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# taz.de -- Corona-Impfpflicht vor Gericht: Juristische Unschärfe einer Seuche
> Eine Pflegehelferin hatte gegen die Impfpflicht geklagt. Nun muss das
> Bundesverfassungsgericht entscheiden. Mit im Spiel: die Protokolle des
> RKI.
Bild: Spaziergang in Düsseldorf gegen Corona-Maßnahmen wie Impfpflicht für P…
Osnabrück taz | Indirekt beginnt der Fall, den das Osnabrücker
Verwaltungsgericht am Dienstagmorgen verhandelt, gleich im Foyer. Mitten
auf dem Boden klebt ein [1][alarmroter Punkt aus Coronatagen]: „Bitte
halten Sie Abstand!“ Pfeile zeigen auf ihm in alle Richtungen.
Einige von ihnen zeigen Richtung Sitzungssaal 2. Verhandelt wird hier die
Klage von Milojka H. 2022 war sie Pflegehelferin im Christlichen
Krankenhaus Quakenbrück, ungeimpft. Ihr Prozessgegner ist der Landkreis
Osnabrück. Er hatte im November 2022 ein Betretungs- und Tätigkeitsverbot
gegen sie verhängt, gemäß dem Infektionsschutzgesetz (IfSG). H. hatte nicht
nachgewiesen, dass sie gegen Corona geimpft war, von Corona genesen oder
von der Impfung befreit. Sie durfte deshalb nicht arbeiten.
Vor Saal 2 ist die Stimmung aufgeheizt. [2][Querdenker-Wutbürger reden sich
in Rage]. Die NS-Zeit sei nie richtig aufgearbeitet worden, wird behauptet,
dasselbe passiere jetzt mit Corona. Ein indiskutabler Vergleich.
Der Anlass der Verhandlung, das Tätigkeitsverbot ist Vergangenheit; für H.
galt es auch nur knapp zwei Monate lang. Aber die Auswirkungen des
Verfahrens sind immens: Bundesweit erstmalig geht es gerichtlich um die
[3][internen Corona-Protokolle des Robert-Koch-Instituts (RKI)] von Januar
2020 bis April 2021.
## Ein bisschen tribunalhaft
Es ist eine Sitzung, die theaterhafte Züge trägt. Gleich zu Anfang mahnt
der Vorsitzende Richter, Verwaltungsgerichtspräsident Gert-Armin Neuhäuser,
Richtung Querdenker: „Dieses Gericht ist [4][kein Coronatribunal!]“ Er
betont seine sitzungspolizeilichen Befugnisse: „Die nehme ich auch wahr!“
Es spreche nur, wem er das Wort erteile. Die Querdenker sind still.
Es geht um die wissenschaftliche Basis der einrichtungs- und
unternehmensbezogenen Impfpflicht. Es geht um die Unabhängigkeit des RKI.
Es geht darum, wie das RKI das Bundesgesundheitsministerium (BMG)
informiert hat, wie seine Expertise in Handeln umgesetzt wurde. Es geht um
politische Einflussnahme. Ein bisschen tribunalhaft wirkt das schon.
War die im Bundesinfektionsschutzgesetz eingeführte Impfpflicht
verfassungswidrig, wie H. denkt? Anfang 2022 hatte das
Bundesverfassungsgericht geurteilt, die Impfpflicht für das Pflege- und
Gesundheitspersonal sei grundgesetzkonform. H. macht geltend, schon damals
habe man gewusst, dass eine Corona-Impfung Ansteckungen nicht verhindere.
[5][Die RKI-Protokolle sollen das beweisen]. Zu ihnen sagt Lars Schaade als
Zeuge aus, Präsident des RKI, einst Leiter des Corona-Krisenstabes.
Richter Neuhäuser legt Schaade Zitat nach Zitat aus den Protokollen vor.
Fragt ihn, wie er sie versteht. Schaade, mit Rechtsbeistand gekommen,
weicht aus, wiegelt ab, flüchtet sich in Erinnerungslücken, nebelt sich mit
Zahlen ein, wälzt die Verantwortung von seiner Behörde auf das BMG ab, auf
RKI-Mitarbeitende, die in den Protokollen angeblich nur ihre
Individualmeinung sagen.
## „Wahrscheinlich sogar Fehler“
Der Richter grillt ihn, teils zynisch-ironisch, betont lässig: Das seien
doch keine „Irrungen und Wirrungen Einzelner“ gewesen, Äußerungen „eins…
Mitarbeiter, die auf dem Klo zu viel geraucht haben“.
Schaade gibt zu, es gebe „Unschärfen“ in den Protokollen, „wahrscheinlich
sogar Fehler“. Das RKI, an dessen Willen, die Bevölkerung zu schützen, das
Gericht keine Zweifel hat, bekommt Schlagseite.
Auch der Anwalt des Landkreises Osnabrück trägt zur Theatralik bei. Die
Verhandlung habe ihn „nachdenklich“ gemacht, sagt er am Ende. Leider habe
man damals nicht den Kenntnisstand von heute gehabt. Der Landkreis sei
schuldlos. Aber das Recht, das er anwandte, stand womöglich auf tönernen
Füßen.
Der Beschluss, kurz darauf, ist eindeutig: Aussetzung des Klageverfahrens
und Verweis an das Bundesverfassungsgericht. Dort muss jetzt die
Grundsatzentscheidung getroffen werden, ob das Betretungsverbot nach
Paragraf 20a IfSG in seiner mittlerweile ungültigen Fassung vom 18. März
2022 mit dem Grundgesetz vereinbar gewesen ist: konkret mit dem Recht auf
körperliche Unversehrtheit nach Artikel 2 und die Berufsfreiheit nach
Artikel 12.
## Schutz vulnerabler Personen
Die Norm sei im Laufe von 2022 „in eine Verfassungswidrigkeit
hineingewachsen“, sagt Richter Neuhäuser überzeugt, nicht nur zweifelnd. So
sei sie grundrechtsverletzend.
Der Schutz vulnerabler Personen vor einer Ansteckung durch ungeimpftes
Personal sei „ein tragendes Motiv“ für die Einführung der Impfpflicht
gewesen, sagt das Gericht. Diese Einschätzung werde durch die Protokolle
„erschüttert“. Es ist eine Aussage, die nachhallen wird.
Nicht nur, dass es einen „Kommunikationsflussverlust“ zwischen RKI und BMG
gegeben habe. Der Gesetzgeber sei seiner Normbeobachtungspflicht nicht
gerecht geworden, so das Gericht. In der Pandemie sei man sehr schnell
damit gewesen, Grundrechte einzuschränken, sagt Richter Neuhäuser. Genauso
schnell hätte man diese Einschränkung gegebenenfalls wieder aufheben
müssen. Milojka H. wäre dann womöglich das Tätigkeits- und Berufsverbot
erspart geblieben.
4 Sep 2024
## LINKS
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## AUTOREN
Harff-Peter Schönherr
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