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# taz.de -- Forschung über Robbengeschrei: Stilles ewiges Eis
> Robben rufen weniger und bekommen vielleicht weniger Junge, wenn das Eis
> am Südpol schmilzt. Das hat ein Team des Alfred-Wegener-Instituts
> herausgefunden.
Bild: Weddellrobben liegen in der Nähe eines Risses im Eis an der Ostküste de…
In Katastrophenfilmen geht die Welt laut unter: Häuser krachen zusammen,
Kinder schreien, Sirenen heulen durch brennende Straßenschluchten. Das Ende
der Welt kann aber auch ganz leise sein. Das zeigt eine [1][Studie des
Alfred-Wegener-Instituts]. Die Forscher*innen horchten jahrelang nach
Robbengeschrei in der Antarktis. Wenn das Eis schmolz, [2][war es am Südpol
auf einmal ganz still].
Seit Ende 2005 hört das Forschungsteam schon hin, was in der Antarktis
passiert. Zunächst hätten sie kein konkretes Forschungsvorhaben gehabt,
erzählt Ilse van Opzeeland. Die Bioakustikerin ist eine*r der
Hauptautor*innen der Untersuchung – neben Biologin Irene T. Roca und
Meereisphysiker Lars Kaleschke. „Wir wollten erst einmal gucken, was man
überhaupt hören kann.“
Über die folgenden Jahre kristallisierte sich der Fokus der Untersuchung
heraus. Künftig hörten sie hin, was Krabbenfresser, Weddellrobben,
Seeleoparden und Rossrobben für Geräusche machen, wann, und unter welchen
Bedingungen. Die veröffentlichte Studie bezieht sich auf den Zeitraum von
2007 bis 2014: sieben antarktische Sommer, in denen die Größe der
Meereisdecke stark schwankte. Über den Jahreswechsel zwischen 2010 und 2011
waren weniger als zehn Prozent des üblichen Gebiets mit Eis bedeckt. Die
Unterwassermikrofone zeichneten kaum einen Laut auf.
„[3][Die vier Robbenarten] sind sehr abhängig vom Eis, weil sie darauf ihre
Jungtiere bekommen und sich nach Absetzen der Jungtiere im gleichen Gebiert
unter Wasser paaren“, sagt Ilse van Opzeeland. Über Ringelrobben am Nordpol
ist bekannt, dass sie auf dem Eis ihre Jungen aufziehen und Höhlen für sie
in die dichte Schneeschicht buddeln. Bei den Robben am Südpol sieht es
ähnlich aus: Sie schwimmen in die Eisgebiete, kriegen dort ihre Jungen und
leben mit ihnen auf dem Eis, bis sie bereit sind, ins Wasser zu gehen. In
dieser Zeit, also im antarktischen Sommer zwischen November und März,
paaren sich die Tiere außerdem im Wasser. Die befruchteten Eizellen
befinden sich dann einige Monate in einer Schlafphase, bis sie
weiterwachsen. Geräusche machen die Tiere vor allem bei der Paarung.
Deshalb ist es für die Forscher*innen ein beunruhigendes Zeichen, wenn
nichts zu hören ist. Kein Geschrei bedeutet möglicherweise keine Jungen.
## Ein Mikro fürs Wasser
Um die Geräusche aufzunehmen, haben die Forscher*innen mit den eisigen
Bedingungen der verlassenen Antarktis zu kämpfen. Das Gestein der Antarktis
ist von einem Gletscher bedeckt, den die Forscher*innen in Küstennähe
mit heißem Wasser durchbohren. In die so entstandenen Wassersäulen lassen
sie [4][das Hydrophon an einem Kabel hinab]. Weil es auch im Wasser Töne
aufnehmen kann, nennt man es Hydrophon. Das Hydrophon kann Robbengeschrei
auf bis zu 30 Kilometern Entfernung aufzeichnen und Blauwalgesang, der 100
Kilometer weit weg ist.
