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# taz.de -- Letzte-Generation-Aktivistin: „Da ist in mir etwas gekippt“
> Bis die Regierung genug tut, will Jana Mestmäcker für das Klima auf die
> Straße gehen. Dafür hat die Göttingerin ihren Job als Psychologin
> aufgegeben.
Bild: Will kleben bleiben, bis endlich mehr fürs Klima unternommen wird: Jana …
taz: Jana Mestmäcker, sind Sie kriminell?
Jana Mestmäcker: Ich mache das, was ich bei der Letzten Generation mache,
weil ich davon überzeugt bin, dass es das Richtige ist. Wir hatten bisher
[1][mehr Verurteilungen, aber es gab auch einzelne Freisprüche.] Wir
sollten den Richter*innen so viele Gelegenheiten wie möglich geben,
diese Entscheidung zu treffen und sich zu positionieren. Der Schutz von
Leben wird gerade nicht priorisiert. Das sollte aber passieren.
Wie erklären Sie sich, dass Sie [2][inzwischen kriminalisiert] werden?
Ich glaube, das ist eine Strategie, uns einzuschüchtern oder einfach von
unserem Protest abzuhalten.
Haben Sie bei den Aktionen Angst?
Vor den Blockaden ist die Angst auf jeden Fall am größten, weil ja auch die
Vorstellung, was alles passieren könnte, aktiv wird. Wenn ich da sitze,
fühle ich mich sicher und ruhig.
Bereiten Sie sich psychisch auf die Aktionen vor?
Das ist ein großer Teil der Vorbereitung. Da geht es um Strategien, wie ich
mich in dem Moment beruhigen kann. Das Wichtigste ist, dass von unserer
Seite aus keinerlei Eskalation ausgeht, weil wir diese Stresssituation ja
bewusst kreiert haben und nicht dazu beitragen wollen, dass es unschöner
wird, als es sowieso ist.
Waren Sie vor der Letzten Generation schon politisch aktiv?
Ich war im Studium bei Amnesty International, weil mich Menschenrechte
immer mehr interessiert haben. Ich hatte immer ein starkes
Gerechtigkeitsempfinden. Die Umwelt hat mich nicht so interessiert. Wir
haben uns damals das Büro mit Greenpeace geteilt und ich dachte: „Ja gut,
dass das auch wer macht.“ Ich hatte das Ausmaß der Klimakrise nicht
annähernd begriffen und nicht verstanden, dass die Klimakrise Auswirkungen
auf die Menschenrechtssituation hat.
Wie sah Ihr Leben aus, bevor Sie zur Letzten Generation gestoßen sind?
Ich habe ziemlich angepasst gelebt, habe Psychologie studiert, in einem
Verlag im Lektorat und dann als Psychologiedozentin gearbeitet. Ich habe
aber nicht so viel Sinn daraus ziehen können, dass mein Leben unterm Strich
einfach nur dafür da ist, um Geld zu verdienen, und habe dann die
Arbeitszeit immer mehr reduziert. Ich habe viel gelesen und habe, nachdem
ich mich mehr mit der Klimakrise beschäftigt habe, beschlossen, nicht mehr
zu fliegen. Als Ausgleich, wenn ich schon nicht mehr so viel rumkomme, habe
ich mehr internationale Presse gelesen. [3][Im Guardian habe ich einen
Artikel gelesen, wie die Vier-Grad-Welt aussehen wird]. Da ist in mir was
gekippt.
Können Sie mir von dem Tag erzählen, als Sie entschieden haben, Ihren Job
aufzugeben?
Ich bin zu meiner Chefin gegangen und bin dabei auch ziemlich emotional
geworden. Ich hab gesagt: „Ich muss das jetzt machen.“ Das war Anfang des
Jahres. Wir haben diese Autobahnblockaden begonnen und ich konnte noch gar
nicht sagen, was daraus wird. Sie hat gesagt: „Ja, wenn du das machen
musst, dann kann ich das verstehen.“ Und dann bin ich nach Berlin gefahren,
habe Straßen blockiert. Währenddessen habe ich sie dann noch mal
kontaktiert und gekündigt.
Können oder wollen Sie irgendwann zurück in den Job?
