# taz.de -- Neue Proteinquellen: Eiweiß aus dem Bioreaktor | |
> Corona hat das Einkaufsverhalten verändert. Vor allem Ersatzprodukte für | |
> Fleisch und Milch sind gefragt – nicht immer sind die gut für die | |
> Gesundheit. | |
Bild: In Mexiko kommen Insekten, Skorpione und Flussgarnelen als leckere Knabbe… | |
MÜNCHEN taz | Die Coronapandemie hat das Einkaufsverhalten der Deutschen | |
verändert. Laut neuesten Analysen des Marktforschungsinstitut GFK stieg das | |
Bewusstsein für Nachhaltigkeit, Regionalität und Gesundheit in den | |
Pandemiezeiten. Vor allem Ersatzprodukte für Fleisch und Milch sind im | |
Trend. | |
Zunehmend drängen jedoch auch Fisch- und Ei-Ersatzprodukte auf den Markt. | |
Neben pflanzlichen Proteinen bastelt man in den Forschungslaboren dieser | |
Welt an Proteinen aus Einzellern, Algen, Insekten sowie | |
[1][In-vitro-Fleisch] – und das mit saftigen Finanzspritzen. So haben sich | |
die Beträge, die in Food-Start-ups zur Entwicklung von Proteinalternativen | |
investiert wurden, von 2015 auf 2020 auf 2,5 Milliarden US-Dollar | |
verfünffacht. [2][Sicher ist, dass diese Produkte nachhaltiger sind]. In | |
Sachen Gesundheit gibt es jedoch noch einige Fragezeichen. | |
Generell gilt eine fleischarme und pflanzenreiche Ernährung als gesünder, | |
da vor allem rotes und verarbeitetes Fleisch das Risiko für | |
Herzkrankheiten, Diabetes und Darmkrebs fördert. Auch wer anstatt Fleisch | |
mehr Hülsenfrüchte wie Bohnen, Linsen und Erbsen als Ganzes isst, hat | |
bewiesenermaßen gesundheitliche Vorteile. | |
Dennoch ist bislang nicht bekannt, ob die teils hoch verarbeiteten | |
pflanzlichen Fleischersatzprodukte gesünder sind als Fleisch. Sie sind zwar | |
ähnlich proteinreich, enthalten mehr Ballaststoffe und weniger Kalorien, | |
gesättigte Fettsäuren, aber dafür viel Salz. Das haben Marktchecks der | |
Verbraucherzentrale in den letzten Jahren aufgedeckt. Allerdings wird das | |
Eiweiß aus den Pflanzen isoliert, gesunde sekundäre Pflanzenstoffe, | |
Mikronährstoffe oder Ballaststoffe sind also im Endprodukt nicht mehr | |
enthalten. | |
Umstritten sind die Veggie-Produkte auch, weil sie teils viele Zusatzstoffe | |
enthalten, um Geschmack und Mundgefühl von Fleisch zu imitieren. So kommen | |
etwa Methylcellulosen als Bindemittel zum Einsatz, die im Verdacht stehen, | |
Darmschleimhaut und Mikrobiom zu schaden. Auch Aromen und | |
Geschmacksverstärker werden zugesetzt. | |
## Mehr Forschung ist notwendig | |
„Hoch verarbeitete Lebensmittel werden insgesamt mit einer höheren | |
Energieaufnahme in Verbindung gebracht“, schrieb Raychel Santo, | |
Wissenschaftlerin an der John Hopkins University 2020 in einem | |
Übersichtsartikel. „Wir brauchen mehr Forschung, um zu wissen, ob die | |
Menschen mehr verarbeitete oder unverarbeitete Ersatzprodukte anstatt | |
Fleisch essen und ob das zu einem gesünderen Ernährungsmuster führt.“ | |
Pflanzenmilchgetränke enthalten zwar keine umstrittenen Zusatzstoffe und | |
die Verarbeitung ist auch weniger intensiv. Verglichen mit Kuhmilch liefern | |
sie jedoch teils weniger Eiweiß, Vitamine und Mineralstoffe, wenn diese | |
