Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Wahlwiederholung in Berlin: Noch mal von vorn
> Am 12. Februar wird in Berlin erneut gewählt. Eine Grüne will ihr Mandat
> verteidigen, eine SPD-Frau hat eigentlich andere Pläne. Unterwegs in der
> Hauptstadt.
Bild: Oda Hassepaß vor ihrem Wahlkreisbüro in Berlin
Das Berliner Abgeordnetenhaus ist ein imposanter Bau aus dem späten 19.
Jahrhundert, errichtet im Stil der italienischen Hochrenaissance. Wer es
betritt, gelangt in ein hohes Foyer. Auf den Treppen führt ein langer roter
Teppich in die oberen Etagen. Es ist ein geschichtsträchtiger Ort: Sitz des
preußischen Landtags, Offizierskasino unter den Nazis, dann Sitz der ersten
DDR-Regierung. Seit 1993 tagen hier die Abgeordneten des Parlaments der
wiedervereinten Hauptstadt.
In Raum 376, einem langgezogenen Saal, kommen an einem Mittwochmorgen Ende
Januar die Abgeordneten des Mobilitätsausschusses zusammen.
Regierungskoalition und Opposition sitzen sich an zwei weißen Tischreihen
gegenüber. Deckenlampen tauchen den Raum in gelbes Licht, manchmal hört man
das Klappern von Kaffeetassen.
Rechts, bei der Regierungskoalition, sitzt eine Frau mit langem blonden
Haar und tippt in ihr Notebook. Sie hat gerade die Eröffnungsfrage an die
Senatorin gestellt, jetzt macht sie sich Notizen. [1][Oda Hassepaß] von den
Grünen.
Hassepaß ist vergleichsweise neu hier. Bei der Wahl im September 2021 wurde
sie direkt gewählt, setzte sich ganz knapp gegen Klaus Lederer,
Spitzenkandidat der Berliner Linken und Kultursenator, durch. 30 Stimmen
Vorsprung hatte sie, Lederer ließ nochmal nachzählen. Beim erneuten
Zählgang waren es immer noch 24. Hassepaß hatte gewonnen.
Sie sei vor der Wahl belächelt worden, erzählt sie. „Man hat mich zur
Kandidatur beglückwünscht, hat gesagt: ‚Toll, dass Du antrittst‘“. Eine
echte Chance hätten ihr die wenigsten eingeräumt. Und sie selbst? „Ich bin
eigentlich fest davon ausgegangen, dass es klappt“, sagt sie. „Ich hatte
von den Begegnungen mit den Bürgerinnen und Bürgern auf der Straße ein
gutes Gefühl.“
Die ersten Tage im Amt seien dann krass gewesen. Gleich nach der Wahl
organisierte sie die Vorverhandlungen zum Koalitionsvertrag mit. „Zu Beginn
war es, als ob man jeden Tag vom Zehn-Meter-Brett springen muss“, sagt sie.
„Am Ende geht es nicht darum, ob man dabei besonders galant aussieht. Es
geht darum, dass man springt.“
Sie musste ein Team aufbauen, ein Büro finden, die Abläufe des
parlamentarischen Prozesses lernen. „Nach einem Jahr hatte ich das Gefühl,
richtig drin zu sein“, sagt Hassepaß. „Und dann kam der neue Wahlkampf.“
Sie tritt jetzt wieder gegen Klaus Lederer an, den linken Partei-Promi. Gut
möglich, dass diese Sitzung im Mobilitätsausschuss Hassepaß' letzte im
Abgeordnetenhaus ist.
## Lästern über die Chaos-Stadt
Fehlende Stimmzettel, zu wenig Wahlurnen, lange Schlangen vor den
Wahllokalen: Am 26. September 2021 [2][gab es viele Pannen]. Damals wurde
in Berlin nicht nur über die Kräfteverhältnisse im Abgeordnetenhaus und den
Bezirksversammlungen abgestimmt, gleichzeitig war auch noch Bundestagswahl.
Am Ende gab es so viele Unstimmigkeiten, dass das Berliner
Verfassungsgericht im November 2022 entschied, die Wahlen zu wiederholen.
Der Termin für die Teilwiederholung der Bundestagswahl steht noch nicht
fest, [3][Abgeordnetenhaus und Bezirksversammlungen werden am 12. Februar
erneut gewählt]. Ob die Wahl dann tatsächlich rechtmäßig ist, ist eine
andere Frage, aber dazu später mehr.
