| # taz.de -- Wahlwiederholung in Berlin: Noch mal von vorn | |
| > Am 12. Februar wird in Berlin erneut gewählt. Eine Grüne will ihr Mandat | |
| > verteidigen, eine SPD-Frau hat eigentlich andere Pläne. Unterwegs in der | |
| > Hauptstadt. | |
| Bild: Oda Hassepaß vor ihrem Wahlkreisbüro in Berlin | |
| Das Berliner Abgeordnetenhaus ist ein imposanter Bau aus dem späten 19. | |
| Jahrhundert, errichtet im Stil der italienischen Hochrenaissance. Wer es | |
| betritt, gelangt in ein hohes Foyer. Auf den Treppen führt ein langer roter | |
| Teppich in die oberen Etagen. Es ist ein geschichtsträchtiger Ort: Sitz des | |
| preußischen Landtags, Offizierskasino unter den Nazis, dann Sitz der ersten | |
| DDR-Regierung. Seit 1993 tagen hier die Abgeordneten des Parlaments der | |
| wiedervereinten Hauptstadt. | |
| In Raum 376, einem langgezogenen Saal, kommen an einem Mittwochmorgen Ende | |
| Januar die Abgeordneten des Mobilitätsausschusses zusammen. | |
| Regierungskoalition und Opposition sitzen sich an zwei weißen Tischreihen | |
| gegenüber. Deckenlampen tauchen den Raum in gelbes Licht, manchmal hört man | |
| das Klappern von Kaffeetassen. | |
| Rechts, bei der Regierungskoalition, sitzt eine Frau mit langem blonden | |
| Haar und tippt in ihr Notebook. Sie hat gerade die Eröffnungsfrage an die | |
| Senatorin gestellt, jetzt macht sie sich Notizen. [1][Oda Hassepaß] von den | |
| Grünen. | |
| Hassepaß ist vergleichsweise neu hier. Bei der Wahl im September 2021 wurde | |
| sie direkt gewählt, setzte sich ganz knapp gegen Klaus Lederer, | |
| Spitzenkandidat der Berliner Linken und Kultursenator, durch. 30 Stimmen | |
| Vorsprung hatte sie, Lederer ließ nochmal nachzählen. Beim erneuten | |
| Zählgang waren es immer noch 24. Hassepaß hatte gewonnen. | |
| Sie sei vor der Wahl belächelt worden, erzählt sie. „Man hat mich zur | |
| Kandidatur beglückwünscht, hat gesagt: ‚Toll, dass Du antrittst‘“. Eine | |
| echte Chance hätten ihr die wenigsten eingeräumt. Und sie selbst? „Ich bin | |
| eigentlich fest davon ausgegangen, dass es klappt“, sagt sie. „Ich hatte | |
| von den Begegnungen mit den Bürgerinnen und Bürgern auf der Straße ein | |
| gutes Gefühl.“ | |
| Die ersten Tage im Amt seien dann krass gewesen. Gleich nach der Wahl | |
| organisierte sie die Vorverhandlungen zum Koalitionsvertrag mit. „Zu Beginn | |
| war es, als ob man jeden Tag vom Zehn-Meter-Brett springen muss“, sagt sie. | |
| „Am Ende geht es nicht darum, ob man dabei besonders galant aussieht. Es | |
| geht darum, dass man springt.“ | |
| Sie musste ein Team aufbauen, ein Büro finden, die Abläufe des | |
| parlamentarischen Prozesses lernen. „Nach einem Jahr hatte ich das Gefühl, | |
| richtig drin zu sein“, sagt Hassepaß. „Und dann kam der neue Wahlkampf.“ | |
| Sie tritt jetzt wieder gegen Klaus Lederer an, den linken Partei-Promi. Gut | |
| möglich, dass diese Sitzung im Mobilitätsausschuss Hassepaß' letzte im | |
| Abgeordnetenhaus ist. | |
| ## Lästern über die Chaos-Stadt | |
