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# taz.de -- Klimaproteste am Flughafen BER: Duell der Sprachlosen
> Aktivist*innen legen den BER zwei Stunden lang lahm. Sie seien zu
> weit gegangen, sagt die Politik, kaschiert damit aber nur ihre
> Hilfslosigkeit.
Bild: Auftakt zur BER-Blockade: Ein Aktivist zerschneidet den Flughafenzaun
Die Grenzen, die bei den Klimaprotesten der „Letzten Generation“
überschritten werden, sind sehr fein, und jede und jeder zieht sie anders.
Dass irgendjemand seine Grenze als überschritten ansieht, ist Teil der
Taktik und schlicht notwendig aufgrund der ungeschriebenen Gesetze der
Medien: Ohne Empörung über [1][diese Akte des zivilen Ungehorsams] erhalten
sie nur wenig oder keine Aufmerksamkeit. Doch die braucht es, schließlich
soll auf eine nach Einschätzung der Aktivist*innen dramatische Lage mit
dramatischen Mitteln hingewiesen werden.
Bleibt die Frage: Wann ist wirklich die Grenze überschritten? Bei
[2][Blockaden von Autobahnen]? Bei [3][Attacken auf wertvolle Gemälde]? Bei
der Besetzung der Startbahn eines Flughafens, [4][wie am Donnerstag am
BER?]
Die Reaktionen der Politik auf die Aktion am Berliner Flughafen [5][fielen
erwartungsgemäß harsch aus], schließlich zerschnitten die Beteiligten einen
Zaun, um auf das Gelände zu kommen; der BER musste den Betrieb zwei Stunden
lang einstellen, Flugzeuge waren verspätet oder mussten umgeleitet werden.
Aus der konservativen Ecke kamen die üblichen „Sperrt sie sofort weg“-Rufe.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sprach davon, dass die Aktionen
„wichtige gesellschaftliche Akzeptanz für den Kampf gegen den Klimawandel“
zerstören würden; Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) bezeichnete
die Aktionen als „immer skrupelloser“. Und selbst Grünen-Chef Omid
Nouripour äußerte scharfe Kritik: Wenn Leben gefährdet würden und Menschen
nicht in den Urlaub könnten, sei das nicht akzeptabel.
Wobei Nouripours Gleichsetzung der Gefährdung von Menschen mit dem Recht
auf Urlaub schon interessant ist. Dass keine Menschen bei den Protesten zu
Schaden kommen, erst recht keine Unbeteiligten, ist der Konsens, auf den
sich wohl alle Aktivist*innen der „letzten Generation“ einigen können.
Flugreisen hingegen mit ihrem großen CO2-Ausstoß sind einer der
wesentlichen und gleichzeitig verzichtbaren Treiber der Erderwärmung, das
ist den Grünen auch bewusst.
## Was ist das Ziel, was die Forderung?
Die Aktionen etwa gegen Kunstwerke wurden immer wieder kritisiert, weil sie
sich gegen etwas richteten, das nichts mit dem Anliegen der
Aktivist*innen zu tun habe, nämlich mehr Klimaschutz. Die Blockade
eines Flughafens wäre aus dieser Sicht die Fortsetzung der
Autobahnblockaden, allerdings mit deutlich größerem finanziellen Schaden.
Auch daher ist die Frage nach der jetzt aber definitiv überschrittenen
Grenze gerechtfertigt.
Sicher war der global koordinierte Protest von Scientist Rebellion
ebenfalls [6][am BER gegen die Privatfliegerei vor zwei Wochen] eine Aktion
mit mehr politischer Finesse: Wahrscheinlich lehnen vor allem noch
CDU-Bundesvorsitzende diese Forderung ab, alle anderen können sich darauf
einigen. Doch daraus rührt dann wieder das Problem: Zu viel Konsens bringt
zu wenig Nachrichten.
Die gleiche Entwicklung gibt es bei den in Berlin immer noch fast täglich
stattfindenden Straßenblockaden, bei denen sich zumindest einige der
Aktivist*innen auf den Asphalt kleben. Die anfängliche Empörungswelle
in den Medien ist abgeebbt, die Proteste machen kaum mehr Schlagzeilen. Und
wer die Berliner*innen kennt, die schon das jahrelange S-Bahn-Chaos und
so manchen Streik der BVG stoisch ertragen haben, weiß: Wahrscheinlich
werden sie sich auch mit den Blockaden arrangieren. Bekanntlich läuft in
Berlin ja selbst so [7][manche Wahl nicht] glatt ab.
## Abgedroschene Phrasen
Ähnlich routiniert klingt inzwischen die Kritik an den Aktionen von immer
den selben Politiker*innen von CSU bis Grünen. Die Proteste und die
Reaktionen sind gefangen in einer Spirale, ein Ausweg ist nicht in Sicht.
Die Politik will nicht nachgeben und sich auf Gespräche einlassen –
wahrscheinlich kann sie es auch nicht. Die Aktivist*innen wollen nicht
aufgeben – wahrscheinlich können sie es auch nicht, weil sie emotional dem
Anliegen zu stark verbunden sind.
Damit die Proteste zu Ende gehen, muss die Justiz wohl alle
Aktivist*innen einsperren. Das wäre – sofern überhaupt umsetzbar – ein
politischer Offenbarungseid angesichts der (bisherigen) Form der Proteste,
die eine derart drastische Maßnahme in einer demokratischen Gesellschaft
nicht akzeptabel erscheinen lässt. Oder die Aktivist*innen finden neue
Protestformen, weniger isoliert, gemeinsam mit anderen Gruppen.
Doch darauf haben schon Gruppen wie Fridays for Future gehofft – und sind
von der Politik immer wieder bitter enttäuscht worden. Aber offenbar gibt
die „Letzte Generation“ der Regierung noch eine Chance: Am Freitagabend
verkündeten sie, die Proteste vorerst aussetzen zu wollen.
Die Parteien und die Bundesregierung müssen derweil endlich anerkennen,
dass ihre Ignoranz gegenüber der Klimakrise in den vergangenen Jahrzehnten
eine neue Generation des Protests hervorgebracht hat. Vor allem junge
Menschen, die am meisten von den Folgen der absehbaren Klimakatastrophe
betroffen sein werden, sind nicht mehr gewillt, die fortdauernden
politischen Misserfolge beim Kampf gegen diese Krise wie zuletzt bei der
[8][COP 27 in Ägypten] nur schulterzuckend hinzunehmen. Sie sind sauer, sie
sind wütend. Und nur wenn die Politik das wirklich akzeptiert, kann sie
erfolgreiche Strategien für den Umgang mit den Klimaprotesten entwickeln.
26 Nov 2022
## LINKS
[1] /Forschender-Aktivist-ueber-Klimaproteste/!5889907
[2] /Aktionen-der-Letzten-Generation/!5887390
[3] /Klima-Protestaktionen-in-Museen/!5887003
[4] /Letzte-Generation-am-BER/!5897889
[5] /Aktion-der-Letzten-Generation/!5898209
[6] /Blockade-am-Flughafen-BER/!5889329
[7] /Entscheidung-des-Verfassungsgerichts/!5895722
[8] /Klimagipfel-COP-27-in-Aegypten-endet/!5896214
## AUTOREN
Bert Schulz
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