Etwa 39 Millionen Euro wird die Wiederholung kosten. Seitdem wird wieder
über die Chaos-Stadt Berlin gelästert. Und es wird über die Auswirkungen
spekuliert, die diese Pannen auf das Vertrauen in die Demokratie haben
könnten.
Bei knappen Wahlergebnissen können alle möglichen Faktoren darüber
entscheiden, wer regiert und wer in der Opposition landet, wer ein Mandat
erhält und fortan Berufspolitiker ist, wer in seinem bisherigen Beruf
weitermacht. Ob eine Partei auf Bundesebene im Aufwind oder beim Absteigen
ist, spielt hinein. Aber auch das Wetter am Wahltag beeinflusst, ob mehr
oder weniger Bürger den Weg in die Wahlkabinen finden. Die Ergebnisse der
Wiederholungswahl werden deshalb auch etwas über den Faktor Zufall
erzählen, der jedes Wahlergebnis mit prägt.
Doch was bedeutet die Wiederholung für die Abgeordneten? Für
Politiker:innen wie Oda Hassepaß, die sich knapp einen Platz erkämpft
haben und nun um den Wiedereinzug bangen müssen? Die noch neu sind auf der
politischen Bühne, ihr bisheriges Berufsleben dafür aufgegeben haben und
wenig Zeit hatten, sich zu beweisen?
Die Regeln der Berliner Wahlwiederholung bringen einige Kuriositäten
hervor. Wer sich mit den Kandidierenden befasst, trifft auf Menschen, die
antreten, obwohl sie längst andere Pläne haben. Auf Politiker:innen, die
für Parteien auf der Liste stehen, in denen sie längst nicht mehr Mitglied
sind. Und die dennoch für sie kandidieren – weil sie nicht als
fraktionslose Kandidatinnen oder für eine andere Partei antreten dürften.
Das Wahlkreis-Büro von Oda Hassepaß liegt an einer großen Straße unweit vom
S-Bahnhof Pankow. Ein schöner, heller Raum, sie teilt ihn sich mit einem
Parteikollegen aus dem Bundestag und dem Grünen Kreisverband Pankow. Es ist
Freitag, zwei Tage nach der Sitzung im Mobilitätsausschuss.
Ihr neuer Job als Abgeordnete sei eine Umstellung gewesen, sagt Hassepaß.
Drei Tage die Woche sitze sie jetzt im Abgeordnetenhaus, die anderen zwei
im Büro oder Homeoffice. Im Wahlkampf sei sie auch viel draußen unterwegs,
treffe Bürger:innen. Die Arbeitstage seien lang, die Wochenenden mit
Veranstaltungen gefüllt.
Hassepaß wurde 1974 in Hamburg geboren, studierte Wirtschaftswissenschaften
in Oldenburg, 2000 kam sie nach Berlin, arbeitete für verschiedene
Unternehmen in der Medienbranche, darunter ein Verlag für Comics und
Kinderzeitschriften.
Bevor sie ins Abgeordnetenhaus gewählt wurde, leitete sie die
Kundenkommunikation der Wochenzeitung Der Freitag. Es sei gut und schön,
über Politik zu lesen, habe sie irgendwann gedacht. Aber besser sei es,
selbst aktiv zu werden.
Politisch involviert war sie schon länger. Hassepaß war stellvertretende
Sprecherin der Landesarbeitsgemeinschaft Mobilität der Grünen. Seit 2020
organisiert sie die Online-Konferenz „Frauen machen Mobilität“ mit. Es sind
die Themen, auf die sie immer wieder zu sprechen kommt: Verkehrswende,
Mobilität, der Schutz der Schwachen im Straßenverkehr.
Hassepaß war auch Sprecherin der Initiative „Stadt für Menschen“. 2018 li…
das Bündnis einen Bereich der Berliner Friedrichstraße für den Autoverkehr
sperren. Wo man mehr bewirken könne, auf der Straße oder im Parlament?
„Alle Ebenen müssen zusammenspielen“, sagt sie. „Aktivist:innen auf der
Straße müssen Druck machen, damit in der Politik noch mehr passiert.
Andererseits braucht es Aktivist:innen auch im Abgeordnetenhaus.
Menschen, die für das brennen, was sie tun.“
Es habe sie überrascht, wie schnell man Ideen auch im Abgeordnetenhaus
einbringen könne. Dann erzählt sie aber auch von großen und kleinen
Irritationen. Von mangelnden Absprachen zwischen den Koalitionspartnern.