| Fehlende Stimmzettel, zu wenig Wahlurnen, lange Schlangen vor den | |
| Wahllokalen: Am 26. September 2021 [2][gab es viele Pannen]. Damals wurde | |
| in Berlin nicht nur über die Kräfteverhältnisse im Abgeordnetenhaus und den | |
| Bezirksversammlungen abgestimmt, gleichzeitig war auch noch Bundestagswahl. | |
| Am Ende gab es so viele Unstimmigkeiten, dass das Berliner | |
| Verfassungsgericht im November 2022 entschied, die Wahlen zu wiederholen. | |
| Der Termin für die Teilwiederholung der Bundestagswahl steht noch nicht | |
| fest, [3][Abgeordnetenhaus und Bezirksversammlungen werden am 12. Februar | |
| erneut gewählt]. Ob die Wahl dann tatsächlich rechtmäßig ist, ist eine | |
| andere Frage, aber dazu später mehr. | |
| Etwa 39 Millionen Euro wird die Wiederholung kosten. Seitdem wird wieder | |
| über die Chaos-Stadt Berlin gelästert. Und es wird über die Auswirkungen | |
| spekuliert, die diese Pannen auf das Vertrauen in die Demokratie haben | |
| könnten. | |
| Bei knappen Wahlergebnissen können alle möglichen Faktoren darüber | |
| entscheiden, wer regiert und wer in der Opposition landet, wer ein Mandat | |
| erhält und fortan Berufspolitiker ist, wer in seinem bisherigen Beruf | |
| weitermacht. Ob eine Partei auf Bundesebene im Aufwind oder beim Absteigen | |
| ist, spielt hinein. Aber auch das Wetter am Wahltag beeinflusst, ob mehr | |
| oder weniger Bürger den Weg in die Wahlkabinen finden. Die Ergebnisse der | |
| Wiederholungswahl werden deshalb auch etwas über den Faktor Zufall | |
| erzählen, der jedes Wahlergebnis mit prägt. | |
| Doch was bedeutet die Wiederholung für die Abgeordneten? Für | |
| Politiker:innen wie Oda Hassepaß, die sich knapp einen Platz erkämpft | |
| haben und nun um den Wiedereinzug bangen müssen? Die noch neu sind auf der | |
| politischen Bühne, ihr bisheriges Berufsleben dafür aufgegeben haben und | |
| wenig Zeit hatten, sich zu beweisen? | |
| Die Regeln der Berliner Wahlwiederholung bringen einige Kuriositäten | |
| hervor. Wer sich mit den Kandidierenden befasst, trifft auf Menschen, die | |
| antreten, obwohl sie längst andere Pläne haben. Auf Politiker:innen, die | |
| für Parteien auf der Liste stehen, in denen sie längst nicht mehr Mitglied | |
| sind. Und die dennoch für sie kandidieren – weil sie nicht als | |
| fraktionslose Kandidatinnen oder für eine andere Partei antreten dürften. | |
| Das Wahlkreis-Büro von Oda Hassepaß liegt an einer großen Straße unweit vom | |
| S-Bahnhof Pankow. Ein schöner, heller Raum, sie teilt ihn sich mit einem | |
| Parteikollegen aus dem Bundestag und dem Grünen Kreisverband Pankow. Es ist | |
| Freitag, zwei Tage nach der Sitzung im Mobilitätsausschuss. | |
| Ihr neuer Job als Abgeordnete sei eine Umstellung gewesen, sagt Hassepaß. | |
| Drei Tage die Woche sitze sie jetzt im Abgeordnetenhaus, die anderen zwei | |
| im Büro oder Homeoffice. Im Wahlkampf sei sie auch viel draußen unterwegs, | |
| treffe Bürger:innen. Die Arbeitstage seien lang, die Wochenenden mit | |
| Veranstaltungen gefüllt. | |
