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# taz.de -- Kreislaufwirtschaft kommt nicht in Gang: Zu wenig wird wiederverwer…
> Rohstoffe noch mal verwenden? Produkte recyceln? Das ist die Ausnahme,
> zeigt ein aktueller Report. Andere Länder sind schon weiter als
> Deutschland.
Bild: Quelle von Rohstoffen: Alte Elektrogeräte liegen zum Recycling auf einem…
Berlin taz | Parkbänke aus alten Plastikverpackungen. Ein neues Smartphone
aus den Rohstoffen von ausrangierten Geräten. Ein Pullover aus recyceltem
Polyester. Eigentlich ist sie überall, die Kreislaufwirtschaft, das
Verwenden bereits einmal verarbeiteter Ressourcen in neuen Produkten. Und
doch ist sie derzeit näher dran an nirgends als an überall: [1][Die
Kreislaufwirtschaft] macht aktuell gerade einmal 7,2 Prozent des globalen
Ressourceneinsatzes aus. Das heißt: Über 90 Prozent der neu gewonnenen
Materialien landen entweder im Müll oder sind auf lange Sicht nicht
verfügbar, weil sie etwa in Gebäuden, Straßen oder in Maschinen verbaut
sind.
Die Zahl ist das zentrale Ergebnis des [2][Circularity Gap Report], den in
der vergangenen Woche die niederländische Organisation Circle Economy in
Kooperation mit der Wirtschaftsberatungsgesellschaft Deloitte herausgegeben
hat. Es ist der sechste Report in Folge – und im Vergleich zur ersten
Ausgabe ist der Anteil der Kreislaufwirtschaft weiter zurückgegangen: Lag
er im Jahr 2018 bei 9,1 Prozent, waren es 2020 8,6 Prozent. Und nun 7,2
Prozent. Der Vergleich dieser Zahlen ist zwar schwierig, auch weil die
Berechnungsmethoden nicht immer zu hundert Prozent identisch sind.
Die Basis sind Modellierungen, die vor allem auf Zahlen der
Statistikbehörden und aus wissenschaftlichen Studien stammen. Dennoch kommt
der Report zu dem Schluss: „Wir stellen fest, dass die Kreislaufwirtschaft
zurückgeht, während global der Anteil der Materialien, die neu entnommen
werden, steigt.“
Das ist fatal. „Die Kreislaufwirtschaft ist der Schlüssel, um Klimakrise
und Verlust der Artenvielfalt gleichzeitig einzudämmen. Deswegen ist es
erschreckend, wie groß die weltweite Lücke zu einer umfassenden
Kreislaufwirtschaft ist“, sagt Rebecca Tauer. Sie ist Programmleiterin
Kreislaufwirtschaft beim WWF Deutschland und hat an dem Report mitgewirkt.
Nur: Woran liegt es, dass der Anteil immer weiter sinkt?
## Umsetzung fehlt
Die Antwort hat viele Facetten. Das übergeordnete Problem fasst Philipp
Sommer, Experte für Kreislaufwirtschaft bei der Deutschen Umwelthilfe
(DUH), die nicht an dem Report beteiligt ist, so zusammen: „Wir recyceln
nicht so viel, wie wir an neuen Ressourcen aus dem Boden holen.“ Und: Zwar
werde mittlerweile mehr über Kreislaufwirtschaft gesprochen als noch vor
einigen Jahren. „Aber wir müssen endlich in die Umsetzung kommen.“
Im Detail zeigt sich das Problem zum Beispiel beim Blick in die eigene
Kramsschublade. Oder in die Schubladen, Kisten und Abstellkammerecken der
anderen rund 40 Millionen Haushalte in Deutschland. [3][Dort lagern laut
einer Hochrechnung des IT-Verbands Bitkom] aus dem Dezember etwa 1.400
Tonnen Kobalt. Dazu 180 Tonnen Lithium, 140 Tonnen Magnesium, außerdem
tonnenweise Titan, Gold und all die anderen Rohstoffe, die sich in Handys
und Smartphones befinden. Die Rohstoffe weiterer Geräte wie Tablets kommen
noch oben drauf.
Das [4][Institut der deutschen Wirtschaft in Köln kommt zu dem Schluss]:
Würden alle Rohstoffe aus den Schubladentelefonen recycelt, ließe sich
damit der Materialbedarf für neue Smartphones für etwa zehn Jahre decken.
In der Praxis wäre es wohl etwas weniger, da nicht jedes Gerät komplett
recyclingfähig ist. Aber die Größenordnung ist gesetzt.