Oder davon, dass man angehalten sei, eigentlich vernünftigen Anträgen der
Opposition nicht zuzustimmen – eben weil sie von der Opposition kommen. In
diesen Momenten scheint es, zwickt es hier und da noch ein wenig, ihr neues
Leben als Parlamentarierin.
„Manchmal habe ich das Gefühl, es wird erwartet, dass man in der Politik
generell skeptischer unterwegs sein und sein Menschenbild überarbeiten
muss“, sagt Hassepaß. „Und ich bin mir nicht sicher, wie weit ich das
will.“
Hat die Unsicherheit, ob es nach anderthalb Jahren weitergehe, ihren
Politikstil beeinflusst? „Nein“, sagt Hassepaß. „Wenn ich mir die Frage …
Dauer gestellt hätte, hätte das verhindert, dass ich Sachen richtig angehen
und umsetzen kann. Ich hätte mich ausgebremst.“
Wütend war sie nicht, als klar wurde, dass die Wahl wiederholt werden muss.
„Nein, ich dachte: Okay, mach ich’s noch mal.“
Erst nach und nach sei Hassepaß klar geworden, was an der Wiederholung
alles dran hängt: Die Menschen aus dem Wahlkreis, die Geld gespendet
hatten, die Freunde, die Flyer und das Plakat entworfen hatten. „Da fragt
man sich schon: ‚Warum sollte jemand, der damals quasi umsonst gespendet
hat, jetzt nochmal spenden?‘“ Die Spendenbereitschaft sei jetzt in der Tat
etwas geringer. Die Einsatzbereitschaft ihres Teams hingegen sei
„ungebremst hoch“.
„Meine Mitarbeiter:innen im Abgeordnetenhaus sind guter Dinge, dass
wir auch nach der Wahl zusammen weitermachen können“, sagt Hassepaß. Aber
sie seien natürlich schon mit der Erwartung eingestiegen, diesen Job fünf
Jahre machen zu können. Hassepaß sagt, sie spüre eine „enorme soziale
Verantwortung“.
Auch die Unsicherheit, schon nach anderthalb Jahren nicht zu wissen, wie es
weitergeht, gehört zu den Besonderheiten der Wahlwiederholung. [4][Thorsten
Faas] ist Professor und Leiter der Arbeitsstelle „Politische Soziologie der
Bundesrepublik Deutschland“ an der Freien Universität Berlin, er forscht
seit Jahren zum Thema Wahlen. „Die Wiederholung der Berlin-Wahl ist ein
absoluter Präzedenzfall“, sagt er. Zwar habe es in Hamburg 1993 bei der
Wahl zur Bürgerschaft ebenfalls Unstimmigkeiten gegeben. Dort hatte sich
die Bürgerschaft dann allerdings aufgelöst. Es war deshalb eher eine
vorgezogene Neuwahl als eine Wahlwiederholung.
De facto müsse man auch in Berlin von einer Neuwahl sprechen, sagt Faas.
Schließlich werde ja nicht nur punktuell wiederholt gewählt. Jedoch: „Die
Wählerinnen und Wähler können zwar neu abstimmen“, sagt Faas. „Das Angeb…
aber bleibt gleich.“
Heißt: Die Parteien dürfen keine neuen Kandidierenden aufstellen, treten
also mit den selben Personen an. Auch wenn die mitunter inzwischen andere
Pläne haben – so wie Maja Lasić.
Ein grimmiggrauer Samstag Ende Januar, zehn Uhr morgens. [5][Maja Lasić]
baut ihren Wahlstand vor der Karstadt-Filiale im Ortsteil Wedding auf. Sie
faltet den grauen Aluminiumtisch auseinander, nimmt einen Stapel Flyer und
ein paar Kugelschreiber aus dem roten Bollerwagen, verteilt alles auf dem
Tisch. Dann ballt sie eine Hand zur Faust, pustet darauf. „Das wird sooo
kalt heute“, sagt sie.
Die nächsten zwei Stunden wird Lasić, SPD-Direktkandidatin für Wahlkreis
Mitte 7, die paar Meter an der Kreuzung vor dem Kaufhaus auf und ab gehen.
Sie wird Passant:innen begrüßen, wird sie fragen, ob sie ihnen ein paar
Informationen zur Wahl mitgeben kann. Die meisten werden ablehnen, mal
freundlich, mal mürrisch. Lasić wird es mit einem Lächeln tragen. „Trotzdem
einen schönen Tag“, wird sie sagen. „Und vergessen Sie nicht, am 12.
