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# taz.de -- Laborfleisch der Zukunft: Lecker Frikadelle vom Mammut
> Ausgestorbene Spezies auf dem Teller – so wollen PR-Leute die Diskussion
> über Laborfleisch fördern. Doch dessen Klimabilanz ist durchwachsen.
Bild: Die Mammutfrikadelle – wie sie wohl schmeckt? Essen kann man sie allerd…
Amsterdam taz | Das Objekt der Begierde ist so lang wie ein ausgestreckter
Unterarm samt Hand. Die Oberfläche glänzt in verschiedenen Brauntönen, hier
und da sieht sie schon ziemlich well done aus. Drapiert auf einer
Steinplatte, darunter ein weißes Tischtuch, links und rechts liegt Besteck.
Es scheint, als könne man jeden Moment hineinbeißen in den Mammoth
Meatball, der letzte Woche im Obergeschoss des Wissenschaftsmuseums NEMO in
der niederländischen Hauptstadt präsentiert, ach was, kredenzt wurde.
Kurz vor dem spontan angekündigten Event dachten selbst
Mitarbeiter*innen des Museums noch an einen verfrühten Aprilscherz.
Fleisch von einem Tier, [1][das seit rund 4.000 Jahren ausgestorben ist] –
wirklich? „Ein provokantes neues Ernährungskonzept“, hieß es in der
Einladung, die „ein einzigartiges Statement zu food futurism“ versprach.
Was dahintersteckt, erklärt James Ryall, Chief Scientist Officer bei VOW,
einem In-vitro-Fleischunternehmen aus Sydney, das hier seine Weltneuheit
vorstellen wollte. Laborfleisch bedeutet in diesem Fall: „Wir machen echtes
Fleisch, indem wir echte Tierzellen verwenden, getrennt vom Tier selbst, in
großen Bioreaktoren.“
Genau dort entstand auch der Fleischklops. „Wir injizierten Myoglobin aus
dem Mammutgenom in eine Schafzelle. Kleine Lücken füllten wir mit
genetischem Material des afrikanischen Elefanten an, dem nächsten lebenden
Verwandten des Mammuts. Dann züchteten wir eine Vielzahl dieser
Schafzellen, die das Mammutprotein Myoglobin produzieren. Wie sich
herausstellte, enthalten sie über hundertmal mehr Mammutmyoglobin als
Schafmyoglobin „, erzählt Ryall. Man merkt ihm die Freude darüber an,
zugleich klingt er beiläufig wie bei einem Feierabendgespräch am Grill.
Dabei geht es um nicht weniger als die Frage, wie die wachsende
Weltbevölkerung ernährt werden kann, ohne dadurch den Planeten vollends zu
zerstören. In 20 Jahren, rechnet Ryall vor, werde die Erde 10 Milliarden
Menschen zählen statt wie heute 8 Milliarden. Wie also bekomme man 25
Prozent mehr hochwertige tierische Proteine, ohne die herkömmliche
Viehwirtschaft weiter zu intensivieren? „Zuchtfleisch bietet einen Ausweg“,
so Ryall enthusiastisch. Was er davon hält, völlig auf Fleisch zu
verzichten? Wäre das nicht die beste Option? „Absolut! Das würde eine ganze
Reihe Probleme lösen.“ Aber obwohl etwa in der EU der Fleischkonsum
zurückgeht, sei dies eine rein theoretische Frage: „Es wird einfach nicht
passieren. Stattdessen brauchen wir andere, bessere Produkte, die Menschen
dazu bringen, ihre Essgewohnheiten zu ändern.“
## „Der Klimawandel ist umkehrbar“
Unwillkürlich fällt einem der Promofilm ein, den VOW und seine Partner kurz
vorher verschickt hatten. „Kein einziges Tier musste für den
Mammutfleischball sterben“, sagt Ryall darin. Ein Küchenchef schwärmt,
Zuchtfleisch sei „ein neuer Spielplatz“. Und dann erklärt eine Stimme im
Aufbruchton: „Der Klimawandel ist umkehrbar, wenn die ganze Menschheit
zusammenarbeitet. Lasst uns unseren Weg aus der Auslöschung heraus essen!“
Ob das allerdings mit [2][In-vitro-Fleisch] möglich ist, daran gibt es
Zweifel: Wegen des hohen Energieverbrauchs bescheinigen ihm
wissenschaftliche Studien derzeit keine bessere Klimabilanz als Fleisch.
Wenn wie hier Klimaschutz, Lifestyle, Tierwohl und Konsum in scheinbar
perfekter Balance zusammenfließen, wird deutlich: An diesem Projekt sind
nicht nur Wissenschaftler*innen beteiligt, sondern auch PR- Profis.
