# taz.de -- Drei Jahre nach dem ersten Lockdown: Denkmäler, um uns zu feiern | |
> Vieles ist während der Pandemie schlecht gelaufen, aber vieles auch gut. | |
> Diese kollektive Leistung sollten wir mit Denkmälern würdigen. | |
Bild: HeldInnen der Pandemie in Izmir | |
Zugegeben, als vor fast genau drei Jahren [1][die ersten Maßnahmen gegen | |
das Coronavirus] kamen, bemühten manche von uns sich ein bisschen arg um | |
Optimismus. Endlich stehen systemrelevante Berufe im Mittelpunkt, hieß es. | |
Endlich ist die Gesellschaft gezwungen, solidarisch zu handeln; Politik für | |
die Schwächeren zu machen; umzuverteilen. Das Virus [2][mahnt uns zum | |
kollektiven Denken und Handeln]! Kam so ganz dann nicht. | |
Andererseits war der erste „Lockdown“ auch ein Moment des Pessimismus, der | |
insgeheimen Katastrophengedanken. Was, wenn sich kein Schwein schert? Was, | |
wenn das Land, die Welt, mit der Schulter zuckt und die Alten und Kranken | |
sterben lässt? Kam so eben auch nicht. | |
Gut, je länger die Krise ging, desto mehr unterschied sich das Verhalten | |
der strengen Drinnies von dem der Weitgehend-Scheißegalis und der | |
Auch-Mal-Fünfe-Grade-Sein-Lassenden. Doch im ersten Vierteljahr waren fast | |
alle bereit, zu verzichten. Auf Besuche, Urlaube, Kuscheln, Hochzeiten, | |
Lesungen, Aufführungen, Komfort. Waren bereit zu helfen. Und deswegen frage | |
ich mich, drei Jahre später, wann eigentlich die Denkmäler kommen: für die | |
vielen kleinen humanen Dinge, die wir getan haben. | |
Wie niedlich wäre zum Beispiel eine Skulptur von zwei Menschen, die sich | |
durch eine transparente Plastikfolie umarmen? Inspiriert vom [3][Pressefoto | |
des Jahres 2020], auf dem eine brasilianische Pflegerin das mit einer | |
älteren Dame macht. Oder, andere Idee: zwei schwebende Balkone, über die | |
hinweg ein voller Einkaufskorb gereicht wird. Es gibt so viele Szenen, die | |
2020 ausmachten – und die über die Pandemie hinaus Gültigkeit hätten. | |
## Denkmäler der Freude | |
In anderen Ländern stehen bereits Corona-Denkmäler, allerdings keine, die | |
den Einsatz von Lieschen Müller zelebrieren. Sie sind zuvorderst [4][den | |
Opfern] gewidmet oder [5][den Held*innen aus Medizin und Pflege]. Sie | |
sind Orte der Trauer und des Schmerzes. Braucht es nicht auch Denkmäler der | |
Freude? | |
Immerhin ambivalent ist ein Objekt, das demnächst vor einer Pfarrei in | |
Essen stehen wird: eine Sitzbank, die aussieht wie eine lange Krankentrage. | |
Das stehe für Verletzlichkeit, aber auch für Solidarität, [6][sagt der | |
zuständige Pfarrer dem WDR]. Starke Idee! Aber ewige Ambivalenz hält uns | |
auch davon ab, die Dinge zu dokumentieren, die gut funktioniert haben – und | |
daraus für kommende Krisen zu lernen. „Best Practice“ heißt das im | |
Politikjargon. Noch scheint es, als gäbe es eine Blockade, die kollektive | |
Leistung von 2020 anzuerkennen. Positive Verweise kommen vorsichtig daher, | |
mit Fußnote: Aber es war auch schlimm, aber wir hätten mehr tun können. | |
Alles richtig. Aber ich sehe keinen Grund, warum das eine das andere | |
ausschließen sollte. Was hält uns davon ab, hier ein Mahn- oder Grabmal zu | |
errichten und dort zu feiern? Es gibt schließlich genug Fußgängerzonen und | |
Verkehrsinseln, die noch Kunst brauchen. | |
24 Mar 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Ampelkoalition-zoegert-bei-Long-Covid/!5916073 | |
[2] /Die-Gesellschaft-in-der-Coronakrise/!5684755 | |
[3] https://www.zeit.de/foto/2021-04/world-press-photo-award-pressefoto-2020?ut… | |
[4] https://www.stern.de/panorama/corona-gedenkstaetten--erinnerungen-an-die-op… | |
[5] https://www.rnd.de/panorama/bau-von-grossem-corona-denkmal-in-indonesien-ba… | |
[6] https://www1.wdr.de/nachrichten/ruhrgebiet/corona-denkort-in-essen-geplant-… | |
## AUTOREN | |
Peter Weissenburger | |
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