch Post-Vac-Betroffene profitieren sollen. Doch davon
abgesehen sorgte Lauterbach mit seinem Interview eher für Verwirrung: Wie
viele Menschen sind von Impfnebenwirkungen oder von Post-Vac betroffen?
Lauterbachs Aussagen suggerierten, dass es allein in Deutschland 20.000
Opfer von Impfschäden gibt. So viele? Klar ist nur: Einfache Antworten gibt
es nicht.
In den drei Jahren voller unbekannter Risiken war wenig so kontrovers wie
das Impfen. Anfangs ging es darum, wer wann die Impfung bekommt. Dann, wie
gut sie wirkt. Die Enttäuschung war bei vielen groß, wenn sie sich trotz
Impfung infizierten. Anfang 2022 kochte vor allem die Debatte um eine
Impfpflicht hoch. Nun geht es darum, ob die Risiken richtig kommuniziert
wurden und wie man mit Menschen umgeht, die unter Impfschäden leiden. Sind
sie unvermeidliche Einzelschicksale, oder sollte die Gesellschaft sich um
sie kümmern?
Zunächst zu den Fakten: Seit dem offiziellen Impfstart am 27. Dezember 2020
wurden in Deutschland rund 192 Millionen Impfungen gegen Corona
verabreicht. Die überwiegende Mehrheit davon führte zu keinen
Nebenwirkungen. Auf taz-Nachfrage erklärte die zuständige Behörde des
Gesundheitsministeriums, das Paul-Ehrlich-Institut, dass bis Ende Februar
etwa 339.000 Verdachtsfälle von Nebenwirkungen gemeldet wurden, 55.000
davon gelten als schwerwiegende Impfstoffnebenwirkungen.
## Nicht jeder Verdacht ist eine Nebenwirkung
Allerdings ist nicht jeder Verdacht eine Nebenwirkung und für Beschwerden,
die nach einer Impfung auftreten, kann es auch andere Ursachen geben. Um
die typischen Nebenwirkungen herauszufiltern, vergleichen Behörden
weltweit, ob bestimmte Symptome bei frisch Geimpften häufiger auftreten als
in der Gesamtbevölkerung statistisch erwartbar wäre. Wenn das so ist,
werden die als Nebenwirkungen in die Produktinformation der Impfstoffe
aufgenommen.
Impfgegner*innen spielen die seltenen Fälle hoch, um den Erfolg der
Impfkampagne in der Pandemie zu konterkarieren. Der Vorwurf: Die
Bundesregierung habe bei den beworbenen Impfstoffen Gefahren verschwiegen.
Eine Impfung sei risikoreicher als eine Infektion. Dem lässt sich
entgegenhalten, dass langfristige Symptome nach der Impfung äußerst selten
sind. So ist deutlich wahrscheinlicher, nach einer durchgemachten
Corona-Infektion unter langfristigen Folgen zu leiden als nach einer
Impfung. Expert*innen schätzen, dass unter zehn Infizierten einer
[2][Long-Covid-Symptome] entwickelt. Bei wie vielen Geimpften vergleichbare
Symptome auftreten, lässt sich hingegen auf der bisherigen Datenbasis noch
nicht sagen.
Den Betroffenen hilft es wenig, dass ihre Fälle selten sind. Zum Beispiel
Antje Mönch. Für sie ist zweitrangig, wer welche Fehler gemacht hat,
erklärt sie. Sie will wieder die Zeit mit ihren Kindern richtig genießen,
joggen gehen und wieder voll ihrem Beruf als Richterin nachgehen. Seit mehr
als einem Jahr geht das nur eingeschränkt. „Monatelang ging gar nichts“,
sagt sie. Mönch ist ständig erschöpft, kann sich schlecht konzentrieren und
„stundenlang Arme und Beine nicht bewegen.“ Eigentlich heißt Antje Mönch
anders. Aber weil sie Sorge vor Nachteilen im Beruf durch ihre Erkrankung
hat, möchte sie nicht, dass ihr Name in der Zeitung erscheint.
Lange wurde der Ursprung ihrer Beschwerden nicht ernst genommen, erzählt
sie. Sie traten auf, kurz nachdem Mönch im Sommer 2021 ihre erste
Corona-Impfung bekam. Mönch ließ sich damals aus Solidarität impfen. Sie
ist unter 40 und gehört keiner Risikogruppe an. Aber weil sie Richterin
ist, „können sich die Leute nicht aussuchen, ob sie mir begegnen oder
nicht“.
