# taz.de -- Neuwahl in Berlin: Die drei??? und das Rote Rathaus | |
> Berlin wählt – schon wieder. Wer hat Chancen auf den Sieg? | |
Bild: Bettina Jarasch (Die Grünen), Kai Wegner (CDU), Franziska Giffey (SPD) | |
Der bodenständige Aufsteiger | |
Das war der Ritterschlag. Ein Porträt [1][im jüngsten Spiegel], das hatte | |
Kai Wegner (50) zuvor in über drei Jahrzehnten Politikerleben nicht | |
geschafft. Und noch nicht einmal ein schlechtes, sondern eines, das den | |
CDU-Spitzenkandidaten als sehr bodenständigen Antiintellektuellen | |
beschreibt, der Berlin nie länger verlassen hat, was Wegner als | |
Auszeichnung empfand. | |
An ihm gab es in den letzten Tagen vor der Wahl kein Vorbeikommen. Immer | |
höher waren die Umfragewerte seiner CDU gestiegen, immer weiter blieben SPD | |
und Grüne zurück. 1999, vor fast 24 Jahren, war die CDU letztmals siegreich | |
aus einer Abgeordnetenhauswahl hervorgegangen. | |
Wegner kommt aus dem Westberliner Bezirk Spandau, der sich selbst gerne als | |
eigenständige Kommune sieht. Seine Parlamentskarriere begann 1995 auf | |
Bezirksebene, ging vier Jahre später im Abgeordnetenhaus weiter und führte | |
ihn 2005 mit 33 Jahren in den Bundestag. Kaum 14 Kilometer liegen zwischen | |
diesen drei Stationen. Kurs auf die Spitzenkandidatur nahm Wegner 2019 auf, | |
als er die damalige CDU-Landeschefin Monika Grütters aus dem Amt drängte. | |
Die war zwar überregional als Kulturstaatsministerin sehr anerkannt, | |
interessierte sich aus Sicht vieler Parteimitglieder aber zu wenig für | |
Berliner – oder Spandauer – Politik. Lange wurde Wegner für seinen | |
Regierungsanspruch belächelt, doch nach der [2][nun zu wiederholenden | |
Landtagswahl 2021] bescheinigten ihm selbst Kritiker einen Teilerfolg: Er | |
lag trotz des miserablen Trends der parallelen Bundestagswahl nur knapp | |
hinter den zuvor weit höher gehandelten Grünen. | |
Wie kommt er ins Rote Rathaus? | |
Anders als Bettina Jarasch (Grüne) und Franziska Giffey (SPD) hat Wegner | |
mehrere Optionen, ins Amt zu kommen – vorausgesetzt, sein Aufwärtstrend | |
hält genauso an wie der Abwärtstrend der anderen. Der CDU-Mann könnte SPD | |
wie Grünen eine Zweierkoalition anbieten und abwarten, wer mehr zu bieten | |
hat. Die FDP spielt dabei keine Rolle: Mit ihr reicht es nicht und für ein | |
anderes Bündnis braucht Wegner sie mutmaßlich nicht. | |
Was ändert das? | |
Innenpolitisch anders als gelegentlich dargestellt nicht viel: Der | |
polizeinahe und auf konsequente Strafverfolgung auch für Klimakleber | |
setzende Kurs der SPD-Innensenatorin, gestützt von Regierungschefin | |
Franziska Giffey, ist kaum zu überbieten. | |
Anders ist es in der Verkehrspolitik. Zwar lehnt auch die SPD ein breites | |
Autoverdrängen ab. Doch Wegner will wie die FDP einen [3][Weiterbau der | |
Stadtautobahn A100]. Den hat zwar nicht Giffey persönlich, aber ihr | |
SPD-Landesverband im Sommer 2022 bei einem Parteitag abgelehnt. Eine | |
Koalition muss daran aber nicht scheitern: Schon die aktuelle rot-grün-rote | |
Koalition hatte den Weiterbau 2021 nicht ausgeschlossen, sondern die | |
Beschäftigung damit nur in die nächste Legislaturperiode vertagt. Zudem | |
sind Planung und Bau allein Sache der Bundesregierung. Stefan Alberti | |
