# taz.de -- Grün geführtes Ministerium tut nichts: Agrarressort will es nicht… | |
> 30 ForscherInnen haben im Auftrag der Regierung ein Konzept erarbeitet, | |
> um das „Tierwohl“ zu messen. Bislang folgenlos. | |
Bild: Schweine, die kein Schwein haben: Stall in Böhmenkirch, 2021 | |
Berlin taz | Das Bundesagrarministerium will bisher nicht einen Plan zur | |
Messung des Tierwohls umsetzen, für den es 4,6 Millionen Euro gezahlt hat. | |
Bei der Vorstellung der Ergebnisse des Forschungsprojekts Nationales | |
Tierwohl-Monitoring Ende Juni in Berlin verwies die parlamentarische | |
Staatssekretärin Ophelia Nick auf die knappen Haushaltsressourcen. Daher | |
müsse sie die Erwartung an eine schnelle Umsetzung dämpfen, räumte die | |
Grünen-Politikerin der Nachrichtenagentur Agra-Europe zufolge ein. Wie | |
wenig das Ministerium von dem vorgeschlagenen System hält, zeigte es auch | |
etwas subtil in seiner Pressemitteilung zum Thema: Darin fehlte der bei | |
ähnlichen Anlässen übliche Dank an die beteiligten ForscherInnen. In einer | |
Stellungnahme für die taz rechtfertigte die Behörde, dass sie die | |
Ergebnisse erst einmal sorgfältig prüfen müsse. | |
Dabei sind die Grundzüge des Konzepts seit Langem klar. Zudem nannte die | |
von Cem Özdemir geleitete Behörde mehrere Argumente dagegen und keines | |
dafür, das Projekt schnell umzusetzen. ExpertInnen haben über Jahre | |
mehrmals dringend dazu geraten, zu messen, wie es den Nutztieren in | |
Deutschland geht. 2005 und [1][2015] empfahl das zum Beispiel der | |
Wissenschaftliche Beirat Agrarpolitik beim Bundesagrarministerium. „Wir | |
wissen nicht, wie es den Tieren geht. Das führt oft zu einer unsachlichen | |
Diskussion“, sagt auch die Projektleiterin des Monitoringprojekts, Angela | |
Bergschmidt. „Und der Agrarpolitik fehlen in vielen Bereichen relevante | |
Informationen, sodass sie das Geld nicht dort einsetzen kann, wo es am | |
effizientesten wäre, obwohl die Mittel knapper werden.“ Das Monitoring | |
würde repräsentative Daten liefern, damit Probleme identifiziert und gelöst | |
werden. Die WissenschaftlerInnen argumentieren auch, dass erst mit dem | |
Monitoring überprüft werden könne, wie staatliche Maßnahmen wie | |
Tierwohl-Förderprämien für Bauern oder die geplante Pflichtkennzeichnung | |
der Haltungsbedingungen wirken. | |
Deshalb gab das Agrarministerium 2018 den Auftrag, ein nationales | |
Tierwohl-Monitoring zu entwickeln. Der Aufwand war nicht nur aus | |
finanzieller Sicht groß: Insgesamt arbeiteten etwa [2][30 Beschäftigte] von | |
8 Institutionen wie dem bundeseigenen Thünen-Agrarforschungsinstitut, dem | |
Statistischen Bundesamt und Universitäten viereinhalb Jahre an dem Projekt. | |
Die WissenschaftlerInnen haben 250 Indikatoren für die Tierwohl-Messung vor | |
allem aus den Bereichen Gesundheit, Haltung, Futter, Jungtiere, Transport | |
und Schlachtung ausgewählt. Bei Rindern soll zum Beispiel erfasst werden, | |
wie viele Tiere vorzeitig sterben, wie lange sie genutzt werden und wie | |
viele Lahmheiten haben. Gemessen werden soll auch, wie viel Platz, | |
Weidegang und Licht sie haben. Bei der Schlachtung soll beispielsweise | |
analysiert werden, wie gut die Betäubung funktioniert. | |
## Fleischuntersuchungsstatistik | |
Diese Fragen wollen die ForscherInnen mithilfe einerseits von bestehenden | |
Daten wie der Schlachttier- und Fleischuntersuchungsstatistik klären. | |
Andererseits sollen aber auch repräsentative Stichproben direkt in den | |
Ställen erhoben werden. Ungefähr 10 Prozent aller Betriebe mit Tierhaltung | |
sollen so alle vier Jahre besucht werden. „Das wären ungefähr 13.000 zu | |
auditierende Betriebe in vier Jahren. Das sind etwas weniger als | |
tierhaltende Betriebe bei der [3][jährlichen Biokontrolle]“, sagt | |
Thünen-Forscher Jan Brinkmann, der an dem Konzept mitgearbeitet hat. | |
Diese „Audits“ kosten den ForscherInnen zufolge inklusive der Analyse und | |
Aufbereitung 2,8 Millionen Euro pro Jahr. Dazu kämen die Kosten für die | |
schriftlichen Erhebungen durch die Statistikämter, die aber noch keine | |
Schätzung vorlegen wollten. Zum Vergleich: 2022 sollte das | |
Bundesagrarministerium [4][7,2 Milliarden Euro] ausgeben. Die | |
WissenschaflterInnen empfehlen, ein Gesetz zu erlassen, damit alle | |
nötigen Betriebe den AuditorInnen ihre Tore öffnen. | |
Das Agrarministerium meint aber, schon genug über die Lage in den Ställen | |
zu wissen. Es gebe „nicht primär ein Erkenntnis-, sondern vor allem ein | |
Handlungs- und Umsetzungsdefizit“, teilte es der taz mit. Das Ministerium | |
verfüge ja auch über mehrere Forschungsinstitute. „Dadurch können | |
Entwicklungen und die Wirkung von Maßnahmen auf der Grundlage | |
wissenschaftlicher Expertise beobachtet und eingeordnet werden.“ | |
Der Deutsche Tierschutzbund kritisierte die Position des Agrarministeriums. | |
„Wir befürworten auf jeden Fall eine schnelle Umsetzung und Einführung | |
eines nationalen Monitorings“, teilte Deutschlands größte | |
Tierschutzorganisation der taz mit. Denn es gebe bisher keine „belastbaren | |
Zahlen“ zur Lage der Nutztiere. Anders als Staatssekretärin Nick suggeriert | |
habe, hätten die WissenschaftlerInnen für das Monitoring „jedoch | |
überschaubare Beträge von weniger als 3 Millionen Euro (über einen Zeitraum | |
von 4 Jahren) veranschlagt“. Zwar müsse das Agrarministerium auf Druck der | |
FDP sparen, „aber ein Projekt wie dieses sollte darstellbar sein und ist ja | |
nicht erst seit diesem Jahr auf der Agenda.“ | |
2 Jul 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/DE/_Ministerium/Beiraete/agrarpoli… | |
[2] https://www.nationales-tierwohl-monitoring.de/projekt/projektteam | |
[3] https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2021/07/PD21_N046_41.h… | |
[4] https://www.bundeshaushalt.de/DE/Bundeshaushalt-digital/bundeshaushalt-digi… | |
## AUTOREN | |
Jost Maurin | |
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