Zu Beginn gab es eine Live-Verbindung in die Büros der Forscher*innen. Das
sei aber in der Wartung sehr aufwendig gewesen, sagt van Opzeeland. Deshalb
werden die Sound-Daten jetzt jeweils für drei Monate auf einer Festplatte
gespeichert. Ein sogenannter Überwinterer muss sie dann ab und zu unter der
Schneedecke ausbuddeln. Überwinterer nennt man die Menschen, die in der
Neumayer-Station III des AWI den Temperaturen trotzen und dort forschen.
In den Aufnahmen des Forschungsteams entfaltet sich normalerweise eine
beeindruckende Soundkulisse. Im Rahmen des [5][„Polar Sounds“-Projekts]
haben das AWI Beispiele dafür in Zusammenarbeit mit Künstler*innen
veröffentlicht. Auf der Webseite des Projekts kann man die Sounds
nachhören: tiefer Blauwalgesang, durch das Wasser gedämpftes gespenstisches
Surren der Seeleoparden. Ilse van Opzeeland lässt das Geräusch der wenig
erforschten Rossrobben nicht los: „Das klingt wie eine Sirene und ist
extrem komplex.“ Was man beim „Polar Sounds“-Projekt auch hört, ist das
Geräusch eines Luftgewehrs, abgefeuert von Mitarbeiter*innen von
Ölfirmen, die nach neuen Bohrgebieten suchen. Und Stille.
## Nicht vorbereitet auf Schwankungen im Eis
Dass es in manchen Sommern ruhig ist, ist besonders bedrückend, weil die
Gegend eigentlich sehr artenreich ist. Im sogenannten Weddellmeer, 2.000
Kilometer südlich von Kapstadt, tummeln sich sonst Pinguine neben Robben
und Walen. Zwischen dem Eis an der Küste sei eigentlich immer etwas zu
hören, sagt van Opzeeland. Sie habe diese Artenvielfalt auch schon aus
nächster Nähe betrachten, nicht bloß hören können. Da es in der Antarktis
eigentlich keine Menschen gebe, seien die Tiere von den Forschenden relativ
unbeeindruckt: „Wir machen da unsere Untersuchungen und auf einmal kommt
ein Kaiserpinguin vorbeispaziert.“ Das sei ein großes Privileg, denn die
Landschaft und die Tierwelt sei beeindruckend und einzigartig.
Auch 16.000 Kilometer entfernt, auf den Sandbänken der Nord- und Ostsee,
leben 32 Robbenarten. Peter Lienau leitet die Seehundstation in Norddeich
in Schleswig-Holstein. Die Nahrung werde den Tieren dort erst einmal nicht
ausgehen, sagt er, denn sie seien anpassungsfähige Esser. Sollten die
Meeresspiegel steigen und das Wasser die Sandbänke verschlucken, sei das
allerdings ein Problem. Niemand könne allerdings absehen, wie sich die
Bewegung des Wassers im Wattenmeer dann verändert. Vorerst seien die Robben
dort sicher.
Für die antarktischen Robben gilt das wahrscheinlich nicht. Und nicht nur
sie leiden vermutlich unter dem fehlenden Eis. Auch Krill ist auf Eis
angewiesen, weil an dessen Unterseite Eisalgen wachsen, die er frisst.
Krill ist wiederum Nahrung für Wale, Robben und Pinguine. Dass die Robben
schweigen, könnte ein erstes Anzeichen dafür sein, wie es den Tieren
ergehen wird, wenn die Klimakrise weiter voranschreitet. „Unsere
Untersuchungen zeigen, dass die Robben nicht darauf vorbereitet sind, dass
es so starke Schwankungen im Eis gibt“, sagt van Opzeeland.
Auch wenn die veröffentliche Studie nur bis 2014 ging, war das Hydrophon
dort bis 2022 befestigt. In den vergangenen acht Jahren war das Eis jedes
Jahr unter dem Mittelwert. Seinen absoluten Tiefstand erreichte es im
Februar 2023.
17 Jun 2023
## LINKS
[1] https://www.awi.de/ueber-uns/service/presse/presse-detailansicht/weniger-ei…
[2] https://esajournals.onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1002/fee.2622
[3] /Robben/!t5031118
[4] https://www.awi.de/forschung/geowissenschaften/geophysik/methoden-und-werkz…
[5] https://hifmb.de/de/polar-sounds-2/
## AUTOREN
Lisa Bullerdiek
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