| Hassepaß wurde 1974 in Hamburg geboren, studierte Wirtschaftswissenschaften | |
| in Oldenburg, 2000 kam sie nach Berlin, arbeitete für verschiedene | |
| Unternehmen in der Medienbranche, darunter ein Verlag für Comics und | |
| Kinderzeitschriften. | |
| Bevor sie ins Abgeordnetenhaus gewählt wurde, leitete sie die | |
| Kundenkommunikation der Wochenzeitung Der Freitag. Es sei gut und schön, | |
| über Politik zu lesen, habe sie irgendwann gedacht. Aber besser sei es, | |
| selbst aktiv zu werden. | |
| Politisch involviert war sie schon länger. Hassepaß war stellvertretende | |
| Sprecherin der Landesarbeitsgemeinschaft Mobilität der Grünen. Seit 2020 | |
| organisiert sie die Online-Konferenz „Frauen machen Mobilität“ mit. Es sind | |
| die Themen, auf die sie immer wieder zu sprechen kommt: Verkehrswende, | |
| Mobilität, der Schutz der Schwachen im Straßenverkehr. | |
| Hassepaß war auch Sprecherin der Initiative „Stadt für Menschen“. 2018 li… | |
| das Bündnis einen Bereich der Berliner Friedrichstraße für den Autoverkehr | |
| sperren. Wo man mehr bewirken könne, auf der Straße oder im Parlament? | |
| „Alle Ebenen müssen zusammenspielen“, sagt sie. „Aktivist:innen auf der | |
| Straße müssen Druck machen, damit in der Politik noch mehr passiert. | |
| Andererseits braucht es Aktivist:innen auch im Abgeordnetenhaus. | |
| Menschen, die für das brennen, was sie tun.“ | |
| Es habe sie überrascht, wie schnell man Ideen auch im Abgeordnetenhaus | |
| einbringen könne. Dann erzählt sie aber auch von großen und kleinen | |
| Irritationen. Von mangelnden Absprachen zwischen den Koalitionspartnern. | |
| Oder davon, dass man angehalten sei, eigentlich vernünftigen Anträgen der | |
| Opposition nicht zuzustimmen – eben weil sie von der Opposition kommen. In | |
| diesen Momenten scheint es, zwickt es hier und da noch ein wenig, ihr neues | |
| Leben als Parlamentarierin. | |
| „Manchmal habe ich das Gefühl, es wird erwartet, dass man in der Politik | |
| generell skeptischer unterwegs sein und sein Menschenbild überarbeiten | |
| muss“, sagt Hassepaß. „Und ich bin mir nicht sicher, wie weit ich das | |
| will.“ | |
| Hat die Unsicherheit, ob es nach anderthalb Jahren weitergehe, ihren | |
| Politikstil beeinflusst? „Nein“, sagt Hassepaß. „Wenn ich mir die Frage … | |
| Dauer gestellt hätte, hätte das verhindert, dass ich Sachen richtig angehen | |
| und umsetzen kann. Ich hätte mich ausgebremst.“ | |
| Wütend war sie nicht, als klar wurde, dass die Wahl wiederholt werden muss. | |
| „Nein, ich dachte: Okay, mach ich’s noch mal.“ | |
| Erst nach und nach sei Hassepaß klar geworden, was an der Wiederholung | |
| alles dran hängt: Die Menschen aus dem Wahlkreis, die Geld gespendet | |
| hatten, die Freunde, die Flyer und das Plakat entworfen hatten. „Da fragt | |
| man sich schon: ‚Warum sollte jemand, der damals quasi umsonst gespendet | |
| hat, jetzt nochmal spenden?‘“ Die Spendenbereitschaft sei jetzt in der Tat | |
| etwas geringer. Die Einsatzbereitschaft ihres Teams hingegen sei | |
