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# taz.de -- Buch und Ausstellung „Heiter bis wolkig“: Deutsche Wirklichkeit
> Das Fotografen-Trio Hansen, Stolzenwald & Werner ist durch die Republik
> gereist. Seine Bilderflut „Heiter bis wolkig“ ist derzeit in Hamburg zu
> sehen.
Bild: Erkundungen im ehemaligen Grenzgebiet: Straße zwischen den Ortschaften E…
Arme [1][Angela Merkel]. Steht da auf der Bühne, vor Publikum, und wünscht
sich vermutlich an einen anderen Ort; einen mit Bedeutung, mit Spirit, mit
Gewicht. Aber auch ein Wahlkampfauftritt in der tiefsten niedersächsischen
Provinz muss nun mal absolviert werden und so zeigt sich die Kanzlerin dann
doch unschlagbar souverän, wenn sie aus dem Korb, der sie als „Emsmädel“
ausgibt, eine kleine, zierliche Möhre holt und sie dem Publikum hinhält.
Aufgenommen hat das Bild das Trio Hansen, Stolzenwald & Werner, das sind
die Fotografen David Carreño Hansen, Sven Stolzenwald und Christian A.
Werner. Kennengelernt haben sie sich im Laufe ihres Studiums der
Dokumentarfotografie an der Hochschule Hannover, „Heiter bis wolkig“ war
ihre gemeinsame Abschlussarbeit: eine wuchtig-visuelle Deutschland-Reise
voller feinfühliger Details und galanter Nebenher-Blicke.
Es gibt sie in zwei Daseinszuständen: [2][als Fotobuch], zu dem der
Schriftsteller [3][Frank Goosen] einen einleitenden Text beigesteuert hat,
und als Ausstellung, die durch die Lande tourt; derzeit ist sie zu Gast in
der Freelens Galerie in Hamburg, die damit in die erhoffte Nach-Corona-Ära
startet.
Wobei die Bildauswahl für jede Ausstellung immer wieder neu aus einem
umfangreichen Bilderbestand zusammengewürfelt wird und so keine Ausstellung
der anderen gleicht. Damit wäre man auch bei einem Wunsch der drei
Fotografen; der eine ein hier heimisch gewordener Spanier, der nächste ein
Ossi, der übernächste ein Wessi: dass das scheinbare Durcheinander, dass
die Kombinationen aus Detail- und Übersichtsbildern die Betrachter_innen
aus der Reserve locken mögen – denn wir haben keinesfalls schon alles
gesehen.
Etwas anderes bleibt dagegen eindeutig und unumstößlich: „Von wem welches
Bild stammt“ sei „irrelevant“, sagen Hansen, Stolzenwald & Werner. Und
verzichten konsequenterweise darauf, ausgestellte und abgedruckte Bilder
mit dem Namen des jeweiligen Fotografen zu kennzeichnen: Als Urheber gibt
es sie nur im Trio.
Gereist sind sie so zu dritt wie in unterschiedlichen
Zweierkonstellationen, waren auch mal allein unterwegs. Zusammen aber
erstellten sie sowohl eine Liste erkundungswerter Orte und Landschaften wie
auch eine Übersicht der unverwechselbaren Momente im Leben, an die sich ein
Mensch immer wieder erinnern wolle: „Goldene Hochzeit“ und
„Fahrzeugsegnung“, aber auch „Fassanstich“ und „Mett“.
Die Ostsee entlang ging es so, das Sauerland wurde erkundet, durch
Brandenburg reiste man. Sah sich um in Herten, in Frankenhausen, in
Hildesheim und an der längsten Kohltafel der Welt, die in Bremen
aufgestellt war. Man war auf einer Haustürenausstellung in Neumünster und
hat Thomas Müller als Aufsteller in Hannover getroffen. „Nur das Saarland
fehlt komplett“, sagen Hansen, Stolzenwald & Werner und lachen.
Nicht zuletzt ist ihr Spiel mit den fokussierten, aber auch den beiläufigen
Motiven ein Statement: gegen den einen, Wahrheit beanspruchenden Blick und
gegen das ikonische Einzelbild, das – angeblich – die Welt auf den Punkt
bringt. „Wir wussten, dass es eine Bilderflut braucht, dass es viele Bilder
sein müssen, damit das wirkt, was wir zeigen wollen“, sagen sie. „Wenn wir
jetzt eine Ausstellung über ein verlorenes Dorf in der Mongolei machen
würden, wäre das anders, da kennen sich vermutlich nicht so viele aus.“
Was die drei dagegen irritiert hat, waren Kommentare und Verweise in den
Sozialen Medien, die dann etwa behaupteten: „Die drei Fotografen zeigen uns
Bilder aus den 60er- und 70er-Jahren.“ Das ist schon biografisch unmöglich:
[4][Carreño Hansen] ist Jahrgang 1978, [5][Stolzenwald] wurde 1986 geboren,
[6][Werner] 1980. Und tatsächlich wurde die Arbeit um das Jahr 2018 herum
abgeschlossen, das früheste darin berücksichtigte Bild entstand 2005. Aber
geht eben sehr schnell, dass etwas lange her zu sein scheint: So ungeduldig
ist man mit der Gegenwart und sucht gleich das nächste Neue.
