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# taz.de -- Die andere koreanische Popkultur: Immer am Klöppeln
> Das Duo Salamanda aus Seoul erobert die elektronische Musikwelt mit
> gewiefter Niedlichkeit. Bildet es eine Alternative zum omnipräsenten
> K-Pop?
Bild: Cuteness und selbstbestimmter Habitus: Yetsuby und Uman Therma (v.l.) vom…
Gerade wurde es hier in Seoul wieder in der Zeitung gemeldet, nicht ohne
Stolz: Koreaner:innen trinken durchschnittlich 353 Tassen Kaffee pro
Jahr, mehr als doppelt so viele wie im Rest der Welt.
Klar, dass ich Uman (Sala) und Yetsuby (Manda), zusammen als aufstrebendes
Elektronik-Duo Salamanda bekannt, in einem Café treffe: „The Edge“ im
Vintage-Stadtteil Euljiro, ein kleinteiliges Viertel wie aus dem Korea der
1970er, mit engen Gassen voller handwerklicher Kleinbetriebe, aus denen die
Funken der Fräsen fliegen. Dazwischen tummeln sich Galerien, kleine
Modelabels und eben Coffeeshops.
Die Preise steigen, und alle paar Wochen bricht wieder ein ganzes Areal
weg, wie ein Stück vom antarktischen Eis, um Platz zu machen für große,
neue Bauvorhaben. Im Moment ist die Welt hier noch relativ in Ordnung,
Handwerk und Boheme existieren einträchtig nebeneinander und trinken maßlos
viel Kaffee.
Bis vor Kurzem war „The Edge“ ein schwer zu findender, kleiner Plattenladen
im dritten Stock, der tagsüber Clique Records hieß und abends zur Record
Bar wurde. Inzwischen ist er ins Erdgeschoss gezogen, sehr ansprechend
gestaltet und gut besucht. Als ich dort ankomme, erwarten mich Uman und
Yetsuby bereits, vor sich jeweils einen „Ah-Ah“, einen Iced Americano, der
in Korea so oft bestellt wird, dass es dafür schon eine eigene, niedliche
Abkürzung gibt.
## Bandgeschichte beim Iced Americano
„Uman hat hier früher gearbeitet, oben im Plattenladen. ich arbeite um die
Ecke bei einem kleinen Modelabel“, erläutert Yetsuby die Wahl des
Treffpunkts. Nachdem ich ebenfalls einen „Ah-Ah“ serviert bekommen habe,
skizzieren sie zügig die junge Geschichte von Salamanda: „Kennengelernt
haben wir uns 2018, beim Clubben. 2019 haben wir dann beschlossen, zusammen
elektronische Musik zu machen. Aufgetreten sind wir zuerst nur als DJ-Team,
das begann im Mai 2019. An Konzerte hatten wir anfangs nicht gedacht, dazu
kam es im September 2019.“
Seitdem haben Salamanda mit beeindruckender, vermutlich Kaffee-getriebener
Produktivität nicht nur ihren Signatursound entwickelt – eine gleichzeitig
aufgeweckte wie entspannte, ausgesprochen schöne, manchmal geradezu putzige
Spielart elektronischer Hörmusik –, sondern auch schon viel veröffentlicht:
über 20 Werke, vier Alben, zuletzt „Ashbalkum“ beim exquisiten New Yorker
Label Human Pitch. Titel und Design des Albums illustrieren sehr gut die
heitere Durchtriebenheit des Duos.
Das Cover zeigt, im blass aprikosenfarbenen Rahmen, das künstlerisch
wertvolle Schwarz-Weiß-Foto einer schlangenartigen Tonskulptur. So weit, so
stilvoll und zeitgemäß. Was soll „Ashbalkum“ heißen? Das ist kein
Koreanisch, oder? Was für eine Sprache ist das denn? „Haha, doch, das ist
Koreanisch, aber wir haben es etwas anders geschrieben, als man es
normalerweise schreiben würde. Übersetzt heißt es: Ach du Scheiße, es war
ein Traum!“
## In der Schublade „Ambient-Music“
Auf den Streamingportalen wird die Musik von Salamanda meist unter
„Ambient“ rubriziert, worüber die beiden zu Recht die Stirn runzeln, sich
aber auch nicht dagegen wehren, sondern es eher schulterzuckend an sich
abperlen lassen. Analog zu den vielen kleinen Plätschergeräuschen, zart
platzenden Bubbles, tröpfelnden Tropfen und anderen liquiden Klängen, die
eine primäre Klangfarbe ihrer indigen-perkussiven Rhythmusgerüste sind.