| „ungebremst hoch“. | |
| „Meine Mitarbeiter:innen im Abgeordnetenhaus sind guter Dinge, dass | |
| wir auch nach der Wahl zusammen weitermachen können“, sagt Hassepaß. Aber | |
| sie seien natürlich schon mit der Erwartung eingestiegen, diesen Job fünf | |
| Jahre machen zu können. Hassepaß sagt, sie spüre eine „enorme soziale | |
| Verantwortung“. | |
| Auch die Unsicherheit, schon nach anderthalb Jahren nicht zu wissen, wie es | |
| weitergeht, gehört zu den Besonderheiten der Wahlwiederholung. [4][Thorsten | |
| Faas] ist Professor und Leiter der Arbeitsstelle „Politische Soziologie der | |
| Bundesrepublik Deutschland“ an der Freien Universität Berlin, er forscht | |
| seit Jahren zum Thema Wahlen. „Die Wiederholung der Berlin-Wahl ist ein | |
| absoluter Präzedenzfall“, sagt er. Zwar habe es in Hamburg 1993 bei der | |
| Wahl zur Bürgerschaft ebenfalls Unstimmigkeiten gegeben. Dort hatte sich | |
| die Bürgerschaft dann allerdings aufgelöst. Es war deshalb eher eine | |
| vorgezogene Neuwahl als eine Wahlwiederholung. | |
| De facto müsse man auch in Berlin von einer Neuwahl sprechen, sagt Faas. | |
| Schließlich werde ja nicht nur punktuell wiederholt gewählt. Jedoch: „Die | |
| Wählerinnen und Wähler können zwar neu abstimmen“, sagt Faas. „Das Angeb… | |
| aber bleibt gleich.“ | |
| Heißt: Die Parteien dürfen keine neuen Kandidierenden aufstellen, treten | |
| also mit den selben Personen an. Auch wenn die mitunter inzwischen andere | |
| Pläne haben – so wie Maja Lasić. | |
| Ein grimmiggrauer Samstag Ende Januar, zehn Uhr morgens. [5][Maja Lasić] | |
| baut ihren Wahlstand vor der Karstadt-Filiale im Ortsteil Wedding auf. Sie | |
| faltet den grauen Aluminiumtisch auseinander, nimmt einen Stapel Flyer und | |
| ein paar Kugelschreiber aus dem roten Bollerwagen, verteilt alles auf dem | |
| Tisch. Dann ballt sie eine Hand zur Faust, pustet darauf. „Das wird sooo | |
| kalt heute“, sagt sie. | |
| Die nächsten zwei Stunden wird Lasić, SPD-Direktkandidatin für Wahlkreis | |
| Mitte 7, die paar Meter an der Kreuzung vor dem Kaufhaus auf und ab gehen. | |
| Sie wird Passant:innen begrüßen, wird sie fragen, ob sie ihnen ein paar | |
| Informationen zur Wahl mitgeben kann. Die meisten werden ablehnen, mal | |
| freundlich, mal mürrisch. Lasić wird es mit einem Lächeln tragen. „Trotzdem | |
| einen schönen Tag“, wird sie sagen. „Und vergessen Sie nicht, am 12. | |
| Februar wählen zu gehen.“ | |
| Unter den wenigen Menschen, die stehenbleiben, ist eine Rentnerin, knapp | |
| über 80. „Wissen Sie“, sagt die Frau, „da drüben auf dem Rathausplatz, … | |
| gibt es nicht genügend Papierkörbe. Und die, die es gibt, werden nicht oft | |
| genug geleert.“ | |
| „Ich weiß, das höre ich oft“, sagt Lasić. | |
| „Und dann hängen da immer so viele Menschen rum. Ob Flüchtlinge oder nicht, | |
| aber es muss doch sauber sein.“ | |
| „Was wir schaffen müssen, ist, dass die Menschen wieder miteinander ins | |
| Gespräch kommen“, antwortet Lasić | |
| Die Frau nickt, dann verabschiedet sie sich. Sie werde Lasić wählen, sagt | |