Die komplette Zukunft ist für mich eine leere Fläche. Weil es natürlich
einerseits nicht sein kann, dass ich den Rest meines Lebens im Widerstand
verbringe. Gleichzeitig kann ich mir auch nicht vorstellen, eine Normalität
zu leben, solange die Entscheidungen weiter so getroffen werden und unsere
Zukunftsaussichten zerstört werden.
Was wird mit der Welt passieren, wenn die Bundesregierung jetzt so
weitermacht wie bisher?
Das, was die Regierung plant, reicht nicht aus. Wir werden nicht mehr genug
für alle haben. Das wird erst mal andere Länder viel stärker betreffen, von
wo die Menschen dann fliehen müssen. Ich finde es jetzt schon katastrophal,
dass wir keine sicheren Fluchtwege haben. Ich weiß einfach nicht, wie das
weitergehen soll. Es ist überhaupt nicht auszuschließen, dass [4][unser
Rechtsstaat und unsere Demokratie nicht zusammenbrechen]. Das sind für mich
alles Aussichten, die ich einfach nicht hinnehmen kann.
Woher haben Sie dieses Wissen?
Ich habe Dinge gelesen und Menschen zugehört, die dazu forschen. Diese
ganzen Dinge verstehe ich so, wie eine fachfremde Person die eben versteht.
Mein Bereich ist die Psychologie. Und was ich da sehe, ist, dass die
Tragweite dieser Information nicht dazu passt, wie wir uns verhalten. Das
ist auch total normal bei sehr schmerzlichen Realitäten. Man muss die Leute
damit konfrontieren.
Wie haben Sie persönlich es geschafft, diese schmerzlichen Realitäten an
sich heranzulassen?
Für mich hat das in der Zeit ganz gut dazu gepasst, was ich sowieso schon
vermutet habe. Ich war gerade für ein paar Jahre im Arbeitsleben angekommen
und hatte mich gefragt, wie sinnvoll das ist, was wir hier machen. Dann
habe ich gemerkt: „Hier läuft etwas ganz massiv schief und es ist total
normal, dass ich mich damit total schrecklich fühle.“ Mir geht es auch
nicht schlechter, seitdem ich diesen Schritt gegangen bin, dass ich meinen
Job aufgegeben habe und mit der Letzten Generation auf die Straße gehe.
Natürlich ist es super anstrengend. Es ist schrecklich, eingesperrt zu
sein. Es ist gruselig, dass ich nach und nach all mein Geld verliere. Es
ist beängstigend. Aber gleichzeitig habe ich jetzt eben dieses
Sinnempfinden, dass ich zumindest nach meinen Werten und Prinzipien lebe
und mich dafür einsetze, was ich für richtig halte. Und auf eine Weise geht
es mir damit sehr viel besser.
Im Moment wehrt sich der Staat mit harten Mitteln gegen den Protest und
geht nicht auf Ihre Forderungen ein. Haben Sie Hoffnung, dass sich das noch
ändert?
Ich hoffe, dass die Menschen, die aktuell in der Regierung sind, sich noch
für das Richtige entscheiden. Wenn letztendlich alles, was hierbei
rauskommt, ist, dass wir es versucht haben, dann habe ich für mich immer
noch das Richtige gemacht, [5][weil ich nach meinem Gewissen und meiner
Vernunft gehandelt] habe. Was ist denn mit den Leuten, die in 50, 60 oder
70 Jahren zurückschauen werden? Wenn alles, was wir erreichen, ist, dass es
denen ein bisschen leichter fällt, noch an die Menschheit zu glauben, dann
finde ich das auch schon ein Gewinn. Aber natürlich hoffe ich auch, dass
wir das jetzt noch rumreißen.
29 Dec 2022
## LINKS
[1] /Weihnachtsansprache-des-Bundespraesidenten/!5904595
[2] /Verdacht-auf-kriminelle-Vereinigung/!5901388
[3] https://www.theguardian.com/environment/2019/may/18/climate-crisis-heat-is-…
[4] /Letzte-Generation-und-Reichsbuerger/!5900327
[5] /Philosophie-ueber-Hoffnung/!5903044
## AUTOREN
Franziska Betz
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Protest
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