Februar wählen zu gehen.“
Unter den wenigen Menschen, die stehenbleiben, ist eine Rentnerin, knapp
über 80. „Wissen Sie“, sagt die Frau, „da drüben auf dem Rathausplatz, …
gibt es nicht genügend Papierkörbe. Und die, die es gibt, werden nicht oft
genug geleert.“
„Ich weiß, das höre ich oft“, sagt Lasić.
„Und dann hängen da immer so viele Menschen rum. Ob Flüchtlinge oder nicht,
aber es muss doch sauber sein.“
„Was wir schaffen müssen, ist, dass die Menschen wieder miteinander ins
Gespräch kommen“, antwortet Lasić
Die Frau nickt, dann verabschiedet sie sich. Sie werde Lasić wählen, sagt
sie noch, bevor sie im Karstadt verschwindet. Sie wähle schließlich immer
SPD.
Was sie nicht weiß: Maja Lasić tritt zwar als Direktkandidatin an. Sollte
sie gewählt werden, wird sie das Mandat allerdings nicht annehmen. Lasić
ist seit vergangenem Oktober im Bezirk Mitte Bezirksstadträtin für Schule
und Sport. Und sie will das auch bleiben.
Auch wenn das Wahlrecht vorschreibt, mit exakt den selben
Kandidat:innen anzutreten, einige Veränderungen gibt es doch: Menschen,
die aus Berlin weggezogen, verstorben oder von ihrer Kandidatur
zurückgetreten sind, stehen nicht mehr auf der Kandidat:innenen-Liste. 25
dieser Fälle gibt es auf Landesebene, ein paar weitere auf Ebene der
Bezirke. Maja Lasić gehört nicht dazu. Sie möchte einfach nicht zurück ins
Abgeordnetenhaus. Darauf nimmt das Wahlrecht aber keine Rücksicht.
12 Uhr, der Wahlstand ist inzwischen abgebaut, Lasić trinkt einen Kaffee im
Karstadt-Restaurant. Die 43-Jährige spricht schnell und energisch, hängt
oft ein kurzes Lachen an das Ende ihrer Sätze.
Wie fühlt es sich an, Wahlkampf zu machen, obwohl man weiß, dass man das
Mandat nicht antreten wird? „Ich mache Zweitstimmen-Wahlkampf“, sagt Lasić.
„Ich rücke die Politik der SPD in den Vordergrund, nehme mich selbst dabei
zurück.“
Lasićs Biografie ist voller Wendepunkte. Mit 14 flieht sie vor dem Krieg
aus dem heutigen Bosnien-Herzegowina nach Deutschland. Sie studiert
Biologie und Chemie, promoviert, arbeitet später für ein
Pharma-Unternehmen. Dann wechselt sie die Richtung. Mit der Initiative
„Teach First“ geht sie an eine sogenannte Brennpunktschule im Wedding,
unterstützt benachteiligte Schüler:innen, später übernimmt sie unter
anderem die Akquise für diese Initiative. In dieser Zeit beginnt sie auch,
als Mitarbeiterin des SPD-Bundestagsabgeordneten Josip Juratovic zu
arbeiten. „Es waren meine ersten Erfahrungen mit dem Apparat“, sagt sie.
2016 kandidiert Lasić für das Abgeordnetenhaus, zieht mit einem
Direktmandat ein. Sie wird bildungspolitische Sprecherin, macht sich mit
ihrem Engagement für Schulen in schwierigen Gegenden einen Namen. Sie ist
gut vernetzt, in den Zeitungen erscheinen Portraits von ihr.
Dennoch schafft sie den Wiedereinzug 2021 nicht. „Hart“ sei das gewesen.
„Es fühlt sich nicht gut an, mitten in der Aufgabe abbrechen zu müssen.“
Lasić entschließt sich zu einem ungewöhnlichen Schritt. Sie geht zurück an
die Schule, wird Lehrerin im Wedding, unterrichtet Kinder in Biologie und
Chemie.
Doch dann kehrt die Politik in ihr Leben zurück. Der Bezirksbürgermeister
von Mitte wird im September 2022 abgewählt. Auf ihn folgt die damalige
Schulstadträtin des Bezirks. Deren Stelle ist damit frei. Lasić wird ihre
Nachfolgerin.
