| # taz.de -- Maren Kroymann zum Holocaust-Gedenktag: „Es ist für mich eine gr… | |
| > Mary Pünjer wurde von den Nazis ermordet. Sie war lesbisch und Jüdin. Die | |
| > Schauspielerin Maren Kroymann wird im Bundestag einen Text über sie | |
| > lesen. | |
| Bild: „Das ist doch das viel Wichtigere, dass wir untereinander solidarisch s… | |
| taz: Frau Kroymann, am Freitag wird im Bundestag das erste Mal der queeren | |
| Opfer des Nationalsozialismus gedacht. Sie lesen einen Text über Mary | |
| Pünjer, die von den Nazis ermordet wurde. Wie haben Sie reagiert, als Sie | |
| dafür gefragt wurden? | |
| Maren Kroymann: Als ich gefragt wurde, hat es mir kurz den Atem genommen, | |
| aber ich wusste sofort: Das will ich machen. Es ist für mich eine große | |
| Ehre, dass ich diesen Text vortragen darf, der das Leben und Sterben einer | |
| Lesbe würdigt, die von den Nationalsozialisten verfolgt und ermordet wurde. | |
| Kannten Sie Mary Pünjer? | |
| Ich kannte sie nicht und wusste tatsächlich zunächst auch nicht, was für | |
| einen Text ich bekommen würde. | |
| Wie ist Ihre Verbindung zu Mary Pünjer? | |
| Natürlich sind Frauen diskriminiert oder ins KZ gesteckt worden. Pünjer | |
| wurde als 'kesse Lesbierin’ gelabelt, das finde ich so bezeichnend. Sie hat | |
| sich eben nicht einschüchtern lassen und war nicht die Frau, die sagt: Ich | |
| ducke mich weg. Sie hatte Selbstbewusstsein und den gesellschaftlichen | |
| Zwang, so zu tun, als sei sie als Lesbe nicht vorhanden, hat sie | |
| offensichtlich ignoriert. Das hat die Nazis provoziert, weil sie einfach | |
| das gemacht hat, was wir uns alle wünschen: Souverän leben und sagen: | |
| „Klar, das bin ich. Na und?“ Das hat sie das Leben gekostet. | |
| Jannik Schümann, der einen Text über Karl Gorath im Bundestag vorlesen | |
| wird, hat im Tagesspiegel letzte Woche gefragt: „Warum? Warum gedenkt man | |
| erst jetzt?“ Fragen Sie sich das auch? | |
| Ja, natürlich. Deswegen finde ich es großartig, [1][dass Lutz van Dijk mit | |
| anderen jahrelang dafür gekämpft hat]. Das war eine Sache des | |
| Bundestagspräsidenten. Schäuble wollte davon nichts wissen. Das zeigt ja | |
| auch, wofür jemand steht, beziehungsweise seine Partei. | |
| Inwiefern? | |
| Bärbel Bas ist Sozialdemokratin und hat gleich die Bedeutung eingesehen. | |
| Das hat mit der grundsätzlichen politischen Haltung zu tun. Im Bundestag | |
| sind andere Gruppen schon separat gewürdigt worden. Nur die Homosexuellen | |
| nicht. Und das ist überfällig gewesen, dass wir – wir, sage ich, ich war | |
| natürlich nicht dabei! – auf bestimmte Art unterdrückt, gefoltert, gehasst | |
| wurden. Es gibt Untersuchungen, die zeigen, [2][dass schwule Männer nochmal | |
| besonders ekelhaft gefoltert wurden], noch massiver als andere Menschen, | |
| die im KZ waren. Es ist richtig, dass die queeren Menschen ein eigenes | |
| Gedenken kriegen. Das war ja ein ganz langer Kampf. Deshalb ist es einfach | |
| so ein erhebendes Gefühl, dass das jetzt umgesetzt wird. | |
| Ein erhebendes Gefühl? | |
| Es berührt mich sehr, dass es diese offizielle Gedenkstunde im Bundestag | |
| gibt. Es ist so unglaublich widerwärtig und grauenvoll, was die Männer | |
| erlebt haben. Diese Erfahrung von Brutalität und von ausgelöscht werden ist | |
| in eine Bewegung gemündet, die dafür kämpft, dass das nicht mehr passiert. | |
| Inwiefern unterscheidet das Leid der Lesben das anderer queerer Opfer? | |
| Es gibt wenige Nachweise, dass Lesben auch gefoltert worden sind, getötet | |
| worden sind, weil sie ja nicht Gegenstand des §175 waren. Frauen waren | |
| nicht als Lesben inhaftiert, sondern als Diebinnen, Hehlerinnen, | |
| Prostituierte oder, wie im Fall von Mary Pünjer, als sogenannte 'Asoziale’. | |
| Das heißt, das Leid der Lesben war eigentlich unsichtbar, weil es den | |
| Begriff „lesbisch“ als Straftatbestand nicht gab. Das heißt, dass Lesben in | |
| ihrem Leid nicht als Lesben sichtbar waren. | |
| Sie haben über dieses unsichtbare lesbische Leid schon 2006 in einem | |
| Gastbeitrag für die taz geschrieben. | |
| Damals ging es um das Mahnmal. Es sollte ursprünglich nur der männlichen | |
| Homosexuellen gedacht werden. Das wäre ein fatales Zeichen, weil das ja das | |
| Denken der Nazis reproduziert hätte: Wenn sie sich nicht äußern, dann sind | |
| sie nicht da. Weibliche Homosexuelle sind nicht einmal so wichtig, dass sie | |
| diskriminiert werden müssen. So ungefähr. Ein ganz patriarchales Denken. | |
| Sie haben damals von dieser Überlebenstechnik gesprochen, die sich | |