Einer davon ist der Niederländer Bas Korsten, seines Zeichens Global Chief
Creative Officer beim Agenturnetzwerk Wunderman Thompson. Er und sein Team
hatten vor drei Jahren die Idee für die Mammutfrikadelle. Wie einem so was
einfällt? „Die Definition von Kreativität: zwei Dinge kombinieren, die an
sich nicht verbunden sind. So wie hier Zuchtfleisch und genetic rescue.“
Letzteres bezeichnet die genetische Einflussnahme auf eine bedrohte
Population.
## Dodo-Nuggets und T-Rex-Steak
Es hätten auch Dodo-Nuggets oder ein T-Rex-Steak sein können, so Korsten,
doch vom Mammut sei mehr genetische Information vorhanden. Als Ziel nennt
auch er eine Diskussion über Klimawandel, Nachhaltigkeit und
In-vitro-Fleisch, ausgelöst just durch das Beispiel einer [3][Spezies, die
veränderten Klimabedingungen zum Opfer fiel]. Wie es schmecken würde,
wie nahrhaft es wäre, weiß er nicht. Vor einer Zulassung bräuchte es
zahlreiche Tests, nicht zuletzt wegen des Risikos allergischer Reaktionen.
Hinzu kommt: „Als lebenden Organismus konnten wir den Fleischball nicht
durch den Zoll bringen. Also mussten wir ihn in Formaldehyd ertränken.“
Dass es in absehbarer Zeit Mammutfleisch im Supermarkt zu kaufen gibt, hält
Korsten denn auch nicht für realistisch. Ohnehin ist Zuchtfleisch bislang
nur in Singapur erhältlich, die USA und Australien wollen bald nachziehen.
Die Debatte anstoßen und in mehr Ländern Regulierung erreichen und einen
Marktzugang finden, darum geht es den Kreativen von Wunderman Thompson. Die
Niederlande, wo Willem van Eelen Mitte der 1990er Jahre bereits die
Technologie entwickelte und erste Patente anmeldete, stehen in Europa weit
vorne in der Entwicklung. Im Jahr 2022 kündete die Regierung an, 60
Millionen Euro in Forschung und Entwicklung von In-vitro-Fleisch zu
investieren.
## „Gemischte Gefühle“
Wie sieht man diese Entwicklung bei der NGO ProVeg, die in 40 Ländern aktiv
ist und den globalen Tierkonsum bis 2040 halbieren will? Pablo Moleman,
Mitbegründer des niederländischen Zweigs, hat „gemischte Gefühle“ beim
Mammoth Meatball. „Das stellt Zuchtfleisch als eine Art Kirmesattraktion
dar. Manche, die auf Natürlichkeit Wert legen oder Angst vor
technologischem Fortschritt haben, stößt das ab. Es ist gerade wichtig,
dass Leute wissen, dass dies kein ‚Frankensteinfleisch‘ ist. Andererseits
spricht die Idee von Urzeit, Jagen und Mammut vielleicht gerade Männer an,
die Fleisch als Teil ihrer Identität sehen.“
Dass Männer auf dem Weg zu einer nachhaltigen Nahrungsproduktion die
größere Hürde sind, steht für Moleman außer Frage: „Frauen sind
aufgeschlossener für pflanzliche Alternativen zu Fleisch.“ Solche, etwa
Hülsenfrüchte, sind laut ProVeg noch immer die perfekte Lösung, doch nicht
alle Bevölkerungsgruppen sprächen diese an. „Angesichts der Dringlichkeit
gibt es nicht nur die eine Lösung. Da hat In-vitro-Fleisch viel Potenzial.“
Wie groß dieses ist, beschränkt sich freilich zurzeit noch auf
„theoretische Annahmen“, so [4][eine Studie des Umweltbundesamts]. Diese
geht davon aus, dass In-vitro-Fleisch herkömmlichem Fleisch beim Wasser-
und Landverbrauch überlegen ist, in puncto Energieverbrauch jedoch
schlechter abschneidet. Moleman indes merkt an, gerade die zunehmende
Verfügbarkeit alternativer Energiequellen mache Zuchtfleisch attraktiver.
Sein Gesamtfazit: „Pflanzliche Ernährung ist noch immer nachhaltiger, aber
der Unterschied zwischen einer mit Zucht- und mit herkömmlichem Fleisch ist
gigantisch.“
5 Apr 2023
## LINKS
[1] /Forschung-ueber-Erderhitzung/!5900305
[2] /Produktion-von-Labor-Fleisch/!5202947
[3] /Konflikt-um-Australische-Megafauna/!5698097
[4] https://www.umweltbundesamt.de/presse/pressemitteilungen/fleischersatz-auf-…
## AUTOREN
Tobias Müller
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