„Als Bezirksstadträtin bin ich Teil der Exekutive, kann Dinge direkt
gestalten“, sagt sie. „Und dieses direkte Gestalten hat nach wie vor einen
besonderen Reiz.“
Lasićs neuer Arbeitsplatz ist das Rathaus Mitte, ein karger, graublauer
Neunzigerjahre-Bau, der unweit der Karl-Marx-Allee im Osten der Hauptstadt
in den Himmel ragt.
Ein Donnerstag Ende Januar. In einem quadratischen Saal trifft sich die
Bezirksverordnetenversammlung (BVV) von Mitte. Es ist 17:30 Uhr. Stühle
stehen überall im Raum, sie sind bis auf den letzten Platz besetzt. Die
meisten Menschen sind leger gekleidet, in Pullover und Jeans. Ein Murmeln
ist zu hören, hier und da auch ein Lachen. Die Stimmung ist entspannter als
im Abgeordnetenhaus, es geht weniger förmlich zu.
Fünf Blätter umfasst die Liste mit den Tagungsordnungspunkten. Zu den
Themen gehören „Café Leo vollständig erhalten“, „Schlossplatz begrüne…
oder „Kein Parken mehr auf der Swinemünder Brücke“.
Lasić, ganz in Schwarz, sitzt am Kopf eines Tisches, in einer Reihe mit den
anderen vier Bezirksstadträt:innen und der Bezirksbürgermeisterin.
Nach drei Stunden tritt sie das erste Mal ans Mikro, um sich auf eine
Anfrage zu äußern. Es geht um ein Eisstadion im Bezirk, es musste aufgrund
eines Schadens für das Publikum geschlossen werden. Lasić sagt, sie werde
sich darum kümmern. Keine zwei Minuten dauert ihr Redebeitrag, dann nimmt
sie wieder Platz. Um 23 Uhr ist die Sitzung zu Ende. Ein ganz normaler
Arbeitstag.
Wie unterscheidet sich der Alltag einer Bezirksstadträtin von dem einer
Parlamentarierin im Abgeordnetenhaus? Sie müsse jetzt eine ganze Behörde
steuern, sagt Lasić, und das im unterbesetzten Schulbereich. „Das nimmt
viel Zeit in Anspruch und ist meine zentrale Anforderung.“ Der Rest sei
annähernd gleich: der regelmäßige Austausch in den Ausschüssen, der Kontakt
zu den Bürger:innen.
## Pragmatischer Umgang mit der Wiederholung
Lasić glaubt nicht, dass es für die Menschen verwirrend sein könnte, wenn
sie für das Abgeordnetenhaus kandidiert, aber im Bezirk bleiben will. „Ich
bin da sehr transparent und sage, dass ich Stadträtin bleiben will. Für die
meisten Leute spielt es keine Rolle, ob ich im Abgeordnetenhaus oder im
Bezirksamt sitze. Denen geht es nur darum, dass ich für sie da bin.“ Wenn
sie gewählt werden sollte, sagt Lasić, will sie ihren Platz an den Nächsten
in der SPD-Bezirksliste abgeben.
Und ja, sie würde ihren Umgang mit der Wahlwiederholung als pragmatisch
beschreiben.
Dabei gibt es bei der Wiederholung noch außergewöhnlichere Fälle als ihren:
Da sind etwa die zwei Kandidatinnen, die im September 2021 für die Grünen
antraten, inzwischen aber aus der Partei ausgetreten sind. Auf den neuen
Wahlzetteln tauchen sie dennoch als Grünen-Kandidatinnen auf. Die Partei
kann sie nicht von der Liste streichen lassen. Und für sie selbst ist eine
Kandidatur als Grüne die einzige Chance auf einen Platz im Parlament.
Bleibt die Frage, ob das Vertrauen in die Demokratie da nicht doch leidet.