Bei aller Schaumbadhaftigkeit des Salamanda-Sounds handelt es sich doch um
eindeutig mehr als nur stehende Drones und rauschende Soundcapes, wie sie
handelsüblicher Ambient-Wohlklang ausmacht. Irgendetwas ist immer am
Klöppeln. Man vergisst nie, dass Salamanda auch eine DJ-Seite haben.
Diese zelebrieren sie in den ausgezeichneten Underground-Clubs von Seoul
aber in einer etwas anderen Gangart als auf ihren Platten. Dann legen sie
Jungle, Breakbeats und andere juvenile Energiemusiken auf. Ihre
Live-Auftritte dagegen sind angenehme Angelegenheiten, die oft in Cafés
steigen oder in Blumenläden, in denen sie dann ihren Spieltisch aufbauen,
mit all den Geräten, die sie sich seit ihrer Gründung angeschafft haben.
Ihr Umgang damit wirkt schlafwandlerisch, intuitiv und angenehm frei von
jener gewissen Gigantomanie, wie man sie in der modularen Synthesizerszene
antrifft. Salamanda bevorzugen kleinformatige Tools, die manchmal fast wie
Spielzeuge aussehen, dabei in der Bedienung oft ziemlich kompliziert sind.
In Korea gibt es einen Hang zur Cuteness, der dem Hang zum Kaffee in nichts
nachsteht. Überall ist Cuteness.
## Vorbild und Einfluss: japanischer Ambient
Auch bei Salamanda: Schon im Namen, aber auch in den häufig verwendeten,
glucksenden Babysamples, in der Behaglichkeit ihrer Musik, in deren Titeln
(„Kiddo Caterpillar“, „[1][Truffles Sprinkles]“, „Dumbo Cage“ und so
weiter), bei der bunten Pixelart von Uman, die ihre Cover ziert, und auch
bei ihren musikalischen Einflüssen: viel japanischer Ambient, allen voran
Soundtracks von Filmen des japanischen Studio Ghibli, berühmt für die
anspruchsvolle und philosophische Niedlichkeit von Trickfilm-Meisterwerken
wie „Chihiros Reise ins Zauberland“.
Lange schon dominiert der Dreiklang aus BTS, „Parasite“ und „Squid Game“
die Wahrnehmung koreanischer Popkultur im Westen, als ob es, vor allem
musikalisch, gar nichts anderes gäbe als K-Pop. Doch obwohl mir Salamanda
aufgrund ihres selbstbestimmten Habitus und ihres autorinnenhaften
Arbeitsprinzips wie eine überfällige, moderne Alternative zum
[2][omnipräsenten K-Pop] und seines [3][industriell erzeugten Mainstreams]
erscheinen, haben die beiden dazu eine durchaus entspannte Haltung.
## Der omnipräsente K-Pop
Sie sehen auch dort Innovationen und empfehlen mir auch gleich ihre
aktuellen Favoritinnen: die Girl Group „New Jeans“, deren Sound offensiv
elektronisch ist und die auch offenbar viel geübt haben, um nicht ganz so
präzise zu tanzen wie sonst in K-Pop-Choreos üblich.
Sie mögen auch den zarten Beatmaker Beautiful Disco und den finsteren
Rapper Omega Sapien (für den sie einen Remix angefertigt haben), neben den
Künstlern aus ihrem Umfeld wie Haepaary, Kisewa oder dem vor Kurzem nach
Berlin gezogenen, großartigen Produzenten bela, der sie im April nach
Deutschland holen will.
Ich verabschiede mich, weil ich oben im Plattenladen stöbern möchte; als
ich eine Stunde später wieder herunterkomme, sehe ich Sala und Manda durch
das Fenster immer noch im Café sitzen, ins Gespräch vertieft, beim wer weiß
wievielten Iced Americano. Ihre Getränke mögen gekühlt sein, doch ihre
Kunst, die ist gewiss kein kalter Kaffee.
21 Feb 2023
## LINKS
[1] https://www.youtube.com/watch?v=GTVKxhgPF4s
[2] /Elektronik-Musikerin-Park-Hye-Jin/!5800917
[3] /Die-Schattenseiten-des-K-Pop/!5692762
## AUTOREN
Hans Nieswandt
## TAGS
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