| sie noch, bevor sie im Karstadt verschwindet. Sie wähle schließlich immer | |
| SPD. | |
| Was sie nicht weiß: Maja Lasić tritt zwar als Direktkandidatin an. Sollte | |
| sie gewählt werden, wird sie das Mandat allerdings nicht annehmen. Lasić | |
| ist seit vergangenem Oktober im Bezirk Mitte Bezirksstadträtin für Schule | |
| und Sport. Und sie will das auch bleiben. | |
| Auch wenn das Wahlrecht vorschreibt, mit exakt den selben | |
| Kandidat:innen anzutreten, einige Veränderungen gibt es doch: Menschen, | |
| die aus Berlin weggezogen, verstorben oder von ihrer Kandidatur | |
| zurückgetreten sind, stehen nicht mehr auf der Kandidat:innenen-Liste. 25 | |
| dieser Fälle gibt es auf Landesebene, ein paar weitere auf Ebene der | |
| Bezirke. Maja Lasić gehört nicht dazu. Sie möchte einfach nicht zurück ins | |
| Abgeordnetenhaus. Darauf nimmt das Wahlrecht aber keine Rücksicht. | |
| 12 Uhr, der Wahlstand ist inzwischen abgebaut, Lasić trinkt einen Kaffee im | |
| Karstadt-Restaurant. Die 43-Jährige spricht schnell und energisch, hängt | |
| oft ein kurzes Lachen an das Ende ihrer Sätze. | |
| Wie fühlt es sich an, Wahlkampf zu machen, obwohl man weiß, dass man das | |
| Mandat nicht antreten wird? „Ich mache Zweitstimmen-Wahlkampf“, sagt Lasić. | |
| „Ich rücke die Politik der SPD in den Vordergrund, nehme mich selbst dabei | |
| zurück.“ | |
| Lasićs Biografie ist voller Wendepunkte. Mit 14 flieht sie vor dem Krieg | |
| aus dem heutigen Bosnien-Herzegowina nach Deutschland. Sie studiert | |
| Biologie und Chemie, promoviert, arbeitet später für ein | |
| Pharma-Unternehmen. Dann wechselt sie die Richtung. Mit der Initiative | |
| „Teach First“ geht sie an eine sogenannte Brennpunktschule im Wedding, | |
| unterstützt benachteiligte Schüler:innen, später übernimmt sie unter | |
| anderem die Akquise für diese Initiative. In dieser Zeit beginnt sie auch, | |
| als Mitarbeiterin des SPD-Bundestagsabgeordneten Josip Juratovic zu | |
| arbeiten. „Es waren meine ersten Erfahrungen mit dem Apparat“, sagt sie. | |
| 2016 kandidiert Lasić für das Abgeordnetenhaus, zieht mit einem | |
| Direktmandat ein. Sie wird bildungspolitische Sprecherin, macht sich mit | |
| ihrem Engagement für Schulen in schwierigen Gegenden einen Namen. Sie ist | |
| gut vernetzt, in den Zeitungen erscheinen Portraits von ihr. | |
| Dennoch schafft sie den Wiedereinzug 2021 nicht. „Hart“ sei das gewesen. | |
| „Es fühlt sich nicht gut an, mitten in der Aufgabe abbrechen zu müssen.“ | |
| Lasić entschließt sich zu einem ungewöhnlichen Schritt. Sie geht zurück an | |
| die Schule, wird Lehrerin im Wedding, unterrichtet Kinder in Biologie und | |
| Chemie. | |
| Doch dann kehrt die Politik in ihr Leben zurück. Der Bezirksbürgermeister | |
| von Mitte wird im September 2022 abgewählt. Auf ihn folgt die damalige | |
| Schulstadträtin des Bezirks. Deren Stelle ist damit frei. Lasić wird ihre | |
| Nachfolgerin. | |
| „Als Bezirksstadträtin bin ich Teil der Exekutive, kann Dinge direkt | |
