# taz.de -- Foto-Ausstellung „Stars of Polar Night“: Frauen am Rand der Welt | |
> Spitzbergen ist mittlerweile ein Zentrum der Klimaforschung. Die | |
> Fotografin Esther Horvath richtet einen Blick auf die Frauen, die dort | |
> arbeiten. | |
Bild: Julia Martin vom Alfred-Wegener-Institut prüft mit einer Sonde die Höhe… | |
Katie Sipes ist Fan des Walt-Disney-Streifens „Die Eisprinzessin“. | |
Besonders hat es der Doktorandin an der Universität in Knoxville in | |
Tennessee/USA, die derzeit zu den Folgen des [1][auftauenden Permafrostes] | |
in der Arktis für die dort lebenden mikrobiellen Gemeinschaften promoviert, | |
die Figur der ‚Elsa‘ angetan: Die kann nicht nur Schnee und Eis | |
herbeizaubern, sie hat auch einen sehr eigenen Kopf. | |
Und so war es schon lange Sipes’ Traum, sich in entsprechend frostiger | |
Umgebung als Eisprinzessin zu zeigen – und da steht sie nun im Kleid, mit | |
wehendem Haar, aufrecht und stolz. Drumherum ist dunkle Polarnacht, die | |
Temperatur beträgt 29 Grad minus. Sorgsam inszeniert und abgelichtet von | |
der Fotografin Esther Horvath, die seit 2015 Hausfotografin des | |
Bremerhavener [2][Alfred-Wegener-Instituts] ist. | |
Das Bild hängt derzeit in der Ausstellung „Stars of Polar Night“ in der | |
Hamburger Freelens-Galerie, ein Traum in wehendem Eisblau. Warm angestrahlt | |
nur von der Kopflampe der Fotografin, die angesichts der von November bis | |
Februar dauernden Polarnacht auf künstliches, aber dezentes Licht setzte. | |
Es ist eines ihrer Lieblingsbilder aus ihrer Porträtreihe „Women of Artic | |
Science“. Denn Esther Horvath findet: „Wenn wir an Polarforschung denken, | |
denken wir an einen weißen Mann mit Bart und von der Kälte gegerbtem | |
Gesicht – und nicht an eine Frau. Ich aber möchte die Frauen vorstellen, | |
die in der Arktis forschen und arbeiten; ich möchte ihrer Forschung ein | |
Gesicht geben.“ | |
Und dazu ging es nach [3][Ny-Ålesund], eine Siedlung auf Spitzbergen. Das | |
ist eine zu Norwegen gehörende Inselgruppe nahe des 79. Breitengrades – | |
eine der nördlichsten Siedlungen der Welt. Das Versorgungsschiff kommt | |
winters alle acht Wochen, das Flugzeug versucht es einmal pro Woche, | |
Schneestürme sind an der Tagesordnung. | |
Die Siedlung entstand ab 1916, als man begann, Steinkohle kommerziell | |
abzubauen. 1963 kam es zu einem schweren Grubenunglück und der Frage, wer | |
für die mangelnden Sicherheitsmaßnahmen verantwortlich sei: Ein Skandal | |
offenbarte sich, der die norwegische Gesellschaft tief erschütterte und zum | |
Rücktritt des damaligen Ministerpräsidenten führte. | |
Die zweite Folge des Unglücks: Der Bergbau wurde aufgegeben, und es | |
siedelten sich ab Ende der 1960er-Jahre die ersten Forschungsstationen an, | |
um das arktische Klima und die darüber liegenden Atmosphären-Schichten | |
genauer zu erkunden. Heute gilt Ny-Ålesund als Hotspot der arktischen | |
[4][Klimaforschung]. In den letzten Jahren kamen Forschungsstationen dazu, | |
die von der Volksrepublik China, von Südkorea und Indien betrieben werden. | |
Im Sommer versammeln sich so bis zu 150 Menschen; im Winter senkt sich die | |
Zahl auf rund 40 Personen, fast die Hälfte davon weiblich. | |
Schon länger vor Ort ist das [5][AWIPEV], eine gemeinsame Forschungsstation | |
des deutschen Alfred-Wegener-Instituts und des französischen | |
Polarforschungs-Instituts Paul Emile Victor, vor 20 Jahren gegründet. „Die | |
