# taz.de -- Karlsruhe zu Berlin-Wahl: Wahl der Qual | |
> Knapp zwei Wochen vor der Berlin-Wahl stand kurz im Raum, dass diese | |
> abgesagt werden könnte. Das verunsichert Wähler*innen, passt aber leider | |
> ins Bild. | |
Bild: Warum kam die Entscheidung erst so knapp? | |
Wer am Dienstag von den Morgennachrichten geweckt wurde, musste sich | |
fragen, ob sie oder er noch träume – und das besonders schlecht. An jenem | |
Vormittag sollte sich entscheiden, so die Meldung, ob die Wahl zum Berliner | |
Abgeordnetenhaus wirklich stattfinden werde. Eine Landtagswahl wohlgemerkt, | |
die in weniger als zwei Wochen angesetzt ist und in deren Wahlkampf sich | |
mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und CDU-Parteichef Friedrich Merz | |
zuletzt auch die letzten politischen Schwergewichte eingemischt hatten. Das | |
alles – für nichts? | |
Bekanntlich hat das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe den Eilantrag von | |
gut 40 Kläger*innen dann abgelehnt; [1][um Punkt 9.30 Uhr wurde diese | |
Entscheidung schriftlich mitgeteilt], ohne Begründung. Doch allein die | |
Ankündigung der Entscheidung einen Tag zuvor hatte zu wilden Spekulationen | |
in den Medien geführt, von denen nicht wenige eine Absage der Wahl geradezu | |
herbeizusehnen schienen – getreu der Berlin-Erzählung, dass diese Stadt | |
eben nichts auf die Reihe kriege. Und nicht wenige Berliner | |
Politiker*innen schliefen schlecht in der Nacht zuvor. | |
Die Möglichkeit, dass ausgerechnet das Verfassungsgericht in Karlsruhe – | |
diese ehrenhafteste demokratische Institution in Deutschland, die in | |
Umfragen versehen ist mit den höchsten Vertrauenswerten der Bevölkerung – | |
kurz vor knapp die Berlin-Wahl kippen könnte, stand tatsächlich im Raum. | |
Allein diese Option ist verheerend für die hiesige Demokratie, weil sie | |
genau dieses Vertrauen bei Wähler*innen beschädigen kann. | |
Doch es kommt noch schlimmer: Das Gericht hat nur den Eilantrag abgelehnt. | |
Die Entscheidung in der Hauptsache fällt erst nach dem 12. Februar, | |
vielleicht weit danach. Erklärt es die Wahl im Nachhinein für ungültig? | |
Besonders wahrscheinlich ist das nicht. Aber ausschließen sollte mensch, | |
das zeigt die Geschichte dieser Wahlen in Berlin, eben nichts, auch nicht | |
das Abwegigste. Leider. | |
## Zweiter Versuch | |
Die [2][Abstimmungen am 12. Februar sind der zweite Versuch], die | |
Mitglieder des Berliner Abgeordnetenhauses und der zwölf Bezirksparlamente | |
zu bestimmen. Bei der ursprünglichen Wahl am 26. September 2021 war es zu | |
zahlreichen Pannen gekommen: fehlende oder falsche Stimmzettel, lange | |
Schlangen vor Wahllokalen, die teils erst mit zwei Stunden Verspätung | |
schließen konnten. | |
Die Fehler lagen schon in der mangelhaften Vorbereitung begründet, so das | |
Ergebnis einer vom Berliner Senat selbst eingesetzten Kommission. Dieser | |
Position schloss sich auch das Berliner Verfassungsgericht an und erklärte | |
die beiden Wahlen Mitte November für ungültig – eine Möglichkeit, die noch | |
im Sommer allgemein als absurd abgetan worden war. Auch die gleichzeitigen | |
Bundestagswahlen müssen laut einer Entscheidung des höchsten Parlaments | |
wiederholt werden, aber nur in Teilen. In welchen, klärt ebenfalls gerade | |
das Bundesverfassungsgericht. | |
Dem neuen Landeswahlleiter blieb angesichts der Entscheidung des Berliner | |
Verfassungsgerichts nichts anderes übrig, als wie vorgeschrieben innerhalb | |
von 90 Tagen die Wahlwiederholung anzusetzen. | |
Doch es fanden sich eben auch gut 40 Kläger*innen, darunter jeweils mehrere | |
Abgeordnete, oft Jurist*innen, von SPD, Linken und FDP, die die | |
Wiederholung als juristisch nicht haltbar ansehen. Aus ihrer Sicht | |
verständlich: Tatsächlich sind rund 1,8 Millionen Stimmen bei der Wahl | |
korrekt abgegeben und gezählt worden, die Zahl möglicherweise fehlerhafter | |
oder nicht erfolgter Stimmabgaben liegt bei 20. bis 30.000, in einem | |
Großteil der Wahlkreise lief alles planmäßig ab. Und das | |
Bundesverfassungsgericht als höchste Instanz – aber nicht unbedingt in | |
diesem Fall – hatte bei ähnlichen Entscheidungen andere Maßstäbe als die | |
Berliner Richter*innen angelegt. | |
## Die Sorge ist groß | |
Aber mit ihrem Gang nach Karlsruhe haben die Kläger*innen eben erneut | |
für Verunsicherung gesorgt. Bedauerlicherweise trägt auch das | |
Verfassungsgericht selbst eine Mitschuld an den jüngsten Irritationen. Denn | |
die Klage samt Eilantrag war bereits Mitte Dezember eingegangen. Wenn sie | |
unbegründet ist, worauf diese erste Ablehnung hindeutet: Warum kam die | |
Entscheidung erst so knapp vor der Wahl? Karlsruhe ist eine Erklärung | |
schuldig. | |
Es mag sein, dass viele Berliner Wähler*innen von dieser jüngsten Volte | |
gar nichts mitbekommen, erst recht, wenn sie den Wahlkampf nicht im Detail | |
verfolgen. Aber die Sorge, dass sich viele Wähler*innen Gedanken über | |
die Relevanz dieser Wahl machen, dass sie sich fragen, ob es überhaupt Sinn | |
ergibt, zur Wahl zu gehen, die ist groß. Das zeigt sich etwa in den vielen | |
Appellen der Kandidat*innen am Dienstag, auf jeden Fall bitte zur Wahl | |
zu gehen, damit diese nicht auch noch durch eine möglicherweise niedrige | |
Beteiligung an Legitimität verliert. | |
Eigentlich sind diese Appelle nicht viel mehr als klassischer Bestandteil | |
der Sprache von Politik. In diesem Berliner Fall sind sie aber auch eine | |
dringende Notwendigkeit. Leider. | |
31 Jan 2023 | |
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## AUTOREN | |
Bert Schulz | |
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