Oda Hassepaß glaubt das nicht. „Man kann ja auch sagen: ‚Schaut, das Thema
Wahlen wird so ernst genommen, dass man es noch einmal prüfen lässt.‘“
Auch Maja Lasić glaubt nicht, dass die Demokratie insgesamt dadurch Schaden
nimmt. „Ich glaube eher, dass es sich in das Bild einer dysfunktionalen
Haupstadt einfügt“, sagt sie. „Eben jenes Bild, dem wir kontinuierlich
gegensteuern wollen. Die Wahlwiederholung tut uns da keinen Gefallen.“
Wahlforscher Thorsten Faas sagt: „Dass die Wahl wiederholt werden muss, ist
Wasser auf die Mühlen derjenigen, die sagen, dass man dem System nicht
trauen kann.“ Eine Wahl zu wiederholen heiße ja auch, dass am Ende andere
Ergebnisse und Machtverhältnisse stehen könnten. „Wenn jemand 2021 für eine
Partei oder Person gestimmt hat, die 2021 gewonnen hat, [6][dieses Jahr
aber nicht wieder ins Amt gewählt wird], fühlt derjenige sich eventuell
unfair behandelt“, sagt Faas. „Vor allem, wenn er damals in einem
Wahllokal, in dem es wenige Fehler gab, oder per Briefwahl abgestimmt hat.“
Es ist auch immer noch nicht hundertprozentig klar, ob die Wahl dieses Mal
gilt. 43 Berliner:innen haben vor dem Bundesverfassungsgericht in
Karlsruhe Beschwerde eingereicht. Entsprechende Eil-Anträge, die
Wiederholung noch vor dem 12. Februar zu stoppen, lehnten die Richter am
31. Januar ab. Die Grundsatzentscheidung, ob die Wahl verfassungsgemäß ist,
steht aber noch aus.
„Man kann daran sehr deutlich das Dilemma dieser Wahl sehen“, sagt Faas.
„Lässt man sie stattfinden und kommt später zu dem Ergebnis, dass sie nicht
hätte stattfinden dürfen, wäre das ein Problem.“ Man könne nur hoffen, da…
das alles eine Ausnahme bleibe.
Oda Hassepaß will auf jeden Fall in der Politik bleiben, auch wenn es mit
ihrer Wiederwahl nicht klappt. „In der Verkehrspolitik gibt es genug zu
tun“, sagt sie. „Da wird es auch an anderen Stellen Möglichkeiten geben,
sich einzubringen.“
Maja Lasić sagt, wenn sie einmal nicht mehr als Stadträtin tätig sein
würde, dann würde sie wieder als Lehrerin arbeiten. Das stehe für sie fest.
„Wenn ich einem Schüler, der Schwierigkeiten hat, helfen kann, bekomme ich
das strahlende Feedback direkt“, sagt sie. „In der Politik muss man sich
selbst ins Bewusstsein rufen, dass man etwas Gutes getan hat.“
6 Feb 2023
## LINKS
[1] https://www.oda-hassepass.de/
[2] /Berliner-Leiden/!5804034
[3] /Karlsruhe-zu-Berlin-Wahl/!5912020
[4] https://www.polsoz.fu-berlin.de/polwiss/forschung/systeme/empsoz/team/Faas.…
[5] https://maja-lasic.de/responsive-design/
[6] /Kai-Wegner-CDU-zur-Wahlwiederholung/!5911539
## AUTOREN
Sascha Lübbe
## TAGS
Lesestück Recherche und Reportage
Landespolitik
Schwerpunkt Wahlen in Berlin
Abgeordnetenhaus
Schwerpunkt Wahlen in Berlin
Schwerpunkt Wahlen in Berlin
Schwerpunkt Wahlen in Berlin
Schwerpunkt Wahlen in Berlin
Schwerpunkt Wahlen in Berlin
## ARTIKEL ZUM THEMA
+++ Live-Ticker zur Wahl in Berlin +++: SPD will Gespräche mit CDU führen
Die SPD liegt mit 105 Stimmen vor den Grünen, damit ist Rot-Grün-Rot
möglich. CDU will sich für das Ausloten einer Zweierkoalition Zeit lassen.
Neuwahl in Berlin: Die drei??? und das Rote Rathaus
Berlin wählt – schon wieder. Wer hat Chancen auf den Sieg?
Wahlkampf in Berlin: CDU baut Führung aus
Jüngste Umfragen bestätigen den bisherigen Trend: Die CDU führt vor SPD und
Grünen. Das heißt auch: Rot-Grün-Rot wird wohl fortgesetzt.
Karlsruhe zu Berlin-Wahl: Wahl der Qual
Knapp zwei Wochen vor der Berlin-Wahl stand kurz im Raum, dass diese
abgesagt werden könnte. Das verunsichert Wähler*innen, passt aber leider
ins Bild.
Entscheidung des Verfassungsgerichts: Berlin hat tatsächlich die Wahl
Die Wiederholung der Berlin-Wahlen kann wie geplant am 12. Februar
stattfinden, sagt Karlsruhe – während der Wahlkampf längst auf Hochtouren
läuft.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.