Menschen harren am Rande der Welt aus, und sie tun das nicht für einen | |
Staat, sondern stellvertretend für uns“, sagt der Wissenschaftsjournalist | |
Lars Abromeit, der für die Bildtafeln und Texte der Hamburger Ausstellung | |
verantwortlich ist und der dafür Esther Horvath im Winter 2022 nach | |
Spitzbergen begleitete: „Wenn sie da nicht wären und messen würden, was in | |
der Arktis im Winter passiert, wüssten wir es nicht und könnten die | |
Konsequenzen, die die Veränderungen in der Arktis auch für uns haben, nicht | |
überschauen.“ | |
Dabei zeigten sich die Klima-Veränderungen im Winter besonders deutlich: | |
„Seit den 1990er-Jahren ist in der Arktis die durchschnittliche | |
Wintertemperatur drei- bis viermal so schnell gestiegen wie die | |
Durchschnittstemperatur auf der Erde – auf Spitzbergen aber siebenmal so | |
schnell“, sagt Abromeit. Spitzbergen sei sozusagen das [6][Epizentrum der | |
Klimaerwärmung]. | |
Fotografisch hat Esther Horvath nicht nur der Umgang mit dem Licht in all | |
der Dunkelheit gereizt, sie will auch andere Bilder aus der | |
Wissenschaftswelt mitbringen, als wir es gewohnt sind: „Ich möchte | |
Wissenschaft und Forschung in einer künstlerischen Art darstellen, denn wir | |
erinnern uns am ehesten an Bilder, wenn sie uns emotional ansprechen, also | |
wenn sie schön sind.“ Frühere Bilder von Wissenschaften seien oft allein | |
prozess-fokussiert, eher abstrakt. | |
Ein Beispiel für Esther Horvaths Zugang: das mittägliche Aufsteigenlassen | |
des Wetterballons, pünktlich um zwölf Uhr. Seit den 1990er-Jahren findet | |
das statt, ohne Ausnahme, auch an Weihnachten, auch am 1. Januar. „Ich | |
wollte nun nicht fotografieren, wie der Ballon aufgeblasen wird, sondern | |
ich wollte einen besonderen visuellen Blick auf das Geschehen lenken, etwa | |
wenn das Licht schön ist.“ | |
Doch Horvath stellt nicht nur die Forscherinnen im Kontext ihrer | |
Tätigkeiten vor. Sie lenkt den Blick auch auf die logistischen Helferinnen, | |
deren Arbeit die Forschungen erst ermöglicht: So zeigt sie uns Ida | |
Kristoffersen, die als Elektrikerin und als Wachfrau tätig ist und | |
ausrücken muss, wenn es irgendwo brennt. Auch wenn sich ein Eisbär nähert, | |
fährt sie raus – dann mit Gewehr. | |
Mehrere Aufgaben hat auch Ragnhild Staldvik, die mal als Reinigungskraft, | |
mal als Ladenhilfe, dann wieder als Küchenhilfe arbeitet, im einzigen | |
Restaurant des Orts, das wiederum Marin Katarina Havnås führt. Havnås kam | |
nach Ny-Ålesund, als infolge des Lockdowns das Restaurant schloss, in dem | |
sie bis dato gearbeitet hatte. | |
Für den generellen Betrieb der Siedlung und die allgemeine Versorgung sorgt | |
der norwegische Staat. Auch ein Museum gibt es – in einem der ältesten | |
Häuser der Siedlung, in der ab 1918 die Funkstation untergebracht war. WLAN | |
und Bluetooth sind übrigens streng verboten – die Strahlungen könnten die | |
Messinstrumente durcheinanderbringen. Stattdessen setzt man auf die | |
klassische Ultrakurzwellen-Technik. | |
13 Feb 2023 | |
## LINKS | |
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[3] https://kingsbay.no/ | |
[4] /Klimaforschung/!t5022209 | |
[5] https://www.awi.de/expedition/stationen/awipev-forschungsbasis | |
[6] /Klimawandel-in-der-Arktis/!5699910 | |
## AUTOREN | |
Frank Keil | |
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