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# taz.de -- Letzte Generation und Reichsbürger: Die staatsgläubigen Klimaakti…
> Die Letzte Generation nimmt buchstäblich ernst, was Gesetzeslage ist.
> Damit stellt sie die Politik bloß, die darauf panisch und absurd
> reagiert.
Bild: Aktivisten der „Letzte Generation“ blockieren eine Zufahrt zur Tiefga…
Es war von verquerer Symbolik: Auf die Razzia gegen die Reichsbürger folgte
eine Razzia gegen Klimaaktivisten der Letzten Generation. Diese
Ereigniskette insinuiert, dass von rechts und links Terror gegen den Staat
droht. Tatsächlich ist es jedoch genau andersherum: Niemand ist so
staatsgläubig wie die Letzte Generation. Die Aktivisten wollen die
Regierung zwingen, ihre eigenen Gesetze ernst zu nehmen.
Es scheint längst vergessen, aber das [1][letzte Kabinett Merkel hat 2021
ein Klimaschutzgesetz verabschiedet], nach dem Deutschland bereits im Jahr
2045 klimaneutral sein soll. Man muss kein Mathematiker sein, um sofort zu
erkennen, dass nur noch 23 Jahre bleiben. Eigentlich wäre also Tempo
angesagt, doch stattdessen wird viel Zeit vergeudet. Noch nicht einmal ein
Tempolimit auf deutschen Autobahnen ließ sich durchsetzen.
Besonders erstaunlich agiert die Union: [2][Fraktionschef Friedrich Merz
tut jetzt so, als wäre der Klimaschutz eine Zumutung,] die eigens von den
Grünen erfunden worden wäre, um die unschuldigen Mitbürger zu quälen.
Beherzt verdrängt er, dass die Union die Kanzlerin stellte, als das
Klimaschutzgesetz verabschiedet wurde.
Aber dieser Zynismus fällt vielen nicht auf. Die meisten Politiker und
Bürger haben sich längst damit arrangiert, dass Gesetze gelegentlich ein
politisches Handeln vortäuschen sollen, das es gar nicht gibt. Sie wundern
sich nicht, dass der Klimaschutz stockt, obwohl es doch ein
Klimaschutzgesetz gibt. Die Letzte Generation hingegen fordert völlig
ironiefrei: Was das Parlament beschlossen hat, das muss gelten.
## Retterin der Demokratie
Der Letzten Generation wird gern vorgeworfen, dass sie kompromisslose
Moralapostel seien, die glaubten, sie hätten die Klimawahrheit gepachtet.
Dabei ist es so viel schlichter: Die Aktivisten nehmen nur buchstäblich
ernst, was Gesetzeslage ist. Damit aber stellen sie die Politik bloß, was
wiederum erklärt, warum viele Politiker seltsam panisch und absurd
reagieren.
So behauptete Finanzminister Lindner (FDP) am vergangenen Donnerstag in
seinem [3][Podcast „CL+“], dass die Aktivistengruppe „brandgefährlich“…
und demnächst die Demokratie relativieren könnte. Das Gegenteil ist jedoch
richtig: Die Letzte Generation sieht sich als Retterin der Demokratie. Sie
will erreichen, dass demokratisch gewählte Volksvertreter demokratisch
erlassene Gesetze umsetzen.
Allerdings wählen die Klimaaktivisten einen Weg, der zunächst
widersprüchlich erscheint: Sie nutzen illegale Mittel, um den legal
beschlossenen Klimaschutz zu erzwingen. Es ist nun einmal ein Fakt, dass
man sich nicht auf der Straße festkleben oder verglaste Kunstwerke mit
Kartoffelbrei bewerfen darf. Die Klimaaktivisten leugnen auch gar nicht,
dass sie Unrecht begehen, und akzeptieren die Strafen. Sie wollen stören,
aber nicht schaden.
## Der Staat bricht täglich das Gesetz
Ihre Botschaft ist friedlich: Sie begehen Gesetzesverstöße, um darauf
hinzuweisen, dass täglich Gesetze gebrochen werden – und zwar ausgerechnet
durch den Staat. Diese Botschaft lässt sich jedoch gezielt missverstehen,
wie Lindner vorführt. In seinem Podcast wirft er den Klimaaktivisten vor,
sie verfolgten ein „geradezu autoritäres Gesellschaftsmodell“. Eine „Gru…
von Eingeweihten“ sage einer Mehrheit, was gut und richtig sei. Das ist
eine seltsame Kritik. Man muss nicht „eingeweiht“ sein, um zu wissen, dass
Deutschland bis 2045 klimaneutral sein will. So steht es im Gesetz.
Lindner tut bewusst so, als wären die Klimaaktivisten mit den Reichsbürgern
gleichzusetzen. Dieser rechtsradikale Trupp verfolgt tatsächlich ein
„autoritäres Gesellschaftsmodell“, indem man die Existenz der
Bundesrepublik leugnet und sich immer noch im Deutschen Reich wähnt.
Zugleich wollte diese kleine „Gruppe von Eingeweihten“ einen Staatsstreich
organisieren und sich selbst zu Ministern ernennen. Der Bundestag sollte
gestürmt und mit Waffengewalt aufgelöst werden. Zudem wurden zwei
„Feindeslisten“ gefunden, auf denen unter anderem Außenministerin Annalena
Baerbock (Grüne), SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert und Friedrich Merz
aufgeführt waren.
Wie harmlos sind dagegen die Klimaaktivisten: Statt Abgeordnete zu
verhaften, wie es die Reichsbürger planten, haben sie sich am Donnerstag
vor zwei Tiefgaragen festgeklebt, die zu Bundestagsbüros gehören. Nach zwei
Stunden wurden die Demonstranten von der Polizei weggetragen, und die
Mandatsträger konnten wieder ihre Parkplätze ansteuern.
## Der Staat höhlt sich selbst aus
Trotzdem fürchtet sich die Politik nicht etwa vor den Reichsbürgern,
sondern vor den Klimaaktivisten. Also wurde die Bundestagspolizei
entsprechend instruiert. Niemand informierte die Schutzbeamten über einen
möglichen Angriff der Reichsbürger – aber sie wurden explizit vor den
harmlosen Aktionen der Letzten Generation gewarnt.
In den Reihen der Reichsbürger befinden sich auch Beamte, Polizisten und
Soldaten. Das ist nicht nur gefährlich, sondern auch bizarr, weil sie einen
Staat ablehnen, von dem sie zugleich ihr Gehalt oder ihre Pension beziehen.
Aber nicht nur die Reichsbürger sind inkonsequent, sondern auch der Staat
selbst – indem er Klimagesetze erlässt, an die er sich dann nicht hält.
Die Regierung führt selbst herbei, worauf die Reichsbürger so inniglich
hoffen: Der Staat höhlt sich von innen aus, indem er das Recht als Attrappe
missbraucht. Diesen Zustand will die Letzte Generation nicht akzeptieren,
auch weil es um ihre Zukunft geht. Aber es ist mehr: Sie sind echte
Demokraten und glauben an den Staat.
18 Dec 2022
## LINKS
[1] /Deutschlands-neues-Klimaschutzgesetz/!5765956
[2] /Klimaproteste-der-Letzten-Generation/!5896234
[3] https://www.fdp.de/cl-der-podcast-mit-christian-lindner
## AUTOREN
Ulrike Herrmann
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