nicht extra zugesetzt werden. Dafür sind sie kalorienärmer. [3][In Soja- | |
und Hafermilch stecken zudem sekundäre Pflanzenstoffe.] | |
Insgesamt ist pflanzliches Protein auch weniger hochwertig als tierisches, | |
da einige essenzielle Aminosäuren nur begrenzt vorkommen. Daher sind | |
Forscher auf der Suche nach neuen Proteinquellen etwa aus der Wasserlinse | |
oder nach idealen Kombinationen von pflanzlichen Proteinen. | |
Die Universität Bonn ist derzeit dabei, eine entsprechende Proteindatenbank | |
für alle möglichen Ackerpflanzen aufzubauen. Auch Gras hat einen hohen | |
Gehalt an wertvollen Eiweißbausteinen. Möglicherweise essen wir also in 10 | |
Jahren Gras-Burger. | |
Mykoproteine aus Pilzen, sind vielversprechend, da sie eine sehr gute | |
Proteinqualität aufweisen. Entsprechende Produkte sind ballaststoffreich | |
und fettarm. Durch UV-Bestrahlung können Pilze auch hierzulande häufig | |
fehlendes Vitamin D anreichern. Mit Produkten der Marke Quorn sind bereits | |
Mykoproteine auf dem Markt. | |
Auch aus Bakterien und Hefen lassen sich in Biotanks Proteine herstellen. | |
Entweder lässt man diese wachsen und erntet die Zellen ab. Das | |
Mikroben-Eiweiß ist eine ausgezeichnete Proteinquelle. Oder man veranlasst | |
die Zellen dazu, bestimmte Eiweiße zu produzieren, wie etwa Casein und | |
Molkenproteine aus Milch. Einige Start-ups wie das in Berlin ansässige | |
Formo widmen sich derzeit der Entwicklung solcher alternativen Proteine. | |
Forschende sind auch im Wasser fündig geworden: Mikroalgen wie Spirulina | |
und Chlorella und Makroalgen sind reich an Proteinen mit wertvollem | |
Aminosäurenmuster. Sie liefern viele weitere Nährstoffe wie Carotinoide, | |
Vitamin B12, Jod und Omega-3-Fettsäuren. In Makroalgen stecken zudem viele | |
Ballaststoffe, darunter bioaktive Polysaccharide, die zumindest im | |
Zellversuch gegen Krebszellen vorgehen. | |
## Noch fehlen entsprechende Studien | |
Allerdings ist noch unklar, wie gut die bioaktiven Substanzen, das Vitamin | |
B12 und die Algenproteine vom Körper aufgenommen werden. Dennoch werben | |
einige Nahrungsersatzmittelhersteller damit, dass etwa Spirulina gegen | |
verschiedene Krankheiten vorgehe und Hüftgold schmelzen lasse. Die | |
Verbraucherzentrale weist jedoch darauf hin, dass entsprechende Studien zu | |
Algentabletten nicht existieren. | |
Algen wie Nori, Dulse oder Meersalat bereichern jedoch seit Urzeiten den | |
menschlichen Speiseplan. Die Studienlage ist hier ziemlich eindeutig: | |
Beobachtungsstudien zeigten, dass ein hoher Algenkonsum in Asien mit einem | |
geringeren Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs und Diabetes | |
zusammenhängen. | |
Auch Insekten sind keineswegs neue Lebensmittel, sie zählen nur in | |
westlichen Industrienationen nicht oder nicht mehr zum kulinarischen | |
Kulturgut. „Insekten liefern wertvolles Eiweiß mit allen essenziellen | |
Aminosäuren“, sagt Karlis Briviba vom Max Rubner-Institut. Er untersucht | |
derzeit, ob das menschliche Verdauungssystem die Insektenproteine verwerten | |
kann. Und erste Ergebnisse weisen auch darauf hin. Viele essbare | |