*** | |
Die getriebene Landesmutter | |
Franziska Giffey wäre gerne Berlins Landesmutter. Ihre Partei unterstützt | |
sie dabei mit Kräften: „Weil sie es kann“ steht auf den SPD-Wahlplakaten, | |
oder einfach nur: „Unsere Regierende“. Doch passt eine solche Übermutti zu | |
Berlin mit seinen notorisch motzenden Menschen? | |
Bislang jedenfalls konnte Giffey im Wahlkampf nicht groß punkten. In | |
Umfragen liegt sie meist knapp unter 20 Prozent und damit hinter ihrem | |
Wahlergebnis von 2021. Meist reicht das für Platz zwei, nach CDU, aber vor | |
ihrer Verkehrssenatorin und Widersacherin im Wahlkampf, Bettina Jarasch | |
(Grüne). | |
Dabei hat die einstige Bundesfamilienministerin zumindest [4][zu Beginn der | |
heißen Phase klug agiert], als die Debatte um die Ausschreitungen an | |
Silvester in eine populistische Integrationsdebatte umzuschlagen drohte. | |
Giffey hat sich entschieden gegen pauschale Vorverurteilungen gewandt, | |
gleichzeitig harte und schnelle Strafen gefordert. Ausgezahlt hat sich das | |
aber nicht, im Gegenteil: Mit der Debatte begann der unerwartete Höhenflug | |
von CDU-Spitzenkandidat Kai Wegner. | |
Wie kommt sie ins Rote Rathaus? | |
Stärkste Kraft wie 2021 wird die SPD wohl nicht mehr werden. Das muss sie | |
aber auch gar nicht, damit Giffey Regierende Bürgermeisterin bleibt. | |
Solange ihre Partei vor den Grünen liegt und die Linke nicht zu viel | |
verliert, reicht es erneut für ein rot-grün-rotes Bündnis unter Giffeys | |
Führung. | |
Diese Regierungsoption ist, allem Wahlkampfgetöse zum Trotz, auch für | |
Giffey die naheliegendste Option. So müssten bei gleichem Zieleinlauf wie | |
2021 keine langwierigen Koalitionsverhandlungen geführt werden mit Grünen | |
und Linken. Dieser Zeitfaktor ist wichtig, denn da es sich um eine | |
Wiederholungswahl handelt, läuft die bisherige Legislaturperiode weiter. | |
Heißt: Im Herbst in drei Jahren wird schon wieder gewählt. Für die | |
rot-grün-rote Regierung bedeutet das auch: Sie muss in diesen drei Jahren | |
wirklich liefern und einige Erfolge vorweisen können – sonst wäre eine | |
weitere Neuauflage des linken Bündnisses wohl kaum mehr vermittelbar. | |
Was ändert das? | |
Erfolg heißt in Giffeys Fall: Sie muss bauen, bauen, bauen. Denn sie hatte | |
die Wohnungs- und Mietenpolitik zur Chefinnensache erklärt und 20.000 neue | |
Wohnungen versprochen – pro Jahr. So will sie zudem verhindern, dass der | |
Druck weiter wächst, den erfolgreichen Enteignungsvolksentscheid | |
umzusetzen. 2022 hat Rot-Grün-Rot das Bauziel deutlich verfehlt. Und auch | |
für 2023 sieht es trübe aus, nachdem Berlins größter Wohnungseigentümer | |
Vonovia [5][alle neuen Bauprojekte gestoppt hat]. | |
Darüber hinaus hat sich Giffey zum Ziel gesetzt, die Verwaltung zu | |
digitalisieren, schneller zu machen und den Stau bei den Bürgeramtsterminen | |
aufzulösen. In diesem Bereich immerhin gibt es erste Fortschritte. | |
*** | |
Die gescheiterte Brückenbauerin | |
Bettina Jarasch, 54, beschreibt sich gerne als Brückenbauerin. Dieser | |
Begriff soll sagen: Ich kann verschiedene Lager zueinanderbringen. Diese | |
Selbsteinschätzung ging auch schon mal komplett daneben: „Ich bin eine | |
