# taz.de -- Fotoausstellung „Steindamm Atlas“: Der Glanz des Hamburger Bahn… | |
> Fotografin Alexandra Polina tritt gegen die Manie der Tiefe an. Ihre | |
> Hamburger Ausstellung zeigt, dass Schönheit und Liebe | |
> Oberflächenphänomene sind. | |
Bild: Blick ins Schaufenster (Ausschnitt): Dinge, die andere als Kitsch abwerte… | |
Hamburg taz | Festhalten! Auch: durchatmen. Und dann schauen und nochmals | |
schauen, das empfiehlt sich in der Ausstellung „Steindamm Atlas“ mit | |
Fotoarbeiten von Alexandra Polina in der Freelens-Galerie. Der Steindamm | |
beginnt gegenüber dem Hamburger Hauptbahnhof als verkehrsberuhigte | |
Flanierstraße mit einem Mix aus Hotels, Sex-Shops, Döner-Imbissen, | |
Gemüseläden und Schmuckgeschäften, bis er nordwärts zu einer typisch | |
gesichtslosen Ausfallstraße für Autofahrer wird. | |
Ob seiner vielen Bewohner, die nicht nur in Deutschland Familie haben, wird | |
er schnell der Ansammlung übler Parallelgesellschaften verdächtigt. Beim | |
Wort „Steindamm“, da zuckt es auch dem erklärt linksliberalen Hanseaten | |
leicht um die Mundwinkel. Hamburgs Tourismus-Zentrale indes säuselt über | |
den Steindamm werbig: „Die Straße [1][schläft niemals] und ist wie ein | |
Kurzurlaub in eine andere Welt.“ | |
„Die Gegend hat mich überwältigt, irritiert und begeistert“, schreibt | |
wiederum Alexandra Polina auf einer einleitenden Tafel zu ihren Arbeiten. | |
Sie hat die Überschrift dazu in feiner und geschwungener, goldener Schrift | |
gehalten. Das ist natürlich kein Zufall. Das ist im Gegenteil genau | |
überlegt. | |
Und wir schauen abwechselnd auf den stolz in den Himmel blickenden Sikh und | |
auf seinen himmelblauen Turban. Wir blicken auf den jungen Mann im | |
ausgeschnittenen, hellen und engen T-Shirt, der liebevoll sein Motorrad | |
umarmt hält; wir betrachten die Frau, die ihr Gesicht abgewandt hat: „My | |
family is my life“, spricht stattdessen das Tattoo, das ihren Hals ziert. | |
## Bilder brauchen keine Titel | |
Die Bilder sind auf Platten gezogen, aufrecht stehen sie da, nichts hängt | |
distanziert gerahmt hinter Glas, ohne Titel. „Titel?“, fragt Alexandra | |
Polina zurück. Sie zeige doch, was zu sehen ist. | |
Es gibt zu alldem eine persönliche Geschichte, die womöglich den Grundstock | |
für Alexandra Polinas Auseinandersetzung mit der [2][Steindamm-Welt] gelegt | |
hat. Gut 20 Jahre ist das Erlebte her. Damals wechselt Polinas Familie aus | |
ihrem Herkunftsland Usbekistan nach Deutschland: „Bevor wir umgezogen sind, | |
haben uns unsere Eltern Geld gegeben, damit wir gute Klamotten kaufen | |
können; damit wir uns gut präsentieren können, wenn wir in Deutschland | |
ankommen“, erzählt sie. | |
„Ich habe mir eine rote Lackjacke gekauft, die ein bisschen nach Latex | |
aussah, dazu eine rote Netzstrumpfhose.“ Das Ergebnis ist Quell einer | |
produktiven und klugen Auseinandersetzung um die Kräfte wie Fallstricke | |
visueller Codes in der Stadtgesellschaft: „Als ich die Sachen in | |
Deutschland getragen habe, waren die Leute völlig irritiert: Sie haben mich | |
komplett anders eingeordnet als da, wo ich herkam.“ | |
Seit sie auf dem Steindamm wohnt, begegnet ihr genau diese Diskrepanz immer | |
wieder: Was die einen mit Spott bis Abscheu betrachten, ist der ganze Stolz | |
der anderen. Dagegen tritt sie an: „Man denkt, die Denkkonstruktion, mit | |
der man groß geworden ist, wäre die einzig Richtige – und alles andere | |
stempelt man als [3][Kitsch] ab. Und ich frage: ‚Wo bitte ist das Kitsch?‘�… | |
Polina misstraut der deutschen Aufwertung vermeintlicher Tiefe. „Ich feiere | |
die Oberfläche; ich zelebriere sie auf das Äußerste“, sagt sie. Sie tut das | |
auf dem Weg einer liebevollen Betrachtung. Die wiederum dazu einlädt, ganz | |
genau hinzuschauen, gerade auch auf vermeintliche Unvollkommenheiten: Der | |
blau lackierte Nagel des Fingers der Hand, die einen edel blitzenden | |
Verschluss zusammenknipst, müsste mal wieder aufgefrischt, auf der | |
spiegelglatten Motorhaube müssten noch Wischtuch und Abzieher weggeräumt | |
werden. | |
Überhaupt sind auffällig oft Autos zu entdecken: „Ich selbst habe kein | |
Auto, aber mich fasziniert, was es für Menschen bedeutet.“ | |
Womit wir bei ihrer jetzt schon legendären Penny-Porsche-Prada-Arbeit | |
wären, ziemlich zu Anfang ihres Projektes entstanden, an dem sie seit fünf | |
Jahren arbeitet. Zentral ist es in der Galerie aufgestellt, ein ikonisches | |
Bild, nahezu ein [4][Markenzeichen für Polinas Arbeit]. | |
Nicht recherchierend gesucht, sondern ziemlich zu Anfang ihrer | |
Entdeckungsreise einfach gefunden: Da sitzt ihr Freund zum Rauchen im | |
offenen Fenster ihrer Wohnung, schaut auf den Steindamm-Penny-Markt | |
gegenüber, vor dem just ein knallgelber Porsche parkt, im Hintergrund | |
prangt auf dem Rollgitter des Discounters der gesprayte Schriftzug „Prada“. | |
Und er meint: Sie müsse sofort runter, das fotografieren. Erst wollte sie | |
nicht: „Ich hatte doch schon meine Zuhause-Klamotten an.“ Sie ging dann | |
aber doch, mit Kamera und Blitz ausgerüstet, und musste erst mal den just | |
eingetroffenen Fahrer des Porsche bequatschen, sich mit dem Wegfahren noch | |
Zeit zu lassen. Und auch das hat natürlich geklappt. | |
14 Dec 2024 | |
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[4] https://www.alexandrapolina.com/about | |
## AUTOREN | |
Frank Keil | |
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