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# taz.de -- Juristische Lage beim Klimaschutz: Ist die Klimapolitik rechtswidri…
> Deutschland tue zu wenig, um die CO2-Emissionen zu senken, kritisieren
> Klimaschützer:innen. 2023 sind wichtige Gerichtsurteile dazu zu erwarten.
Bild: Blockadehaltung beim Klimaschutz? Klimaaktivist:innen blockieren die Tief…
Freiburg taz | Johanna Höhn hält die Bundesregierung für kriminell. „Die
Regierung kommt ihrer Verpflichtung, die eigene Bevölkerung zu schützen,
selbst nach Aufforderung durch das Bundesverfassungsgericht nicht nach“,
sagte die Aktivistin der Gruppe [1][Letzte Generation] an einem Tag Mitte
Dezember. Der Schauplatz: der Spandauer Damm, eine Hauptverbindungsstraße
im Berliner Westen.
Höhn saß auf der Straße und hinderte die Autos an der Durchfahrt. Viele
würden deshalb eher Höhn für kriminell erklären, denn die
Straßenverkehrsordnung verbietet ein solches Verhalten natürlich. Der
Regelbruch soll aber [2][auf ein größeres Unrecht hinweisen], argumentieren
die Aktivist:innen.
In einer Mitteilung schrieb die Letzte Generation am Tag darauf, „dass der
Plan, den die Bundesregierung mit ihrem Klimapaket vorgelegt hat, vom
höchsten Gericht für verfassungswidrig erklärt wurde“. Und weiter: „Die
Nachbesserungsfrist läuft ab, es ist nicht abzusehen, dass diese Regierung
die Krise in den Griff bekommt. Das ist Rechtsbruch. Das ist
verfassungswidrig. Das ist kriminell.“ Bruch mit dem Grundgesetz durch
mangelnde Klimapolitik – diesen Vorwurf hört man von der Gruppe immer
wieder. Trifft er denn zu?
Tatsächlich hat das Bundesverfassungsgericht in seinem berühmten
[3][Klima-Beschluss vom Frühjahr 2021] den Klimaschutz zum Staatsziel
erklärt. Konkretisiert sei das Staatsziel in Paragraf 1 des
Klimaschutzgesetzes, das noch die Große Koalition auf den Weg gebracht
hatte.
## Mindestanforderungen des Verfassungsgerichts erfüllt
Darin heißt es, dass „der Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur auf
deutlich unter 2 Grad Celsius und möglichst auf 1,5 Grad Celsius gegenüber
dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen ist“. So steht es auch schon im
Pariser Weltklimaabkommen von 2015. Wie Deutschlands Beitrag zu diesem Ziel
aussehen soll, dabei ließ das Bundesverfassungsgericht der Politik in
seinem Beschluss allerdings „Gestaltungsspielräume“.
Konkret gefordert hatten die Richter:innen, dass der Bundestag im
Klimaschutzgesetz auch konkrete Anforderungen für die Zeit nach 2030
festlegen muss, um die notwendige Transformation von Wirtschaft und
Gesellschaft rechtzeitig anzuschieben. Bis dato hatte das Klimaschutzgesetz
den verschiedenen Wirtschaftssektoren nur bis 2030 jahresgenaue CO2-Grenzen
gesetzt. Wie es danach bis zur Klimaneutralität weitergehen sollte, ließ es
offen.
Mit dem Silvesterabend ist die Frist abgelaufen, bis zu der der Bundestag
Zeit hatte, das Klimaschutzgesetz entsprechend anzupassen. So lange
brauchte er allerdings gar nicht: Nur wenige Wochen nach dem Beschluss des
Gerichts stimmte die Mehrheit der Abgeordneten für die Änderung des
Klimaschutzgesetzes.
Im Zuge dieser Reform besserte der Bundestag auch bei den Zielen für das
aktuelle Jahrzehnt nach. Bis 2030 muss Deutschland seine Emissionen nun um
65 Prozent gegenüber dem Niveau von 1990 senken, zuvor lag die Zielmarke 10
Prozentpunkte niedriger. Eingefordert hatte das Bundesverfassungsgericht
diesen Schritt nicht. Der Bundestag ging also über die Karlsruher
(Mindest-)Anforderungen hinaus.