Brückenbauerin“, sagte Jarasch auch, als sie nach fünf Jahren als | |
Landesvorsitzende 2017 Spitzenkandidatin der Berliner Grünen für die | |
Bundestagswahl werden wollte. Das überzeugte beim Parteitag 70 Prozent | |
nicht – die stimmten lieber für die heutige Bundesfamilienministerin Lisa | |
Paus vom linken Parteiflügel. | |
Die Brückenbauerei recycelte Jarasch, als die Grünen sie völlig | |
überraschend als Spitzenkandidatin für die Abgeordnetenhauswahl 2021 | |
nominierten. Man präsentierte Jarasch, zuvor fast vier Jahre | |
Hinterbänklerin im Landesparlament, [6][als lagerübergreifende | |
Kompromisskandidatin]. Noch drei Monate vor der Wahl lag sie mit den Grünen | |
weit vor der SPD, fiel dann aber deutlich zurück, nur knapp vor der CDU, | |
und wurde in der neuen rot-grün-roten Landesregierung nicht Chefin, sondern | |
für Verkehr, Umwelt und Klima zuständig. | |
Wie kommt sie ins Rote Rathaus? | |
„Ich werde diese Chance nutzen“, versprach Jarasch ihrer Partei [7][im | |
taz-Interview], nachdem das Verfassungsgericht im Herbst die Weichen | |
Richtung Wiederholungswahl gestellt hatte. Danach sah es auch noch im | |
Januar aus – die Grünen lagen teils deutlich vor der SPD. Das hieß | |
zugleich: vorne im linken Lager, das in diesen Umfragen noch eine sichere | |
Mehrheit hatte, um sie im Parlament zur Regierenden Bürgermeisterin zu | |
wählen, dem offiziellen Titel der Berliner Ministerpräsidentin. | |
Inzwischen aber ist zum einen die SPD wieder auf Augenhöhe, zum anderen ein | |
künftige links-grüne Mehrheit im Parlament auf der Kippe. Grün-Rot-Rot aber | |
ist Jaraschs einzige Chance, den Nr.-1-Job in der Regierung zu übernehmen: | |
Für eine Ampelkoalition ist die FDP zu schwach, und bei einem Bündnis mit | |
der umfragemäßig weit vorn liegenden CDU wäre sie nur kleiner Partner. | |
Was ändert das? | |
Sollte es am Ende doch klappen, stünde Jarasch unter Druck, Klimaschutz | |
allenthalben den Vorrang zu geben. Erst jüngst änderten die Grünen ihre | |
Haltung zu einem Ende März anstehenden Volksentscheid, der darauf drängt, | |
Berlin bis 2030 und nicht wie von der Landesregierung beschlossen erst 2045 | |
klimaneutral zu machen. Als nicht umsetzbar hatten die Grünen mit SPD und | |
Linkspartei diese Forderung in der Regierung abgelehnt. | |
Nun wünschen sie dem Volksentscheid – auch unter Druck durch den | |
parteiinternen Streit um die Lützerath-Räumung – in ihrem Wahlprogramm viel | |
Erfolg. Jarasch sagt, sie wolle Autos nicht verbieten, will aber den Platz | |
dafür beschneiden. Mit der SPD ist aber in der jetzigen Koalition eine | |
Halbierung der Parkplätze genauso wenig zu machen wie eine sonstige | |
Verdrängung von Autos. | |
11 Feb 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://www.spiegel.de/politik/deutschland/berlin-wahl-kai-wegner-cdu-man-h… | |
[2] /Amtliches-Ergebnis-in-Berlin/!5808051 | |
[3] /Autobahnausbau-in-Berlin/!5907905 | |
[4] /Reaktion-auf-Randale-an-Silvester/!5905124 | |
[5] /Neubaustopp-von-Immobilienkonzern/!5913109 | |
[6] /Gruene-Spitzenkandidatur-in-Berlin/!5715957 | |
[7] /Vize-Regierungschefin-will-kaempfen/!5889817 | |
## AUTOREN | |
Stefan Alberti | |
Bert Schulz | |
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