Insektenarten enthalten ungesättigte Fettsäuren sowie Eisen, Zink, Mangan | |
und Kupfer satt. | |
In-vitro-Fleisch ist herkömmlichem Fleisch in Sachen Nährstoffgehalt und | |
gesundheitlichen Risiken am ähnlichsten. Es ist schließlich ein | |
vergleichbares Endprodukt, nur in Zellkultur gewachsen. So können | |
zusätzlich wünschenswerte Nährstoffe wie Vitamine oder Omega-3-Fettsäuren | |
angereichert werden. Es sind aber auch mehr Zusatzstoffe erforderlich. | |
Derzeit essen die Deutschen jedoch zu viel Eiweiß – der derzeitige | |
Proteinhype ist daher unverständlich. Vor allem der Fleischkonsum sollte | |
halbiert werden, während Milch- und Milchprodukte etwa in den Mengen | |
gegessen werden, wie empfohlen. Dennoch gibt es Vorteile für Fleisch- und | |
Milchersatzprodukte. Sie sind nicht nur umweltfreundlicher, auch müssten | |
weniger Tiere in der Massentierhaltung ihr Dasein fristen. | |
9 Jan 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Tierrechtler-loben-Gefluegelfleischkonzern/!5475027 | |
[2] /Alternative-Eiweissquellen/!5813599 | |
[3] /Soja-in-der-Babynahrung/!5530981 | |
## AUTOREN | |
Kathrin Burger | |
## TAGS | |
Nahrungsmittel | |
Lebensmittel | |
Proteine | |
Fleischersatz | |
Insekten | |
[tazze]IG | |
Tierhaltung | |
Ernährung | |
Gender | |
Uganda | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
Lebensmittel | |
Technikfolgenabschätzung | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Laborfleisch der Zukunft: Lecker Frikadelle vom Mammut | |
Ausgestorbene Spezies auf dem Teller – so wollen PR-Leute die Diskussion | |
über Laborfleisch fördern. Doch dessen Klimabilanz ist durchwachsen. | |
Forschung zur Kleinen Wasserlinse: Upcycling wie im Ententeich | |
Ein niedersächsisches Projekt prüft den Wert der Kleinen Wasserlinse für | |
die Wasserreinigung und die Futtermittelproduktion. Eine Win-Win-Situation? | |
Forschung an Lebensmitteln der Zukunft: Schokolade aus dem Bioreaktor | |
Forscher entwickeln eine 100-Gramm-Tafel im Labor. Künftig sollen auch | |
andere Lebensmittel nicht mehr vom Feld und aus dem Stall kommen. | |
Die Wochenvorschau für Berlin: Ein Schwamm für die Kunst | |
Eine Demo wurde abgesagt. Dafür finden Festivals statt. Was das alles mit | |
zersägten Frauen – und einem Mann – zu tun, klärt der Autor hier auf. | |
Grashüpfer-Snack bei Uganda Airlines: Proteinreiches Bordmenü | |
Die Ugander feiern ihre Grashüpfer wie die Deutschen ihren Spargel. Für | |
entsprechend viel Wirbel sorgte jüngst ein Vorfall in einem Flugzeug. | |
Alternative Eiweißquellen: Kunstfleisch, Mikroben, Seetang | |
Tierische Produkte treiben die Erderwärmung an. Doch sind alternative | |
Eiweißquellen auch wirklich umweltfreundlicher? | |
Insekten als Lebensmittel: Grünes Licht für Mehlwürmer | |
Insekten gelten als klimaschonender Ersatz für Steak & Co. Mehlwürmer sind | |
nun EU-weit erlaubt. Insektenfarmen bergen jedoch auch Risiken. | |
Ernährung in der Zukunft: Nahrungsmittel als Klimakiller | |
Die Produktion von Lebensmitteln ist einer der großen Faktoren, die auf das | |
Klima einwirken. Ein radikaler Umbau ist notwendig. |