Die Schubladengeräte haben auch Folgen für das Klima. So rechnete das
Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik 2018 aus,
was es ressourcen- und emissionsmäßig spart, wenn ein Smartphone
wiederaufbereitet und noch einmal genutzt wird. Das Ergebnis: Pro einzelnem
Gerät sind es 14 Kilogramm Primärressourcen und 58 Kilogramm
Treibhausgasemissionen.
## Neue Vorschriften
Wie also sieht es aus mit der Problemlösung? EU-Kommission und
Mitgliedstaaten haben sich Ende vergangenen Jahres auf neue Vorschriften
für Elektronikgeräte geeinigt: Hersteller von Smartphones und Tablets
müssen demnach bestimmte Ersatzteile wie Displays und Akkus 7 Jahre lang
zur Verfügung stellen. Software-Updates müssen 5 Jahre lang geliefert
werden. Aber: Das sei zu kurz, kritisiert Sommer. 10 Jahre Software-Updates
seien nötig. „Und zum Preis für Ersatzteile gibt es gar keine
Vorschriften.“ Hersteller könnten über hohe Preise für Akku, Display oder
Arbeitsspeicher eine Reparatur unattraktiv machen. Ohnehin wird es dauern,
bis die neuen Regeln auf dem Markt ankommen: Sie treten erst nach der
Verabschiedung in Kraft – und werden erst nach einer Übergangsfrist von 21
Monaten wirksam.
Dabei geht es bei der Kreislaufwirtschaft nicht nur um Technik, sondern
auch um Textilien, Spielzeuge, Möbel, Verpackungen, Gebäude und alles
andere, dessen Bestandteile im Abfall landen können. In Deutschland
arbeitet die Bundesregierung daher an einer sektorübergreifenden
Kreislaufwirtschaftsstrategie. Im bevorstehenden Frühjahr startet ein
Dialogprozess dazu, 2024 könnte die Strategie beschlossen werden. Wie
verbindlich sie dann sein wird – da zeigen sich zivilgesellschaftliche
Beobachter:innen allerdings skeptisch. Und: Andere Länder sind längst
viel weiter. Das zeigt die Nutzungsrate von wiederverwendeten Ressourcen.
2020 lag die in Deutschland bei rund 13 Prozent. Die Niederlande,
Spitzenreiter in der EU, schafften dagegen mehr als 30 Prozent.
## Entsorgung im Fokus
„In Deutschland liegt der Fokus sehr darauf, verwendete Materialien als
Abfall zu betrachten, der möglichst sicher und günstig zu entsorgen ist“,
sagt Henning Wilts, Abteilungsleiter Kreislaufwirtschaft beim Wuppertal
Institut und nicht am Circularity Gap Report beteiligt. Er skizziert ein
Beispiel: zwei Unternehmen im selben Industriepark. Bei Firma A entsteht im
Produktionsprozess etwas als Abfallprodukt, das Firma B gut bei sich in der
Produktion verwenden könnte. So würden beide Unternehmen Geld sparen – und
Ressourcen. Das Problem: Firma A darf das Material nicht einfach
rüberfahren. Denn es ist Abfall. Dafür braucht es ein zertifiziertes
Transportunternehmen, eine behördliche Genehmigung, viel Aufwand. „In den
Niederlanden ginge so etwas viel einfacher“, sagt Wilts. Und der Transport
sei nur ein Beispiel von vielen, die das Verwenden bereits genutzter
Ressourcen in Deutschland erschweren. „Da muss die Politik ran.“
Dabei sei es bei allem Recycling wichtig, etwas anderes nicht aus dem Fokus
zu verlieren, sagt Wilts: „Wir brauchen nicht nur mehr Recycling, wir
müssen auch dahin kommen, insgesamt weniger Material einzusetzen.“ Also:
keine Verpackung vor Mehrwegverpackung vor recycelter Verpackung. Oder:
langlebiges Design, dann Reparatur, dann Wiederaufbereiten, dann die
Materialien wiedergewinnen. Als Zielbild, sagt Wilts, brauche es nicht nur
einen Kreis, sondern einen – durch sparsamen Umgang auch mit recycelten
Ressourcen – möglichst schlanken.
23 Jan 2023
## LINKS
[1] /Recht-auf-Reparatur/!5878332
[2] https://www.circularity-gap.world/2023
[3] https://www.bitkom.org/Presse/Presseinformation/Smartphones-Tablets-Laptops…
[4] https://www.iwkoeln.de/studien/sarah-fluchs-adriana-neligan-wie-hoch-sind-d…
## AUTOREN
Svenja Bergt
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