| gestalten“, sagt sie. „Und dieses direkte Gestalten hat nach wie vor einen | |
| besonderen Reiz.“ | |
| Lasićs neuer Arbeitsplatz ist das Rathaus Mitte, ein karger, graublauer | |
| Neunzigerjahre-Bau, der unweit der Karl-Marx-Allee im Osten der Hauptstadt | |
| in den Himmel ragt. | |
| Ein Donnerstag Ende Januar. In einem quadratischen Saal trifft sich die | |
| Bezirksverordnetenversammlung (BVV) von Mitte. Es ist 17:30 Uhr. Stühle | |
| stehen überall im Raum, sie sind bis auf den letzten Platz besetzt. Die | |
| meisten Menschen sind leger gekleidet, in Pullover und Jeans. Ein Murmeln | |
| ist zu hören, hier und da auch ein Lachen. Die Stimmung ist entspannter als | |
| im Abgeordnetenhaus, es geht weniger förmlich zu. | |
| Fünf Blätter umfasst die Liste mit den Tagungsordnungspunkten. Zu den | |
| Themen gehören „Café Leo vollständig erhalten“, „Schlossplatz begrüne… | |
| oder „Kein Parken mehr auf der Swinemünder Brücke“. | |
| Lasić, ganz in Schwarz, sitzt am Kopf eines Tisches, in einer Reihe mit den | |
| anderen vier Bezirksstadträt:innen und der Bezirksbürgermeisterin. | |
| Nach drei Stunden tritt sie das erste Mal ans Mikro, um sich auf eine | |
| Anfrage zu äußern. Es geht um ein Eisstadion im Bezirk, es musste aufgrund | |
| eines Schadens für das Publikum geschlossen werden. Lasić sagt, sie werde | |
| sich darum kümmern. Keine zwei Minuten dauert ihr Redebeitrag, dann nimmt | |
| sie wieder Platz. Um 23 Uhr ist die Sitzung zu Ende. Ein ganz normaler | |
| Arbeitstag. | |
| Wie unterscheidet sich der Alltag einer Bezirksstadträtin von dem einer | |
| Parlamentarierin im Abgeordnetenhaus? Sie müsse jetzt eine ganze Behörde | |
| steuern, sagt Lasić, und das im unterbesetzten Schulbereich. „Das nimmt | |
| viel Zeit in Anspruch und ist meine zentrale Anforderung.“ Der Rest sei | |
| annähernd gleich: der regelmäßige Austausch in den Ausschüssen, der Kontakt | |
| zu den Bürger:innen. | |
| ## Pragmatischer Umgang mit der Wiederholung | |
| Lasić glaubt nicht, dass es für die Menschen verwirrend sein könnte, wenn | |
| sie für das Abgeordnetenhaus kandidiert, aber im Bezirk bleiben will. „Ich | |
| bin da sehr transparent und sage, dass ich Stadträtin bleiben will. Für die | |
| meisten Leute spielt es keine Rolle, ob ich im Abgeordnetenhaus oder im | |
| Bezirksamt sitze. Denen geht es nur darum, dass ich für sie da bin.“ Wenn | |
| sie gewählt werden sollte, sagt Lasić, will sie ihren Platz an den Nächsten | |
| in der SPD-Bezirksliste abgeben. | |
| Und ja, sie würde ihren Umgang mit der Wahlwiederholung als pragmatisch | |
| beschreiben. | |
| Dabei gibt es bei der Wiederholung noch außergewöhnlichere Fälle als ihren: | |
| Da sind etwa die zwei Kandidatinnen, die im September 2021 für die Grünen | |
| antraten, inzwischen aber aus der Partei ausgetreten sind. Auf den neuen | |
| Wahlzetteln tauchen sie dennoch als Grünen-Kandidatinnen auf. Die Partei | |
| kann sie nicht von der Liste streichen lassen. Und für sie selbst ist eine | |