Trotzdem erhoben neun Jugendliche zusammen mit der Deutschen Umwelthilfe
Anfang 2022 eine neue Verfassungsklage gegen das Klimaschutzgesetz, um
weitere Verschärfungen durchzusetzen. Wie die Letzte Generation fanden sie
nicht, dass die Reform des Klimaschutzgesetzes genügte. Diese Klage lehnte
das Bundesverfassungsgericht schon im Juni ohne jede Begründung ab – ein
klares Signal, dass die Karlsruher Richter:innen erst einmal die Politik
am Zug sehen, die eigenen Ziele auch umzusetzen.
## Von Karlsruhe nach Berlin
Das letzte juristische Wort zur deutschen Klimapolitik ist damit aber nicht
gesprochen. Interessant wird es 2023 in Berlin. Genauer: am
Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg. Dort hat die Deutsche
Umwelthilfe im September Klage eingereicht. Konkret geht es um das
Klima-Sofortprogramm von Verkehrsminister Volker Wissing (FDP).
Der Verkehrssektor hat seine gesetzlichen CO2-Grenzen 2021 nicht
eingehalten. Darauf hat das Klimaschutzgesetz eine Antwort: Das zuständige
Bundesministerium muss ein Sofortprogramm mit Maßnahmen vorlegen, die die
Lücke schließen. In der Pflicht war dieses Jahr also unter anderem Volker
Wissing.
[4][Was er ablieferte], war umstritten: Sein Sofortprogramm zeigte nicht
auf, wie ein jährliches Anwachsen der Lücke bis 2030 verhindert werden
kann. Der Expertenrat für Klimafragen, der die Sofortprogramme laut
Klimaschutzgesetz prüft, guckte sich das dreiseitige Dokument gar nicht
erst im Detail an.
Neben der Klage gegen Wissings Sofortprogramm liegen beim
Oberverwaltungsgericht in Berlin auch noch fünf andere Klagen der Deutschen
Umwelthilfe gegen Klimaprogramme der Bundesregierung. Die älteste stammt
von 2020. Bisher haben die Richter:innen allerdings über keine davon
entschieden oder auch nur verhandelt. Man kann den Aktivist:innen der
Letzten Generation deshalb wohl auch nicht den Klageweg als effiziente
Alternative zu Straßenblockaden empfehlen.
Das könnte sich aber bald ändern: Der für Umweltrecht zuständige 11. Senat
des Gerichts war 2020 und 2021 mit Coronafragen überlastet. 2022 war er
dann durch einen Vorsitzendenwechsel mit anschließendem Rechtsstreit um die
Neubesetzung beeinträchtigt.
Der scheint nun aber gegessen: Die Konkurrentenklage eines unterlegenen
Bewerbers wurde kurz vor Weihnachten abgelehnt. Auf Anfrage der taz teilte
das Oberverwaltungsgericht inzwischen mit, dass es im ersten Halbjahr über
die Klimaklagen der Umweltschützer:innen verhandeln wolle. Es geht
also doch noch voran.
Möglicherweise sind aber einige der Klimaklagen schon überholt, bis das
Gericht über sie entscheidet. Die FDP verlangt nämlich eine grundlegende
Änderung des Klimaschutzgesetzes: Sie will die Sektorziele abschaffen. Es
gäbe dann keine eigenen Ziele mehr für Verkehr, Energie, Industrie,
Gebäude, Müll, Land- und Forstwirtschaft, sondern nur noch für ganz
Deutschland.
Dies würde vor allem FDP-Verkehrsminister Wissing aus der Verantwortung
nehmen. Zahlreiche Klimaschützer:innen, Wissenschaftler:innen, aber auch
die Ampel-Partner SPD und Grüne sind mit dem Vorschlag allerdings nicht
einverstanden.
2 Jan 2023
## LINKS
[1] /Letzte-Generation/!t5833405
[2] /Letzte-Generation-Aktivistin/!5905062
[3] /Entscheidung-zum-Klimaschutzgesetz/!5763553
[4] /Uneinigkeit-in-der-Bundesregierung/!5864326
## AUTOREN
Christian Rath
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