Wenige Tage nach der Impfung bekam sie Sehstörungen, die Arme und Beine
wurden taub, sagt sie. Während einer Gerichtsverhandlung brach sie
zusammen. Mönch kam in die Notaufnahme. Verdacht: Schlaganfall. Aber der
konnte ausgeschlossen werden. Sie durfte gehen, ihre Symptome blieben. Sie
hatte unter anderem Konzentrationsstörungen: „Ich konnte beim Lesen aus
Buchstaben keine Wörter formen.“
Damals glaubte sie ihren Ärzt*innen, dass das nicht sein kann. „Vor solchen
Nebenwirkungen wäre doch gewarnt worden“, dachte sie anfangs. Heute ist sie
sicher, dass es sich bei ihren Beschwerden um einen Impfschaden handelt.
Ein Impfschaden ist in Deutschland aber rechtlich gesehen etwas anderes als
Nebenwirkungen oder schwerwiegende Nebenwirkungen. Der Impfschaden bezieht
neben den gesundheitlichen auch wirtschaftliche Folgen ein, die „das
übliche Ausmaß einer Impfreaktion“ übersteigen. Wer unter einem Impfschaden
leidet, kann in seinem Bundesland einen Antrag stellen und je nach Schwere
der Schädigung bis zu 854 Euro Grundrente bekommen.
Laut Recherchen von Süddeutscher Zeitung und Frankfurter Allgemeiner
Zeitung haben bisher mehr als 6.600 Menschen einen solchen Antrag gestellt
und 285 wurden demnach bereits genehmigt, allerdings auch mehr als 2.000
abgelehnt. Mönch rechnet damit, dass auch ihr Antrag abgelehnt wird. Die
Juristin weiß, dass es schwer nachzuweisen ist, ob die Impfung ihre
verschiedenen Symptome verursacht hat.
## „Absolut bestürzend“, sagt Lauterbach
Die Ärzt*innen forschten in den Wochen nach der ersten Impfung auf
verschiedenen Wegen nach der Ursache für ihre Symptome. Sie führten eine
Lumbalpunktion durch und verordneten Antje Mönch eine
Kortison-Stoßtherapie: Über eine Infusion gaben ihr die
Mediziner*innen hoch dosiert Kortison. Und es wirkte: „Danach war ich
wieder symptomfrei.“ Mönch fühlte sich wieder gesund. Weil die Ärzt*innen
ihr sagten, dass es nicht an der Impfung lag, holte sie sich acht Wochen
nach der ersten Dosis die zweite – und die Beschwerden kehrten zurück,
schlimmer als zuvor. So blieb Mönch meistens im Bett liegen, erzählt sie.
Und sie suchte im Internet nach den Symptomen und vernetzte sich. Heute ist
sie Mitglied im Verein „Post-Vac-Syndrom“ (PVS), bei dem sich Betroffene
organisieren.
Im Herbst 2021 wechselte sie ihre Hausärztin und die neue begann erneut mit
der Diagnose. Sie fand Vernarbungen am Herzen und Nervenschäden. Im
Frühjahr 2022 besuchte sie dann zum ersten Mal die Uniklinik in Marburg,
eine der wenigen Anlaufstellen in Deutschland für Menschen, die nach der
Impfung langfristige Beschwerden entwickeln. Die Behandlung dort heile sie
nicht, helfe aber, sagt sie. Mittlerweile kann Mönch wieder arbeiten. Sport
ist aber immer noch nicht möglich und auch mit ihren Kindern kann sie nicht
mehr wie früher die Freizeit gestalten.
In Marburg behandelt Bernhard Schieffer seit etwa einem Jahr Antje Mönch,
er ist Direktor der Klinik für Kardiologie an der Uniklinik und leitet die
Long-Covid-Ambulanz. Nachdem er im Februar 2021 seine ersten Patienten
hatte, die Long-Covid-Symptome aufwiesen, ohne am Virus erkrankt gewesen zu
sein, habe er kurze Zeit später die erste Spezialsprechstunde „Post-Vax“
eingerichtet. Mittlerweile habe er mit etwa 3.000 Menschen mit Beschwerden
gesprochen. „Aktuell stehen 6.310 auf der Warteliste“, sagt er. Man dürfe
ihn aber nicht missverstehen, er sei froh, dass die Impfung gegen Corona
verabreicht wurde. „Wir wären nicht da, wo wir jetzt sind, wenn wir den
Impfstoff nicht hätten.“ Was er kritisiert: Dass die Komplikationen bei der
Impfung nicht systematisch genug erfasst wurden. Jetzt sei aber wichtiger,
die Behandlung auszubauen.