| Kandidatur als Grüne die einzige Chance auf einen Platz im Parlament. | |
| Bleibt die Frage, ob das Vertrauen in die Demokratie da nicht doch leidet. | |
| Oda Hassepaß glaubt das nicht. „Man kann ja auch sagen: ‚Schaut, das Thema | |
| Wahlen wird so ernst genommen, dass man es noch einmal prüfen lässt.‘“ | |
| Auch Maja Lasić glaubt nicht, dass die Demokratie insgesamt dadurch Schaden | |
| nimmt. „Ich glaube eher, dass es sich in das Bild einer dysfunktionalen | |
| Haupstadt einfügt“, sagt sie. „Eben jenes Bild, dem wir kontinuierlich | |
| gegensteuern wollen. Die Wahlwiederholung tut uns da keinen Gefallen.“ | |
| Wahlforscher Thorsten Faas sagt: „Dass die Wahl wiederholt werden muss, ist | |
| Wasser auf die Mühlen derjenigen, die sagen, dass man dem System nicht | |
| trauen kann.“ Eine Wahl zu wiederholen heiße ja auch, dass am Ende andere | |
| Ergebnisse und Machtverhältnisse stehen könnten. „Wenn jemand 2021 für eine | |
| Partei oder Person gestimmt hat, die 2021 gewonnen hat, [6][dieses Jahr | |
| aber nicht wieder ins Amt gewählt wird], fühlt derjenige sich eventuell | |
| unfair behandelt“, sagt Faas. „Vor allem, wenn er damals in einem | |
| Wahllokal, in dem es wenige Fehler gab, oder per Briefwahl abgestimmt hat.“ | |
| Es ist auch immer noch nicht hundertprozentig klar, ob die Wahl dieses Mal | |
| gilt. 43 Berliner:innen haben vor dem Bundesverfassungsgericht in | |
| Karlsruhe Beschwerde eingereicht. Entsprechende Eil-Anträge, die | |
| Wiederholung noch vor dem 12. Februar zu stoppen, lehnten die Richter am | |
| 31. Januar ab. Die Grundsatzentscheidung, ob die Wahl verfassungsgemäß ist, | |
| steht aber noch aus. | |
| „Man kann daran sehr deutlich das Dilemma dieser Wahl sehen“, sagt Faas. | |
| „Lässt man sie stattfinden und kommt später zu dem Ergebnis, dass sie nicht | |
| hätte stattfinden dürfen, wäre das ein Problem.“ Man könne nur hoffen, da… | |
| das alles eine Ausnahme bleibe. | |
| Oda Hassepaß will auf jeden Fall in der Politik bleiben, auch wenn es mit | |
| ihrer Wiederwahl nicht klappt. „In der Verkehrspolitik gibt es genug zu | |
| tun“, sagt sie. „Da wird es auch an anderen Stellen Möglichkeiten geben, | |
| sich einzubringen.“ | |
| Maja Lasić sagt, wenn sie einmal nicht mehr als Stadträtin tätig sein | |
| würde, dann würde sie wieder als Lehrerin arbeiten. Das stehe für sie fest. | |
| „Wenn ich einem Schüler, der Schwierigkeiten hat, helfen kann, bekomme ich | |
| das strahlende Feedback direkt“, sagt sie. „In der Politik muss man sich | |
| selbst ins Bewusstsein rufen, dass man etwas Gutes getan hat.“ | |
| 6 Feb 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.oda-hassepass.de/ | |
| [2] /Berliner-Leiden/!5804034 | |
| [3] /Karlsruhe-zu-Berlin-Wahl/!5912020 | |
| [4] https://www.polsoz.fu-berlin.de/polwiss/forschung/systeme/empsoz/team/Faas.… | |
| [5] https://maja-lasic.de/responsive-design/ | |
| [6] /Kai-Wegner-CDU-zur-Wahlwiederholung/!5911539 | |
| ## AUTOREN | |
| Sascha Lübbe | |
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