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# taz.de -- Umgang mit afrikanischen Staaten: Grün gefärbte Einflussnahme
> Es gibt die Annahme, dass Arme nur in die moderne Weltwirtschaft
> integriert werden müssten, dann werde alles gut. Als ob sie das nicht
> längst seien.
Bild: Goldschürfer im Nordosten Kongos
„Hände weg von Afrika? Den Postkolonialismus überwinden!“, hieß es
[1][kürzlich in der taz]. Die Kritik bezog sich auf den Appell des Papstes,
die Ausbeutung des afrikanischen Kontinents zu überwinden. Hinter dem
Appell verstecke sich eine „paternalistische Attitüde“ und eine
„kolonialistische Perzeption Afrikas als Opfer und Rohstofflieferant“.
Stattdessen verweist der Artikel auf das „gigantische
Entwicklungspotenzial“ Afrikas und fordert eine partnerschaftliche
Agrarstrategie Europas („Hand in Hand in Afrika“), gerade auch angesichts
dessen, dass China seinen wirtschaftlichen und politischen Einfluss
„skrupellos“ ausbaue. Ziel sei eine „nachhaltige Entwicklung“, mit der
Afrika „der Sprung in die moderne, postkarbonisierte Weltwirtschaft
gelingt“.
So weit, so plausibel, möchte man meinen. Bei näherem Hinsehen zeigen sich
jedoch eine Reihe von Lücken und Ungereimtheiten. So mag es erstens
vielleicht abgedroschen sein, aber Afrika ist tatsächlich seit dem
Kolonialismus nicht aus der Rolle als Rohstofflieferant herausgekommen.
Unter anderem aufgrund der Zolleskalation auch der europäischen Länder, die
für verarbeitete Produkte meist deutlich höhere Zölle verlangen, und
aufgrund der Investitionsabkommen, die es Regierungen verbieten, auf
wertschöpfender Produktion im Inland zu bestehen.
[2][Laut UN machen für 45 der 54 Länder Afrikas Rohstoffe über 60 Prozent
der Exporte aus]. Opfer ist Afrika durchaus ebenfalls, etwa im Hinblick auf
die hierzulande im Überfluss gehorteten Covid-19-Impfstoffe, deren Patente
durch das Beharren der EU und vor allem Deutschlands die ersten Jahre nicht
freigegeben wurden, zugunsten der Gewinne der öffentlich geförderten
Pharmaunternehmen.
## Der Schuldenstand hat mittlerweile den Höchstwert erreicht
Oder im Hinblick auf die Finanztransfers vom Süden in den Norden: Laut dem
European Network on Debt and Development fließen durch Schuldendienst,
Gewinnrückführung multinationaler Unternehmen, Steuerflucht und
irreguläre Überweisungen (mutmaßlich Gelder aus Kriminalität und
Korruption) etwa 1000 Milliarden US-Dollar jährlich von den armen in die
reichen Länder – netto, also nach Abzug von ausländischen
Direktinvestitionen, offizieller Entwicklungshilfe und Rücküberweisungen
von Migrant:innen. Der Schuldenstand der Länder des Südens hat mittlerweile
die Höchstwerte der Schuldenkrise der 1980er Jahre erreicht, für die Länder
mit mittleren und niedrigem Einkommen beträgt er im Schnitt 200 Prozent des
Bruttoinlandsprodukts.
Zum Vergleich: [3][Die BRD hat 1953, zu Beginn des Wirtschaftswunders,
einen umfangreichen Schuldenerlass bekommen], weil ihr Schuldenstand 25
Prozent des Bruttoinlandsprodukts betrug. Einige Schuldner sind halt
gleicher als andere. Was zweitens die eingeforderte partnerschaftliche
Agrarstrategie angeht, so gab und gibt es sie bereits, etwa in Form der
German Food Partnership und des Africa Agriculture and Trade Investment
Fund.
## Die Verlierer des globalen Kapitalismus
Hier stehen jedoch – genau wie bei den ach so skrupellosen Chinesen –
[4][die Interessen eigener Großunternehmen] wie Bayer Crop Science und BASF
im Vordergrund. Auch in neueren Initiativen wird immer wieder die Erzählung
bedient, dass man durchaus im Süden Geschäfte machen und gleichzeitig die
Armut bekämpfen könnte, über Public-private-Partnerships und
Win-win-Situationen.