In diesem Sinne ist das Bilderangebot des Trios auch ein Bildungsangebot:
Mal überlegen, sich selbst beobachtend, wie gegenwärtig unsere Gegenwart an
welchen Orten tatsächlich ist. „Deutschland“, sagen die drei noch, „ist …
viel Autobahn.“ Entsprechend lohne es sich, gleich die nächste Abfahrt zu
nehmen und zu schauen, was kommt, wenn man nach links oder rechts abbiegt,
wo jeweils das Leben auch zu Hause ist.
Das Oktoberfest etwa haben sie in der sächsischen Kleinstadt Elster
gefunden, wo man sich ebenso Mühe gibt, sich in einen soliden Bier- und
Bratwurst-Rausch zu feiern wie im fernen München. Was den Mythos
Neuschwanstein ausmacht, konnten sie auf dem Fußweg dorthin fotografisch
bannen, ohne dass das Schloss auftauchen muss, das ohnehin jeder sofort vor
Augen hat und also zu kennen meint.
Manchmal führte auch der Weg ans Ziel. Als die drei im Harz unterwegs
waren, um die Walpurgisnacht einzufangen, spukte in den Hinterköpfen auch
ein heute vielleicht etwas schal wirkender DDR-Witz: „Wo ist der
Sozialismus zu Hause? Zwischen Elend und Sorge!“ – und sie wurden ziemlich
in der Mitte der gleichnamigen, zehn Kilometer auseinander liegenden
Harz-Orte auf der Kreisstraße 1353 fündig; das Ergebnis überzeugt
wandfüllend.
Ordentlich angemeldet waren sie zuweilen auf ihren Reisen und Fahrten,
geladen zu Presseterminen wie jenem Wahlkampfauftritt der Kanzlerin im
emsländischen Lingen. Manchmal aber half auch der gute alte Zufall, etwa
bei der abendlichen Feuerwehrübung südlich von Leipzig: Normalerweise
zündet man auf dem offenen Feld ein paar Bretter an, löscht sie
ordnungsgemäß, um danach zum Geselligen zu wechseln.
Unvermittelt wurde aus der Übung nun Ernst: Ein Sturm brach los, die
Feuerwehrleute mussten von Null auf gleich ausrücken, umgefallene Bäume
sichern, bergen und überhaupt nach dem Rechten sehen. Die Überraschung bei
gleichzeitiger grundsolider Gelassenheit ist ihnen anzusehen, wie sie da in
halber Montur stehen und in die verwandelte Welt blicken.
Gelungen ist es Hansen, Stolzenwald & Werner, der Witz-Falle zu entgehen,
die ja schnell zuschlägt, wenn man an vermeintlich abseitigen Orten die
Kamera zückt, um das noch Abseitigere zu finden. Nein, diese Fotos sind
nicht komisch, sondern in ihrer Komik ernst. Sie sind von einer fast
widerstrebenden Zärtlichkeit getragen, zehren nicht zuletzt von einer
schwer einzugestehenden Hassliebe: „Vieles in diesem Land nervt permanent“,
sagen die Fotografen, „und trotzdem kommt man nicht gänzlich ohne zurecht“.
So, wie sie immer auch das Bildermachen beim Bildermachen mit reflektieren:
Die Blaskapelle zieht durchs Dorf wie durchs Bild, vor einer imposanten
Landschaft mit Abraumhalde, See und Industriebauten fotografiert sich unten
rechts in der Ecke ein Paar neben seinem Auto, zwei Bundeswehr-Offiziere
haben sich feierlich vor einem Schlachtengemälde aufgestellt und zeigen
Haltung; Frank-Walter Steinmeier schaut als Bildnis auf drei Topfpflanzen
und fünf Seltersflaschen und lässt sich nichts anmerken. „Wo man ist, ist
es meist sehr provinziell“, sagen Hansen, Stolzenwald & Werner noch. Dem
wäre hinzuzufügen: Und ist doch mitten in der Welt.
28 Jul 2021
## LINKS
[1] /Schwerpunkt-Angela-Merkel/!t5007702
[2] https://www.hatjecantz.de/heiter-bis-wolkig-7667-0.html
[3] /taz-auf-der-Leipziger-Buchmesse-2012/!5098881
[4] https://www.carrenohansen.com/
[5] https://www.svenstolzenwald.de/
[6] https://c-werner.net/
## AUTOREN
Frank Keil
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