„Absolut bestürzend“, nannte Lauterbach die Schicksale der Betroffenen. F�…
Antje Mönch sind solche Aussagen ein wichtiger erster Schritt. „Dann können
wir endlich daran arbeiten.“
Hinweis: In einer früheren Version des Artikels stand, bei einem von 10.000
Geimpften würden Symptome auftreten, die Long Covid ähneln. Dafür gibt es
bisher keine Evidenz. Wir haben die entsprechende Stelle angepasst.
22 Mar 2023
## LINKS
[1] /Rueckblick-auf-den-ersten-Lockdown/!5920130
[2] /Ampelkoalition-zoegert-bei-Long-Covid/!5916073
## AUTOREN
David Muschenich
## TAGS
Schwerpunkt Coronavirus
Karl Lauterbach
Impfung
Nebenwirkungen
Schwerpunkt Coronavirus
Schwerpunkt Coronavirus
Schwerpunkt Coronavirus
Long Covid
Schwerpunkt Coronavirus
Impfung
Schwerpunkt Coronavirus
Bundesministerium für Gesundheit
Kolumne Unisex
Schwerpunkt Coronavirus
Schwerpunkt Coronavirus
Schwerpunkt Coronavirus
## ARTIKEL ZUM THEMA
Corona-Impfpflicht vor Gericht: Juristische Unschärfe einer Seuche
Eine Pflegehelferin hatte gegen die Impfpflicht geklagt. Nun muss das
Bundesverfassungsgericht entscheiden. Mit im Spiel: die Protokolle des RKI.
Schäden nach der Corona-Impfung: Gericht prüft Haftung
Eine junge Frau klagte zunächst erfolglos gegen den Hersteller eines
Covid-19-Impfstoffs. In zweiter Instanz will ein Gericht die Hinweise nun
prüfen.
Long-Covid-Erkrankte in Niedersachsen: Unterstützung per Hotline
Niedersachsen versucht, Long-Covid- und Impfgeschädigte über eine neue
Hotline an die richtigen Stellen im Gesundheitssystem zu lotsen.
Lauterbach stellt Initiative vor: Knauserig gegen Long Covid
Eine Initiative des Gesundheitsministeriums soll Long-Covid-Patient*innen
helfen. Im knappen Bundeshaushalt gibt es dafür allerdings nur wenig Geld.
Nach Corona-Impfungen: Kaum Klagen wegen Impfschäden
Zwei Anwaltskanzleien wollen knapp 200 Fälle von Corona-Impfnebenwirkungen
vor Gericht bringen. Möglicherweise muss der Staat zahlen.
Nach der Corona-Impfung: Klagen gegen Impfstoff-Firmen
Alle vier großen Hersteller von Corona-Impfstoffen sollen Schadenersatz
wegen angeblicher Impfschäden zahlen. Biontech weist das zurück.
Bezahlung der Schutzimpfung: Covid-Impfung gegen Cash
Der Staat zahlt nicht länger für die Corona-Impfung, Krankenkassen und
Ärzt*innen streiten sich über die Vergütung. Impfwillige müssen vorerst
selbst zahlen.
Nach der Pandemie: Was von Corona übrigbleibt
Die Infektionszahlen sinken, in Deutschland sind die letzten
Schutzmaßnahmen ausgelaufen, offiziell sind sie nicht mehr nötig. Aber
stimmt das?
Drei Jahre nach dem ersten Lockdown: Denkmäler, um uns zu feiern
Vieles ist während der Pandemie schlecht gelaufen, aber vieles auch gut.
Diese kollektive Leistung sollten wir mit Denkmälern würdigen.
Ein Jahr nach dem Lockdown in Schanghai: Spuren aus der Gefangenschaft
Im März 2022 begann in Schanghai ein radikaler Lockdown. Die Normalität ist
zurückgekehrt, doch unter der Oberfläche offenbaren sich tiefe Narben.
Corona-Ausbruch im Pflegeheim: Tod durch Impfskepsis?
In Hildesheim steht eine Pflegeheim-Mitarbeiterin vor Gericht, weil sie
eine Infektion eingeschleppt haben soll. Sie hatte einen gefälschten
Impfpass.
Letztes Corona-Impfzentrum schließt: Piks nur noch bei der Hausärztin
Zum Jahresende schießt das letztes Impfzentrum in Berlin. Künftig finden
Corona-Impfungen wie andere Impfungen auch im sogenannten Regelsystem
statt.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.