Genau das wurde im ersten „Entwicklungsprogramm“ 1949 auch behauptet, mit
dem Ziel, [5][die unabhängig werdenden Länder des Südens vom Überlaufen ins
kommunistische Lager abzuhalten] und gleichzeitig den Zugriff auf die
Rohstoffe und Märkte des Südens zu sichern. Damals wie heute ist es eine
höchst fragwürdige und interessengeleitete Annahme: Die Armen müssen nur in
die moderne Weltwirtschaft integriert werden, dann wird alles gut – als ob
sie das nicht schon längst wären, aber halt meist als Verlierer im globalen
Kapitalismus. Das Entwicklungsversprechen soll sie bei Laune halten.
Daran ändert auch – drittens – ein grüner Anstrich wenig, wie er in den
Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen anklingt und ebenso in dem
unter der Ampelregierung hierzulande forcierten Run auf die Gewinnung
erneuerbarer Energien im Globalen Süden. Wenn [6][grüner Wasserstoff in
Megaprojekten des Südens] nach Europa importiert wird, dient dies primär
nicht der Armutsbekämpfung im Süden, sondern [7][der Aufrechterhaltung
einer imperialen Lebensweise der globalen Mittelklasse], die überwiegend
immer noch im Norden angesiedelt ist.
## Unseren Energieverbrauch um 90 Prozent senken
Einer Lebensweise, die auf billige Rohstoffe und billige Arbeit anderswo
angewiesen und nicht verallgemeinerbar ist, also nur einer privilegierten
Minderheit vorbehalten bleiben muss.
Schon 1996 hat das (des Linksradikalismus unverdächtige) Wuppertal Institut
für Klima, Umwelt und Energie darauf hingewiesen, dass, wenn wir in
Deutschland nur unseren gerechten Anteil an den Ressourcen des Planeten
nutzen wollen, unser Energieverbrauch um 80 bis 90 Prozent sinken muss.
Bundeskanzler Scholz behauptet selbst 26 Jahre später unverdrossen, die
Klimaziele seien nicht durch Verzicht zu erreichen. Weil nicht sein kann,
was nicht sein darf.
Zu guter Letzt ist die „Überwindung des Postkolonialismus“ eher ein [8][von
der AfD eingebrachter Slogan], der gegen die postkolonialen Studien
gerichtet ist, weil sie Eurozentrismus und so weiter kritisieren. Zwar
trifft es zu, dass manche sich antiimperialistisch gebärdenden Diktatoren
über den Kolonialismus des Westens schimpfen, um von ihrer eigenen
Verantwortung für Armut und Gewalt abzulenken.
Doch die postkoloniale Theorie selbst hat immer auch auf die Beteiligung
der Eliten des Südens am Kolonialismus und Neokolonialismus hingewiesen.
Letzterer, als Begriff geprägt durch Kwame Nkrumah, der feststellen musste,
dass die formale Unabhängigkeit Ghanas keineswegs den vorherrschenden
Einfluss westlicher Akteure beendete, wäre ein lohnenderes Ziel für einen
politischen Appell: Neokolonialismus und imperiale Lebensweise überwinden!
10 Feb 2023
## LINKS
[1] /Europas-Afrika-Politik/!5910539
[2] https://unctad.org/press-material/unctad-urges-african-countries-rethink-ex…
[3] https://jubileedebt.org.uk/wp-content/uploads/2015/01/1501-Germany-Debt-Bri…
[4] https://www.momentum-quarterly.org/ojs2/index.php/momentum/article/download…
[5] https://www.trumanlibrary.gov/library/public-papers/19/inaugural-address
[6] /Wasserstoff-in-Afrika/!5896714
[7] https://www.rosalux.de/news/id/46906/energiewende-und-gruene-ausbeutung
[8] https://dserver.bundestag.de/btd/20/025/2002598.pdf;%20https://dserver.bund…
## AUTOREN
Aram Ziai
## TAGS
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