| weitertragen würde: [3][„Mir kommt es so vor, als ob diese | |
| Überlebenstechnik, so zu tun, als ob man nicht da ist, heute immer noch die | |
| Basis des lesbischen Ichgefühls in dieser Gesellschaft ist.“] Haben Sie | |
| nach wie vor dieses Gefühl? | |
| Das hat sich schon geändert. Heute benennen wir viele Identitäten: | |
| LGBTIQA+. Es gibt eine Homosexuellenbewegung, die natürlich stark von den | |
| Schwulen geprägt ist. Das ist ganz klar mit der Geschichte des §175 | |
| verbunden. Aber Lesben stehen ja an erster Stelle dieses Akronyms: LGBT… | |
| Finde ich sehr gut. Wie hätte man die Liberalisierung der Gesetze für uns | |
| durchgesetzt, wenn wir nicht zu sehen gewesen wären? Das hat im Laufe der | |
| letzten Jahrzehnte immer mehr Fahrt aufgenommen, dass wir Lesben uns | |
| geoutet haben. | |
| Mary Pünjer war auch Jüdin. Macht das für Sie einen Unterschied – den Text | |
| einer lesbischen Jüdin vorzulesen? | |
| Ich bin mir bewusst, dass Mary Pünjer zweifach diskriminiert war, auch wenn | |
| ihre jüdische Herkunft nicht als Grund genannt wurde für ihre Inhaftierung. | |
| Die Frau ist ermordet worden, die Frau ist gefoltert worden und da versuche | |
| ich mich einzufühlen. Ich kann sie respektieren, ich kann sie hochschätzen | |
| für alles, wofür sie gestanden hat. | |
| Als Sie [4][auf Twitter geschrieben haben], dass Sie in der Gedenkstunde | |
| den Text über Mary Pünjer lesen werden, gab es einiges an Kritik – ich weiß | |
| nicht, ob Sie von einem Shitstorm sprechen würden … | |
| … ein kleiner Shitstorm. | |
| Manche Kommentator:innen warfen Ihnen vor, das Wort „lesbisch“ zu | |
| tilgen, indem queerer Opfer gedacht würde. Wie stehen Sie dazu? | |
| Das Wort queer ist sinnvoll, denn es bezeichnet uns alle. Es bezeichnet | |
| Schwule, Lesben, trans Menschen. Die trans Menschen sind inhaftiert worden, | |
| ohne dass sie den rosa Winkel hatten. Es gibt verschiedene Kategorien, | |
| unter denen wir gefasst wurden. Das Wort queer schließt alle ein. Es ist | |
| sehr gut, diesen Begriff zu haben. Soll ich denn sagen, das sei eine | |
| Gedenkstunde nur für die lesbischen Opfer? Die lesbischen Opfer gab es ja | |
| offiziell gar nicht. Wir müssen sie bei den anderen Anklagekategorien | |
| suchen. | |
| Inwiefern? | |
| Pünjer war wie gesagt als 'Asoziale’ eingestuft worden, nicht als Lesbe. | |
| Der Begriff queer ist doch gerade deswegen gut, [5][weil er Menschen ganz | |
| unterschiedlicher sexueller Orientierungen und geschlechtlicher Identitäten | |
| umschließt]. Ich stehe seit vielen Jahren dazu, dass ich lesbisch bin und | |
| habe das Wort keineswegs getilgt. Für mich ist es kein Gegensatz, dass ich | |
| mich als Lesbe definiere und sagen kann, ich gehöre zur queeren Community. | |
| Was soll diese Kluft? Ich kann das sehr gut zusammendenken mit dem Begriff | |
| queer und mich zugehörig fühlen als Frau, die Frauen liebt – was man | |
| allgemein als lesbisch bezeichnet. | |
| Also ein Gefühl der Solidarität? | |
| Das ist doch das viel Wichtigere, dass wir untereinander solidarisch sind. | |
| Deswegen gibt es diese Community. Es ist doch richtig, dass wir uns | |
| unterstützen, einander helfen, auch wenn wir nicht dieselben sind. Dieses | |
| Aufspalten in einzelne Gruppen geht meines Erachtens in eine falsche | |
| Richtung. Ich verstehe schon unter einer Feministin eine Person, die | |
| Gleichberechtigung, Sichtbarkeit, Teilhabe und Offenheit will und nicht die | |
| Festlegung auf bestimmte Rollenbilder oder eine bestimmte festgelegte | |
| Sexualität. Wir müssen doch offen sein für alles, was zwischen den | |
| Geschlechtern stattfindet. | |
| Aber der kleine Shitstorm, wie Sie sagen, hat nochmal das Gegenteil | |
| bewiesen, wir sind immer noch in dieser Debatte drin. | |
| Das irritiert mich schon, dass es auch von feministischer Seite kommt. Das | |
| finde ich kontraproduktiv. Aber nochmal, es hilft nichts, wenn wir Fronten | |
| aufmachen. Wir sollen uns unterstützen, so [6][wie wir es mit #ActOut | |
| gemacht haben]. Alle, die unsichtbar sind, wollen wir sichtbar machen. | |
| 27 Jan 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Gedenkstunde-fuer-Opfer-des-Holocaust/!5907977 | |
| [2] /Kommentar-Schwulenverfolgung/!5507659 | |
| [3] /Verschwundene-Minderheit/!385588/ | |
| [4] https://twitter.com/Maren_Kroymann/status/1613237069945397273 | |
| [5] /Gender-Identitaet/!5868207 | |
| [6] /Manifest-actout/!5747692 | |
| ## AUTOREN | |
| Nicole Opitz | |
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